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Vierzehntes Kapitel.

Als die »Juno« das letzte Mal aus Arendal fuhr, hatte sie nur einige Mann ihrer alten Besatzung gewechselt. Um das Frühjahr fanden sich damals, wie wohl auch jetzt, nicht wenige Leute aus den Fischereidistrikten des Westlandes ein, um sich zu verheuern. Sie kommen in ihrer Fischertracht, von der Arbeit im Boote beschmutzt und gebeugt, und bringen statt der gewöhnlichen, schrägen Schiffskiste ihre runden Bauerntruhen mit. Ihrem Wesen fehlt der seemännische Zuschnitt, und sie erlangen nur mangels andrer Matrosen einen Platz auf Schiffen, die auf Langfahrt sollen.

Solch einen Matrosen aus irgend einem Fjordwinkel nördlich von Stavanger hatte die »Juno« an Bord gekriegt, und es schien, als ob er aller Sündenbock werden sollte. Er war ein vierschrötiger Mensch mit einem rotbraunen Bart um das große, grobe Gesicht. Er hieß Nils Buvaagen, ging unseemännisch mit niederhängenden Armen, gleich einer trägen Schildkröte, über das Deck, und es wäre kühn gewesen, zu behaupten, daß »Schussigkeit« in ihm stecke. Dagegen zeigte es sich bald, daß er, wie die meisten Leute dieses Schlages, ungewöhnlich ausdauernd im Ertragen von Mühe und Strapazen war. Wenn er im Unwetter den Kopf mit der Pelzmütze aus dem Roof hervorstreckte, sich umschaute und dem Wetter ins Gesicht grinste, erinnerte er an die Fratze eines Vikings, – und auf seinem Ausguckposten hielt er aus, wenn auch eine See um die andre ihn niederschlug. Er war unglaublich naiv, besonders wenn man die Rede auf seine Frau und seine Kinder brachte. Der Koch, ein arger Spottvogel, konnte ihn damit bis zum Flennen bringen, – ein Kunststück, das er zu der Unterhaltung der andern vorführte.

Doch bei allem Spott und aller Neckerei hatte man doch einen gewissen Respekt vor ihm. Der einzige, der ihn in Schutz nahm, war Salve; er gebrauchte seine scharfe Zunge oft zu Nils' Gunsten, doch offenbar mehr, weil alle andern gegen ihn waren, als aus eigentlicher Sympathie.

Bald trat indessen ein Ereignis ein, das die beiden einander näher brachte.

Bei der Ausfahrt hatten sie in einer dunkeln Nacht die Foreland-Leuchttürme passiert und kreuzten die Straße von Dover in einem so dichten Nebel und Regen, daß sie am Nachmittag nicht einmal den Wimpel auf dem Großtopp unterscheiden konnten. Dabei ging die See, wie es in diesem Fahrwasser oft geschieht, außerordentlich krapp Eine krappe See = eine kurze, spitze See, Welle, im Gegensatz zu den langen Wellen eines ruhigen Wassers. und schwer. Unablässig tönten Glocken- und Hornsignale von den vielen Schiffen durch die Nacht: denn sie kreuzten im Dunkeln aneinander vorbei, in steter Gefahr, sich gegenseitig in den Grund zu bohren. Da plötzlich erscholl vom Backbord her, über das soeben eine Sturzsee gegangen, der Ruf: »Ausguckmann über Bord! – Nils Buvaagen!«

»Mann über Bord!« klang es nun auch kurz und scharf von den verschiedenen Posten her. Doch dachte unter diesen Verhältnissen niemand an Rettung.

Salve stand beim Röstwerk und sah eine Gestalt mit ausgebreiteten Armen außer Bord vorbeigleiten. Eilig sprang er achterwärts, indem er unterwegs das Stück Leine, das er in der Hand hielt, loswand. Nun sah er den Mann hoch emporgetragen von der Woge, die ihn gerade gegen das eintauchende Achterende schleudern wollte. Es war keine Fadenlänge zwischen ihnen. Salve warf die Leine aus und Nils Buvaagen war gerettet.

Von jener Stunde an war Nils Buvaagen Salves treuester Freund, und dieser war für Freundschaft auch nicht unzugänglich, obgleich sie sich bei ihm mehr in Thaten als in vertraulichen Mitteilungen äußerte. So erdreistete sich der Koch nicht länger, mit ihm seinen Spaß zu treiben.

Seither waren ein paar Monate vergangen. Die »Juno« lag segelklar auf der Reede von Montevideo und zwar schon einige Tage, denn man hoffte noch auf die Post, die man schon bei der Ankunft vorzufinden erwartet hatte. Die Ungeduld, mit der man derselben entgegensieht, und die Enttäuschung, die sich in allen Mienen malt, wenn sie ausbleibt, kennt nur derjenige, der auf einem solchen Weltumsegler gefahren ist. Da ist wohl kein Mann an Bord, der nach so langer Zeit sich nicht freute, etwas von der Heimat, von Weib und Kind, von der Liebsten oder von Verwandten zu hören, denn das Heimweh wird an Bord immer mächtiger.

Soeben legte die Heckjolle an. Der Steuermann flog trotz der erschlaffenden Hitze wie eine Katze die Fallreepstreppe hinan und verschwand rückwärts in der Hütte, wo der Kapitän an einem Tischchen bei Glas und Karaffe saß.

Kapitän Beck hatte einen Kranz gerade herabgekämmter weißer Haare um den kahlen Kopf, den er der Hitze wegen beständig abtrocknete. Sein fleischiges, rotwangiges Gesicht verriet, das er schwerlich so ruhig war, wie er sich den Anschein gab, indem er das Paket unberührt auf dem Tisch ließ. Er nickte dem Steuermann zu, und dieser entnahm daraus, daß er fürs erste abtreten und drüben auf der andern Seite der Hütte warten solle.

Beck öffnete das Briefpaket und sein Gesicht leuchtete auf, als er darin einen Brief mit der Aufschrift von seines Sohnes Hand erblickte. Darauf begann er mit heiterer Miene die Briefe nach den Adressen zu ordnen und machte dazu eine oder die andre Bemerkung.

»Steuermann!« rief er mit lustiger Betonung, indem er alles zusammenraffte und diesem gab, – »hier sind Briefe in Hülle und Fülle, von Frauen und Liebsten.«

Man hatte bemerkt, daß der Steuermann mit einem Paket im Arm über die Fallreepstreppe gekommen war, und es verbreitete sich wie ein Lauffeuer über das Deck hinab in das Banjer Banjer ist ein Teil des Zwischendecks. in Roof und Kombüse, daß die Post da sei. Als daher der Steuermann die Adressaten aufzurufen begann, war schon die ganze Besatzung um die große Luke versammelt, bis auf einen oder zwei Nachzügler, die sich oben in der Takelung befanden und die nun eilfertig an den Webeleinen herabenterten.

Der einzige, der weder Nachricht zu erwarten noch zu ersehnen schien, war Salve Kristiansen. Während die Briefe verteilt wurden, stand er mit zusammengepreßten Lippen achterwärts beim Steuerrad, scheinbar bloß mit den zwei Rudergasten beschäftigt, welche die Heckjolle aufhißten und festhakten. Hie und da legte er mit Hand an; allein die Art, in der er es that, verriet gerade nicht die freundlichste Stimmung.

Es war etwas Herbes, Unfreundliches in sein Wesen gekommen, und wenn der Kapitän gelegentlich nach Hause berichtete, er sei nicht ganz zufrieden mit ihm, so hatte das seinen guten Grund. Es waren allerlei Unannehmlichkeiten mit ihm vorgefallen, und gab es einen Zwist an Bord, so konnte man sich darauf verlassen, daß er dahinter steckte. Außerdem glaubte der Kapitän die Wahrnehmung gemacht zu haben, daß Salve gegen ihn persönlich verbittert sei.

Mit Ausnahme des Kapitäns, der hinter der Hütte saß, war übrigens Salve der einzige Mensch auf dem Deck. Der erste Steuermann hatte sich mit einem Brief seiner Braut in seinen Verschlag zurückgezogen; der zweite Steuermann lag im Großboot und studierte einen ähnlichen, und die ganze Besatzung schien völlig verschwunden.

Kapitän Beck saß hinter der Hütte und las des Sohnes langen Brief. Er war krebsrot im Gesicht und sah aufgebracht aus.

Der Sohn bat um seine Einwilligung zur Verlobung mit Elisabeth, und der Vater fand trotz aller schönen Worte heraus, daß es eine abgemachte Sache sei, an der nicht mehr zu rütteln war.

Die unwillkürlichen Bewegungen und halblauten Ausrufe verrieten genugsam, in welche gewaltige Aufregung der Brief den Kapitän versetzte. Er saß noch eine Weile stumm und trommelte auf dem Knie und warf Salve, der beim Rad stand, böse Blicke zu. Es schien, als verspüre er Lust, seinen Groll an dem jungen Mann auszulassen. Er wußte, daß Salve daheim Elisabeth hatte Geschenke machen wollen und aller Wahrscheinlichkeit nach um sie geworben hatte; und nun wollte dasselbe Mädchen die Frau seines Sohnes, des Seeoffiziers, werden!

Da schlug er mit der Hand, die den Brief hielt, so heftig auf den Tisch, daß Glas und Flasche herabfielen. Er stieß mit dem Fuß nach den Scherben und ging mit hastigen Schritten über das Deck. Als er an Salve vorüberkam, konnte er sich kaum bezähmen; doch drehte er sich vor ihm jäh auf dem Hacken um und wanderte ein paarmal auf und ab.

Salve erriet aus den Blicken des Kapitäns, daß dieser im Begriff gewesen, ihm etwas Unangenehmes zu sagen, und seine trotzige Miene und Haltung bewies, daß er selbst bereit sei, es entsprechend aufzunehmen.

»Wo ist der zweite Steuermann? Wo ist die ganze Wache?« rief er zornig, als er wieder umkehrte, und sah sich scheinbar verwundert um, denn er wußte es gut, und es war bestimmt worden, erst später zur Abendbrise die Anker zu lichten.

»Hoi!« rief aus dem Großboot der in seiner behaglichen Beschäftigung gestörte Steuermann, indem er sich erhob und mit seinem Brief in der Hand etwas verstört herbeieilte.

»Klar zum Lichten! – Alle Mann auspurren!« kommandierte Beck und brüllte zum Ueberfluß den Befehl noch durch das Sprachrohr.

Mit sauren Mienen kamen die Leute aus ihren verschiedenen Schlupfwinkeln; sie waren auf alles eher vorbereitet, als auf diese Ueberraschung im Sonnenbrand; und nun hagelte es Befehle über das Segelsetzen und Ankerlichten, als ob der Kapitän besessen wäre.

Schweißtriefend stand Nils Buvaagen da; er hatte das Futter aus seiner alten Pelzmütze genommen und hatte eigentlich nichts an als Schwimmhosen, so daß seine riesenstarke Gestalt recht sichtbar wurde. Es war der braune Bär des Nordens im Klima des Tigers. Er war geduldiger Natur und schien die Unzufriedenheit seiner Kameraden nicht zu teilen; soeben setzte er den letzten Halbstich Halbstich = eine Art Stich, mittels welchem man einen Gegenstand an einen andern befestigt. Ein Stich ist die Verwickelung oder Zusammenstechung eines Tauendes mit dem Tau selbst, um einen Gegenstand festzuhalten; der Stich wird im Gegensatz zum Knoten nicht fest angezogen. auf den schweren Anker.

»Ihr könnt euch gleich beim Hissen des Klüvers und Jagers abkühlen. Wenn wir um die Landspitze sind, müssen alle Leesegel aus!« bemerkte Salve ironisch. Soeben hatte er mit einigen andern die schwere Arbeit des Setzens des Bagiensegels Segel an der Bagienrahe, der untersten am Kreuzmast. vollführt.

Die Aussicht, die Leesegel zu setzen, verfinsterte alle Gesichter; denn es ist dies überaus mühsam, und die Leute meinten, sie seien ohnehin schon dem Gebratenwerden nahe.

Währenddessen ertönte aus dem Sprachrohr des Kapitäns ein Hagelschauer von Befehlen, von antreibenden und scheltenden Worten begleitet; an diesem Abend wurde er erst spät müde. Sie führten jeden Befehl um so unwilliger aus, als niemand daran zweifelte, es geschehe alles bloß, um sie zu »schinden« und um sich an ihnen für das Mißvergnügen zu rächen, das sie, ehe sie Montevideo anliefen, über die Schiffskost geäußert hatten. Dort hatten die Matrosen nur spärlich Urlaub erhalten, – unter dem Vorwand der politischen Unruhen, die damals in den Laplatastaaten herrschten und infolge welcher die verschiedenen Parteien sich täglich in den Straßen von Montevideo schlugen.

Die folgenden Tage verbesserten die Laune des Kapitäns nicht; – er sah so rot aus, als ob er an Blutandrang nach dem Kopfe leide, und Salve bemerkte, daß er ihn mit zornigen Augen anblickte, so oft er in seine Nähe kam.

Endlich konnte Beck sich nicht länger beherrschen. Er mußte dem Grimm über des Sohnes Verlobung Luft machen, und wenn es auf eigne Unkosten geschah und er Salve auch fühlbar verletzte. Dieser hatte eben eine Taurolle ausgelegt, als der Kapitän, der bisher schweigend dagestanden und zugeschaut hatte, plötzlich ohne Veranlassung und in verächtlichem Tone losbrach: »Du kennst sie ja, diese Elisabeth Raklev, die ich ins Haus genommen habe! – Nun hat mir die Post die erfreuliche Nachricht gebracht, daß sie sich mit meinem eignen Sohne verlobt hat!«

»Glückauf, Kapitän!« erwiderte Salve, der totenblaß geworden, mit versagender Stimme, allein es schoß ein trotziger, wilder Blick aus seinen Augen.

»Natürlich hat er das Mädchen wollen!« brummte der Kapitän, als sich Salve entfernte. »Nun, jetzt kann er sich darüber ärgern, anstatt über die Schiffskost,« schloß er mit einem Ausdruck von Befriedigung.

Spät am Abend waren Salve und Nils Buvaagen miteinander auf der Großrahe, um am Großsegel einen Befehl auszuführen. Die übrigen Leute waren schon hinabgeentert, doch Salve, welcher der Einsamkeit bedurfte, stand noch auf den Peerden Peerde oder Pferde sind Taue unter den Rahen, auf welchen die Matrosen stehen, wenn sie beim Arbeiten an Segel oder Rahe einen Halt brauchen. und stützte die Ellbogen auf die schwere Rahe.

Salves Aussehen und Wesen hatte Nils schon tagsüber verraten, daß mit ihm etwas Ungewöhnliches vorgegangen sei; und als er merkte, daß sein Freund oben zögerte, blieb er auch, indem er äußerte, es sei gut, sich ein wenig abzukühlen, statt gleich ins Banjer unter das schwüle Zwischendeck schlafen zu gehen.

So war Salve eine gute Weile in seine Gedanken versunken dagestanden. Daß Elisabeth sich mit dem Sohne des Kapitäns Beck verlobt, sauste dumpf in seinem Hirn und die Wut über die Art, wie der Kapitän es ihm mitgeteilt, kochte in ihm. Mitten im Schmerz fühlte er das Bedürfnis nach Rache an dem Kapitän, und vereinzelte Ausbrüche seines Grimmes ließen seinen Nebenmann diesen Teil seiner Gedanken ahnen.

Unten aus der Back stieg eine Seemannsweise empor; melancholisch klang es in die Nacht hinaus:

Dann lichteten die Anker wir,
Von Arendal ging's fort,
Ein Mädchen war es, das mich hier
Verraten hat am Ort.

Ich bin ein armer Seemann nur
Und fahr' von Land zu Land,
Doch einst – auf schöner Frühlingsflur
Spürt' ich den Druck der Hand,

Der falschen Hand, die mich verriet,
– Es that so bitter weh! –
Doch wer sie war, vertraut mein Lied
Im Sturme nur – der See!

Als die Weise zu Ende war, wendete Salve sich plötzlich zu Nils, der, nach seinen Seufzern zu schließen, gerührt war: »Nun heulst du um die Liebste eines andern, Nils – was hattest du erst gethan, wenn es die deine gewesen wäre?«

»Meine Frau?« antwortete dieser erschrocken; er vermochte offenbar diesen Gedanken nicht gleich zu fassen und starrte Salve mit seinem plumpen Gesicht dumm an.

»Nun, würdest du sie nicht von ganzer Seele auf den Grund des Meeres wünschen?«

»Meine Karen auf den Grund des Meeres? – Nein, da spränge ich lieber selbst hinein.«

»Ja, aber wenn sie dir untreu gewesen wäre?« fuhr Salve fort, indem er mit einer gewissen dämonischen Lust dem armen Kerl zu Leibe ging.

»Sie ist's aber nicht!« – Abstraktionen waren nichts für Nils und er war in dieser Sache nicht weiter zu bringen. Doch verletzt hatte es ihn; denn bald darauf enterte er hinab, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Das Ergebnis von Salves bittern Betrachtungen war der Entschluß, davonzulaufen, sobald die »Juno« Rio erreicht hätte. Er wollte nicht länger mit Elisabeths Schwiegervater ein und dieselbe Schiffsplanke treten. »Lieber ins Wasser, als zurück nach Arendal!« murmelte er, indem er hinabstieg.

Der Mond war inzwischen aufgegangen und Nils, der in der Koje nicht Ruhe gefunden, kam wieder zu Salve hin. Er zog ihn wie zu heimlicher Zwiesprache mit sich hinters Roof.

»Was ich gethan hätte, fragtest du? – Ich will es dir sagen,« sprach er nach einer kurzen Pause, – »ich hätte mir einen Strick um den Hals gebunden.«

Salve stand eine Weile still und sah ihn an. Im Mondlicht erschien dessen Gesicht in eigentümlich blassem Glanz.

»Siehst du,« sagte er voll Hohn und legte die Hand auf Nils' Schulter, »ich habe keine Frau, und doch – na, na, ich scherze ja nur!« – Er ging mit gezwungenem, bitterem Lachen weg.

Langsam steuerte die »Juno« längs der Küste Brasiliens nordostwärts und führte so viel Segel als möglich. Jeden Morgen gegen Ende der Hundswache, wenn die Sonne draußen über dem Meere herrlich emporstieg, erhob sich eine erfrischende Brise und trug den Duft von allerhand würzigen Kräutern mit sich. Dann jagten große Albatrosse und andre Seevögel lebhaft am Schiffe vorbei, und man sah Scharen gejagter Flugfische. Nach und nach wurde der Lufthauch wärmer und milder, und bis gegen Abend hingen die Segel in der Windstille schlaff und leer herab. Man machte kaum fünf Knoten in der Wache, und die Hitze war während des größten Teils des Tages ganz unerträglich.

Doch der Kapitän verblieb die ganze Zeit über derselbe zürnende Gott. Er hatte sich vorgesetzt, seine Mannschaft zu »schinden«, welche, wie er behauptete, vor Faulheit zu üppig geworden.

Einige Wolkenbänke, die sich am Horizonte zeigten, gaben zu einer heißen Nachmittagswache Anlaß, so daß sie, die erst vor Wolkensegel und vollgesetzten Leesegeln gegangen, nun plötzlich mit Stümpfen dalagen und den Orkan erwarteten.

Der Sturm wurde nicht so heftig, wie der Kapitän gemeint. Dagegen kam ein fürchterlicher Platzregen, Blitz folgte auf Blitz, dazu ein wahrhaft höllisches Gekrach, ein Donnern, wie nur diese Gewässer es kennen. Die Nacht wurde von dem Zickzackfeuer erhellt, das beständig über das Firmament hinzuckte und die Augen blendete. Gegen zwei Uhr trat Windstille ein und auf den Toppen brannten plötzlich große Lichter. Gleich darauf sprangen aus allen Rahenocken so zu sagen helle Gasflammen auf; – es war, als wenn jemand hingegangen wäre und sie angezündet hätte – und mitten auf dem Hauptmast zeigte sich ein großer starkleuchtender Mond. Das Schauspiel dauerte mehr als eine Stunde, und viele glaubten erschrocken, das bedeute den Untergang.

In den letzten Tagen hatten sich überhaupt seltsame Dinge zugetragen. Außer jenem Leuchten hatte man auch unten in der Kohlenlast Stöhnen vernommen.

Der Segelmacher behauptete, er habe mehrere Nächte hintereinander einen Mann vom Mittelschiff über die Kante der Schanzverkleidung nach vorn gehen sehen, der einen Augenblick nach dem Kompaß gedeutet habe und dann im Kielwasser verschwunden sei. Ein andrer behauptete, er habe den Schiffs-Nissen Der Nisse ist der Poltergeist des Nordens, ein Hausgeist, welcher bald die Rolle der Heinzelmännchen, bald des Kobolds spielt. denselben Weg gehen und dann über Bord springen sehen. Mit der Zipfelmütze war er nicht höher als ein halber Wasserstiefel, und wenn der Nisse das Schiff verläßt, so verkündet dies stets dessen Untergang.

All dies hatte etwas zu bedeuten, und die Art, wie Beck Tag für Tag hauste, ließ sich nicht anders erklären, als daß ein böser Geist in den Kapitän und das Schiff gefahren sei.

Die wunderlichen Laute im Raum unten hörten nicht auf. Es hatte fast wie Jammern geklungen, als man die Luke verschalt hatte. Der Koch, der von unten Wasser geholt hatte, kam eines Tages erschrocken herauf und behauptete, er habe einen Mann in roter Jacke dasitzen sehen.

»Dies ist der Schiffs-Nisse, der um die Schute Schute ist hier als Gattungsname gebraucht; der nordische Seemann nennt sein Fahrzeug gewöhnlich Schute. klagt,« meinten einige bedenklich. Allein als der Koch einwendete, der Geselle sei mindestens so groß gewesen wie der dicke Bootsmann Anders, und als er ihn überdies mit schwarzer Farbe und Krallen ausstattete, da entstand ernstlicher Schreck; – am Ende fuhr der Patron mit dem Schiffe noch weiter.

Der Kapitän hatte dies als neuen Versuch, ihn zu ärgern, betrachtet und darauf schon mit neuer »Schindarbeit« geantwortet.

Salve besaß zu viel Verstand, um all den Aberglauben zu teilen; jedoch gegen die keimende Unzufriedenheit fand er nichts einzuwenden und deutete an, daß es nicht so übel wäre, wenn alle, die es konnten, in Rio desertierten.

Als nun Beck von den letzten Wahrnehmungen des Kochs hörte, rief er höhnisch, indem er mit dem zerbissenen Mundstück seiner alten Meerschaumpfeife auf den Sprecher zeigte: »Ich schätze, es steckt jedem von euch ein recht dummer Teufel in der Last. Ist denn keiner unter euch, der den Mut hat, in den Kohlenraum hinabzugehen? Oder soll ich selbst gehen?«

Der erste Steuermann erbot sich, ihm zu folgen: doch nun meldete sich Salve und erklärte, er für sein Teil finde es einerlei, ob er in den Raum hinab oder in die Takelung hinauf gehe: »man schwitzt ja nicht halb so viel dabei,« fügte er spitzig hinzu.

Als Salve mit der Laterne den dunkeln Raum durchsuchte, fand er einen armen, verkommenen Kerl in roter Wolljacke. der hinter dem Wasserfaß auf die Kabeltaurolle gekrochen war. Er war von den Kohlen geschwärzt wie ein Neger, und als er aufs Deck kam, erzählte er bebend, er sei in Montevideo von seinem Regiment desertiert, worauf Todesstrafe stehe, und habe gehofft, sich bis nach Rio im Fahrzeug versteckt halten zu können. Am letzten Abend, den sie im Hafen verbracht, sei er unter dem Schutze der Dunkelheit an Bord gekommen und habe sich im Kohlenraum verborgen. Als sie die Luke verschlossen, habe ihn das Kohlengas fast erstickt, und da sei er dagelegen und habe gestöhnt. Seither habe er die Gelegenheit wahrgenommen, sich im Dunkel der Nacht achterwärts zur Heckjolle zu schleichen, in dieser habe er sich ausgestreckt und frische Luft geschöpft, bis die Sonne aufging. Einigemal hatte er sich in der Kombüse Nahrung gesucht, und beim Kompaß war er manchmal stehen geblieben, weil es ihm geschienen, als nehme die Fahrt gar kein Ende und weil er sich vergewissern wollte, ob das Schiff wirklich gen Norden nach Rio steuerte, wie er unten im Hafen gehört.

Er war ein junger, schmalgebauter Mann mit kleinen lebhaften Augen, im ganzen nicht höher als Salve und dem Aussehen nach Spanier oder Portugiese. Doch konnte er sich auch englisch verständlich machen.

Die Wahrheit seiner Erzählung kam dem Kapitän etwas zweifelhaft vor; denn er schien von bessrem Stand zu sein als ein simpler Soldat, und aus seiner Angst, seine Gegenwart zu verraten, sogar nachdem sie schon die hohe See gewonnen, schloß Beck, daß er zu den politisch Proskribierten gehöre, die augenblicklich allen Grund hatten, sich auch in Rio zu verstecken. Er ließ ihm Speise reichen und versprach, nicht verhindern zu wollen, daß jener das Schiff verlasse, wie und wann er es selbst für passend erachte. Doch Hilfe möge er nicht erwarten; denn der Kapitän wolle es um seinetwillen nicht mit den herrschenden Autoritäten verderben.

Salve, der, wie die meisten Seeleute, ziemlich viel Englisch verstand, schloß sich nach und nach an den Spanier an, in dem er einen unterhaltenden Burschen von seltener Klugheit fand.


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