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Neunzehntes Kapitel.

Der Schiffer Garvloit, zu dem Elisabeth gekommen, bewohnte die belebte Straße, die zu den Docks hinabführt. Madame Garvloit, eine kränkliche Frau mit vier halberwachsenen Kindern, fand immer mehr eine Stütze in der gesunden und starken Natur des Mädchens, das in ihrer Bedrängnis so glücklich zum Entsatz gekommen, und nachsichtig schickte sie sich in die vielen Eigenheiten von Elisabeths Wesen. Ein eigner Ernst machte diese für ältere Leute anziehend, andrerseits konnte sie im Spiel mit den Kindern mild und ausgelassen sein – oft ging es mit Elisabeth an der Spitze Trepp auf, Trepp ab, so daß Madame Garvloit manchmal gern Einhalt gethan hätte. Zu andern Zeiten war das Mädchen wieder den ganzen Tag so gedankenvoll und wortkarg, daß man glauben mußte, sie leide an Heimweh.

Die jungen Herren, die ins Haus kamen – ein eleganter Commis aus einem der großen Comptoirs der Stadt, der ein bißchen den Mynheer spielte, und ein hellhaariger, rotwangiger Schifferssohn aus Vlieland – waren beide Garvloits Verwandte. Obgleich Elisabeth in ihrer selbstvergessenen Geradheit ihnen gegenüber die steiferen gesellschaftlichen Formen nicht zu kennen schien, hatten diese doch bald gemerkt, daß es etwas gab, was ihnen verbot, sich dem jungen Mädchen über die Grenze hinaus zu nähern, die sie selbst ihnen zog. Die beiden jungen Leute kamen regelmäßig jeden Sonntag, waren aufeinander überaus eifersüchtig, überboten sich bei jeder Gelegenheit und hatten beide die bestimmte Empfindung, daß sie vergeblich seufzten.

Als Schiffer Garvloit im nächsten Herbst heimkehrte, erzählte er, daß sich Marinelieutenant Beck mit der Tochter des Postmeisters von Arendal, mit Marie Forstberg verlobt habe, und überbrachte Elisabeth die Grüße der Braut. Die Hochzeit sollte im Frühling stattfinden.

Diese Nachricht verursachte ihr große Freude; denn oft hatte es schwer auf Elisabeth gelastet, daß Beck um ihretwillen vielleicht unglücklich sei; sie schloß dies eben aus ihrem Gefühl für Salve. Es war wie ein stiller Festabend für sie, als sie um die Bettzeit in ihrem Zimmer allein am Fenster saß und über den Kanal mit seinen Schiffen hin in den ruhigen Mondschein hineinsah. Sie dachte an ihre Freundin, deren Grüße ihr sagten, daß jene nichts von ihrem Verhältnis zum Lieutenant wußte – sie fühlte sich erleichtert, so erleichtert, daß dieser die Sache leicht genommen. Ein Lächeln, das ihre Lippen umspielte, zeigte ihr gleichzeitig, daß er nach seinem Wert gewogen wurde, und während der Mond den gelben Fensterrahmen auf die Wand über ihrem Bett zeichnete, glitten ihre Gedanken den Weg, den sie am liebsten erwählten – hinaus in die Welt zu Salve.

So saß sie, indem das dichte, aufgelöste Haar über die wohlgeformten Schultern floß, zusammengesunken und geistesabwesend da. Der Ausdruck ihrer Züge wurde stets trauriger. Hie und da lief ein Zucken über ihr Gesicht. Es kam manchesmal so bitterschwer über sie, daß durch ihr Verschulden Salve in die weite Welt gezogen und ein verzweifelter Mensch geworden – dies war ein still nagender Kummer, dem sie stets zu entgehen suchte und bei welchem sie doch wieder so gern verweilte. In ihren Träumen sah sie ihn, unglücklich und stolz, das bleiche Gesicht mit den scharfen, klugen Augen haßerfüllt nach ihr gerichtet, die dies alles verschuldet. Ihr schwebte der Gedanke vor, als Matrose verkleidet in die Welt zu ziehen, um ihn aufzusuchen. Doch fand sie ihn dann, so wußte sie, sie würde vor Scham sich nicht getrauen, ihm vor die Augen zu treten; denn sie hatte so gut wie einem andern gehört, und um nichts auf Erden wollte sie in seinen Blicken eine harte Zurückweisung lesen.

Sie schluchzte krampfhaft, das Haupt auf den Arm gelegt, bis sie, gegen das Fenster gelehnt, endlich einschlief.

Drei Jahre war Elisabeth in Amsterdam, als Garvloit durch einen Schiffbruch bei Amland sein Fahrzeug verlor. Mit diesem verlor er auch den größten Teil seines Eigentums und, was am ärgsten war, zugleich die Aussicht, ferner als Schiffer sein Brot zu erwerben, denn ihm fehlten die Mittel, sich ein neues Schiff zu kaufen. Im ganzen Hause herrschte eine gedrückte Stimmung, und Elisabeth, die einsah, sie müsse dasselbe nun verlassen, war sehr betrübt; denn sie hatte diese Menschen lieb gewonnen.

Der sonst dicke, unbeholfene Garvloit war auffallend abgemagert. In Hemdärmeln ging er umher und fächelte sich mit seinem Basttaschentuch – ob aus Bekümmernis oder nur wegen der Sonnenhitze, war nicht leicht zu sagen. Er erinnerte an irgend ein kurzbeiniges Seetier, an eine Robbe oder ein Walroß, das aufs Land gekommen.

Eines Tages hatte er einen Einfall, der offenbar immer tiefer Wurzel faßte, denn er ging den ganzen Nachmittag unruhig auf und ab. Es handelte sich darum, ob es nicht thunlich sei, ein Wirtshaus für Seeleute zu errichten. Sein Haus lag ungemein günstig gerade am Dock. Unten konnte man die Matrosenstube einrichten, und oben war ein Saal, worin sich die Schiffer und Seeleute aufhalten konnten. Zimmer hatten sie ja genug.

Doch erwähnte Garvloit nichts, ehe die Sache bei ihm ganz beschlossen und abgemacht war. Da trat er eines Tages mit einer Rolle gedruckter Plakate und einem großen Brett vor seine Frau.

»In des Himmels Namen, was ist das, Garvloit?« fragte sie.

Garvloit drehte mit einer gewissen Feierlichkeit das Brett um, ohne ein Wort zu sagen. Da stand mit großen, vergoldeten Buchstaben zu lesen »Zum Stern«. Er sagte mit Nachdruck: »Das ist unser neuer Lebensweg, Frau! – Im nächsten Monat hängt dieses Schild vor unsrer Thür; die Plakate werden im Hafen unten angeschlagen und auf den Schiffen verteilt: – Garvloit läßt sich so leicht nicht werfen, das siehst du!« schloß er, nicht wenig stolz auf seinen Gedanken. Und nun erklärte er, er selbst wolle Wirt werden, und Elisabeth solle ihm das Ganze führen.

Madame Garvloit machte nur eine schwache Einwendung: »Du weißt ja, du verträgst kein Bier, mein Freund!« Einen andern Einwurf, nämlich, was man in Norwegen sagen würde, wenn man hörte, daß ihr Mann zu einem einfachen Gastwirt herabgesunken, behielt sie wohlweislich für sich. Die Hauptsache war, daß er einen neuen Erwerb fand, und dann hatten sie den großen Trost, Elisabeth behalten zu können. Dem letzten Rest ihrer Eitelkeit gab sie Ausdruck, indem sie zu Elisabeth äußerte, daheim kenne man keine Millionäre in Holzschuhen, wie in Holland, und ihr Mann fand sie viel eifriger, als er erwartet hatte. Er war gewöhnt, sich auf ihren größeren Verstand zu stützen, und hätte sich sehr übel befunden, wenn sie gegen die Sache gewesen wäre.

Also kam es, daß in der belebten Straße am Kanal eines Montagmorgens ein vergoldetes Schild auf blauem Grunde mit den Worten: »Zum Stern« über einer der Eingangsthüren prangte.

Der »Stern« war zu günstiger Stunde auf günstiger Stätte errichtet worden. Beinahe sofort sammelten sich Gäste aus den Schiffen, die im Hafen lagen, sowohl in der unteren wie in der oberen Stube, so daß man auf stets wachsenden Zuspruch hoffen durfte. Garvloit präsidierte gern selbst in der reinlichen Stube hinter dem Schenktisch, auf dem eine Menge Steinkrüge mit Zinndeckeln aufgepflanzt standen, während rückwärts an der Wand aus einem Kästchen mit geschnittenem Rauchtabak lange und kurze holländische Kreidepfeifen hervorstachen, von denen jedem Gast zugleich mit dem sonst Verlangten eine neue, frisch gestopfte dargereicht wurde. Unter dem Tisch, der die Steinkrüge trug, verborgen, lag die Biertonne mit ihrem blanken Hahn, unter dem ein Gefäß den abträufelnden Schaum aufnahm, wie auch nach der reinlichen holländischen Sitte überall sandgefüllte Spucknäpfe im Ueberfluß umherstanden. Die Borden über dem Schenktisch trugen ganze Reihen von Flaschen und Krügen mit Spirituosen, darunter eine Anzahl attestierter, schwarzgrüner holländischer Geneverflaschen.

Elisabeth hatte als Haushälterin genug zu thun und befaßte sich mit der Aufwartung nur dann, wenn für die Gäste oben etwas Besondres zugerichtet werden sollte. Doch hie und da kam sie auch zu irgend einem Zwecke oder um sich zu vergewissern, daß nichts fehle, in die untere Stube, und der Ruf ihrer Schönheit trug nicht wenig zum guten Besuche des »Stern« bei.

Die Norweger, die mit Balken nach Amsterdam kamen, – die meisten löschten freilich in Pürmurende oder Alkmar – hielten sich unverbrüchlich an den »Stern«. Elisabeth sprach, um der Landsmannschaft willen, oft mit ihnen, und wenn sie hörte, daß einer von ihnen eine Reise um die Welt gemacht habe, so fragte sie wohl leichthin und wie gelegentlich, ob er von einem Seemann ihrer Bekanntschaft gehört, der Salve Kristiansen heiße und aus Arendal sei.

In Elisabeths Natur lag eine tüchtige Portion Energie, und hier im Hause, wo sie eigentlich alles lenkte, ward diese Seite ihres Wesens nur noch mehr entwickelt. Ihre Kraft und ihre bestimmten Ansichten gaben diesem jungen Mädchen oft etwas Starres und Störriges, und manchesmal kam es, daß Elisabeth Madame Garvloit zu herrisch schien. Zu Zeiten wortkarger Laune, wo sie meist fieberhaft thätig war, ließ sie in der Eile leicht die Rücksicht außer acht, die sie ihrer Herrin schuldig war, und setzte ohne weiteres deren Anordnungen beiseite.

Doch Madame Garvloit in ihrer zurückhaltenden Art äußerte nichts über diesen Punkt, nur das warf sie ihr vor, daß sie den Commis von oben herab und unhöflich behandle. Elisabeth entgegnete, er langweile sie; aber Madame Garvloit meinte streng, ein junges Mädchen müsse soviel Lebensart haben, dies nicht zu zeigen. Die Wahrheit zu gestehen, fehlte es Elisabeth auch nicht wenig an guter Lebensart; sie legte sich ungern Zwang auf und fand es überhaupt dumm, daß man thun solle, als finde man unterhaltend, was eigentlich langweilig war.

*

Eines Vormittags, als Elisabeth im Hause sehr viel zu ordnen hatte, ging sie hastig durch die Wirtsstube. An einem kleinen Tisch saß ein bärtiger Mann in blauer Düffelspeajacke. Vor ihm stand ein Krug mit noch nicht berührtem Bier.

In der Eile hatte sie den Eindruck, als wäre es ein Steuermann oder Kapitän; allein irgend etwas an ihm mußte ihre Aufmerksamkeit erregt haben, denn in der Thür wendete sie sich noch einmal um und sah ihn an, ehe sie hinausging. Er war sehr bleich und hatte ihr einen Blick zugeworfen.

Draußen vor der Thür kam ihr zum Bewußtsein, daß dies Salve war, obgleich sie sich ihn immer als einfachen Matrosen gedacht hatte. Bebend und in tiefster Erregung stand sie da und überlegte, ob sie es wagen sollte, noch einmal hineinzugehen. Sie drückte auf die Thürklinke mit dem Bewußtsein, diese müsse niedergehen, ehe sie eigentlich mit ihrem Entschluß fertig war.

Die Thür öffnete sich wieder, und wie mit Blut übergossen, mit niedergeschlagenen Augen schritt Elisabeth durch die Stube. Als sie an Salve vorbeikam, neigte sie ganz leise das Haupt zum Gruße. Schon näherte sie sich dem entgegengesetzten Ausgang, als sie ein unterdrücktes, bittres Lachen hinter sich vernahm.

Da wendete sie sich urplötzlich mit stolzer Miene um und blickte ihn an.

»Guten Tag, Salve Kristiansen!« sprach sie fest und ruhig.

»Guten Tag, Elisabeth!« antwortete er etwas heiser und erhob sich verwirrt.

»Liegst du mit deinem Schiff hier in Amsterdam?«

Er setzte sich wieder, denn etwas an ihr verbot jede Annäherung.

»Nein, – in Pürmurende; – ich kam bloß hierher, um –«

»Du fährst also jetzt mit Holz?«

»Ja, Elisabeth,« wagte er in vielsagendem Ton zu antworten.

Doch nun grüßte sie auf die gleiche stolze Art und ging hinaus.

Salve saß eine Weile mit zusammengepreßten Lippen und schaute vor sich hin. Als sie sich zum erstenmal in der Thür umgewendet, da hatte er gefühlt, daß sie wieder hereinkommen werde; aber er hatte eine ganz andre Scene erwartet. Seine Natur war nicht wenig tyrannisch geworden. Was er am allerwenigsten vertrug, war Unterwürfigkeit, und wie sie nun so still demütig hereinschritt, das Zugeständnis ihres schweren Unrechts in ihrer ganzen Haltung, da fühlte er sich plötzlich mit verzehrend bittrer Lust auf dem Richterstuhl.

Erst wollte er sie zerknirscht vor sich sehen, – dann ihr vergeben und sie mit der ganzen Leidenschaft seiner Seele lieben.

Allein in dem Augenblick, als sie an der Thür stand, das edel getragene Haupt in unterdrückter Kränkung bleich aber hoch aufgerichtet, und so ruhig sprach, – da hatte er empfunden, daß er nun weiter von ihr entfernt war, als da er noch auf der andern Hälfte der Erde fuhr.

Salve fühlte verzweifelten, schmerzvollen Grimm über sich. Wie war sie schlank und stolz! Und er selbst? – Welch ein kleinlicher, elender Mensch!

Nach dieser letzten, bittren Abrechnung setzte er den Krug, aus dem er zerstreut getrunken, hart auf den Tisch und rannte zur Thür hinaus.

Den größten Teil des Nachmittags wanderte er finster brütend am Hafen herum, dann blieb er eine Weile stehen und betrachtete die Schiffe, die hier aus allen Weltteilen zusammenkamen. Er dachte dabei an das unstäte Leben an Bord, und mit tiefer Angst empfand er, daß er nahe daran war, in dies Treiben zurückgeworfen zu werden. Es hing nur von Elisabeth ab und er hatte so wenig Hoffnung!

Salves Natur litt unter nichts so sehr, wie unter einem Aufschub, deshalb war er, als er sich zum Weitergehen anschickte, schon halb entschlossen, es zur Entscheidung zu bringen.

Während er in diesen Grübeleien versunken sich der Brücke näherte, fand er doch einen Grund zu zögern, – und er dachte mitten in seinem inneren Aufruhr sehr kaltblütig, – nämlich den, daß der unglückliche Eindruck, den er gemacht, Zeit brauche, sich zu verwischen.

Es war ein herbstlich grauer, nebeliger Tag gewesen; allein nun klärte sich der Himmel, und als Salve über die Brücke ging, warf die Nachmittagssonne plötzlich ihre Strahlen glitzernd auf die Glasscheiben der Häuser in der Kanalstraße. Und Elisabeth stand am offnen Fenster; auch sie hatte heute das Bedürfnis, mit ihren Gedanken allein zu sein.

Salve bemerkte sie und blieb einen Moment in stummer Betrachtung der Gestalt stehen, die sich herausbeugte.

»Dies gesegnete Haupt ist mein!« rief er unwillkürlich laut und leidenschaftlich aus. Blitzschnell sprang er den kurzen Weg die Straße hinan und in Garvloits Hausthür hinein.

Elisabeth hörte hinter sich die Thür des Zimmers öffnen. Als Salve so unerwartet vor ihr stand, sank sie in den Stuhl zurück: doch sie erhob sich rasch und mit entsetzter Miene, als habe sie einen Feind vor sich.

»Elisabeth,« sprach er leise, »willst du mich wieder in die weite Welt hinausschicken? Gott weiß, wie ich da zurückkomme!«

Sie antwortete nicht, sondern stand starr und bleich und sah ihn an; es war, als vergäße sie zu atmen und wartete bloß auf das, was er noch sagen würde.

»Werde mein Weib, Elisabeth!« bat er; »so will ich wieder ein guter Mensch werden! Welch ein wüster Geselle ohne dich aus mir geworden, das hast du ja heute morgen zur Genüge gesehen.«

»Gott weiß es, Salve,« antwortete sie, während Thränen der inneren Erregung, die sie zurückzuhalten suchte, ihr aus den Augen stürzten, – »Gott weiß, daß du allein mein Herz besessen hast, auch damals, als ich mich selbst noch nicht kannte, – aber erst muß ich die volle Wahrheit hören, erst muß ich wissen, was du von mir denkst.«

»Was ich von Gottes Engeln denke, Elisabeth!« sagte er innig und wollte ihre Hand ergreifen.

»Weißt du auch, daß ich einmal im Begriff war, mich mit dem jungen Beck zu verloben?« fragte sie errötend, doch mit unverzagtem Blick. »Damals verstand ich mich selbst noch nicht und dachte bloß an Tand und Flitter, bis ich mich vor allem flüchtete.«

»Rede nicht davon, teure, geliebte Elisabeth! Deine Muhme hat mir das alles erzählt!«

»Und du hast in deinem Innern keinen Zweifel gegen mich? Denn so etwas wie heute vormittag will ich nicht ertragen, Salve, – kann es nicht, verstehst du wohl?« sagte sie mit bewegter Stimme.

»Zweifel? – Gegen dich?« – Er legte ihre Hand auf sein Herz. In diesem Augenblick fühlte er sich sicher, daß ihr Sinn nie nach dem Marineoffizier gestanden.

Ueber ihr Gesicht zog ein unsäglich strahlender Schimmer von Glück – sie sahen sich einen Augenblick an, und Salve schlang seine Arme um sie.

So standen sie, als wollten sie einander nie mehr lassen, Wange an Wange, sprachen nicht, lachten nicht. Möglich, daß sich etwas Krampfhaftes in diese Liebe mischte – noch etwas Mißtrauen in die glückliche Wirklichkeit, eine unbestimmte Angst, sich wieder zu verlieren.

Sie standen mitten in Garvloits Wohnstube – und mitten in der Thür stand der dicke Garvloit, ganz verdutzt über das Schauspiel vor sich. Er sah ganz hilflos aus und machte mit seinen kurzen Armen ein paar fuchtelnde Bewegungen, als ob er die Erscheinung verjagen wolle.

Keins von beiden hatte gemerkt, daß die Thür geöffnet worden war. Endlich fiel Elisabeths Blick auf den Hausherrn, und nicht mit Verwirrung, sondern im heftigen Drang, ihr Glück mitzuteilen, rief sie: »Das ist mein Liebster!«

»Das ist also dein Liebster?« fragte er ganz entsetzt und wich ratlos einen Schritt zurück.

»Mein Name ist Salve Kristiansen, Schiffer auf dem ›Apollo‹!« setzte Salve hinzu, ohne sie aus seinem Arm zu lassen.

Inzwischen hatte Garvloit einen Ausweg gefunden. Er wendete sich um und rief mehreremal und immer lauter: »Andrea! Andrea!« – und da seine Frau nicht kam, so stolperte er, für seine Korpulenz sehr behende, die Treppe hinab. Doch beim untersten Absatz blieb er stehen und starrte vor sich hin.

Als Madame Garvloit endlich kam, war sie überrascht, ihn so nachdenklich, ja, so bekümmert dastehen zu sehen, und fragte verwundert, was denn los sei.

»Ruiniert bin ich!« sagte er traurig.

Sie sah ihn an, ohne den Sinn seiner Worte zu fassen; doch merkte sie, daß es etwas recht Schlimmes sei.

»Elisabeth sitzt da droben als Braut eines Schiffers, Gott weiß wer er ist!« sprach er langsam. »Kannst selber nachschauen.« Und dann kam nach einer Pause mit tiefem Seufzer die eigentliche Ursache seiner Bekümmernis: »Wer wird nun das Hauswesen führen? Nie finde ich wieder jemand wie Elisabeth!«

Madame Garvloit dachte rascher als ihr Mann. Sie ging an ihm vorbei die Treppe hinan und erhielt durch ihre eignen, überraschten Augen Aufschluß über die Sache.

»Ich habe ihn schon gekannt, als ich noch ein kleines Mädchen war,« beendete Elisabeth ihre abgebrochene Erklärung.

Madame Garvloit zeigte die lebhafteste, aufrichtigste Teilnahme, denn sie war ein Weib und hatte das Herz auf dem rechten Fleck, und sie merkte, diese Liebe berge einen Roman. Sie war zwar neugierig, doch verschob sie jede Frage auf eine passende Gelegenheit. Aber Salve lud sie ein, im Hause nach Belieben zu kommen und zu gehen. Und nun kam auch Garvloit und zeigte sich freundlich.

Elisabeth begleitete Salve auf den Gang hinab – es war, als sollte er nach Neu-Holland reisen und nicht am nächsten Tag wiederkommen.

In ihrem kleinen Häubchen und der kleidsamen holländischen Tracht stand sie mit erwartungsvoller, festlicher Miene an dem friedlichen Herbstmorgen unter der Thür.

Salve hatte schon um das Haus herumgespäht, ehe noch irgend ein Thor in der Straße offen war, und als die beiden sich begrüßten, übergoß ein Schein überraschter Freude des Mädchens Gesicht.

Unter einem Vorwand verließ Madame Garvloit die Stube, und das Brautpaar blieb allein.

»Schau her, Elisabeth!« sagte er etwas feierlich. »Vor fünf Jahren war ich in Boston und da kaufte ich diese Ringe.« Er nahm sie aus dem Papier und legte sie in ihre Hand. »Ich habe seither viel Sorge und Kummer gehabt; aber aufgehoben habe ich sie doch, wie du siehst!«

Sie fiel ihm plötzlich um den Hals und barg ihr bewegtes, thränenüberströmtes Antlitz an seiner Brust. Elisabeth fand, dies seien die schönsten Ringe, die sie je gesehen. Sie steckte beide übereinander an den Finger, hielt ihm die Hand hin, um sie ihm zu zeigen und sagte: »Dies ist zum erstenmal in meinem Leben, daß ich einen Ring habe!«

Sie sah einen Schatten über Salves Antlitz gleiten und wurde ein wenig rot; denn nun fühlte sie, was zu denken so nahe lag, daß der Marineoffizier es möglicherweise doch hätte erreichen können, ihr einen Ring an den Finger zu stecken.

Allein dieser Eindruck verwischte sich rasch.

Noch hatte Elisabeth nicht zu fragen gewagt, wann Salve wieder abreise; aber die Frage schwebte ihr wiederholt auf den Lippen. Sie wußte ja, daß sein Schiff in Pürmurende lag, und es konnte schon am nächsten Tag sein müssen. Sie sagte nichts und wollte die Frage auf den Nachmittag verschieben, wenn er wieder kam. Doch als er wegging, überwand sie sich und fragte mit etwas unsicherer Stimme: »Wann mußt du abreisen?«

»Dienstag abend, Elisabeth! Mittwoch muß ich in Pürmurende sein: da hilft nichts!«

Welche Freude! Sie hatte fünf Tage gewonnen!

Dieselben schwanden wie in einem Rausch nur allzubald.

Vor seiner Abreise teilte Salve Garvloit mit, daß sie beschlossen hätten zu heiraten, wenn er anfangs April wieder komme. – Jetzt befanden sie sich im Dezember.

»Das werden vier lange Monate werden!« bemerkte Salve am letzten Abend düster. Elisabeth dachte dasselbe. Sie war bleich, allein sie versuchte, mutig zu scheinen, weil sie sah, wie betrübt er war.

Endlich waren die letzten Worte gesprochen; er küßte Elisabeth und sagte: »Bis zum Frühling!«

Und sie stand mit Thränen in den Augen und blickte ihm nach, bis er über die Brücke hin verschwand.


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