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Viertes Kapitel.

Heutzutage ist die gefährliche Küste von Norwegen bei Nacht von einer Reihe vortrefflicher See- und Hafenfeuer beleuchtet; allein vor kaum einem Mannesalter war dem nicht so. Da besaß dieselbe auf weite Strecken hin keine andre Beleuchtung als die der weißen Brandung.

Die Leuchttürme von Store- und Lille-Torungen ragen nun mit ihren weißen Mauern weit hinaus ins Meer, jeder von ihnen auf seiner nackten Klippeninsel gleichen Namens. Im Winter wird die Verbindung mit dem Festlande oft durch Schadeneis unterbrochen, welches weder zu gehen noch zu rudern erlaubt, nicht zu reden von den selteneren Fällen, wo das Treibeis andringt.

Um 1820 – etwa zwanzig Jahre, ehe diese Türme erbaut waren, und vor der Zeit, in die wir unsern Leser versetzten – stand auf Torungen ein Haus, dessen Rückwand und eine Seitenmauer fast bis ans Traufdach in einen Steinhaufen geklemmt war. Das sah gerade aus, als bückte sich das Haus, um den Sturm über sich hinfegen zu lassen. Die niedrige Eingangsthür wendete sich der Landseite zu, vermutlich, um auch dadurch die Stube zu schützen, und zwei kleine Fenster ließen die Bewohner aufs Meer hinaus sehen. In einer Spalte zwischen etwas Geröll lag oberhalb der Landzunge ein hinaufgezogenes Boot.

Wenn man über die tief gelegene Schwelle in die Stube ein- oder besser hinabtrat, fand man es da unerwartet geräumig und eingerichtet, wie man es hier nicht vermutet hätte; – der große Schrank mit dem Schenktisch mußte jedenfalls einmal andre Umgebungen gesehen haben, und im Winkel hinter demselben stand ein verstaubter alter Rocken, auf dessen Haspel noch ein rauchgrauer Wollzottel hing. Aus Verschiedenem ließ sich entnehmen, daß einmal eine Frau hier im Hause gewesen, und jenes Büschel war wohl ihr letztes Gespinst.

Auf der Bank neben dem Herde saß nun ein einsamer Greis, für gewöhnlich mit Schuhmacherarbeit beschäftigt. Während er den Faden auszog, konnte er manches Mal aus alter Gewohnheit ein Wort laut äußern, als dächte er sich noch seine Lebensgefährtin als Zuhörerin. Er hatte ein steinhartes, etwas schwermütiges Gesicht mit den Spuren einst bedeutender Züge, und das Haar fiel dicht und weiß um Ohren und Nacken. Der Blick schräg über die Messingbrille, mit welchem er den Fremden begrüßte, der etwa in seine Stube trat, war nur eine Einladung mit Vorbehalt, während ein Zug um den eingefallenen Mund und um das scharfe Kinn ganz deutlich sagte, daß er in betreff dessen, was jener wollte, auf seinem Posten sei und daß man ihn nicht weiter bringen könne, als er selbst möge.

Halsstarrigkeit war überhaupt eine seiner hervorragendsten Eigenschaften, das war bekannt und weithin zum Sprichwort geworden. Wer mit ihm im Hafen drinnen um Fische handelte, lief beim mindesten Feilschen Gefahr, ihn ganz ruhig, aber unweigerlich fortrudern zu sehen. Nicht selten führte er auch Holz in seinem Boote mit; denn es fehlte ihnen da draußen an Brennmaterial.

Sonst wußte man von ihm nur, daß er einst ein Lotse gewesen und einen trunkliebenden Sohn gehabt habe, der zuletzt verursacht, daß der Vater seines Amtes entsetzt wurde. Man meinte, er habe bei jener Gelegenheit des Sohnes Schuld auf sich genommen. Damals war er menschenscheu geworden und mit seiner Frau in das Häuschen auf Torungen gezogen, wohin sie, als der Sohn ertrank, auch die elternlose kleine Enkelin genommen.

Es war nicht leicht zu sagen, wovon er hier lebte, wenn man von dem bißchen Schusterarbeit und der Fischerei absah, deren Ausbeute er gern den Schiffen überließ, und wozu in früheren Tagen noch ein wenig Jagd kam.

Eine der Leistungen, für die er von verschiedenen Lotsen und Wegweisern kleine feste Beträge erhielt, war die, während der Herbstnächte im Kamin Feuer zu unterhalten, so daß jene, welche draußen lagen und im Dunkeln lotsten, aus dem Lichtschimmer der zwei Fenster Torungen zu erkennen vermochten.

Wenigstens wurde dieser Grund offen angeführt. Daß aber diese Nachtarbeit Jakobs hauptsächlich dem Schmuggel diente, welcher damals an der Küste getrieben wurde, indem die Fahrzeuge sich in den finsteren Nächten dem Ufer näherten und ausschifften, scheint durchaus nicht unglaublich. Unter allen Umständen war der Alte zu klug, um sich damit direkt zu befassen; jedoch ab und zu rollten ihm gar seltsame Geschenke in die Stube, wie Fläschchen Genever, Säckchen Kaffee, Tabak, Mehl etc., und er saß überhaupt in auffallender Wohlhabenheit draußen auf der Schäre.

Ein einziges Mal hatte man ihn in der Kirche gesehen, als er nämlich mit dem Sarg seiner Frau gerudert kam. Während der Pastor von Tromsö eine Schaufel voll Erde auf denselben warf, rollten Thränen über Jakobs Gesicht, und man bemerkte, daß er den Friedhof erst bei finsterer Nacht verließ.

In den letzten Jahren war der alte Jakob, wie man ihn hieß – sein voller Name war Jakob Raklev – kränklich und fand es nicht mehr so leicht, den langen Weg zur Stadt zu rudern. Infolge eines alten Beinschadens fiel es ihm sogar oft schwer, ins Boot hinabzukommen, und so saß er meistens in der Wolljacke, über welcher die ledernen Hosenträger sich kreuzten, mit seiner häuslichen Arbeit am Herd.

Ab und zu, wenn seine Enkelin, ein Mädchen mit dichten Haaren und einem zottigen Hund – der ihr stets auf den Fersen folgte – einen ganzen Strom frischer Seeluft mit sich bringend in die Stube hereinstürzte und ihren Bericht erstattete, so konnte er sich wohl ans Fenster locken lassen und aufs Meer hinaussehen und dann unter mürrischem Brummen ihr mit dem Fernrohr zur Thür hinaus folgen. Dann stellte er sich so, daß ihre Schultern ihm als Stativ dienten, denn des Alten Hand zitterte zu sehr. Unter seinen stetigen Einwendungen und seinem Brummen im Nacken suchte sie das Teleskop zu richten. Sie unterschied mit freiem Auge wohl ebenso genau wie er durch das Glas und benutzte diese Ueberlegenheit mit einer Willkür, die seine ohnehin kurze Geduld auf eine harte Probe stellte. In dem gemeinsamen Ueberlegen, was für ein Schiff dies wohl sein könne, schwand nach und nach das mürrische Wesen des Alten, und dann humpelte derselbe, nachdem er sein Urteil abgegeben, gern wieder ins Haus.

So wurde er stets wie ein brummender Bär aus dem Winterschlaf geholt, und regelmäßig schmolz seine schlechte Laune. Im Grund war er nämlich überaus stolz auf ihre Tüchtigkeit; nie irrte sie sich in den einheimischen Schuten und Schiffen und konnte auch immer aufs Haar genau sagen, welcher Art Fahrzeug der Segler war.

Sehr viel weiter erstreckten sich allerdings die Begriffe des Mädchens nicht. Elisabeth – so hieß sie – hatte nur wenig Menschen gesehen, und in den letzten Jahren, seit dem Tod der Großmutter, waren sie und der Großvater die einzigen Bewohner der Insel gewesen. Hie und da legte wohl ein Boot zu diesem oder jenem Zwecke an, und ein paarmal hatte sie die Muhme in Arendal drüben besucht. Der Großvater hatte sie lesen und schreiben gelehrt, und außer in dem, was in der Bibel, dem Gesangbuch und in den »Thaten dänischer und norwegischer Seehelden« stand, hatte sie bisher nur in den Erzählungen gelebt, die sie in günstigen Stunden aus dem wortkargen Großvater über sein Seemannsleben in der Jugend herauslockte.

In der Stube hing auch noch ein kleines, uneingerahmtes Bild von der Schlacht bei den Lyngörn, die der Großvater mitgemacht hatte. Wenn auch alles nur ein Durcheinander von Mastspitzen, Kanonenmündungen und Rauch war, so stand das junge Mädchen doch gar oft davor und half in Gedanken die Engländer schlagen, und ihr größter Herzenswunsch war, ein Kriegsschiff möchte so nahe vorbeifahren, daß sie es genau sehen könnte.


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