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Erstes Kapitel.

Als der Tolldreisteste unter denjenigen, welche jedem Wetter Trotz zu bieten wagten, galt in Arendal der dunkelbärtige Lotse Salve Kristiansen aus Merdö. Mit Lebensgefahr hatte er manches Schiff geborgen, welches sonst als Havarist dem Seerecht anheimgefallen wäre, und es war bekannt, daß er sich allein an Bord eines dem Sinken nahen Wracks setzen ließ und den Kameraden um Hilfe ans Land schickte. Aber es hieß auch, er stehe mit dem Lotsenalderman Beck auf schlechtem Fuße, so daß er nie die Rettungsmedaille erlangen könne, obgleich er im Eckschrank zu Hause mehrere Silberbecher mit Inschriften und auch ein großes Fernrohr habe, die er als Andenken von verschiedenen Schiffen aufbewahrte.

Er war eher klein als groß – fast zartgebaut; allein es schaute etwas Unbeugsames, Unerschrockenes aus seinem Antlitz. Diese scharfen, braunen Augen, diese kühne, gerade Nase, der straff gespannte Zug auf dem Teil seiner magern Wange, den der Bart nicht verdeckte – all dies im Verein mit einem barschen, kurz angebundenen Wesen machte den Eindruck außerordentlicher Energie. Kristiansens ganze unzugängliche Art verriet eine gewisse Verbitterung, die den Leuten deutlich genug zeigte, daß er auch ohne sie leben könne.

Es hieß oben in der Stadt – und man sagte es auch beim Lotsenalderman –, daß er dem Trunke ergeben sei; denn wenn er seine Makrelen unten beim Landungsplatze losgeschlagen, konnte er oft den ganzen Tag mit dem Branntweinglas vor sich in Mutter Andersens Stube sitzen. Er sprach nur wenig, aber gegen Abend, wenn ihm ein hübsch Teil zu Kopfe gestiegen, war nicht gut mit ihm verkehren.

Wie es zuging, daß er sich in Mutter Andersens Matrosenstube so wohl fühlte, konnte niemand recht sagen – jedenfalls wußten sie dort, wie sie ihn zu nehmen hatten. Die hohe Meinung, die man von ihm als Seemann allgemein hegte, hatte ihn zum Helden jenes Kreises gemacht, und wenn man das auch nicht geradezu sagte, so fühlte er doch aus vereinzelten, scheinbar zufälligen Fragen, die man an ihn nach der einen oder andern Seefahrt richtete, oder aus der Art, mit welcher die Eintretenden ihn grüßten, daß er hier Sympathien und daß sein Name einen guten Klang besaß.

Während der Lotse Salve Kristiansen also in der Seemannskneipe saß, trieb sich sein zehnjähriger Sohn in Gesellschaft einer Schar von Kameraden aus der Stadt, die sich noch nicht um Standesunterschiede scherten, am Hafen umher.

Der braunhaarige, braunäugige Junge mit dem gesunden Gesichte war der wildeste von allen und genoß auch als Sohn seines Vaters ein gewisses Ansehen – eine Ehre, die er auf allerlei halsbrecherische Art zu behaupten suchte. Eigentlich sollte er den Kutter bewachen; aber dieser lag ja wohl vertäut und ließ sich ebensogut von einer Rahe im Hafen draußen sehen. Gjert hielt auf seinem Posten aus, bis die Arendaler Knaben aus der Schule kamen; allein wenn diese herbeiströmten und im Eifer, den Hafen, ihren gewöhnlichen Spielplatz, zu erreichen, die Bücher auf die Schiffsbrücke warfen, dann erwartete er sie gern draußen auf einem Punkte, der ins Auge fiel, auf einer Rahe oder in einer Sahling oder – man konnte es von manchem Fenster mit oder ohne Fernglas bemerken und erzählte sich's zum großen Schreck aller Mütter in der Stadt – gar mit einem Kunststück, bei welchem er mit dem Bauch auf einem Mastknopfe lag. Die meisten Kinder wurden zu Hause ausdrücklich vor dem Sohne des »verwegenen Kristiansen« gewarnt; aber nach Sahling und Mastknopf hinaufzuschauen, die man auch von daheim aus sehen konnte, wurde dadurch erst recht ergötzlich, ganz als ob Gjert Kristiansen auf dem Baume der Erkenntnis gesessen wäre.

Hier draußen herrschte steter Jubel, wie in allen unsern Seestädten, wo das Leben im Hafen aus den Knaben Matrosen macht, ehe sie noch eine Fahrt gethan.

Becks Enkel Frederik, der Seekadett werden sollte, hatte eines Tages gemeint, sich vor den Fenstern daheim verbergen zu können, indem er auf der Rückseite der Mastspitze hinaufenterte Auf- und niederentern heißt in der Seemannssprache auf der Takelung hinauf- und hinabklettern., um seinen Freund zu treffen, der oben auf dem Knopfe saß; aber der dünne Baum gab nicht die gewünschte Deckung vor des Lotsenaldermans scharfem Blick.

In vollem Großvaterzorn kam er an Bord gelaufen, überhäufte den Schiffer mit Scheltworten, wie er da stehen und solches mitansehen könne, und prügelte dann Gjert Kristiansen, der seinen Enkel zu dergleichen verführe, mit seinem knorrigen Knotenstock durch, indem er beifügte, Gjert zeige bald, was einmal aus ihm werde, und scheine nicht aus der Art zu schlagen.

Sein eigner geliebter, verführter Sprosse, der ein paar Jahre älter war, entging den Schlägen; darum wollten ihn die andern Knaben bei der ersten passenden Gelegenheit durchprügeln, was auch geschehen wäre, wenn nicht Gjert, den sie rächen wollten, unerwartet seine Partei ergriffen hätte.

Erst als sie auf dem Kutter nach Hause segelten, erfuhr der Lotse diese Geschichte; er wurde totenbleich; doch als er vernahm, daß Gjert trotzdem Frederik geholfen, stutzte er und sagte nach einer Pause: »Das mußt du der Mutter erzählen.«


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