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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Dem vorhergefaßten Beschlusse gemäß war Elisabeth mit nach Amsterdam gegangen, hatte mehrere Tage bei Garvloits verbracht und nun befanden sie sich auf dem Heimweg. Sie hatten eine angenehme Reise gehabt, obgleich Salve etwas still und ernst gewesen.

Dabei hatte er aber die ganze Zeit über sich so aufmerksam und in jeder Art liebevoll besorgt gezeigt, daß Elisabeth sich an dieses Wesen fast zu gewöhnen begann, so wie man sich unvermerkt an einen geringeren Grad von Helle gewöhnt, wenn es eine Weile her ist, seitdem man im eigentlichen Sonnenschein gewesen.

Vor einer leichten Brise segelten sie bei herrlich schönem Wetter aus der seichten, mit allerhand Fahrzeugen erfüllten Zuydersee hinaus, deren Ufer man an manchen Stellen gar nicht erblicken konnte. Elisabeth saß mit dem kleinen Gjert auf dem Deck und befragte den Lotsen, den sie pflichtgemäß an Bord genommen, eifrig nach all den flachen, sandgrauen Inseln und den Städten, die nach und nach zum Vorschein kamen; die Namen der meisten kannte sie von ihrem vieljährigen Aufenthalt in Amsterdam. Wenn irgend eine Aufklärung ihn interessierte, so mischte auch Salve sich ins Gespräch, doch meistens hörte er schweigend zu oder schaute mit Gjert auf dem Arm hinaus. Ein Kirchturm in der Nähe der Insel Urk, der aus norwegischem Granit aufgeführt sein sollte, erfüllte Elisabeth mit viel patriotischer Befriedigung.

Eines Vormittags erblickte man die Sonne nur als einen schwachen Lichtschimmer im Nebel, erst um die Mittagszeit trat sie plötzlich strahlend hervor und goß ihren lichten Schein über die grünliche, durch eine frische Brise weiß gegipfelte Wasserfläche hin.

Elisabeth war auf das Deck heraufgekommen, um die Sonnenwärme recht zu genießen, denn es war nebelkalt gewesen, und nun sah sie mit Verwunderung, daß sie ringsum von weißen Seglern umgeben waren.

Es war in der That ein prachtvolles Schauspiel, das sie von ihren Mädchentagen auf der Schäre her sehr wohl zu würdigen verstand. In ihrem Bedürfnis, sich mitzuteilen, rief sie Salve herbei.

Das schmuckste Schiff war unleugbar die Korvette »Der Nordstern«, das schräg vor ihnen mit vollen Segeln dem Kanal zustrebte, – sie befand sich auf einer Expedition ins Mittelländische Meer. Der Ruf dieses Orlogschiffes hatte sich über die ganze Küste verbreitet und Elisabeth hatte seiner Zeit oft gewünscht, es zu sehen. Als sie an seiner Identität nicht mehr zweifeln konnte, rief sie aus: »Das ist der ›Nordstern‹! – Schau nur, Salve, welch ein herrliches Schiff dies ist! – Jetzt nehmen sie die Topsegel ein! – Siehst du, wie der weiße Rand längs des Rumpfes läuft, wie es unter der ganzen Segelpressung die See durchpflügt und wie die Splitflagge nachweht? – Wie hübsch und zierlich! Und all die flinke Mannschaft in der Takelung zwischen den schweren, schönen Segeln! Sie bergen das Topsegel, als ob eine Schar Vögel auf den Rahen wäre! Ist dieses nicht ein stolzes Schiff?« rief sie begeistert Salve zu; dieser aber stand da und sah geradeaus und antwortete nicht.

Salve wußte, was Elisabeth unbekannt geblieben, daß bei der Uebungsfahrt Lieutenant Beck als Deckkommandant mit an Bord war, und sein Herz litt unter all diesen bewundernden Ausrufen, die einem Schiff galten, auf welchem jener fuhr.

»Was meinst du, Salve,« sagte sie lauter, um ihn zum Antworten zu bringen, »wenn du der Chef an Bord solch eines Schiffes wärst?«

»Ja, das wäre etwas andres, als mit so einem Holzschuh, wie dieser lumpige ›Apollo‹ einer ist, unter den Füßen dazustehen, – das versteht sich von selbst!« versetzte er bitter. Er merkte, daß er sich nicht länger zu beherrschen vermochte, und wendete sich von Elisabeth weg, indem er that, als sei er plötzlich von allerlei Befehlen an die Mannschaft in Anspruch genommen.

Elisabeth blieb ganz verdutzt stehen. – Sie mußte ihn sehr verletzt haben, nur begriff sie nicht recht, womit. Sie kannte die Donnerstimme wohl, mit der Salve kommandierte, und auch der Gesichtsausdruck war nicht mißzuverstehen, mit dem er drüben am Steuer stand; – die eine Hand stak in der Brust; – gewiß war dieselbe unter der Jacke zur Faust geballt.

Eine Weile schien Elisabeth zu überlegen; doch dann drückte ihr Gesicht einen festen Entschluß aus.

Sie wollte offen reden und lieber früher als später die unvermeidliche Scene über sich ergehen lassen; – denn dies war ja zu dumm, – er konnte doch nicht auf ein Schiff eifersüchtig sein! Und jedenfalls hatte sie nun übergenug; wenn jedes Wort eine Kette von Kränkungen nach sich zog, so hörte alle ruhige Sicherheit des Gehabens völlig auf. Einmal müßte es in dieser Sache ja doch zu einer offnen Aussprache kommen. Und jetzt sollte dies geschehen, damit er endlich einsähe, mit welcher Narrheit er sich quälte.

Sie fühlte sich erleichtert bei dem Gedanken, endlich die stille, unsichtbare Bürde abwerfen zu können, die so lange auf ihrer Ehe gelastet.

Doch den ganzen Nachmittag fand sich dazu keine Gelegenheit. Das Wetter schien sich zu verschlechtern und ein Teil der Segel war zu reffen. Dann ging Salve wieder ein paar Stunden vorn beim Roof aus und ab. Elisabeth merkte, daß er ihr absichtlich auswich.

Auch die Mannschaft fühlte, daß es nun nicht geraten sei, dem Kapitän zu nahe zu kommen, daher mieden sie stillschweigend die Seite des engen Deckraumes, wo er hin und her ging. In ihren Teerkleidern und Ledermänteln, die sie der Wetteraussichten wegen angelegt, standen sie in Gruppen beim Bratspill und warfen bedenkliche Blicke auf die Takelung und die Wolkenbänke, die luvwärts dunkel am Horizonte einher rollten und schon gellende Pfiffe durch die alte Takelage sendeten. Ungeduldig erwarteten sie den Befehl, noch mehr Tuch zu bergen; denn es war nicht mehr zweifelhaft, daß sie in der Nacht vor Sturm segeln müßten.

Erst im letzten Augenblick schien sich Salve zu entschließen; denn als er ihnen zurief, im Briggsegel Eine Art Gaffelsegel am Großmast einer Brigg. zwei Reffe einzunehmen und die Marssegel zu stumpen Stumpf, Stump eines Segels ist jener Teil, welcher sich unter dem letzten Reff befindet., hatten sie das Wetter schon über sich. Da sprang er achterwärts und griff nach dem Sprachrohr. Als er eilends an Elisabeth vorbeikam, die im Lee der Hütte saß, rief er kurz und barsch, ohne sie anzusehen: »Das ist kein Wetter, um hier oben zu sitzen! – Geh in die Koje mit dem Kind, Elisabeth!«

Dies sah Elisabeth auch ein und ging; aber es lag eine schmerzliche Verwunderung in dem Ausdruck, mit dem sie ihm zögernd nachblickte. So hatte er nie zu ihr gesprochen; es klang fast, als haßte er sie und das Kind.

Die Mannschaft hatte erwartet, er werde vor dem Wetter lenzen Lenzen heißt: bei Sturm vor dem Winde segeln; führt man dabei keine Segel, so heißt es »vor Top und Takel lenzen«. und die alte Brigg nicht durch ein Kreuzen in einer Nacht forcieren, wie sie dieselbe nun vor sich sahen. Mit stummem Mißvergnügen kamen sie daher dem Befehl nach, die Halsen und Brassen der Segelstümpfe, vor denen sie gingen, noch zu strecken. Es schrie und klagte in den alten Blöcken, während sie im Halbdunkel unter einem Hagelschauer steif ausholten und das Schiff im Winde gepreßt ward und in der Brandung stieß und stampfte.

Nils Buvaagen war ein trefflicher Rudergast und hatte eine selten feinfühlige Hand, im Dunkel zu merken, ob das Schiff luvte Luven heißt, sich mit dem Vorderteil der Richtung des Windes nähern wollen. oder gierte Gieren ist das zickzackförmige Abweichen des Schiffes vom Kurse.. Er und ein zweiter Mann standen stumm beim Steuer, während Salve in der Nähe auf der Luvseite auf und ab ging. Beim Lichte des Nachthäuschens erschien er Nils ganz graubleich.

Nils hatte etwas auf dem Herzen; doch Salve sah nicht aus, als sei es rätlich, zu ihm zu reden.

»Fallt drei, vier Striche ab, Kapitän!« warnte er – »Südost zu Ost!«

»Das Marssegel flattert!« ertönte es vom Vorderteil-, – »wird zurückschlagen.«

»Die Schute ist alt, Kapitän! – Sie verträgt nicht viel Hantierung mit den Stengen!« wagte Nils endlich einzuwenden: jetzt schien ihm die richtige Gelegenheit, ein Wort anzubringen.

»Ich werde dir zeigen, daß ich diesen Holzschuh tanzen lehre!« murmelte Salve verbissen und that, als habe er überhört, was gesagt worden.

»Fall ab, Nils! Sie muß mehr Fahrt haben; und dann wieder über Bug!« – war die Antwort im Kommandoton.

»Klar zum Wenden!«

Nils seufzte. Dies schien ihm unverantwortlich, und unter der Mannschaft war sicherlich nicht einer, der nicht dasselbe dachte.

Durch die Dunkelheit, durch Sturm und Schaumwirbel tönten in kurzen Pausen die Kommandorufe: »Bei den Baumtaljen hol ein! – Hart im Lee! – Stich die Halsen auf! – Brass' um achter! – Brass' rund vorn!«

An einem der Taue des Vormars mußte etwas unklar sein, denn die Rahe ließ sich schwer umbrassen und man hörte einen dumpfen Ton, wie das Segel schibberte, so daß der ganze Mast erbebte. Diese kühnen Leute waren aber an manches gewohnt. Einer von ihnen enterte die alte unsichere Takelung hinan und tappte sich im Dunkeln über die schüttelnde Rahe bis zum Tau, das er in Ordnung brachte, während nicht weit unter ihm die See hoch aufschäumte, und bald war alles klar zum Holen. Dies geschah unter kurzen Ausrufen des auf dem Deck stolpernden Haufens.

»Brass scharf um achter! – Scharf vorn!« tönte es wieder. – »Klüverschote hol steif!« – allein kaum war der Klüver gestreckt und festgemacht, so zersprang er und blieb am Stag hängen und schlug herum, bis er sich selbst zu Fasern zerfetzte.

Man war über den andern Bug gekommen; allein die Lage war unverändert-, beständig brach die See über das Schiff, so daß es von der Mitte nach vorn kaum passierbar war.

Salve schien in dieser Nacht nicht recht bei sich zu sein. Ein unbändiger Dämon hatte ihn ergriffen und tief in seiner Seele brütete Trotz.

Der »Nordstern«, der die Straße von Gibraltar hinauf kreuzte – dies war das Wort, das ihm beständig im Gehirn summte und ihm wild im Blut brannte, bis es sich förmlich zur Fieberphantasie steigerte, in der er die Korvette segeln sah und Elisabeth ihre Bewunderung aussprechen hörte. Allein er wollte beweisen, daß auch er Mannes genug sei, um zu kreuzen; dazu brauchte man keinen »Nordstern« unter den Füßen! Er wollte dasselbe mit einer geborstenen Prahm thun.

Elisabeth schien es darauf angelegt zu haben, Mann gegen Mann zu stellen; wohlan, so sollte es sein. – Sie irrte, wenn sie meinte, daß er an Bord seiner elenden Brigg vor irgend einem lebenden Seeoffizier die Flagge streiche!

Ein paarmal hatte Salve den Koch, dem die Bedienung Elisabeths oblag, gefragt, wie es in der Kajüte unten stehe, und dann gehört, daß seine Frau ganz angekleidet dasitze. Das letzte Mal hatte der gutmütige Mensch in eigentümlich vorsichtigem Ton beigefügt: »Sie sehnt sich wohl nach Ihnen, Kapitän; sie ist dergleichen nicht gewöhnt!«

Hätte der Blick des Kochs die Finsternis durchdringen können, würde er in Salves Gesicht ein hämisches Zucken bemerkt haben. Ohne zu antworten, begann der Kapitän von neuem auf der Luvseite seinen gewöhnlichen Weg zwischen Kajütenroof und Steuerrad auf und ab zu wandern, wobei er sich hie und da an den Koffinnägeln Hölzerne oder eiserne Pinnen, um die laufenden Taue damit zu befestigen. unter der Rehling festhalten mußte.

Während seine Eifersucht und sein überreiztes Selbstgefühl so alles in wahnsinniger Uebertreibung sah, war Elisabeth unten die Beute mannigfacher Gedanken.

Als sie mit dem Kind hinabging, hatte sie die Empfindung, daß ein schwerer Schlag sie getroffen oder daß ihr ein großer Schmerz bevorstehe. So hatte sich Salve ihr noch nie gezeigt. Sie konnte nicht denken und begann sich mechanisch mit dem Kind zu beschäftigen und es nach gewohnter Art niederzulegen.

Die rollende Koje war für dasselbe nur eine Wiege, in welcher es rasch und ruhig einschlief.

In der engen Kajüte schlingerte die Lampe unter dem Gebälk. Ein matter Lichtschein fiel auf den grünen Klapptisch, der zwischen den Kajütenfenstern stand, und auf die Haken voller Seemannskleider, die an der Wand hin und her baumelten.

Sie stand mit den Ellenbogen in den Kojenraum gelehnt und stützte das Kind, auf dessen Zügen ihr Auge ruhte. Salves Betragen war so seltsam gewesen, sein Auge so scheu, und sie fühlte, es hieß alles aufs Spiel setzen, wenn sie an ihrem Entschlusse festhielt und ihn zur Aussprache zwang. Doch anderseits gärte in ihr der unbezwingbare Drang, mit raschem Griff dies Joch der Unklarheit abzuwerfen, um mit ihrem Manne endlich ins Reine zu kommen.

Hie und da erbebte das ganze Schiff unter einem plötzlichen Stoße, und es wollten ihre Füße sich vom Boden lösen, so daß sie sich an der Kojenkante festhalten mußte, während sie das Kind stützte. Sie merkte, daß es schweres Unwetter gab, und erwartete, daß Salve komme.

Nach einer Weile vernahm sie Schritte aus der Treppe, allein es war nur der Koch. Mit sturmgerötetem, wassertriefendem Angesicht stand er da und hielt die Thür fest, die zufallen wollte. Er fragte nur, wie es gehe.

»Es ist gewiß ein schlimmes Unwetter?« fragte sie, indem sie ihre Enttäuschung zu verbergen suchte.

»Ein außerordentlich schlimmes, Madame, aber es wird schon besser werden, wenn der Kapitän erst abfallen läßt; – denn wir kreuzen hart, Madame.«

»Also kreuzen wir so hart, Jens?« fragte sie ängstlich.

»Ja, es scheint so, es kracht an allen Enden; – aber wenn wir abfallen, so wird es gleich besser; Sie werden es sehen, Madame! – Wünschen Sie sonst etwas?«

»Danke, nein!« – Sie zögerte ein wenig, hätte gerne gefragt, ob ihr Mann bald herabkäme, und der Koch merkte es wohl; doch sie ließ es gehen und wiederholte nur: »Danke, ich brauche nichts mehr.«

Jens drückte die Thür, die leicht aufsprang, sorgfältig hinter sich zu und stolperte mit seinen schweren Stiefeln die Treppe hinauf.

Elisabeth blieb in der gleichen lauschenden Stellung; doch ihre Miene spiegelte immer deutlicher ihre Seelenangst und zuletzt rang sie im finsteren Kojenraum die Hände. Sie merkte, daß Salve nicht herabkommen wollte, und instinktiv fühlte sie, er kreuze aus düsterem Trotz gegen sie und das Kind – und daß dies seine Art sei, ihr zu antworten.

»Aber was habe ich ihm denn gethan?« rief sie leidenschaftlich aus und begrub ihr Antlitz in dem Kojenzeug.

»Was habe ich ihm gethan?« wiederholte sie bei sich, bis der Gedanke, den sie stets fortscheuchen wollte, vor ihr mit voller, drückender Bestimmtheit emporstieg.

»Er glaubt mir nicht,« flüsterte sie verzweifelt. »Er mißtraut mir doch!« – Und sie legte den Kopf auf ihren Arm, aber sie konnte nicht weinen.

»Was kann er glauben? – Was kann er nur denken?« rief es angstvoll in ihrer Seele.

Sie hörte nicht länger das Lärmen und Krachen, kümmerte sich nicht um das vermehrte Schlingern des Fahrzeugs und empfand nicht mehr die erschütternden Stöße der Wogen.

Während sie sich oft mühsam am Kojenbrett hielt, war die ganze Energie ihrer Seele von einer einzigen, schrecklichen Furcht gefesselt.

Dahin war all ihr Trotz; sie fühlte nur noch zu etwas Mut und dies war, alles zu thun, um sich Salves Liebe zu bewahren.

Nun maß sie demütig sich selbst alle Schuld bei und warf sich verzweifelt ihr Verbrechen gegen ihn vor, sie selbst hatte ihn ja so weit gebracht, daß er nicht mehr fähig war, volles Vertrauen in sie zu setzen. Und was nun kam, war bloß die Strafe. Sie hatte ja gesehen, wie er dagegen ankämpfte, so sehr er es vermochte.

Nun fühlte sie sich zu jeglichem Opfer bereit, – bereit demütig, ohne zu seufzen, ihre Bürde durchs ganze Leben zu tragen, denn in bitterer Reue hatte sie erkannt, daß er krank geworden, krank im Gemüt und zwar durch ihren Leichtsinn.

Ihr Instinkt gab ihr das richtige Mittel ein. Sie wollte ihm zeigen, daß sie ein unerschütterliches Zutrauen zu ihm hegte.

Mit mattem Lächeln begann sie sich auszukleiden und legte sich neben den kleinen Gjert in die Koje.

Auf dem Deck oben hatte Salve das Nachtteleskop vermißt, das sich unten in der Kajüte befand. Der Ausguck meinte nämlich einmal, den Schimmer eines Leuchtfeuers gesehen zu haben, in welchem Falle sie, gegen Salves Berechnung, unter Jütland sein mußten. Sein Stolz verbot ihm, jemand anders nach dem Glase zu senden, und er selbst vermochte sich nicht zu bequemen, zu Elisabeth hinabzugehen.

Während die Leute über seine Tollkühnheit immer bedenklicher wurden, ging Salve auf und ab und getraute sich nicht in seine eigne Kajüte. Endlich wurde es unumgänglich notwendig und Salve stieg mit raschem, leichtem Schritt die Treppe hinab.

Er öffnete die Kajütenthür, blieb einen Augenblick überrascht stehen und sah sich um. Er hatte erwartet, Elisabeth mit dem Kind im Arm voll Todesangst dasitzend zu finden: statt dessen herrschte hier tiefe Ruhe und die Lampe war dem Auslöschen nahe. Mit seinem früheren eiligen Schritt näherte er sich der Wand und nahm sich das Glas. Nach ein paar vergeblichen Versuchen mit einem Zündholz, das in der Feuchtigkeit schwer Feuer fing, leuchtete er zum Barometer hin, doch blieb er mit dem brennenden Hölzchen stehen und horchte, ob Elisabeth schlief. Unwillkürlich näherte er sich der Koje und suchte hinein zu schauen.

»Elisabeth!« flüsterte er leise, als ob er sie zu wecken fürchte.

»Bist du es, Salve?« antwortete sie mit ruhiger Stimme.

»Ich glaubte, du würdest in diesem Wetter mit dem Kinde aufsitzen. – Es schlingert so und ich – habe nicht nach dir gesehen,« sprach er mit unterdrückter Bewegung.

»Wozu? Ich wußte ja, daß ich dich auf dem Deck hatte, und war ganz ruhig. Und das übrige steht bei Gott. Du hast es schlimm gehabt, du Armer, und zu viel zu thun, um herabzukommen!«

»Elisabeth!« rief er plötzlich voll leidenschaftlicher Reue und beugte sich mit Heftigkeit in die Koje hinein, um sie ungeachtet seiner nassen Kleider zu umarmen.

Da hörte man ein Gekrach und fühlte eine gewaltige Erschütterung. Es war, als zerbräche etwas im Schiffe und zugleich ertönte lautes Geschrei.

Rasch hob er sie aus der Koje und rief: »Kleide dich und das Kind an! Verliere keine Zeit und halte dich oben im Roof!«

Da legte sich das Fahrzeug stark auf die Seite, ohne sich mehr zu erheben.

»Vormarsstange geknickt, Kapitän! Die Takelung hängt über!« brüllte Nils Buvaagen die Treppe herab.

Salve wendete sich einen Augenblick mit dem Ausdruck zermalmenden, tiefen Selbstvorwurfs auf seinen Zügen zu seiner Frau und flog dann aufs Deck.

»Fall ab – wenn es lüstert Lüstern = dem Steuer gehorchen.,« rief er dem Manne beim Ruder zu, »Männer an die Aexte!«

Die Brigg lag mit ihrem hinfälligen, von Wind und See verdrehten Takelwerk ganz auf der Seite und die Wogen brachen über dieselbe hin, wie über eine Schäre.

Salve war selbst auf dem Vormars und kappte die geknickte Stange, die leewärts ins Wasser glitt.

Im ersten Tagesgrauen, das kaum etwas unterscheiden ließ, fielen die Aexte, von kräftigen Fäusten geführt, fieberhaft schnell auf die Pardunen Pardunen = starke Taue, welche die Stengen nach rückwärts halten. und das Stengentakelwerk, auf Stage und Leiter Wenn ein Stagsegel nicht unmittelbar auf dem Stage fährt, so ist in der Richtung des Stags ein Tau gespannt, welches Leiter heißt.. Allein während der Arbeit verloren sie durch das übermäßige Schlingern Schlag auf Schlag das Großbramsegel und das Marssegel mit Rahen und Zubehör. Das Fockstag brach, das Großsegel ging in Fetzen, die Unterrahen und der Fockmast wurden geschamvielt.

Als es endlich nach verzweifelten, lebensgefährlichen Anstrengungen geglückt war, das Fahrzeug von der Belemmerung Belemmerung ist das im Wege Herumliegen von allerlei Gegenständen. des Takelwerks zu befreien, schwamm es als halbes Wrack einher und konnte kaum anders als nach dem Winde gesteuert werden.

Sie hatten nichts mehr zu führen als das Briggsegel und die Fock Die Fock = unterste Segel am Fockmast., und mit diesen hielt sich Salve vor dem Sturm – das einzige, was sich thun ließ – in Erwartung, daß die zunehmende Helligkeit ihnen zeigen würde, ob sie freie See oder das gefürchtete Jütland vor sich hätten. Bei diesem westlichen Sturm und in ihrer hilflosen Verfassung war das letztere gleichbedeutend mit Stranden und Untergang.

Bei Tagesanbruch entdeckten sie, daß sie Horns Riff mit Blaavandshuk in südlicher Richtung weit hinter sich hatten; sie befanden sich etwa vor dem Ringkjöbingsfjord – und nun war nichts andres zu machen, als sich von der Küste fern zu halten.

Salve ging auf seinem ramponierten Deck herum, auf dem ein Teil der Schanzbekleidung und der Roof vorn eingebrochen waren. Je zwei und zwei Mann lösten sich bei der Pumpe ab, denn schon längst war im Pumpensod drei und ein halb Schuh Wasser gemeldet, und nun stand es trotz der Pumpen über vier. Die Brigg mußte ein ernstes Leck bekommen haben, und dies war um so bedenklicher, als sie auf der Rückfahrt nur Ballast führten und keine Balken hatten, um darauf zu schwimmen.

Man teilte an diesem Morgen alle Art Extrarationen aus; denn wenngleich mit verstärktem Eifer gearbeitet wurde, so war doch nicht einer an Bord, der nicht dachte, dieser Tag sei möglicherweise sein letzter.

Zu Elisabeth hatte Salve gesagt: »Ich fürchte, wir könnten gezwungen werden, an irgend einer günstigen Stelle zu landen. – Wir verlieren die Brigg,« fügte er mit leise zitternder Stimme bei.

Er legte Nachdruck auf die letzten Worte, weil er ihr das Schlimmste nicht sagen wollte, daß die günstige Stelle sich an der ganzen Küste nicht fand und daß die Lebensgefahr zweifellos war.

Sie blickte ihn bei seinen Worten so vertrauensvoll an, daß es ihm ins Herz schnitt und er sich abwendete.

Er konnte sich nicht verhehlen, daß er selbst die Schuld an dem Unglück trug, und hatte bei sich beschlossen, es Elisabeth zu gestehen. Allein hier war dazu weder die Zeit noch der Ort. Auch das Schiff zu verlieren, schmerzte ihn sehr; denn ihm bedäuchte, er habe für seine Schillinge viele Jahre hart genug gearbeitet, und nun mußte er doch wieder ein armer, abhängiger Mann werden.

Elisabeth war frohen Herzens und dachte nicht viel an die Brigg, die sie verlieren sollten, aber desto mehr an den großen Sieg, den sie bei Salve durch ihr unbedingtes Vertrauen errungen. Denn nach dem, was sie diese Nacht erlebt hatte, war dies alles für sie.

Während sie dem Knaben unten in der Kajüte vorsummte und ihn im Arm einwiegte, malte sich in ihrem Antlitz ein energischer, großer Entschluß und mit feuchtem Auge flüsterte sie dem Kind zu: »Vermag er uns jetzt auch noch nicht zu trauen, Gjert, – wir werden es ihn schon lehren!«

Sie begriff, daß Salves krankes Gemüt immer das Innerste ihres Wesens sehen, beständig Beweise ihrer unbedingten Liebe empfangen mußte, ehe er glauben konnte. – Und das sollte er!

Er sollte nicht einmal den Schatten eines Vorwurfs wegen der Brigg merken – nie, wozu es auch zwischen ihnen noch kam, eine mißvergnügte Miene an ihr sehen. Dies stand fest in ihrer Seele; denn nun hatte sie durch die Erfahrung dieser Nacht das rettende Mittel gefunden, und sie fühlte, sie besitze zu allem die Kraft, was ihr ihren Mann erhalten möchte.

Um die Mittagszeit standen Salve und Nils Buvaagen einen Augenblick nebeneinander bei der Rehling.

Obgleich der Sturm bedeutend nachgelassen, war das Wetter doch grau und mistig und der Seegang schwer. Ein paar Möwen kreisten traurig zwischen ihnen und der Küste, an welcher sie das Meer in langer Linie gelblich kochend über die Klippen gehen sahen. Ungeachtet der Wind landeinwärts trug, vernahmen sie von dorther doch ein dumpfes Donnergekrach und ein Sausen in der Luft. Es war nicht mehr zu verbergen – die nächsten drei, vier Stunden mußten die Entscheidung bringen.

Die beiden Männer standen schweigend, in ihre Betrachtungen versunken da.

»Ich will dir sagen, was mir bei der ganzen Geschichte das Schrecklichste wäre,« sagte Salve ernst, »wenn nämlich du oder sonst jemand wegen meines tollen Segelns das Leben zusetzen müßte; die Brigg ist meine eigne Sache.«

»Es wird sich schon machen, Kapitän; Sie werden sehen!« erwiderte Nils tröstend. »Wir werden suchen, uns an die Schute zu hängen, während sie auf die Klippe geworfen wird, und da drinnen wird schon irgend ein Rat zu finden sein, schätz' ich!«

»Na, Gott gebe es!« äußerte Salve und ging weg. Aber Nils blieb noch einen Augenblick stehen. Sein großes, bärtiges Gesicht verzog sich. Er hegte geringe Hoffnung und dachte an Weib und Kinder daheim.

Salve litt an Gewissensbissen. Seine Miene zeigte gespannte Unruhe und aus seinen Blicken leuchtete das Bewußtsein, daß es nun zu kämpfen gelte; denn das Unvermeidliche stand klar vor aller Augen.

Durch das Fernglas sah man einen Menschenhaufen oben aus dem kalkigen Land, dessen zackige Bildungen sich in der Ferne rauchbraun und violett abtönten.

Salve stand im Roof neben seiner Frau und seinem Kinde. Seufzend sagte er: »Gern würde ich die Brigg dahingeben, Elisabeth, und wieder mit leeren Händen dastehen, wenn ich diese Nacht ungeschehen machen könnte!«

Und sie hatte ihm mit einem Ausdruck freimütigen Trostes die Hand gedrückt und damit besser geantwortet, als es Worte vermocht hätten.

Allein gleich darauf wurde er wieder der praktische Mann und zeigte ihr, wie sie das Kind mit einem Tuch an ihre Brust knüpfen könne. Er legte ihr ein Tau mit einem Seemannsknoten um den Leib.

»Wenn du an demselben so rückst, so bekommst du es los. Ich kann nicht bei euch stehen bleiben. Du begreifst, ich muß meine Pflicht für das Leben aller thun, die an Bord sind.«

»Thu' das nur, Salve,« flüsterte sie, »damit werden wir beide zufrieden sein!«

»Und nun,« schloß er, indem er ihnen beiden mit unterdrückter Bewegung über die Stirne strich, »nun magst du frischen Mutes sein, du wirst schon sehen, es geht alles gut, und wenn es notthut, bin ich bei euch.«

»Mit Gottes gnädigem Beistand, Salve,« antwortete sie. »Vergiß das nur nicht!«

Rasch schritt er über Deck und berief die Leute zu einem Schiffsrat. Das Fahrzeug lag nun infolge der Wassermasse, die es eingesogen, mit der einen Galerie in der See.

»Hört, Jungen,« sagte er, »was ihr vor euch seht, ist eine ernste Geschichte, allein wir haben Mut in der Brust; daher ist's noch möglich, daß wir davonkommen – mit dem Leben wenigstens. Wir haben noch ungefähr vier Stunden zu den Riffen, aber dann beginnt's zu dunkeln und da wird es schwer halten, daß die Leute dort am Land uns bergen. Drum müssen wir hinein, so lang es noch hell ist, und uns die beste Stelle wählen, die wir finden. Denkt ihr wie ich, Jungen, so landen wir lieber gleich, als daß wir die Schute im Finstern in die Klippen hineinschleudern lassen wie einen toten Fisch.«

Die Leute schwiegen und schauten bedenklich nach der Küste hin. Aber als sich Nils Buvaagen für den Kapitän erklärte, indem er über das Deck hin an seine Seite trat, folgten alle andern ihm nach.

Salve ging selbst ans Steuerrad.

»Gei' auf achter! Brassen und Schooten fier'!« kommandierte er, indem er selbst das Steuer drehte und die Brigg gegen das Land abfallen ließ.

»Gefiert ist!« lautete die Antwort. Und dies war der letzte Befehl, der an Bord des »Apollo« gegeben wurde.

Nun ging es mit mehr Fahrt landeinwärts. Beim Rade stand Salve, der sich hier und da mit dem Knie gegen einen der Wandhaken stützte; sein düsteres, scharfes Gesicht war gespannt und sein Auge spähte wie das eines Geiers nach dem Platz, der zu wählen wäre. Ein paarmal schaute er mit dem Glas nach den Dünen, auf welchen sich ein Haufen von Menschen bewegte.

Die kalkweiße, steigende und fallende Mauer wuchs stets höher vor ihnen empor; der Lärm und das dumpfe Gebrüll der Brandung wurde stets betäubender und machte Elisabeth, die im Bewußtsein der nahen Gefahr vor sich hinstierte, ganz schwindlig.

Dieser Zustand dauerte ziemlich lange; Salve dort beim Steuerrad verschwand vor ihr in einem Nebel, und in ihrer Angst versuchte sie auf das Kind hinabzusehen, nur auf das Kind.

Das siedende, schwindelnde Sausen in der Luft nahm zu; sie vernahm allerlei zischende Laute und wunderliches Geheul. Ihr Auge sah sandgelben Wogenschaum mit mächtigem Kamme emporsteigen und wirbelnde Flocken gepeitschten Schnees in der Luft. Sie vernahm entsetztes Rufen, die Brigg schien ihr auf einmal hoch emporgetragen und der Großmast hin und her zu schwanken, und plötzlich fühlte sie eine furchtbare Wasserlast, die drohte, sie über die Kajütentreppe, an der sie sich eingeklammert, hinabzudrücken, und wieder kam es und wieder und wollte nicht enden, und drohte, sie zu ersticken. Doch ihr einziger Gedanke war, sich festzuhalten.

Als sie wieder zum Bewußtsein kam, war Salve neben ihr. Er hielt sich an derselben Leine wie sie, und die Leute hatten sich achterwärts geflüchtet, wo sie sich festgeschnürt hatten. Die Brigg lag auf der inneren Klippenreihe ganz auf der Seite. Das Achterende hob sich stets empor und stieß hart gegen den Grund. Der Großmast hing über die Seite und eine Sturzsee nach der andern warf ihre schweren Wassermassen über Vor- und Mittelschiff.

»Die Takelung im Lee muß gekappt werden, Jungen, sonst kommen wir nicht los!« brüllte Salve durch die hohle Hand und sprang mit dem Beil in der Faust nach vorn. Nils Buvaagen half ihm, und Elisabeth beobachtete mit Todesangst, wie die beiden Männer Tau um Tau kappten, wobei sie sich im Takelwerk festhalten und die Wogen über sich gehen lassen mußten. Nach dem letzten Schlag, der sie vom Mast befreite, rettete Salve sich hurtig achterwärts.

Im nächsten Augenblick schleuderte sie die sanderfüllte, gelbe Brandung über das Riff, und von hier Ruck für Ruck und Stoß für Stoß unter beständigem, blendendem Ueberschwemmen auf die innere Untiefe hin, wobei das Vorderschiff zerschellte.

Kaltblütig berechnete Salve, daß dies ein Ausweg war; denn es befreite die Brigg von der Bürde des Wassers in der Last und so würde sie leichter auf den Strand gehoben werden.

Endlich, nach ein paar langen, schrecklichen Stunden, gegen deren Schluß die regengraue Luft schon zu dämmern begann und der Klitterrand dunkler ward, schien das Fahrzeug aufzusitzen. Nur noch selten brachen die Wogen darüber hinweg, warfen aber schweren Sand auf das Deck. Die Schiffbrüchigen hatten die Aussicht, Planke um Planke, in Stücke gepflückt, oder aber im Sand begraben zu werden, wenn sie so die ganze Nacht liegen bleiben mußten.

Nach der einen Seite des Grundes – dort, wo sie am Strande die Leute bemerkten – lief eine Rinne mit reißender Strömung, und sie sahen ein, daß sie sich glücklich schätzen mußten, nicht ganz in dieselbe geraten zu sein, denn da wäre die Brigg unfehlbar gesunken. Die andre Seite schien passierbar, obgleich teilweise nur durch weißbrandendes Fahrwasser.

Sie sahen, daß ihre Zeichen auf dem Lande wohl verstanden worden, doch zu ihrer Verzweiflung verschwanden plötzlich alle Leute.

Salve setzte daher einige Planken für sich instand und die Mannschaft folgte seinem Beispiel, indem sie alles benutzte, was flößbar schien.

Seine Absicht war, Elisabeth mit dem Kinde womöglich an den Strand zu retten, indem er sie an jene Planken band, und es dann auf seine Schwimmkunst und Geschicklichkeit ankommen zu lassen, ob er sie mittels einer Leine durch die schwarze Flutwelle ziehen konnte, die aufs Land hinaufging und jedesmal eine lange trockene Strecke hinter sich ließ.

Während er mit dieser Arbeit beschäftigt war, hörte er einen Freudenschrei. Hinter einer Erhöhung der Düne kam eine Schar Menschen hervor, die ein großes Boot mit sich zogen. Am Uferrand hielten sie ab. Von der weichenden Woge getragen, befand sich das Boot gleich ein Stück weit im Meere und die Mannschaft gebrauchte nach Kräften das Ruder.

Es war offenbar, diese verwegenen Leute kannten ihr Fahrwasser. Denn in großem Bogen fuhren sie hinter einer Reihe Sandbänken, die wie ein Molo das Schwerste der Wellenlast brachen, und hielten dann schräg auf das Wrack zu, auf dessen Leeseite es verhältnißmäßig ruhig war. Sie hackten sich fest und riefen: »Beeilt euch, Bursche!«

Einer Aufmunterung hierzu bedurfte es nicht. Salve trug seine nahezu bewußtlose Frau bis zur Rehling hinaus, wo man sie entgegennahm und sie rückwärts auf den Boden des Bootes legte; doch sie erhob sich mit ausgestreckten Armen und beruhigte sich erst, als sie das Kind wieder hatte, das ihr von Mann zu Mann hingereicht wurde, und dann starrte sie angstvoll zurück, bis sie auch Salve nahen sah. Er sprang als der letzte ins Boot und da wurde Elisabeth ohnmächtig.

Man stieß nunmehr ab und kam auf dem Wogenrücken tief hinein auf das Land, wo zwanzig Mann in Wasserstiefeln und Wolltrojen in die See hinein Hand in Hand eine Kette bildeten und das Boot vollends ins Trockene zogen.

Freudenrufe begrüßten ihre Ankunft, und der Mann, der das Steuer geführt, sprach zu Salve, der stumm seine Hand ergriffen: »Das war resolut, Norweger, so gerade darauf los zu fahren; ohne das wäret ihr heute Nacht auf den Klippen gelegen!«

Mit treuherziger Teilnahme und Gastfreiheit wurden die verunglückten Seeleute eingeladen, bei ihren Rettern zu übernachten.

Das Kind auf dem Arm und seine Frau stützend, folgte Salve mit seiner müden Mannschaft dem braven Ib Mathisen und dessen Kameraden hinein zwischen die Klitterhügel, wo man den Wind nicht mehr fühlte.

Bis zu den nächsten Schifferhütten war's noch eine Meile landeinwärts. Es dunkelte, und sie gingen in erschöpftem, traurigem Schweigen, während ihre Begleiter leise miteinander sprachen. Wie sie dann wieder auf die flache Düne herauskamen, flog ihnen der Sand pfeifend und stechend um Gesicht und Hände.

Endlich erblickten sie Licht und eine kleine Anzahl Hütten. Die größte gehörte Ib Mathisen und dorthin wurde Salve mit seiner Frau geführt, die Mannschaft jedoch in die andern verteilt.

Ibs Frau, eine robuste Fünfzigerin, deren Antlitz das Leben auf der Heide gebräunt hatte, stand, als sie eintraten, mit aufgekrempten Aermeln beim Feuer und buk. Ohne sich aus ihrer gebeugten Stellung aufzurichten, musterte sie die Eingetretenen; aber beim Anblick, den Elisabeth darbot, rief sie mit einem Mitgefühl in der Stimme, das besser war als jeglicher Willkommgruß: »Die arme Frau mit dem Kind kommt gerade vom Meere herein, Ib!«

»Ja, Maren. Mathis und Peter waren, gottlob, nirgends im Fahrwasser zu sehen.«

Das letztere schien eine tröstliche Nachricht: denn ohne etwas Weiteres zu äußern, begann das Weib für die Fremden zu sorgen, indem sie mit ihrer erwachsenen Tochter eine Bank vor das Feuer zog und einen Kessel zusetzte, um ihnen ein warmes Getränk zu bereiten. Sie schien in allem, was dazu gehörte, Erfahrung zu haben; denn nicht lange dauerte es, so hatten alle die Kleider gewechselt und Elisabeth legte ihr Kind ins Bett.

Währenddem stellte Maren an Ib einige leise Fragen nach dem Vorfall.

Salve, der das Kinn in der Hand dasaß und ins Feuer stierte, hörte sie fragen: »Ob wohl das Fahrzeug ihm gehörte?«

»Ja, und dies war mein ganzes Besitztum,« antwortete Salve ruhig; »wir müssen aber froh sein, daß Euer Mann uns rettete, und können ihm leider nur mit wenigem danken, daß er in diesem Wetter Leib und Leben auf den Riffbänken wagte.«

»Hast du schon wieder so angelegt, Ib?« äußerte die Frau und wendete sich ihrem Manne mit dem Ausdruck bekümmerten Vorwurfes zu, doch schien es nicht, als wünsche sie es ungethan.

»Für dergleichen nehmen mir keine Bezahlung,« sagte sie dann kurz zu Salve, und hierauf in milderem Tone: »Wir haben selbst zwei Söhne, die nach Norwegen fahren, müßt Ihr wissen, und auch da gibt es schwarze See!«

Salve war bleich und überanstrengt, und nachdem er etwas gegessen, begab er sich zur Ruhe. Doch gegen Morgen lag er wach im Bett.

Er hörte dumpfes Dröhnen und Donnern vom Meere her. Elisabeth lag in unruhigem Fiebertraum und von der Vorstellung des Strandens erfüllt, redete sie laut im Schlaf. Aus einzelnen Worten entnahm Salve, daß ihre Gedanken sich mit ihm befaßten. Er lauschte, ohne einen rechten Sinn herauszufinden; allein sie sprach immer unruhiger.

»Nie! nie!« sagte sie laut, »nie soll er ein Wort über die Brigg hören!« und nach einer Weile flüsterte sie vertraulich: »Nicht wahr, Gjert! Er soll uns in der Koje treffen, sonst glaubt er, wir fürchten uns.«

Salve fühlte um ihretwillen tiefe Bekümmernis und zugleich empfand er, wie unendlich er sie liebte. Allein ihre Worte erregten doch den Verdacht, daß sie bei ihrem Betragen gegen ihn einen Hintergedanken gehabt; dasselbe war also berechnet und nicht grad' und natürlich gewesen – er seufzte betrübt, als er sie leise auf die Stirn küßte.

Ein paar Stunden später war er schon aufgestanden und auf dem Weg zum Meer, um nach der Brigg zu sehen.

Die Umgebung entsprach seiner Gemütsstimmung. Der Wind pfiff über die trübseligen, hellgelben Dünen hin und wirbelte da und dort Sandwolken zwischen den Klittern empor.

Einzelne schreiende Seevögel kreisten an der Küste um schwarzgewordene Wrackstümpfe, die aus dem Sande emporragten. Weiter draußen dehnte sich die Nordsee in unübersehbare Weiten; doch kein Schiff belebte die blaugraue Oede.

Zwischen dem Land und der inneren Riffsreihe standen noch Reste vom Achterteil der Brigg und Stücke von Planken, Takelwerk und Rundhölzern lagen auf dem Strande umher.

Während Salve so in Schweigen versunken dahinschritt, fühlte er sich von dieser Küste eigentümlich angezogen und seltsam berührt. Sein Leben schien ihm dieser Landschaft zu gleichen. Es war ihm gelungen, eine Brigg zu erwerben, und nun steckte sie im Sand – er hatte auch Elisabeth errungen, aber auch nur so, daß er eigentlich mit ihr Schiffbruch gelitten. Mitten in dem Schmerz um die Brigg quälten ihn die Worte, die er seine Frau in der Nacht hatte sagen hören.

Bald ward er von Ib Mathisen und den Matrosen eingeholt. Diese begannen nun eifrig, nach Resten ihres Eigentums zu spüren, und drei Schiffskisten nebst dem Kompaß waren die Ausbeute stundenlangen fortgesetzten Suchens.

Sie blieben auch diesen Tag im Fischerdorf und nahmen dann gerührten Abschied von Ib und seiner Frau und all diesen Menschen, die sich ihnen so uneigennützig geopfert, ohne irgend eine Art von Entgelt anzunehmen.

Nachdem vor der Obrigkeit eine Erklärung des Geschehenen zu Protokoll genommen war und Salve mit dem größten Teil des Geldes, das er gerettet, der Mannschaft die schuldige Heuer ausbezahlt, gingen sie alle an Bord einer Kornjacht nach Kristiansund.

Unterwegs war Salve wortkarg.

Er wußte recht gut, das; unter der Mannschaft nur die eine Meinung herrschte, er selbst habe in seinem Unverstand die Schute in den Grund gesegelt, und daß diese Meinung sich verbreiten werde, – so daß er nur wenig Hoffnung hatte, es werde ihn jemand zum Führer seines Schiffes machen. Auch gefiel es ihm gar nicht, um eine solche Stellung in Tönsberg zu betteln und sie vielleicht – um Elisabeths willen, die allgemein beliebt war, zu erlangen. Er vertrug nicht einmal den Gedanken, sie mit dorthin unter all diese vornehmen Leute zu nehmen.

Nur eins blieb ihm übrig: er wollte in der Gegend von Arendal Lotse werden. Dazu taugte er so gut wie irgend einer, da er ja hier geboren und erzogen war: dazu hatte er von Herzen Lust und hier konnte er irgendwo, in Merdö zum Beispiel, Elisabeth in Frieden für sich behalten.

Als dieser Beschluß bei ihm feststand, näherte er sich Elisabeth, die mit dem Knaben bei der Luke saß. Oft hatte sie ihm verstohlen bekümmerte Blicke zugeworfen.

»Elisabeth,« sprach er, »ich habe mir überlegt, was ich beginnen will. Wenn wir alles verkaufen, was wir in Tönsberg besitzen, so kann ich mir einen guten Lotsenkutter anschaffen und mir bleibt für den Anfang noch etwas übrig. Denn ich gedenke in Merdö als Wegführer zu beginnen. – Du mußt dich darein finden, eines geringen Mannes Frau zu sein!«

»Wenn er nur Salve Kristiansen heißt, so bin ich glücklich, das weißt du,« erwiderte sie heiter; »auch bin ich stets gerne dort draußen gewesen.«

»Wir mieten in Merdö ein Haus für dich und das Kind, bis ich die Sachen in Tönsberg geordnet,« bemerkte er.

Es kostete ihr viel Selbstüberwindung, dem nicht zu widersprechen, denn sie hatte sich gefreut, ihre Hütte wiederzusehen. Hierauf besprachen die beiden, wie alles einzurichten sei.

Als Salve dann wieder auf dem Deck auf und ab ging, murmelte er: »Ja, sie ist klug und hat stets eine Antwort!«

Sie hätte sagen mögen, was sie gewollt, er würde immer mißtrauisch gewesen sein.


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