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Elftes Kapitel.

All diese Ereignisse waren plötzlich und überwältigend auf Elisabeth eingedrungen. Sie erschienen ihr fast wie ein nebelhafter Traum. Nun ging sie schwarz gekleidet in einem jener schönen Häuser umher, deren Inneres sie sich draußen auf Torungen so oft in Gedanken ausgemalt hatte.

Kapitän Beck war zum zweitenmal verheiratet. Seine Frau hatte ein hübsches Vermögen mitgebracht und durch ein knappes Regiment im Haushalt jene Ordnung wieder aufgerichtet, die man während Becks Witwerzeit nur allzusehr vermißt hatte. Sie war eine pflichtgestrenge, energische Frau. Die erwachsenen Stiefkinder achteten sie, ohne sie sehr zu lieben; denn sie mußten sich in allerlei ihnen ungewohnten Zwang fügen. Und war ihr Mann auch Herrscher an Bord der ›Juno‹ – zu Hause war er es kaum.

Die unabhängige Stellung des Marineoffiziers brachte ihn dem Elternhaus gegenüber in ein eigentümlich freies Verhältnis, und dank seinem feinen Takt kam er mit der herrischen Stiefmutter sehr gut aus. In der Stadt wurde er gefeiert und von den Schwestern vergöttert, und diese machten allerlei Heiratspläne für ihn. Als ordentliches Mitglied der Küstenkommission hatte er sich noch ein Jahr lang daheim aufzuhalten.

Gleich in den ersten Tagen, als Elisabeth in ihrer vollkommenen Unwissenheit ein Versehen um das andre beging, riet ihr gesunder Verstand ihr, all ihre Fähigkeit und all ihre Ausdauer zusammenzunehmen, um sich zu behaupten, und sie begann unverdrossen damit, daß sie Madame Beck lammfromm gehorchte. Hie und da setzte sie sich auch einmal ohne weiters ans Fenster, um nach dem Hafen hinauszusehen. Sie empfand das Bedürfnis nach frischer, kalter Luft und öffnete auch endlich. Sie steckte ihre heißen Wangen hinaus, bis Madame Beck hereinkam und sie mit strenger Stimme zurückrief. Dieselbe äußerte in ihrem Aerger, es sei ja, als habe man eine Wilde ins Haus bekommen.

Ueberhaupt fielen anfangs manche peinliche Erziehungsscenen vor, doch Elisabeth trug dies mit einer sanften Ruhe, die Madame Beck für demütige Lehrwilligkeit hielt, während der Grund derselben in dem festen Entschlusse lag, alles zu überwinden.

Für diese ihre kleinen Leiden hatte Lieutenant Beck einen merkwürdigen Spürsinn, und hie und da sandte er ihr einen aufmunternden Blick zu; doch Elisabeth that, als verstände sie es nicht. Nur einmal, als sie in seiner Gegenwart zurechtgewiesen ward, lief sie plötzlich davon und lag später schluchzend auf ihrem Bette.

Eines Nachmittags sollte sie ein Theebrett hineintragen, auf welches sie unbedachterweise den kochenden Theekessel samt Brenner gestellt hatte. Auf dem Wege fiel er um; aber ungeachtet, daß das erhitzte Gefäß und das siedende Wasser ihr Arm und Hand verbrannten, trug sie doch ganz ruhig und ohne die Miene zu verziehen das Brett wieder hinaus; – sie wollte es vermeiden, von neuem gescholten zu werden, wenn der Herr Lieutenant dabei war.

Madame Beck selbst verband Elisabeth die Hand in der Küche. Doch Karl Beck, der auf dem Sofa gesessen und gesehen hatte, wie alles zugegangen, vergaß, sich zu beherrschen. In voller Empörung sprang er auf und erwies sich so aufgeregt teilnahmsvoll, daß seine Schwester Mina ihm, als sie dann allein in der Stube geblieben, mit einem ernsthaft forschenden Blick sagte: »Du hast dich doch nicht am Ende in das Mädchen vergafft, Karl?«

»Hat keine Gefahr, Mina,« erwiderte er rasch in dem gleichen Ton, indem er sie unter dem Kinn faßte, »in Arendal gibt es noch eben so schöne; aber du siehst doch gerade so gut wie ich, daß dies ein merkwürdiges Mädchen ist. Das Stück mit dem Theebrett macht ihr nicht jede nach – und dann dürfen wir nicht vergessen, daß ohne sie …«

»Ja, ja,« sagte Mina, indem sie den Kopf zurückwarf; – es langweilte sie schon, diese Geschichte ewig wiederholt zu hören; – »sie wußte doch nicht, daß gerade der Vater draußen fuhr!«

Es war eine nicht wenig schlau ausgedachte Heuchelei, die der schöne Lieutenant mit dieser Sache trieb. Unter seinen: scheinbar so offnem Seemannswesen barg sich ein Diplomat.

Mit dem Ausposaunen der Verdienste Elisabeths um die Bergung der »Juno« hatte er seine Familie durch den Druck der öffentlichen Meinung sozusagen gezwungen, das Mädchen aufzunehmen. Andrerseits war er in seinem Verhalten gegen sie außerordentlich vorsichtig; denn es galt, Elisabeth zu gewinnen, ohne daß Stiefmutter und Schwestern es merkten.

Daß er einen gewissen Eindruck gemacht, hatte er allen Grund zu glauben; doch zugleich hatte er auch die Empfindung, er habe es mit einem wilden Schwan zu thun, der jeden Augenblick die Flügel ausbreiten und davonfliegen könnte – es lag etwas Naturkräftiges, Unabhängiges in ihrem Wesen.

In seiner Familie war sie nun allerdings eine ganz andre geworden, kaum wieder zu erkennen, wie sie so still umherging und ihn nicht zu sehen schien, während sie sich in allein und jeglichem sklavisch nach der Hausfrau richtete, wodurch er eine Weile in Zweifel versetzt wurde. Doch bald war er darüber im reinen, daß sie auch in diesem Verhältnis genau wußte, was sie wollte, und jene Scene mit dem Theebrett hatte für ihn eine ganz andre Bedeutung als für die andern, denn er schmeichelte sich, daß sie sich seinetwillen all diesem Zwang unterwarf.

Aber andrerseits hatte sie in ihrem Wesen etwas, das ihn ungewiß machte, wie er es anpacken solle, und das ihn stets in einer bestimmten Entfernung hielt. Dasselbe war schon während ihres Zusammenseins draußen beim alten Jakob der Fall gewesen, und gerade dies hatte ihn immer mehr gefesselt.

Die Sache war nämlich die, daß der alte Jakob wohl begriffen hatte, daß der Marinelieutenant nicht um seinetwillen nach Torungen kam, und da er ihm ja doch nicht die Thür weisen konnte, so hatte er vernünftigerweise die Enkelin vor ihm gewarnt. Er erklärte ihr, solche Leute pflegten sich nicht mit schlichter Leute Kind zu verheiraten, obgleich es oft genug vorkomme, daß sie mit ihm ihre Kurzweil trieben. »Ja, einer wie Salve Kristiansen, auf den kann man trauen und bauen«, schloß er, wie er meinte, sehr diplomatisch.

»Das hast du aber, scheint's, nicht gedacht, als du ihn prügeln wolltest, Großvater!« antwortete sie ein wenig spitz.

»Hm – ja; manchmal muß ein Junge Schläge kriegen,« brummte der Alte; »aber er ist ein braver Bursche, und wenn er käme und um dich würbe, so erhielte er dich gleich; da könnte ich wenigstens ruhig sein, was aus dir wird, wenn ich einmal fertig bin.«

Elisabeth antwortete nichts weiter, doch ein Zug um den Mund bewies, daß sie sich's vorbehielt, in dieser Sache eine eigne Meinung zu haben. In Salve Kristiansen hatte sie ihren lieben und einzigen Kameraden gesehen und sie fühlte volles Vertrauen zu ihm, allein der Seeoffizier hatte die ganze Zeit her ihre Gedanken ausschließlich in Anspruch genommen. Alles, wofür sie so feurig geschwärmt, hatte sich ihr in ihm verkörpert. Ob es aber seine Uniform, die Thaten der Flotte oder er selbst war, wofür sie schwärmte, darüber hatte sie sich keine Rechenschaft gegeben, ehe sie durch des Großvaters Warnung innerlich verletzt und dadurch nachdenklich geworden. Nun war es ganz sicher er, die Verkörperung alles Hohen und Schönen, doch zugleich erhob sich in ihrer Natur ein Gefühl unbändigen Stolzes, so daß sie auf jedes Verhältnis zu ihm verzichtete und doch ihre Schwärmerei beibehielt. Dies war jenes Doppelwesen, das ihre Augen verrieten und das den Marineoffizier so sehr verwirrte. Als sie später von der Muhme erfuhr, daß sie im Munde der Leute gewesen, ging ihr das sehr nahe, und mehr als vorher hatte sie die Empfindung, daß eine unsichtbare Mauer sie und den Lieutenant trenne.

Einen Monat später, als die »Juno« wieder segelklar lag, trat Karl Becks Schwester lächelnd in die Stube und sprach: »Elisabeth, im Flur draußen steht ein junger Seemann und bittet, mit dir reden zu dürfen; er hat ein Paket unterm Arm – vielleicht ein Geschenk.«

Elisabeth, die damit beschäftigt war, das Tischgerät hineinzutragen, wurde rot, und Karl Beck, der beim Fenster stand, etwas bleich. Sie wußte recht gut, daß es Salve sei, und war über seine Dreistigkeit einen Augenblick fast erschrocken. Sie hatte ihn schon früher ein paarmal gesehen und ihn fühlen lassen, daß sie ihm wegen dessen, was ihr die Muhme erzählt, ausweiche. Zitternd ging sie zu ihm hinaus.

Er sah sie eine Weile an, ohne ein Wort zu sagen.

»Willst du dies Kleid, Elisabeth?« fragte er endlich fast barsch.

»Nein, ich will es nicht, Salve – so wie du von mir gesprochen hast.«

»Also magst du es nicht, Elisabeth?« fragte er langsam und niedergeschlagen weiter. »Ja, dann nützt es nicht, noch mehr zu reden.«

»Nein, Salve, es nützt nicht, noch mehr zu reden.«

Als sie aber sah, wie vernichtet er dastand und sie anschaute, indem er fragte: »Und muß ich damit wegsegeln, Elisabeth?« – brachen plötzlich Thränen aus ihren Augen. Sie schüttelte abwehrend, doch mit verzweifelter Miene den Kopf und eilte hinein.

In der Stube bemerkte man, daß sie geweint hatte. Aber Karl Beck war ein kaltblütiger Mann: er legte sich zum Fenster hinaus und sah nach – ob sein Nebenbuhler das Paket unter dem Arm trug.

In derselben Nacht wachte Elisabeth auf. Sie hatte im Schlafe geweint und geträumt, daß sie Salve unten bei der Schiffsbrücke sehe, ganz ärmlich gekleidet und unglücklich: doch war er zu stolz, jemand um Hilfe zu bitten, und schaute sie nur ernst und vorwurfsvoll an.

Unruhig blieb sie liegen und konnte den Traum nicht aus dem Kopfe bekommen. Da hörte sie von draußen den Lärm einer schreienden Menschenmenge und trat ans Fenster. Die Polizei transportierte jemand die Straße hinab.

Als sie vorbeikamen, bemerkte Elisabeth beim flüchtigen Schein der Straßenlaterne, daß es Salve war. Er wehrte sich, bleich und wütend, das blaue Hemd auf der Brust ganz aufgerissen, und in seinem Gesicht war ein Ausdruck – sie schlief diese Nacht nicht mehr.

Es hatte bei Mutter Andersen auf der andern Seite des Hafens eine große Matrosenschlägerei gegeben. Es hieß, man habe zum Messer gegriffen, und Salve sei der Führer gewesen. Kapitän Beck mußte am nächsten Tage selbst hinauf zum Stadtvogt, um ihn herauszukriegen, ehe sie absegelten, und er entrichtete die Buße.

Das junge Mädchen verstand nur allzugut die Ursache von Salves Aufführung und ging hinaus, als der Seeoffizier am nächsten Tage davon erzählte – Salve hatte den Streit ohne jede Veranlassung angefangen.

Mehrere Tage lang war Elisabeth blaß und angegriffen, und der Lieutenant hatte die Empfindung, als sei sie gegen ihn noch zurückhaltender als sonst.

Am Nachmittag vor der Abfahrt kam Salves Vater mit dem jüngern Sohn an Bord, um von ihm Abschied zu nehmen, und beiden fiel in seinem Wesen etwas Sonderbares auf; dem Bruder schien fast, als dächte Salve, daß sie einander nicht wiedersehen sollten. Derselbe bot dem Vater seinen Hundertthalerschein an, und als dieser ihn nicht annehmen wollte, mußte er wenigstens versprechen, ihn aufzuheben. Der Vater nahm dies für Kummer und Niedergeschlagenheit über das, was dem Sohn jüngst mit der Polizei widerfahren: aber ehe er das Schiff verließ, sagte er doch etwas beklommen: »Salve, denke daran, daß du einen alten Vater hast, der zu Hause auf dich wartet!«

Den Abend und einen Teil der Nacht brachte Salve im Mastwerk der »Juno« zu. Er saß da und starrte hinüber nach dem Beckschen Haus, solang aus der Bodenkammer noch das Licht schien, und als es erlosch, da war es ihm, als sei auch in seinem Innern etwas erloschen.


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