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Zweites Kapitel.

Merdö Ö heißt Insel., wo der Lotse wohnte, liegt vor der Einfahrt nach Arendal, sozusagen gerade draußen im Seewind.

Die Außenseite der kleinen, halbrunden Insel ist eigentlich nur ein nacktes Riff, und oben von der Windfahne aus, wo die Lotsen Ausguck halten, übersieht man bei Unwetter die verborgenen Schären und blinden Klippen der unzugänglichen Küste, die hier überaus gefährlich ist: doch die Arendalslotsen draußen bei Merdö und Torungen gehören zu den tüchtigsten Norwegens.

Im Gegensatz zu den englischen und holländischen, deren jedem ein streng abgegrenzter Bezirk zugeteilt ist, sind die norwegischen Lotsen weitfahrende Leute, welche, um den Schiffen aufzupassen, heute bei Lindesnäs, morgen unter Skagen oder den Hansholmen liegen und am Tage darauf vielleicht ganz unten bei Horns Rev einen Lotsen an Bord eines Hamburger Fahrzeuges setzen. In ihren breiten Deckkuttern, welche die Arendalsmarke, die Nummer und einen roten Rand im Großsegel führen, fangen sie ihre Makrelen die ganze Nordseestrecke entlang bis Doggersbank, wo sie fremde Fischerboote anprajen Anrufen. und sich nach Schiffen aus dem Kanal, von englischen oder holländischen Häfen erkundigen. Sie führen eine Gaffel statt der Sprietstange Sprietstange ist eine Spiere, welche das Sprietsegel in der Diagonale ausspannt. der Walfischfänger, und obgleich sie minder gut segeln als diese, so bergen sie sich doch genau ebensogut bei hohem Seegang.

Am besten kennt den Merdölotsen ein Kapitän, welcher in einer pechschwarzen Winternacht mit bloßen Stumpfen in das Fahrwasser unter die Torungeninseln geraten ist und weiß, daß er auffahren muß, wenn er keinen Lotsen trifft. Er hört sich angeprajt, die Leine wird ausgeworfen, und plötzlich steht ein wassertriefender Lotse vor ihm auf dem Deck. Der Mann wechselt die Kleidung, trinkt ein Glas voll zur Erwärmung und übernimmt das Kommando; – er hat kein Bedenken getragen, mit der Leine um den Leib ins Meer zu springen; denn anders konnte er nicht an Bord gelangen.

Wenn es ihre Ehre gilt und ein Schiff zu bergen, so wiegen Boot, Heim und Leben nicht schwer für diese Leute, die für gewöhnlich jeden Schilling genau genug ansehen.

Die Innenseite der Insel bildet den bekannten Nothafen von Merdö, einen kleinen Strandort, wo Fischer und Lotsen leben; und in einer der Seemannshütten hier, in einem kleinen rot angestrichenen Häuschen, seinem Eigentum, lebte auch unser Lotse.

In den kleinen, weiß bemalten Fenstern standen Geraniumstöcke, und in der Stube war alles auffallend nett und sauber. Innen sah es halb schiffsmäßig aus, und man rechnete auch, wie gewöhnlich unter Seeleuten, Tag und Schaffenszeit Schaffen ist in der Schiffssprache essen. nach Etmal und Glas Etmal ist der Schiffstag, welcher von Mittag zu Mittag gerechnet wird. Ein Etmal zerfällt in sechs Wachen (jede vierstündig), von denen jede mittels einer Sanduhr, die nach einer halben Stunde abgelaufen ist, in acht Glas, also acht halbe Stunden geteilt wird.. Ueber dem Klapptisch hing ein großes Fernrohr; über dem Eckschrank standen einige Rollen Seekarten und in der andern Ecke eine holländische Schlaguhr mit einem grünen Kuckuck darauf.

Die Frau des Lotsen hatte am Tage vorher den Kutter an Merdö vorbeipassieren und auf Arendal zuhalten sehen; nun erwartete sie ihren Mann, während ihr jüngerer Sohn Henrik draußen vollauf damit beschäftigt war, in einem der kleinen Salzwassertümpel, welche ein Sturm oder eine hohe Flut gern in den niedrigen Teilen der Insel zurückläßt, Garnelen zu fangen. Er war beauftragt, Ausguck zu halten und die Mutter zu benachrichtigen; aber das mußte er über seiner jetzigen interessanten Arbeit ganz vergessen haben, denn schon sah man den Kutter mit dem Lotsenstreifen und der Nummer mit vollen Schoten dem Hafen zustreben.

Die Frau des Lotsen saß unter dem Fenster beim Tische. Ihre Tracht hatte einen etwas fremden, fast holländischen Zuschnitt.

Offenbar war sie unruhig, denn der Ausdruck wechselte häufig in ihrem Gesichte, das von irgend einem Grame hart mitgenommen schien. Einen Augenblick stützte sie die Wange in die Hand und schloß die Augen mit müder Miene; doch gleich darauf nähte sie eifrig weiter. Obwohl sie ihren Mann liebte, sah es fast aus, als fürchte sie sich vor seiner Ankunft.

Es lag etwas Scheues, Gedrücktes in ihrer Art, wie sie sich hastig erhob, als sie unerwartet den Lotsen kommen hörte, und zögerte, ihm entgegenzugehen.

Doch als er in die Stube trat, machte dieser Ausdruck plötzlich einer freimütigen, scheinbar froh überraschten Miene Platz.

Wenn er so von Arendal heimkam, war er oft mißvergnügt und bitter und gar nicht leicht zu behandeln. Sie merkte gleich, was in seinem Antlitz lag, und wußte, es gelte für sie gelassen, munter und freundlich zu sein und in keine der Schlingen zu fallen, die seine düstere Laune ihr stellte; kein Wort zu sagen, über das er emporfahren konnte, und ihm nie auch nur eine verdrossene, unfrohe Miene zu zeigen. Wurde er »desperat«, so konnte er alles Mögliche drohen, was er nicht ihr, sondern sich selbst anthun wolle – und sie wußte, er war im stande, es auszuführen. Mehrere Male war es geschehen, daß er infolge solch eines unglücklichen Wortes augenblicklich wieder in See gestochen war – einmal in einer Sturmnacht, wo es der gewisse Tod schien.

Er kannte sein Temperament selbst nur allzuwohl, und vielleicht war es der Wunsch, demselben zu entgehen, der ihn oft Mutter Andersens Stube in Arendal seinem eignen Hause vorziehen ließ.

War nur der erste gefährliche Tag vorbei, so konnte niemand vergnügter und glücklicher sein als der Lotse und seine Frau; denn er vergötterte sie und seine Kinder und riß sich dann ebenso schwer los, wie er vorher ungern heimgekommen war.

Am heutigen Tage hatte Gjerts Verhalten gegen Becks Enkel seinem Gemüt den Stachel genommen und der Frau ihre schwere Aufgabe erleichtert. Mit heller, aufgeräumter Miene trat er in seine kleine Stube und begrüßte sein Weib: »Nun, wie geht's, Mutter? – Und wo ist der Taschengucker?«

Damit meinte er seinen jüngeren Sohn, der so schlecht Ausguck gehalten und der, wenn der Vater gut gelaunt war, stets diesen Namen führte; er war Salves Augapfel.

Eine drückende Last fiel der Frau von der Brust, obgleich sie sich wohl hütete, es den Mann merken zu lassen. Plötzlich war es hell geworden um sie her, und sie freute sich der Nachmittagssonne, die schon golden auf ihr blondes Haar gefallen war, als sie noch dasaß und nähte.

Es war ein schönes, schlankes Weib mit blühenden Wangen, das ihm nun mit zitternder Hand eifrig aus den Schiffskleidern half, und dem es schwer fiel, ganz zusammenhängend zu antworten. Und der Lotse war nicht blind dafür. Er rief zu wiederholten Malen und mit stets lauterer Stimme nach dem Taschengucker, der sich endlich etwas verlegen und furchtsam in der Thür zeigte – barfüßig, mit aufgeschlagenen Beinkleidern, in der Hand die Blechschale mit den Garnelen.

Nun kam auch der ältere Sohn mit einer Menge Bündel und Waren, die der Lotse in Arendal eingekauft, und sogleich preßte er den gaffenden Taschengucker, ihm beim Hinauftragen aus dem Boote zu helfen.

Gjert hatte die Mutter nur kurz begrüßt, denn ein Wink sagte ihm, daß diesmal alles gut stand. Uebrigens ähnelte er ihr in Blick und Betragen, und er half ihr und nahm ihr in der Stille ab, soviel er nur vermochte. In seiner Kinderzeit hatte er so viel von diesem unglücklichen Verhältnis gesehen und aufgefaßt, daß er der Freund und die Stütze der Mutter geworden, obschon er gleichzeitig für den Vater schwärmte.

Daß Gjert mit dem Vater in dem Kutter war, gab ihr eine gewisse Garantie dafür, daß Salve, wenn der böse Geist über ihn kam, wenigstens das Boot nicht in den Grund segeln werde – eine Möglichkeit, die sonst oft genug vor ihrer entsetzten Seele stand. Auch sorgte Gjert dafür, daß mit den verschiedenen Fischern und Lotsen stets Nachricht vom Vater nach Merdö kam, und hie und da, wenn er nicht mit war, schickte ihn die Mutter nach Arendal, um nach dem Vater auszuspähen.

Draußen auf dem Meere war die Laune des Lotsen in der Regel ziemlich gleichmäßig, allein auch da konnte ihn die düstere Stimmung, scheinbar ohne Anlaß, überfallen. Uebrigens war ihm nie wohler zu Mute als gerade in einem Unwetter, dann wurde er gegen den andern Lotsen im Boote gemütlich und munter. Doch verstand sich's von selbst, daß stets er das Tau um den Leib nahm und hinaussprang, wenn die hochgehende See nicht gestattete, anders an Bord zu kommen – das Entgegengesetzte wäre ein Beweis seiner Achtung gewesen. Er aber achtete keinen Menschen – es befriedigte ihn, dies selbst zu wissen.

Diesmal blieb der Lotse lange daheim, und in dieser Zeit herrschte nie ein Mißton in der Stube. Im Gegenteil stand in Anbetracht, daß sie schon ältere Eheleute waren, eher alles übertrieben gut. In den ersten Tagen hatte der Vater sogar dem kleinen Henrik geholfen, Garnelen zu fangen, und seitdem sich damit befaßt, ihm eine kleine Brigg aufzutakeln. Das einzige, was einen kleinen Wortwechsel hervorgerufen, war Gjerts Schulbesuch. Sie waren doch für ihre Stellung ganz wohlhabende Leute, und die Mutter hatte eines Tages scheinbar als einen plötzlichen Einfall geäußert, daß es ihnen leicht möglich wäre, Gjert in die Schule von Arendal zu schicken – er konnte ja drinnen bei der Muhme wohnen. Davon wollte der Vater nichts wissen. Gjert sollte, sowie er das nötige Alter erreicht, nach Vraengen auf Terjesens Takelboden, um das Takeln zu erlernen.

Mittlerweile begann der Lotse immer häufiger in seiner raschen, unruhigen Art bei der Ausguckfahne droben umherzuwandern, oder er stand unten beim Landungsplatz allein, die Hand auf dem Rücken, und sah sich um – er war keiner von denen, die Kameraden um sich sammeln. Das waren sichere Zeichen, daß er sich wieder nach der See zu sehnen begann.


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