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Zwanzigstes Kapitel.

Es ging so, wie Salve es düster geahnt. Dies ward ein langer, trauriger Winter für ihn. Er wohnte in Tönsberg, suchte aber wenig Umgang mit den andern Schiffern, die sich dort im Winter stets zahlreich aufhalten.

Eine Zeitlang lebte er von der Erinnerung an die wundervolle Woche in Amsterdam: doch bald begann sein unglückseliger Sinn wieder das Gold, das er gewonnen, zu wägen und zu prüfen, und die alten Zweifel schlichen sich, einer nach dem andern, bei ihm ein. Waren es die Reste ihres Herzens, die sie ihm entgegenbrachte, oder gab sie ihm ihr volles, frisches, reines Selbst?

Der Gedanke zuckte wieder empor, den er gehabt, als sie ihm die Ringe zeigte; sie war fast die Braut des Marineoffiziers geworden!

Er erwog bei sich, welch großen Wert sie in ihrem Herzen doch auf den Tand und Glanz legte, auf den sie nun verzichten mußte.

Wie konnte ihr nunmehriges Los, die Frau eines Seemannes zu werden, der um sein Dasein kämpfte, den Vergleich aushalten mit dem einer Dame, zu dem sie ihre ganze stolze Natur zu bestimmen schien!

Und dann die Empfindlichkeit, mit der sie jede Anspielung auf diese Sache aufnahm. Sie hatte es bei der Verlobung förmlich zur Bedingung gemacht, daß man nicht daran rührte.

Je mehr er grübelte, desto weniger sicher erschien ihm der Grund, auf den er gebaut; der äußerlich so schöne Apfel zeigte sich seinen Augen innen wurmstichig; er meinte oft, er müsse ihn wegwerfen. Und doch lebte in seinem Herzen eine Empfindung, die all dem widersprach. Wenn diese Gedanken kamen, wie arm, wie abscheulich fand er sich da! »Wäre sie nur hier!« rief es in ihm gleichsam um Hilfe, denn er fühlte, sein besseres Ich lief Gefahr, zu ertrinken.

Oft trug er sich mit dem Gedanken, an Elisabeth zu schreiben, doch dann gab es stets so viel, was er nicht sagen sollte und was er nicht sagen wollte, daß er es immer wieder unterließ; es hätte wer weiß wie weit geführt.

Endlich entschloß er sich doch dazu, und der Brief lautete folgendermaßen:

 

»An die wohlachtbare Jungfrau Elisabeth Raklev!

Was den ›Apollo‹ betrifft, so liegt er in einer Reihe mit den andern Schiffen beim Selvigsstrome, und das Eis ist wohl einen Fuß dick und die Aussichten schlecht, daß es schmilzt, was heuer spät geschehen wird, wie alle prophezeien; derselbe ist gut verwahrt und bewacht und das Tauwerk auf Petersens Takelboden eingelagert. Was aber den Kapitän angeht, dem Du in Amsterdam sagtest, Du habest Dein ganzes und volles Herz auf ihn gesetzt, und so fest, daß es nicht zu erschüttern sei, nein! von keiner Macht und Kraft auf Erden! – so hat er viel darüber nachgedacht und würde gern standhalten und Dich wiedersehen, ehe das ganze Landkabel geschamvielt Schamvielen, Seemannsausdruck für »durch Reibung abwetzen«. ist. Denn schon wetzt es an den letzten Fasern, däucht mir. Aber sehe ich Dich, so würde es so stark, daß es aushielte, wie hart auch die Strömung ginge; Du aber mußt denjenigen entschuldigen, welcher in den fünf Jahren, von denen Du ja weißt, so schwach geworden ist; ich will damit nicht sagen, daß an Dir die Schuld liegt, mich aber auch nicht besser machen, als ich bin; denn ich habe Vertrauen auf Dich, aber nicht ebensoviel auf mich, was ein Fehler ist, für den niemand kann. Wenn Du dieses Schreiben liest, so magst Du des Seemanns gedenken, welcher eingefroren liegt, und ihn auch dann nicht vergessen, bis wir uns wiedersehen, wofür ich die Halbscheid meines Blutes gäbe, wenn es nützen könnte, und auch mehr; denn ich verzehre mich hier – so sehne ich mich, Dich wiederzusehen. Und nun lebe von Herzen wohl. Ich will Dir trauen mit meinem ganzen Sinn und in der ärgsten Lage und bis zur letzten Stunde und fest auf Dich hoffen. Lebe wohl, Du geliebtes Mädchen – mit kräftigem Gruße

Dein
Salve Kristiansen.«

 

Dieser Brief kostete Elisabeth viele Thränen. Abends, ehe sie zu Bette ging, saß sie über denselben gebeugt und empfand es hart, daß sie selbst es verschuldet hatte, wenn es ihm nun so schwer fiel, ihr zu vertrauen, denn sie begriff nur allzugut, was zwischen den Zeilen zu lesen war. »Könnte ich nur bei ihm sein,« dachte sie, und es drängte sie immer mehr, ihm zu antworten; allein sie hatte ja nie gelernt, richtig zu schreiben oder einen Brief aufzusetzen.

Nach vieler Mühe und vielem Studieren brachte sie mit Hilfe ihrer Erinnerung aus dem Katechismus doch ein paar Linien zuwege:

 

»An meinen Geliebten Salve Kristiansen!

Du solltest Dich auf Gott verlassen und nach ihm unter allen Umständen auf mich, welche ja in jeder Art auf Dich hält, und glaube mir, das ist die Wahrheit von Deiner ewigen, unvergeßlichen

Elisabeth Raklev
und bis zum Frühling Elisabeth Kristiansen.«

Diesen Brief faltete sie zusammen und ließ von einem der jungen Garvloits die Adresse daraufsetzen; allein der Sicherheit wegen ging sie selbst damit auf die Post.

*

Eines Tages wurde Salve von diesem Brief überrascht. Er erriet, von wem derselbe kam, und zögerte ihn zu öffnen, aus Angst, Elisabeth möchte ihm auf sein Schreiben hin die Brautschaft aufgesagt haben – er erinnerte sich wohl, wie sie das in Amsterdam aufgenommen hatte.

Nun las er mit Ueberraschung und Freude, wie jemand, der eine Sache endlich schwarz auf weiß besitzt. Vorsichtig legte er den Brief jedesmal ins Taschenbuch und war für einige Zeit ein ganz andrer Mensch.

Allein die Tage vergingen und mit ihnen verblaßte auch nach und nach der Wert dieses Papiers; immer mehr ward es ihm eine geschriebene Versicherung, daß sie ihn jetzt liebe – nicht aber, daß er ihre erste, eigentliche, tiefste Liebe sei – und darin lag der Zweifel. Es war höchste Zeit, als endlich das Eis sich löste und die Arbeit ihn gefangen nahm; er vertrug es nicht, müßig seinen Gedanken nachzuhängen. Und dann erfüllte seinen Sinn, bis zur Vergessenheit aller Leiden dieses Winters, die heftige Sehnsucht nach dem Wiedersehen und nach der Stunde, in der Elisabeth seine Frau würde.


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