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Siebentes Kapitel.

Die alte »Juno«, auf der Salve diente, lag in Sandvigen und wartete nur auf Nordostwind, um auslaufen zu können. Es war ein Vollschiff Vollschiff = Schiff mit drei Masten und voller Takelung. mit neunzehn Mann Besatzung, welches viele Jahre in den amerikanischen Gewässern und manchesmal auch in der Nordsee gefahren war und damals zu den größten Schiffen Arendals zählte. Sein Ein- und Aussegeln war für Stadt und Gegend ein Ereignis, und auf demselben zu fahren, galt für den Matrosen als eine Ehre, besonders da dessen Führer und Haupteigentümer, Kapitän Beck, ein ungewöhnlich tüchtiger und glücklicher Chef war.

Als die »Juno« um zehn Uhr vormittags in Sandvigen die Anker lichtete und bei einer laberen Laber = schwach. Nordwestbrise und unter kleinen Segeln hinausglitt, standen viele Zuschauer auf der Brücke. Die meisten Leute der Mannschaft waren hier zu Hause, und man wußte, die Fahrt werde ungewöhnlich lange dauern. An Bord befand sich auch der Sohn des Kapitäns, der Marineoffizier, der junge Karl Beck, mit seiner Schwester und einer kleinen Gesellschaft von Bekannten, die in einem Segelboot, das mitschleppte, bei den Torungen ans Land setzen wollten. Sie gedachten so lang als möglich mitzufahren und hatten aus diesem Anlaß eine kleine Lustpartie verabredet; die Herren wollten dort Seevögel schießen, denn diese sitzen im Frühjahr auf ihrem Zuge die Küste nordaufwärts in Menge auf den Schären.

Als das Fahrzeug gegen vier Uhr nachmittags Lille-Torungen passierte, stand Salve Kristian auf dem Vorkastell und schaute hinüber.

Auf den blinden Klippen spritzten hie und da die Deiningen in hohen Strahlen empor – und eine Reihe dunkler goldgesäumter Wolken prophezeite beim Sonnenuntergang schlechtes Wetter. Daher verließ die Gesellschaft, anstatt bis zur größeren Insel mitzugehen, schon bei Lille-Torungen das Schiff.

Salve sah Jakobs Enkelin auf der nackten, von der Abendsonne beschienenen Klippenschäre, mit einem Fernglas bewaffnet, an der Hauswand stehen. Allein ob sie nach dem vom Schiff abstoßenden Segelboot oder nach ihm schaute, darüber befand er sich eine Weile in peinlicher Ungewißheit.

Der junge Matrose hatte mit Absicht einen auffallenden Platz gewählt. Er stand mit dem Rücken gegen das Stag Stag = starkes Tau, welches Mast und Stengen nach vorn befestigt. und war durch den Abschied so wehmütig gestimmt, daß er am liebsten geweint hätte, denn er wußte nun, daß er Elisabeth leidenschaftlich liebe.

Um herauszubringen, ob sie ihr Glas nach ihm richte, schwenkte er die Mütze, und sein Gesicht leuchtete vor Freude, als er sie den Gruß erwidern sah. Noch einmal lüftete er die Mütze, und ein neues Winken dankte ihm.

In sich selbst versunken stand er da und blickte nach der Stätte, welche hinter ihm in der Dämmerung verschwand.

Er hatte neuen Mut für die Reise gefaßt. Wenn er nach Boston kam, wollte er Ring und Kleid für sie kaufen, und kehrte er dann heim, so – so sollte sein Erstes sein, zu ihr hinauszufahren und eine Frage an sie zu richten.

Er schreckte auf, als der Bootsmann seinen Namen brüllte und fragte, ob er denn schlafe. Es war nämlich befohlen worden, für die Nacht zu reffen, da eine steife Kühlte Kühlte = Wind, steife Kühlte = ziemlich starker Wind. aufgesprungen war.

Am Nachmittag waren die Wachen ausgesetzt worden und Backbord- und Steuerbordwache verteilt, Die Mannschaft wird in zwei Partieen geteilt, die Steuerbord- und die Backbordwache, welche abwechselnd jede vier Stunden oder acht Glas auf den Posten sind und alle Arbeit verrichten. Die Hundswache dauert von Mitternacht bis vier Uhr früh. so wie es am ersten Tage der Ausfahrt Brauch ist. Salve hatte die Hundswache. Sie gingen im Dunkel mit doppeltgerefften Marssegeln in hohe See. Hie und da riß der Mond ein Loch in die Sturmwolken, die wie Rauch vor ihnen herzogen, so daß man für Augenblicke das ganze Verdeck bis zur undeutlichen Figur des Ausgucks vorn auf der Back unterscheiden konnte.

Salve war viel zu erregt, um schlafen zu können; er ging auf dem Vorderdeck auf und ab und lauschte den rührenden Tönen eines traurigen Liedes, das ein Matrose vor sich hin sang.

Dieselbe Nacht brachte die Gesellschaft, die das Schiff verlassen, draußen beim alten Jakob auf Torungen zu.

Erst hatte man versucht, nach der größeren Insel hinüberzufahren; jedoch die See wuchs, das Dunkel brach ein, und man fand bald, daß dies keine Vergnügungstour für Damen sei. So beschloß man, statt heimwärts zu wenden und die ganze, auf zwei bis drei Tage berechnete Jagdpartie aufzugeben, auf Lille-Torungen zu übernachten und die Morgenstunden abzuwarten.

Groß war die Ueberraschung des alten Jakob, als es abends an der Thür klopfte und er beim Schein des Kaminfeuers nicht weniger als sechs Herrenleute, darunter zwei Damen, eintreten sah. Er drehte sich auf der Bank herum und hielt die Hand über die Augen, um die Fremden anzusehen.

Wären es lauter Huldren Die Huldren sind die norwegischen Elfen, doch nicht die niedlichen Geschöpfe, die wir kennen, und nicht von guter Art. gewesen, Elisabeth, die schläfrig am Feuer saß, hätte nicht mehr Staunen und Schrecken empfinden können.

Schlank und schön, und ein merkwürdiges Gesicht – dies sah Karl Beck, der zuerst eintrat, auf den ersten Blick. Er verwandte keinen Blick von ihr, als sie, rot vor Verwirrung, instinktmäßig nach dem Leibchen griff, das auf der Bank neben dem Kamine lag.

»Guten Abend, alter Jakob!« grüßte er in biederer Weise, die ihm wohl anstand, trat auf den Greis zu und legte ihm treuherzig die Hand auf die Schulter. »Du mußt dir schon gefallen lassen, daß wir dir heute abend allerlei Ungelegenheiten bereiten, und mußt uns bis gegen Morgen hier behalten; bis dahin bessert sich das Wetter wohl. Wir getrauten uns nicht, auf Store-Torungen loszulegen, der Damen wegen, die wir bei uns haben« – damit wies er scherzend auf die Schwester und deren Freundin. »Uebrigens hast du ja selbst etwas von der Sorte auf dem Hals, da weißt du ja, wie es ist.«

Der Alte schien für diese gemütliche Art der Behandlung durchaus nicht unempfindlich; er erhob sich und machte beim Feuer Platz, indem er zugleich bat, mit dem vorlieb zu nehmen, was er ihnen bieten könne. Dann befahl er Elisabeth, Holz zu holen und nachzulegen.

Während die Gesellschaft sich so gut wie möglich zurecht fand und sich um das Feuer lagerte, war Karl Beck mit den Ruderern unten, um Proviant zu besorgen. Er folgte Elisabeth unmittelbar auf dem Fuße und trug auch den Arm voll Holz. Er warf es zu Boden und rief aus: »Nun wollen wir uns eine ›Bâl‹ Bowle. bereiten, wie der Schwede sagt: doch erst mit dem Mundvorrat heraus!«

Es fehlte nicht an Eßwaren, die unter heiterem Geplauder verzehrt wurden. Nachher kam die »Bâl«, eine Mischung von verschiedenen starken und feinen Ingredienzien, auf deren Bereitung sich Beck verstand. Zuletzt wurde die Flüssigkeit angezündet, und man schöpfte davon in die Gläser, während die blaue Flamme noch loderte.

Karl Beck saß in seinem kleidsamen geöffneten Offizierspeajackett Peajackett, eine Jacke aus blauem Düffel. mit den Ankerknöpfen rittlings auf der Bank und sang einige jener stimmungsvollen Gesellschaftslieder, die damals in Mode waren, während die andern in den Schlußreim einstimmten.

Alt-Jakob war unter dem Einfluß der Gemütlichkeit und des guten »Stoffs« auffallend heiter geworden und ließ sogar hie und da ein Wort mit einfließen, als die Unterhaltung auf allerlei Ereignisse des letzten Krieges, kam; allein jeder Versuch, ihn selbst zum Erzählen zu bringen, schlug fehl.

Nach und nach wurde die Gesellschaft etwas stiller und Karl Beck stimmte, um den Schlaf zu verscheuchen, einen neuen Sang an:

Günstiger Wind, – die Segel gefüllt,
Flaggen von jeder Nation, –
Gülden blinkt Mädchennam' und Gebild
Von Spiegel herab und Gallion.
Und segelt das Schiff um die Erde auch fort,
Der Schiffer hat dennoch sein Liebchen an Bord.
Drum Hurra, ihr Jungens, den Mädchen Hurra,
Welche zu meiden, noch keinem geschah.

Er wiederholte die letzte Strophe und winkte mit dem Glase den Damen zu, die nun etwas müde und zusammengesunken auf der Bank saßen, und über sie hinweg auch Elisabeth, die völlig wach hinter ihnen stand. Der Schein des Feuers fiel auf sein schönes braunes Gesicht, auf das rabenschwarze, lockige Haar und die dunklen Augen, die, wie man sagte, ein Erbteil seiner verstorbenen, aus Brest stammenden Mutter waren. Unleugbar sah er männlich und schmuck aus, wie er so dasaß und mit seiner kraftvollen Lebendigkeit auch die andern aufrecht erhielt.

Nach und nach begann man häufiger nach dem Wetter auszuschauen, das sich schon bedeutend aufhellte, und das erste Frühlicht fand die ganze Gesellschaft wieder im Boot, wo man während der Fahrt sein ruhiges Schläfchen hielt.

Allein vor Elisabeths Gedanken stand noch lange Zeit der schöne Seeoffizier, der beim Feuer gesessen. Stundenlang sah sie ihn vor sich, wie er das Glas erhoben, sie angeblickt und gesungen hatte:

»Drum Hurra, ihr Jungens, den Mädchen Hurra,
Welche zu meiden, noch keinem geschah.«

Von da an fuhr der Marineoffizier häufig auf die Vogeljagd nach Torungen, und zwar am liebsten allein in einem Segelboot; jedoch – dank ihrem unbewußt richtigen Empfinden – gelang es ihm nie, Elisabeth allein zu sprechen.


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