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Drittes Kapitel.

Die Korvette »Der Adler« war gerade von einer Uebungsfahrt im Mittelmeer in Arendal eingelaufen. Nun lag sie im Hafen und erregte Aufsehen durch ihre hohe Takelung, die blanken Messingpfropfen, welche aus den Stückpforten guckten, durch ihr Gewimmel von Matrosen und durch ihre schneidigen Orlogsmanieren Orlogschiff = Kriegsschiff. bis herab zur schrillen Pfeife und den Trommeln, die ab und zu an Bord gerührt wurden.

Gjert hatte Erlaubnis erhalten, mit einem der Lotsen in die Stadt zu gehen und das Kriegsschiff zu besehen, denn die allgemeine Neugier war durch eine Menge Gerüchte, die über dasselbe umliefen und beständig wuchsen, noch höher gespannt worden. Man erzählte sich mit bedeutungsvollem Zwinkern, daß es eine »Tampexpedition« Tamp = Tauende als Züchtigungswerkzeug. gewesen, und es herrschte sowohl unter Gjerts Kameraden als unter dem Volk im Hafen unten ein gewisses Grauen vor dem Fahrzeug. So oft die Pfeife ertönte, nährte man die dunkle Vorstellung, nun bekomme jemand die Katze Die neunschwänzige Katze = ein Züchtigungswerkzeug., und die neugierigen Boote hielten sich lieber ein bißchen in Abstand.

Soviel war an der Geschichte wahr, daß unter der Mannschaft an Bord ein gewisses Mißvergnügen gegen einen der Offiziere herrschte, den man seiner Heftigkeit wegen haßte. Zu seinem Unglück hatte er gerade den Liederdichter der Besatzung die Neunschwänzige fühlen lassen; daher sangen sie beim Gangspill eine Weise, die bald über den ganzen Hafen hin in Baß und Sopran erklang.

Gjert war die ganze Zeit über unermüdlich mit dem Schiff und allem, was dasselbe betraf, beschäftigt gewesen, und als sie im Laufe des nächsten Tages heimsegelten, war er ganz erfüllt von dem, was er gesehen und gehört. Wer auch in solch einer fein und goldig glitzernden Uniform dort an Bord umhergehen könnte! Frederik Beck, mit dem er eine besondre Freundschaft geschlossen, seitdem er ihn in Arendal vor Schlägen gerettet, hatte ihm davon erzählt.

Mittlerweile war eine tüchtige Kühlte aufgesprungen, welche für den Abend alles eher als gutes Wetter prophezeite, und die Schute wendete mit drei Reefen im Segel heim.

Der Lotse war einigemal bei der Fahne gewesen, um nach Gjert auszuschauen, und saß nun zu Hause und heftete eine alte Seekarte zusammen, während der Sohn vom Landungsplatz heraufkam und mit schmetternder Stimme die neue Weise in den Wind hinaus sang:

»Ein Hurra für manche lustige Wacht,
– Hui – ui, so schlag' nur los! –
Für den Rücken, der brannt – in dem heißen Land –
Dort draußen in Engelland!

Nun, Bootsmannsmaat, sag an, mein Schatz,
Ob noch nicht müde ist deine Katz'?
– Hui – ui, so schlag nur los! –
Zwei Dutzend, mein Kind, noch übrig sind –
Dort draußen in Engelland!

Auf des Königs Kanon' kriegt er seine Ration!
– Hui – ui, so schlag nur los! –
Auf der Vormarsspitz' ist der Freiwacht Sitz –
Dort draußen in Engelland!

Ja solchen Seemann findest nit mehr,
– Hui – ui, so schlag nur los! –
Dort draußen, tralla, dort draußen, tralla –
Dort draußen in Engelland!«

Leise pfeifend blieb er im Flur stehen, um die letzte Strophe zu vollenden, und Mann und Frau wechselten einen Blick, als sie den Sohn hörten.

In der Stube war die Mutter eben dabei, die Jause herzurichten. Als Gjert eintrat, war ihm leicht anzusehen, daß er voll merkwürdiger Geschichten steckte und sich dessen bewußt war. Mit raschem Gruß zog er einen Stuhl zum Tisch und setzte sich, obgleich die Mutter noch nicht aufgetragen – er hatte einen Wolfshunger.

»Nun Gjert,« sprach die Mutter, nachdem der Knabe eine Weile gegessen und sich umgesehen hatte, augenscheinlich eine Aufforderung zum Erzählen erwartend: »du warst also an Bord?«

»Nein, ich nicht: aber ich habe Leute gesprochen, die an Bord gewesen sind. Uebrigens sah ich alles,« versicherte er mit selbstbewußtem Kopfnicken, »vom Mars des Schoners ›Antonia‹, der ganz daneben lag – er reichte nicht höher als gerade bis über die Verschanzung –, er hätte die Barkasse der Korvette sein können …«

»… Wenn er ein hübsches Teil kleiner gewesen wäre,« ergänzte trockenen Tones der Lotse, indem er zum Eckschrank ging und die Kartenrolle weglegte.

Gjert begann nun, zur Mutter gewendet, eine Menge Vergleiche zu gunsten der Korvette anzustellen – allein er wurde darin vom Vater unterbrochen: »Was hast du denn vorhin gesungen?«

»Ah … das Lied von der Tampexpedition.«

»So … war denn wirklich etwas daran?« fragte der Lotse mit einem forschenden Blick auf den Sohn, denn er pflegte derlei Gerede nicht zu glauben.

Das Interesse, mit welchem der Lotse sich an den Knaben wendete, schmeichelte Gjerts Selbstgefühl außerordentlich, und er hatte die ganze Zeit vor Verlangen gebrannt, dies zu erzählen; so war es kein Wunder, daß er nun im Tone tiefster Ueberzeugung in die Worte ausbrach: »Ja, das kannst du glauben, Vater! Einige sagen sechs, andre sagen neun; aber daß sie alle zu Tode geprügelt worden und zu den Haifischen im Mittelländischen Meer drunten gefahren sind, das ist so gewiß, wie, ja, wie …« er sah sich voll Eifer nach einem Gegenstande um, bei dem er dies beteuern könnte, und da kein andres schlagendes Bild vor ihm aufstieg, schloß er endlich mit dem etwas matten »als wie der Kuckuck dort auf der Uhr steht!«

Die Mutter mußte sich infolge dieser Erzählung mit dem Teller im Schoße auf die Bank setzen. Sie sah erschrocken vom Sohn zum Mann hinüber, dessen Miene sie aber etwas beruhigte.

»Von wem hast du das, Gjert?« fragte er endlich ganz ernst.

»Von wem ich das habe? Von allen habe ich es!« Doch im richtigen Gefühl, daß dieses »Alle« in seinem ungläubigen Heim für nicht besser als »Keiner« erachtet werden würde, fuhr er fort: »Von Frederik Beck. Er hat selbst mit einem Matrosen gesprochen, der unten im Offiziersgigg Wache hielt, während der Kapitän am Land war, und er erzählte noch ganz andre Sachen.«

»Das scheint freilich ein glaubwürdiger Mann gewesen zu sein!« bemerkte der Lotse mit lustigem Spott. – »Nun, und was erzählte er weiter?«

»Oh, vielerlei!«

»Nun also!«

»Oh, – es war ein Orkan gewesen, so daß sie eine ganze fortgewehte Stadt auf dem Meere treiben sahen; der Pastor stand gerade und predigte den Verunglückten; – und dann waren sie in der Meerenge von Gibraltar so nahe am Land vorbeigekreuzt, daß sie vom Bugspriet aus eine Palme an Bord genommen, auf welcher eine ganze Negerfamilie saß, die man dann später wieder ans Land setzen mußte.«

Gjert würde noch eine »Merkwürdigkeit« ausgekramt haben, wenn ihm die Heiterkeit seiner Eltern nicht aufgefallen wäre. Auch der Taschengucker lachte, weil er sah, daß die andern lachten, und bekam dafür einen vielversprechenden Blick von Gjert, welcher sich gleich in seine Schale zurückzog, indem er sagte: »Ihr glaubt vielleicht nicht, daß es wahr ist?«

»Weißt du, Junge, was man ein Garn spinnen nennt? – Der Bursche unten im Gigg hat ein ganz anständiges geliefert,« sprach der Lotse und setzte sich zu Tisch.

Es herrschte eine lebhafte Stimmung, während sie aßen und die Mutter dann abtrug. Gjert plauderte, die Mutter ging ein und aus, und der Vater saß am Fenster, sah nach dem Wetter und hörte zu. Der Sohn beschrieb wirklich fesselnd genau alles, was er an Bord gesehen, und erzählte von den Marineoffizieren und Kadetten mit einem Feuer, das die Mutter veranlaßte, im Zimmer zu bleiben und zu lauschen, und den Vater, während einer Pause lächelnd zu äußern: »Du hättest wohl Lust, solch' ein Seekadett zu werden, Gjert?«

»Ja,« sagte die Mutter, einen Augenblick von dem blendenden Gedanken verführt, »käme er in die Schule von Arendal, wer weiß, wozu das führte! Der Glöckner sagt ja immer, Gjert habe einen guten Kopf!«

In dieser Aeußerung mußte etwas den Lotsen unangenehm berührt haben; denn sein Gesicht wechselte die Farbe, und er antwortete spitz: »Ich denke, Gjert ist nicht zu gut für seines Vaters Stand, und wir haben es nicht nötig, ihn in den Kreis der großen Herren hinaufzubetteln.«

Gjerts allzu gute Laune war inzwischen durch die Vorstellungen einer uniformierten Zukunft noch lebhafter geworden, und ohne sich durch den veränderten Ton des Vaters warnen zu lassen, rief er aus: »Die Mutter sagte doch neulich, als solcher würde ich mich ganz anders ausnehmen als wie ein einfacher Seemann.«

Es war, als hätten diese Worte Feuer in einen Pulverturm geworfen. Ein wildes Leuchten fuhr über die harten Züge des Lotsen, und er warf seiner Frau einen Blick voll unsäglich kalten Hohnes zu. Derselbe drückte aus, daß er nur allzu gut durchschaue, was dieser Rede zu Grunde liege.

Mit finsterer Miene wandte er sich um und sagte mit so schneidender Stimme, daß die Frau zusammenfuhr: »Verachtest auch du deines Vaters Stellung, Junge?«

Als nun Gjert in seiner Aufregung unglücklicherweise mit einem: »Frederik Beck wird Seekadett« – hervorplatzte, folgte nur ein: »Komm her, Gjert!«

Und damit setzte es eine tüchtige Ohrfeige, so daß Gjert in die Stube hineintaumelte. Als er zu einem zweiten Schlag ausholte, sah der Lotse zufällig zu seiner Frau auf. Sie war ein paar Schritte vorgesprungen, als wolle sie ihm den Knaben entreißen, und stand nun, blutrot im Gesichte, mit blitzenden Augen in einer Haltung da, die ihn zwang, die Hand sinken zu lassen. Sie ging darauf gleich in die Küche.

Einen Augenblick stand der Lotse im Zweifel da. Dann öffnete er die Küchenthür und rief kurz und scharf hinein, daß er mit Gjert noch am selbigen Abend in See steche; sie möge den Proviant in stand setzen.

Als die Frau kurze Zeit darauf mit dem Bierkruge und anderm, was sie mitnehmen sollten, hereintrat, war an ihr keine Spur der früheren Bewegung zu sehen; ihr Antlitz war bleich und von steinerner Ruhe, und in ihrem Betragen gegen ihn lag etwas nahezu Demütiges. In harten Stößen fuhr der Sturm an die verdunkelten Glasscheiben, während sie umherging und ihre Vorbereitungen traf.

Doch als Gjert und sie einen Moment allein in der Stube waren, drückte sie den Knaben heftig an sich und flüsterte mit unterdrücktem Schluchzen: »Laß deinen Vater nie sehen, daß du Furcht hast, mein Junge!«

Mann und Frau hatten sich an der Thür lebewohl gesagt, aber sie folgte ihnen unbemerkt im Dunkeln bis zum Landungsplatz und saß nachher lange mit dem Taschengucker auf dem Schoß und weinte.

Es war düsteres Unwetter, sowohl in des Lotsen Brust, wie um ihn herum, als er diesen Abend in See stach.


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