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Neunundzwanzigstes Kapitel.
Von Herrn von Miguracs Aufführung bei seiner Rückkehr nach der Hauptstadt und was für Erfolge er dabei hatte

Herr von Migurac war kaum in Paris gelandet, als er sich überzeugen mußte, daß die lachende, höfliche Stadt, in der er zwanzig Jahre seines Lebens verweilt hatte, wenig gemein hatte mit der aufgewühlten Stadt, die jetzt von unbekannten Fiebern und Kräften durchtost war.

Anstatt eines liebenswürdigen, neugierigen und geschwätzigen Volkes, anstatt der prunkvollen Kutschen, der Sänften, der artigen Fräuleins und galanten Offiziere wirbelte eine wilde und wirre, unaufhaltsame Menschenmenge durch die Straßen. Lärmender Pöbel belagerte die Türen der Nationalversammlung, der Klubs und der Zeitungsbureaus, drängte und quetschte sich trotz Wind und Wetter um die Tribünen, auf denen sich die Freiwilligen anwerben ließen, und brüllte die Redner, die an den Straßenecken auf Tische stiegen, um sie anzusprechen, rasend nieder oder überschüttete sie mit Beifall. Stürme der Begeisterung, des Entsetzens oder der Wut wurden unversehens entfesselt. Abscheulichkeiten und Heldentaten schwebten in der Luft. An einem einzigen Tage zitterten tausend entgegengesetzte Eindrücke durch Herrn von Miguracs leicht erregbare Seele. Bald dachte er daran, zur Flinte zu greifen und an die Grenze zu eilen, bald wollte er die Gefangenen befreien, die in die Kerker gepfercht waren und eines künftigen Blutbades harrten. Von Haß und Liebe, Schrecken und Hoffnung trunken, schwankte die Nation zwischen Hölle und Himmel. Und eine dunkle, furchtbare Macht schleppte sie zu geheimnisvollen Schicksalen, die vielleicht ruhmreich, oder auch, wer weiß, blutig und unsühnbar waren.

In diesem allgemeinen Fieberwahn beschloß Herr von Migurac zu handeln und seine Landsleute nach dem Licht zu führen. Da er mit klarem Geiste die schreckliche Verwirrung überschaute, in der sich die besten Geister verloren, so erschien es ihm handgreiflich, daß unter so vielen sich widerstreitenden Pflichten vor allem zwei wären, die sich dem öffentlichen Gewissen aufdrängten: der Kampf gegen die Fremden und die Aussöhnung der Bürger.

Deshalb arbeitete er unter dem Titel »Aufruf des Naturmenschen an die Franzosen« ein Werkchen aus, in das er seine ganze Seele legte und worin er, in Erinnerung an seine der Menschheit geleisteten Dienste, eine allgemeine Amnestie vorschlug, die Freilassung der Gefangenen jeder Art und eine Annäherung aller Parteien. Der König selbst sollte aus dem Temple geführt werden und an der Spitze von ganz Frankreich gegen den Eindringling marschieren.

Nicht ohne Mühe setzte der Marquis es durch, daß ein Buchhändler, der mit seinen erotischen Erzählungen einst sein Glück gemacht hatte, sich bereitfand, diese Broschüre zu drucken und an alle Abgeordneten und einige einflußreiche Personen zu verteilen. Keine Zeitung tat ihrer Erwähnung, keine Rede schöpfte Begeisterung aus ihr, und kaum zehn Exemplare wurden verkauft.

Aber unentmutigt opferte Herr von Migurac alles, was er noch an Geld und Kredit besaß, um drei oder vier Schriftchen derselben Gattung drucken und verbreiten zu lassen: »Mahnung an die Nationalversammlung«, »Ansicht eines Philosophen über die dem König gebührende Milde«, »Volk, o höre auf Kassandra!« und so weiter. Er gab sie selbst bei den Ministern und den Mitgliedern der Komitees ab. Aber er fand kein Entgegenkommen, sondern ausweichende Worte und ironische oder grobe Abweisungen. Zwei- oder dreimal wäre er fast als verdächtig eingekerkert worden.

Indessen überstürzten sich die Ereignisse. Während der gegenseitige Haß in der Nationalversammlung immer wütender wurde, die verbündeten Heere sich vergrößerten und Europa seine Stimme erhob, wurde als Antwort die Verurteilung des Königs beschlossen. Ohnmächtig und verzweifelt, glaubte Herr von Migurac dem Wahnsinn zur Beute zu fallen; die geliebten Zauberworte hatten mit einemmal einen grausigen, blutdürstigen Sinn bekommen. Im Namen der Freiheit und Gerechtigkeit forderten niederträchtige Zeitungsschreiber jeden Morgen, daß man einem König, der doch ein Mensch war, den Kopf abschlüge.

Als Herr von Migurac an einem kalten Dezemberabend, vor Kälte zitternd und trübe gestimmt durch die Straßen irrte, sah er ein Stück Papier auf der Erde liegen. Er hob es auf. Es war eine Eintrittskarte für den berühmten Klub der Jakobiner. Auf der Tagesordnung stand die Beratung »Ueber die von Louis Capet verdiente Strafe«. Herr von Migurac hatte, um sich zu erwärmen, schon mehr als einer öffentlichen Versammlung beigewohnt. Er schleppte sich also nach dem alten Kloster und drang in den mit dreifarbigen Fahnen, Piken und roten Mützen geschmückten Saal.

Eine buntscheckige, fieberhafte Menge, in der Fäuste und Stöcke wirr durcheinanderfuchtelten, wimmelte in dem weiten Raum. Ein Getöse von Gesprächen, Geschrei und Flüchen übertönte den Redefluß des Vortragenden trotz der verzweifelten Mahnungen der Glocke. Erst als der Präsident, ein dicker Kerl mit dem Gesicht eines Schlächters, den Saal räumen zu lassen drohte, ließ das Gebrüll nach, und man konnte hören, wie der Redner, ein buckliger, einäugiger Zwerg, verlangte, daß man mit Capets Zottelkopf, wenn er erst einmal abgeschlagen wäre, eine Kanone lüde und ihn ins Lager der Oesterreicher schösse; denn dort wäre sein eigentlicher Platz. Dieser Antrag wurde von Bravorufen begrüßt, die sich noch verdoppelten, als eine betrunkene Frau mit einer Säuferstimme vorschlug, mit dem Kopf der Königin dasselbe zu tun, bis die aller Aristokraten an die Reihe kämen. Ein solcher Kartätschenhagel würde für die Despoten die beste Lehre sein. Herr von Migurac schloß die Augen. Er sah eine schöne, junge Frau in Perkalkleid und Strohhut, die ihm liebe Worte gesagt hatte und deren königliche Hand er geküßt hatte.

Aber er zitterte, als plötzlich der Präsident ankündigte, daß der wackere Patriot Mottet beweisen würde, daß schon der bloße Titel König, unabhängig von irgendeinem Vergehen, allen Menschen das Recht gäbe, den umzubringen, der ihn sich anmaßte. Herr von Migurac beugte sich vor und erkannte auf der Tribüne den ehemaligen Gast des »Grauen Kakadu«, der magerer, galliger und gelber aussah denn je. Mit süßlicher Betonung und schlangenhaften Windungen sich bald über die vor ihm aufgehäuften Schreibereien beugend, bald die langen, affenartigen Arme zum Himmel hebend, stellte Herr Mottet die Schändlichkeit des Königtums und die ruchlose Anmaßung jedes Menschen bloß, der willens ist, seinesgleichen zu unterjochen. Ein Murren des Hasses gab seinen Verwünschungen Nachdruck. Dann schlug er einen andern Ton an und erinnerte daran, daß von den Helfershelfern der Tyrannei selbst die ersten rächenden und befreienden Worte ausgegangen wären. Er zitierte die Ansichten der Doktoren des Mittelalters und die Predigten der Anhänger der heiligen Liga über den Tyrannenmord. Aber vom sechzehnten Jahrhundert an hätten edle Denker dasselbe Vorrecht im Namen der Menschenwürde in Anspruch genommen: sie laut verkündet zu haben, würde der Ruhm des jetzigen Jahrhunderts sein. Und seine Fistelstimme erhebend und seine kleinen, grünen Augen rollend, schrie Herr Mottet:

»O du, der durch die Großmut deines Herzens den widerlichen Aristokratentitel Lügen strafte, der deine Abstammung verdunkelte, du treuer Gefährte meiner Jugend, dich empörten immer Ungleichheit und Selbstsucht. Du folgtest der aus unsern Städten vertriebenen Tugend in die Wüsten. Unvergleichlicher Mensch, Philosoph, Dichter, Redner! Du, dessen ganzes Leben eine Herausforderung der Vorurteile und des Aberglaubens war, ein Hymnus an Vernunft und Tugend – von woher du auch diese Laute hören magst, mein Bruder, empfange hier die Huldigungen der Freunde der Freiheit, die das Recht haben, sich als deine Jünger zu erklären. Hört, Bürger, was in seinem erhabenen Buche »Der Wahnsinn des entlarvten Heliogabalus« der glorreiche Marquis von Migurac, der wahre Apostel des Sansculottismus sagt …«

Und mit seiner durchdringenden Stimme verlas der Redner begeistert Tiraden, die Herr von Migurac mit Schrecken erkannte. Sie schienen ihm anders zu sein, als er sie geschrieben hatte, und es waren gleichwohl dieselben, doch im Munde dieses Elenden verderblich, mörderisch, grauenvoll …

Etwas Unwiderstehliches riß ihn hin, auf seine Bank zu steigen und zu schreien:

»Schweig, Judas, schweig! Und höre auf, in abscheulichem Sophismus das Wort eines Philosophen mit dem Beil des Henkers zu verwechseln!«

Herr von Migurac stieg über die Schranken, schleuderte zwei oder drei Männer, die ihn festhalten wollten, zu Boden und schwang sich auf die Tribüne, von wo Herr Mottet bei seinem Anblick schleunigst entfloh. Seine Stimme übertönte donnernd das Geschrei des Pöbels.

»Weigert ihr euch, den Marquis von Migurac selbst anzuhören, der euch in sein Gewissen blicken lassen will?«

Der Tumult endete in erstauntem Gemurmel. Die Neugierde war stärker als das Fieber des Argwohns. Es war verhältnismäßig ruhig, während Herrn von Migurac die Worte seiner Seele über die Lippen sprudelten.

Er begann damit, das Königtum zu brandmarken, das sich in verabscheuenswürdiger Weise der Menschenrechte bemächtigt und die entsetzlichsten Mißbräuche erzeugt habe. Beifall begrüßte diese Verwünschungen. Und er fuhr fort, die berechtigte Entrüstung des Volkes möge mit dieser schändlichen Einrichtung reinen Tisch machen – nichts könnte bewunderungswürdiger sein. Doch in ihrem jetzigen Repräsentanten möge man unterscheiden zwischen dem König, der auf jeden Fall schuldig, und dem Menschen, der vielleicht unschuldig sei. Keine Züchtigung könnte für ersteren streng genug sein; der zweite verdiente Mitleid und Brüderlichkeit. Dem Murren der gereizten Menge trotzend, warnte Herr von Migurac dringend:

»Hütet euch, die Tugend mit dem Zorn und die Gerechtigkeit mit der Rache zu verwechseln! Der König von Frankreich ist strafbar, aber Louis Capet, das bezeuge ich, hat ein reines Herz. Möge das Beil des Henkers ihm die Krone abschlagen und sie vor den Augen der erschreckten Monarchen zerbrechen, das ist der Urteilsspruch eines freien Volkes. Krümmt es aber ein einziges Haar auf seinem Haupte, so ist die Freiheit geschändet!«

Wutgeheul scholl von allen Seiten zu ihm empor. Dolche, Säbel und Piken bedrohten den Aristokraten, den Verräter, den Söldling Pitts. Unbeugsam und unbekümmert um die Anstrengungen des Präsidenten, der ihm das Wort entziehen wollte, fuhr Herr von Migurac, an die Schranken geklammert, fort:

»Dem Philosophen kommt die Aufgabe zu, die Laster heftig zu brandmarken, dem Politiker, sie mit Sanftmut auszurotten. Wer immer sich anmaßt, die Tugend mit dem Schwert einzuführen, ist der Feind der Tugend.«

Bei dem Raubtiergebrüll, das nun folgte, hatte der Präsident sich bedeckt. Ein Dutzend Rasende, Schaum vorm Munde und die Augen blutig gerötet, stürzten sich auf Herrn von Migurac und versuchten ihn von der Tribüne herunterzuzerren. Doch es war, als wären seine Arme mit Wunderkraft an die hölzerne Schranke geschmiedet, und er weissagte in prophetischem Ton:

»Bürger, die euch zum Morde aufreizen, sind weder Patrioten noch Politiker. Es sind Schmeichler des Volkes, und sie werden seine Mörder werden. Die Bürgertugenden gehören nicht zu den Pflanzen, die sich von Blut nähren. Sie blühen nur in reinen Herzen und sterben am Fieber der Leidenschaften. Enthauptet Louis, und ihr werdet dem königlichen Märtyrer die Strahlenkrone aufsetzen, die ihr der Freiheit entrissen habt!«

Es gab einen unheilvollen Krach. Da die Rasenden es aufgegeben hatten, Herrn von Migurac von der Rampe loszureißen, an die er wunderbar geklammert blieb, hatten sie dieselbe von der Tribüne losgebrochen. Und jetzt schleppten sie ihn mit Faustschlägen, Fußtritten und Stockhieben, unter dem wahnsinnigen Gebelfer der Tricoteusen und Sansculotten durch den Saal, über die Treppe und den Gang. Er blutete, und seine Glieder waren halb zerschlagen, aber er hörte nicht auf, zornig zu schreien:

»Nieder mit dem Königtum! Mitleid für den Menschen Louis. Es lebe die Republik! Es lebe die Tugend! Es lebe die Gnade!«

Erst ein gehöriger Hieb mit dem Knüttel ins Genick streckte ihn zu Boden und schloß ihm den Mund.

Herr von Migurac kam nach ziemlich langer Zeit wieder zum Bewußtsein. Er fand sich auf der Straße sitzend, mit den Füßen im Rinnstein und den Hintern im Schnee. Bei dem Schein einer Straßenlaterne, die über seinem Kopf schaukelte, erkannte er, daß er mit Blut überströmt war und auch, daß ein graugekleideter Mann mit einem über die Augen gezogenen Filzhut neben ihm kniete und ihm die Lippen mit ein wenig Eis befeuchtete. Er reichte ihm die Hand.

»Unbekannter Freund,« sagte er, »ohne Zweifel schulde ich Ihnen mein Leben. Obwohl die Gegenwart wenig Wert hat, lassen Sie mich Ihnen doch dafür danken.«

»Mein Herr,« entgegnete der Fremde, »ich habe Ihnen vorhin unter diesen Banditen zugehört. Trotz der großen Einfalt und der beklagenswerten Irrtümer, die Ihre Reden enthielten, konnte ich Sie doch nicht totschlagen sehen, ohne daß es mich drängte, Ihnen zu Hilfe zu kommen.«

»Was Sie auch veranlaßt haben mag,« sagte Herr von Migurac, »ich bin Ihnen verpflichtet und möchte Gelegenheit haben. Ihnen meine Dankbarkeit zu bezeigen.«

Der Unbekannte sah ihn einige Sekunden unschlüssig an und sagte dann in plötzlichem Entschluß:

»Mein Herr, vielleicht haben Sie diese Gelegenheit. Die Zuversicht, die ich in den Adel Ihrer Seele setze, veranlaßt mich, Ihnen ein Geheimnis anzuvertrauen. Es bildet sich eine Verschwörung zur Befreiung des Königs. Wollen Sie sich anschließen? Ein Mann Ihres Charakters würde zur Stunde, wo das beste Blut Frankreichs schmählich über die Grenze geflüchtet ist, ein wertvoller Zuwachs sein. Wenn Sie den König retten, werden viele Gottes Segen auf Sie herabwünschen, und Sie werden all das Böse wieder gut machen, was Ihre Schriften haben anrichten können.«

Herr von Migurac antwortete in zugleich ernstem und stolzem Ton:

»Mein Herr, ich nehme keine Zeile meiner Werke zurück. Einzig die Verehrung für die Tugend hat sie diktiert. Wer etwas andres darin sieht, ist von Leidenschaft oder Dummheit verblendet. Und ich bleibe dabei, daß der König schuldig ist. Aber die Liebe, die ich für die Freiheit hege, macht es mir unerträglich, sie mit einem Mord besudelt zu sehen, und meine Liebe zur Menschheit treibt mich, das Schicksal einer Familie, die durch ihre Verdienste und die Großartigkeit ihres Falles interessant ist, zu beklagen. Deshalb, weil ich die Republik vergöttere, werde ich Ihnen beistehen, den Menschen Louis zu retten.«

Der Unbekannte fing an zu lachen, und nachdem er Herrn von Migurac wieder auf die Beine geholfen hatte, sagte er zu ihm:

»Meiner Treu, mein Herr, obwohl Ihre Gründe seltsam sind, nehme ich doch Ihr Anerbieten an und glaube nicht, jemals einem besseren Manne die Hand gedrückt zu haben.«

So kam es, daß Herr von Migurac, dessen Leben der Aufgabe geweiht war, allen Vorurteilen und besonders dem Königtum den Krieg zu erklären, für ein Komplott geworben wurde, dessen Zweck war, dem König zur Flucht zu verhelfen.

Von diesem Augenblick an schien er die ganze Zuversicht und die Festigkeit des Geistes, die ihn in den schönsten Tagen seiner Jugend ausgezeichnet hatte, wiedergefunden zu haben, als ob die getroffene Entscheidung die Wolke der Angst zerstreut hätte, die von neuem auf ihm lastete, seit er, nach Paris zurückgekehrt, seine Ohnmacht hatte erkennen müssen. In den Versammlungen, die die Verschworenen hielten, zeigte keiner einen kühneren und erfinderischeren Geist als unser Held, so gealtert und entkräftet er war. Unter seinen Mitverschworenen erregte er Staunen durch die gewagten und scharfsinnigen Vorschläge, wie man die Wächter des Temple bestechen, Zutritt zum Gefängnis erlangen und den königlichen Gefangenen mit seiner Familie entweichen lassen sollte. Wie zwei unter ihnen, die Herren von Creugny und von Boismartel, die ihre Memoiren schrieben, bemerkt haben, ist es sehr wohl möglich, daß Louis XVI. der Hinrichtung entgangen wäre, wenn man seine Vorschläge angenommen hätte. Aber sein Leben war zu ungewöhnlich gewesen, und die Feindseligkeit, die er bei jeder Gelegenheit gegen das Königtum und die frühere Ordnung der Dinge zur Schau trug, ließ seine Ansicht weniger durchdringen, als wenn sie aus dem Munde eines andern gekommen wäre. Und die Wochen gingen damit hin, daß man über Pläne hin und her stritt und sie einen um den andern aufgab. So kam der Tag denn, an dem die Verurteilung Louis' XVI. veröffentlicht wurde, ohne daß irgend etwas zu seiner Rettung geschehen wäre.

An jenem Abend versammelten sich die Verschworenen wie gewöhnlich. In der Niedergeschlagenheit, die auf allen lastete, empfanden sie die Schande, die Zeit mit fruchtlosen Verhandlungen versäumt zu haben, noch herber, und eine gegenseitige Erbitterung reizte sie gegeneinander auf. Und während man sich überflüssige Anschuldigungen und unnütze Vorwürfe an den Kopf warf, nahm Herr von Migurac das Wort:

»Meine Herren, was auch geschehen ist, die Vergangenheit ist tot, und unsre Aufgabe ist es, für die Zukunft zu rüsten, die sich für uns auf morgen beschränkt, denn morgen wird einem Unschuldigen ein schmachvoller Tod bereitet. Deshalb meine ich, daß wir in dieser Stunde nur ein Ziel im Auge haben müssen, welches ist: das Mittel zu finden, um zu handeln, ehe morgen die zehnte Stunde schlägt. Mein Vorschlag ist dieser …«

Und sofort erklärte er, wie leicht es sein würde, an einem bestimmten Orte den verhängnisvollen Wagen anzugreifen und den Monarchen zu entführen. Während vier der Verschworenen es übernehmen sollten, ihn zu verbergen oder auf der Stelle mit ihm zu entfliehen, sollten die andern, um Zeit zu gewinnen, den Häschern Widerstand leisten und sich niedermetzeln lassen.

Dieser Wahnsinn rief nur Lächeln und Achselzucken hervor. Alle die jungen Männer waren in der Geringschätzung dieses Graukopfs mit den phantastischen Einfällen einig, und Herr von Clunet drückte die allgemeine Ansicht aus, wenn er sagte, daß es hieße, ihre Pflicht gegen die königliche Familie verletzen, wenn sie ihr Leben bei einem so verzweifelten Handstreich opferten. Auch nach der Enthauptung des Königs würde das Königtum fortbestehen. Sie würden zeigen, daß sie von höherem Geiste beseelt wären, indem sie ihr Leben für den Dienst des Königtums erhielten, anstatt sich in ein ganz wahnsinniges Unternehmen zu stürzen.

Herr von Migurac hörte diese Rede ohne Widerspruch an, obwohl er sich mehrmals auf die Lippen gebissen hatte, um nicht loszubrechen. Dann erhob er sich von seinem Schemel und sagte:

»Meine Herren, der einzige Anlaß, der mich mit Ihnen verbunden hat, war der gemeinsame Wunsch, den unschuldigen Menschen zu retten, den Sie König nennen. Von dem Augenblick, wo Sie diese Absicht aufgeben, erachte ich unsre Verbindung für gelöst. Da ich nicht dieselben Gründe habe, mein Blut für das Königtum, das ich verabscheue, zu schonen, so nehme ich wieder das Recht in Anspruch, meinen Grundsätzen gemäß zu handeln. Ich sehe mich also gezwungen, mich von Ihnen zu verabschieden und spreche Ihnen meine Wünsche für Ihr Wohlergehen aus.«

Damit grüßte er die Versammlung und ging. Die Macht seiner Rede war so groß, daß alle davon ergriffen waren, und ein allgemeines mißbilligendes Murren unterbrach Herrn von Clunet, als er vorschlug, Herrn von Migurac jemand nachzusenden, um sich zu überzeugen, daß er nicht daran dächte, seine Gefährten, nachdem er sie im Stich gelassen, zu verraten. Schon nach vierundzwanzig Stunden tat Herr von Clunet dafür Abbitte. Denn unter den Zeitungen, die am 21. Januar 1791 die näheren Umstände der Hinrichtung des Tyrannen berichteten, verschwieg keine eine unerwartete Tat, deren Schauplatz die Ecke der Rue du Faubourg St. Honoré und der Rue Royale war.

Im Augenblick, als die Kutsche, die den König trug, nach links abbog, fiel plötzlich ein unbewaffneter Mann den Pferden in die Zügel, stieß die eskortierenden Soldaten zur Seite und beschwor das Volk von Paris mit leidenschaftlichen Rufen, das Unrecht, das da vor sich gehen sollte, nicht zu dulden. Die Lesarten der Zeitungen über seine Worte und ihren Erfolg waren verschieden. Die einen behaupteten, daß sie auf die Menge Eindruck gemacht und daß es ein angstvoller Augenblick gewesen wäre, während die andern versicherten, daß sie im Lärm verhallten. Einige gaben vor, in diesem Individuum einen Verschwörer zu sehen, andre hielten ihn einfach für einen Narren. Alle stimmten darin überein, daß er sofort festgenommen, mit vielen Püffen nach der Conciergerie gebracht und unter dem Namen Louis Lycurgue, ehemaliger Marquis von Migurac, ins Gefangenenregister eingetragen wäre. »Eine Persönlichkeit,« sagte der »Père Duchesne«, »die früher in den Boudoirs der Kurtisanen und den Empfangssälen der Generalpächter berühmt war.«


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