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Einundzwanzigstes Kapitel.
Von den Abendgesellschaften des Herrn von Migurac

In Anbetracht dessen, daß es eine der unbestreitbarsten Pflichten der Reichen ist, andern zu essen zu geben, hielt Herr von Migurac darauf, sich ihrer verschwenderisch zu entledigen, einmal, damit die Privilegierten, die an seinen Festen teilnahmen, einsähen, daß die Philosophie ihm nichts von seinem Geschmack geraubt hatte, und außerdem, damit die schlechtgefüllten Mägen imstande wären, sich für mehrere Tage an kräftiger Nahrung satt zu essen. Doch um nicht den gemeinen Akt des Essens zum Hauptzweck seiner Gesellschaften zu machen, veredelte er sie durch Zwischenspiele.

Von Beginn bis zu Ende der Feste bezauberte eine unsichtbare Musik von mehreren Orchestern die Ohren. Er selbst bestimmte die Wahl und Reihenfolge der Stücke sowie den Platz der Musiker, damit alles im Einklang mit der Speisenfolge stand. Mittels mächtiger Blasebälge, die an den vier Ecken des Saales aufgestellt waren, ließ er in regelmäßigen Zwischenräumen duftende Dämpfe verschiedener Art aussprühen, um den groben Geruch der Fleischspeisen zu vertreiben und die Geister zu erhabenen Gedanken zu stimmen. Endlich wurden die Augen durch verschiedenartige Schauspiele unverhofft ergötzt; dies geschah vermittelst einer Zwischenwand, die sich hob und eine Bühne öffnete. Dort wurden Tänze historischen Charakters oder allegorische Balletts gegeben, von Herrn von Migurac selbst zusammengestellt.

Doch der eigentliche Glanz seiner Feste lag darin, daß er an einem jeden einen philosophischen Grundsatz oder eine bestimmte Tugend feierte.

Beim Festmahl der Reinheit wurden die Gäste nicht anders als weiß gekleidet zugelassen. Der ganze Saal war mit weißer Seide ausgeschlagen und die Sessel mit weißem Samt überzogen. Auf der Tafel, von der alles Silber entfernt war, prangten in verschwenderischer Fülle weißer Flieder, Orangenblüten, Lilien und weiße Rosen. Gedecke von Elfenbein lagen neben Porzellantellern. Weißgekleidete Lakaien reichten Schüsseln herum, auf denen alle Sorten von Speisen gleich weiß waren. Sie bestanden aus Hühnersuppe, abgezogenen Schollen und Butten, Pürees mit Sahne, Reis, Kalbslendenbraten, Geflügel in Gelee, Sorbets von Schnee u. s. w. Auf der Tafel befand sich kein Getränk außer Milch, dem ältesten Nektar der Unschuld, und einigen sehr hellen Rhein- und Sauterneweinen. Zur Unterhaltung sangen Chöre, zuerst von ganz kleinen Kindern, die kindliche Spiele darstellten, dann von Jungfrauen in langen linnenen Gewändern und schließlich von Engeln mit Schwanenflügeln, die kaum von durchsichtiger Gaze verschleiert waren und die reinen Wonnen des himmlischen Lebens symbolisch darstellten.

Im Gegensatz dazu gab Herr von Migurac ebenfalls ein Fest zu Ehren der Wollust. Auf die schüchternen Einwendungen des Herrn Joineau antwortete er mit Festigkeit, daß der Mensch kein reiner Geist sei und darum klug täte, wenn er bisweilen seinen Sinnen opferte, und daß die Sinnenlust übrigens der Vermittler wäre, dessen die Natur benötigt, um ihre Zwecke zu erreichen. Er ließ also die Wände des Saales mit einer Fülle schlüpfriger Szenen bemalen, die er den Gesprächen des Aretin oder dem »Satyrikon« des Petronius entlehnte. Die Porzellanschüsseln und das Silberzeug sowie die verschiedenen Gefäße, die das Tischtuch bedeckten, das Brot und der Tafelschmuck hatten die obszönen Formen der in gewissen antiken Ruinen gefundenen Gegenstände. Hinter den Stühlen der Gäste standen als Bedienung junge Schönheiten, die man unter den berühmtesten Sünderinnen von Paris ausgewählt hatte. Brust und Arme waren nackend, und der kurze Rock ließ das Bein sehen. Während die Ventilatoren sinnenreizende Düfte in den Saal stäubten, folgten sich die Speisen, die am meisten geeignet waren, die Sinnenglut zu erregen: Fische mit allen möglichen Gewürzen, Hummern, Schwarzwild, heiße Weine und gepfefferte Saucen. Schmachtende Musik erfüllte die erhitzten Ohren der Gäste mit orientalischer Wollust, während vor ihren Augen lebendige Bilder dargestellt wurden, die die berühmtesten Szenen des Liebeslebens vorführten: so die Abenteuer von Jupiter und Leda, Venus und Mars, Ruth und Boas, Julie und Saint-Preux, und die Galanterien der damaligen Zeit, wie sie die Zeitungsschreiber aus den Boudoirs erzählten. Die Kostüme waren mit peinlicher Genauigkeit wiedergegeben, so daß die Personen, die nackt sein mußten, es tatsächlich waren. Der Eindruck dieses Schauspiels war so mächtig, daß das Fest, nach dem Zeugnis des Herrn Joineau, der es seinem heiligen Stande schuldig zu sein glaubte, die Tafel nach dem vierten Gange zu verlassen, mit einer des Heliogabal würdigen Orgie endigte. Unsre Sittsamkeit gebietet uns, einen Schleier darüber zu werfen. Sehr wahrscheinlich hätte Herr von Migurac sich deswegen vor Gericht verantworten müssen, wenn er nicht Sorge getragen hätte, den Kriminalleutnant in Person und eine der Maitressen des Erzbischofs von Laon unter seinen Gästen zu haben.

Aber von allen Festen, die er gab, war das der Gleichheit zweifellos das berühmteste. Anfangs hatte Herr von Migurac die Standespersonen und die gewöhnlichen Leute getrennt bewirtet, aber danach ließ er es sich angelegen sein, sie zu vereinigen, und gefiel sich darin, eine Herzogin neben einen Wasser- oder Laternenträger und einen Prinzen von Geblüt neben eine Modistin zu setzen. Der Reiz dieser Begegnungen, die zuerst ein wenig Verlegenheit hervorriefen, übte bald eine besondere Anziehungskraft aus: mehr als ein großer Herr war sehr zufrieden, sich so ohne Vermittler mit irgendeinem kleinen Mädchen verständigen zu können, ebenso wie manche vornehme Dame sehr erfreut war, die Beine eines Operntänzers dicht zu streifen.

Befriedigt von diesen Erfolgen, aber begierig, auf diesem Wege noch weiter zu gehen, lud Herr von Migurac eines Abends die erlesenste Gesellschaft ein. Der Prinz und die Prinzessin von Cressange, Herr Thomas von der Akademie, die Damen von Berck und von Vergne nahmen mit mehreren andern an seinem Tisch Platz. Ihr Erstaunen war nicht gering, als sie entdeckten, daß leere Sessel mit den ihnen angewiesenen abwechselten, und als sie statt der gewöhnlichen Fülle von Blumen, Silber und Kristall nur Schwarzbrot, eine dünne erbärmliche Suppe und klares Wasser entdeckten. Unter allgemeinem Erstaunen erhob sich Herr von Migurac und begann eine hochherzige Rede, worin er seine Gäste an den schrecklichen Abstand gemahnte, den die Schicksalslaunen zwischen den zur Gleichheit geborenen Menschen geschaffen haben. Ohne die beharrliche Arbeit ihrer Brüder hätten selbst die Reichen Entbehrungen zu erdulden und müßten sich mit Schwarzbrot nähren, wie sie es vor sich sähen.

»Meine Brüder,« schloß er, »ich wollte die Ungerechtigkeit des Schicksals wenigstens für einen Abend wieder gut gemacht sehen und eure Herzen durch das Schauspiel der wiederhergestellten Gleichheit erfreuen.«

Auf ein Zeichen öffneten sich die Türen, und ein Haufe von Männern und Frauen aus dem Volke trat ein, in ihrem Arbeitsanzug oder in Lumpen gekleidet, und setzten sich auf die leeren Stühle, so daß die Prinzessin von Cressange zwischen einem Abtrittsreinigergehilfen und dem Invaliden vom Pont des Arts und Madame Mercuit, eine Wasserverkäuferin, zwischen dem Prinzen und Herrn Thomas saß.

Da diese unerwartete Zusammenstellung die Gesellschaft etwas in Verlegenheit brachte, nahm Herr von Migurac seine Rede mit noch mehr Wärme wieder auf und beschwor den Abbé, zu bestätigen, daß die Kirche dieselbe Lehre verträte. Nachdem er die Frömmigkeit und natürliche Vernunft eines jeden angerufen hatte, verneigte er sich auf die galanteste Weise von der Welt gegen seine Nachbarin, die Kastanien verkaufte, küßte sie auf die Wangen und forderte seine Gäste auf, es ebenso bei den ihrigen zu machen.

Von dem Augenblick an, wo die Gäste aus dem Volke eingetreten waren, machten edle Weine und leckere Speisen die Runde, und obwohl einige Prüde den Mund verzogen, küßte man sich doch mit ziemlich guter Manier, und allgemeiner Beifall begrüßte beim Nachtisch die Aufforderung des Marquis, auf das Wohl der Menschheit zu trinken.

Er selbst eröffnete den Ball, indem er der Maronenverkäuferin die Hand reichte. In diesem Augenblick war jeder Zwang geschwunden, und mehr als die Beredsamkeit hatte der Wein die Menschen an ihre ursprüngliche Gleichheit erinnert. Herr von Migurac fiel vor Freude fast in Ohnmacht. Mit feuchten Augen und atemlos sah er eine Parlamentspräsidentin und einen Lümmel von Schornsteinfeger einem Parlamentsrat und einem Heringsweib im Takt gegenübertanzen.

Doch plötzlich störte ein schreckliches Geschrei das Fest und bewies deutlich, daß die Aristokratie der Plebs sehr überlegen war, wenigstens was die Fähigkeit, den Wein zu vertragen, betraf. Im Champagnerrausch hatte Maître Charlot, ein Schneidergeselle, ganz vergessen, daß seine wiedergewonnene Gleichheit ihn nur dazu berechtigte, mit Madame von Cressange zu tanzen. Er wollte seine Vorrechte noch weiter ausdehnen, und zwar auf eine Art, die wir füglich nicht näher beschreiben wollen. Darauf stieß die Dame ein gellendes Geschrei aus, das möglicherweise nicht im Verhältnis zur Gefahr stand, der sie ausgesetzt war, und der Prinz zog vom Leder, um den Tölpel zu durchbohren. Doch wurde er unverzüglich von einem Lastträger halb totgeschlagen, worauf eine allgemeine Schlacht losbrach. Schemel, Armleuchter, Stühle, kostbare Vasen und Gegenstände jeder Art flogen durch den Saal, der in ein blutiges Schlachtfeld verwandelt war, während Herr von Migurac die Püffe beider Parteien einsteckte und sich vergebens bemühte, ihnen die Brüderlichkeit wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Glücklicherweise war Herr Joineau klüger gewesen. Nachdem er zwei Teller und eine Schale mit Eingemachtem an den Kopf bekommen hatte, ließ er die Gendarmerie holen, die sehr zur rechten Zeit kam, um die Kämpfenden zu trennen. Die Edelleute und die Bürger waren einander in bezug auf zerrissene Kleider und einige Schrammen nichts schuldig geblieben. Die geringen Leute verbrachten die Nacht auf der Wache, mehrere auch noch den nächsten Tag, da sie zu betrunken waren, um sich auf ihre Wohnung zu besinnen.

So endete das Fest der Gleichheit, das einige Sauertöpfe gern lächerlich und schlecht gemacht hätten, und das doch den Namen des Herrn von Migurac erst auf den Gipfel des Ruhmes hob und ihn zu einem der Löwen des Tages stempelte.


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