Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Die Folgen von Herrn von Miguracs zweiter Heirat

Die ersten Zeiten seiner Ehe waren für Herrn von Migurac zweifellos die glücklichsten, die er bisher auf Erden verlebt hatte. Er beneidete den Wilden in seiner Hütte nicht mehr um seine Glückseligkeit, noch sehnte er sich nach dem goldenen Zeitalter und dem Garten Eden zurück. Es gab nichts Entzückenderes als Marie Agnes, nichts Jüngeres, Lieblicheres, Besseres, Hübscheres. Jeden Tag entzückte es ihn von neuem, ihre blauen Augen glänzen und ihren zarten Busen schwellen zu sehen, ihr perlengleiches Lachen und ihre silberhellen Antworten zu hören und sich von ihrem jungen Leben umgeben zu wissen. Herr von Migurac begriff nicht mehr, wie er ohne sie hatte atmen können. Fern von ihr war das ganze Leben abgeschmackt. Sie war die Schönheit, der Schmuck und der Sinn aller Dinge. Der Marquis liebte sie nicht nur wie seine Frau, sondern wie seine Geliebte, seine Tochter, wie alles Glück, das ihm auf dieser Welt zugedacht war. Und daß sie geruhte, sich anbeten zu lassen, war das Wunder der Wunder, die höchste Gnade, die zu träumen dem Menschen vergönnt war.

Und so wußte Herr von Migurac im Rausch seiner Dankbarkeit gar nicht, was er alles ersinnen sollte, um ihr zu gefallen. Er hatte ihr nicht nur alle Juwelen seiner Frau Mutter und Madame Isabellas zu Füßen gelegt, sondern hatte selbst bei den besten Juwelieren eine Fülle von Schmucksachen bestellt: Halsbänder von Diamanten und Perlen, Armreife, Ringe und tausend Niedlichkeiten, die er ohne Rücksicht auf den Preis zusammengehäuft hatte. Es gab keine Brokate, die reich genug, und keine Seiden, die glänzend genug für die Kleider der neuen Marquise waren; Madame de Pigly war kaum würdig, sie zuzuschneiden, und Madame Pajelle, die Modezieraten anzubringen, als: Silberspitzen, krause Besätze, Federn, Schleifen, Quasten und Spitzen zu hundert Talern die Elle. Trotz Herrn Joineaus Einspruch ward die Einrichtung des ganzen Hauses vom Boden bis zum Keller erneuert und der Marstall und die Dienerschaft verdoppelt.

Mit ungestümer, harmloser Freude nahm Marie Agnes alle Aufmerksamkeiten ihres Gatten an, der nicht müde ward, in Gedichten verschiedener Versart sie mit den Nymphen und Najaden, den Grazien, Venus, der Jungfrau Maria, Chloe, Egeria, Jeanne d'Arc, Beatrice, Ninon und einer Menge andrer Frauen zu vergleichen, die durch ihre Reize oder ihren Charakter berühmt waren. Obwohl sie für die ganze Philosophie des Herrn von Migurac unergründlich war, hatte sie doch eine sehr einfache Natur. Alles in allem war sie nichts als ein eben aus dem Kloster entlassenes Pensionsmädchen, voller Ungeduld, andre Puppen zu bekommen und an Stelle der Kinderspiele und strengen Klostersitten alle Wunder und Freuden der Welt zu setzen, die sie ohne einen deutlichen Begriff nur von ferne ahnte. Sie hätte sich sehr glücklich geschätzt, da sie ihren Mann als den ersten, der ihr von Liebe gesprochen hatte, sehr liebte, wenn er sie einmal in der Woche in die Oper und jeden Monat ins Theater geführt hätte. Ebenfalls hätten zwei kleine Steine in den Ohren und einige Meter Gaze ausgereicht, um sie mit Dankbarkeit zu erfüllen. Aber weil er nichts schön, nichts auserlesen, nichts unterhaltend genug für sie fand, so war es ganz natürlich, daß sie ihren Wert zur Höhe seiner Leidenschaft erhob. Nach einigen Wochen hätte sie sich für sehr beklagenswert gehalten, einen Abend ohne Souper mit Musik verbringen zu müssen und weniger als ein Dutzend Besuche an einem Nachmittag abzustatten, oder wenn man sie gehindert hätte, jeden Morgen ihre Haartracht zu ändern und von »Juno« zur »Harpye« überzugehen, ohne die »Häßlichkeit«, die »Sylphide«, die »Sparsamkeit des Jahrhunderts« und den »Wunsch zu gefallen« zu vergessen.

Man wird vielleicht denken, daß alle diese Spielereien der Liebe und des Luxus durchaus nicht mit dem Ernst der Philosophie übereinstimmten. Wenn wir aufrichtig sein wollen, müssen wir gestehen, daß Herr von Migurac während der ersten Monate seiner Ehe sich nicht sehr bemühte, sein Betragen nach diesen Grundsätzen einzurichten; sein ganz von Marie Agnes erfüllter Geist besann sich nur selten auf sie. Aber als die junge Gattin ihren Kammerfrauen, ihren Toiletten, Besuchen und Lieferanten lange Stunden widmete und er infolgedessen Muße fand, seine eignen Handlungen der Kritik seines Urteils zu unterwerfen, konnte er ihre Weisheit nicht verkennen.

Die Ehe, eine empörende und abgeschmackte Einrichtung, ist allerdings mit der Liebe nur vereinbar, wenn der Ehemann, statt auf diesen Titel zu pochen, sich zuvorkommender und eifriger als der verliebteste Liebhaber zeigt und so selbst das Herz erobert, das ein rein äußerlicher Schwur nicht an ihn fesseln konnte. Dieser ihm von der Vernunft und von der Natur vorgezeichneten Aufgabe hatte er sich entledigt. Nun, da die Seele von Marie Agnes sein war, konnte sicher nichts leichter sein, als sie dem Licht der Philosophie zu erschließen und sie zur Vertrauten seiner Menschheitsbeglückungs-Absichten zu machen.

Trotzdem wagte Herr von Migurac nicht, seiner Gattin die großen ihm vertrauten Gedanken ohne eine gewisse Schüchternheit mitzuteilen. In dem Bewußtsein, wie leicht die Jugend abgeschreckt wird, fürchtete er, daß sie es bei seinen feierlichen Worten mit der Angst bekommen möchte, oder daß die Vorurteile des Klosters sie vielleicht mißtrauisch dagegen machten. Wahrscheinlich hätte er die Fortsetzung seines Unterrichts auf später verschoben, wenn er übel aufgenommen worden wäre.

Doch als Herr von Migurac beim Mittagessen zum erstenmal einen Versuch machte – den Anlaß bot das traurige Geschick zweier Greise, die in einer Dachstube Hungers gestorben waren – und ein paar spitze Bemerkungen gegen die Zivilisation losließ, stimmte seine Gemahlin ihm wider Erwarten nachdrücklich bei und richtete überraschende Fragen an ihn. Er wußte nicht, daß zwei Damen zweifelhaften Alters gerade am Abend vorher die kleine Marquise im Salon der Prinzessin von Cressange damit geneckt hatten, daß sie der Philosophie Abbruch täte, indem sie ihr ihren Gatten entzöge. Madame von Migurac war tief gekränkt, daß ihr Mann Philosoph war und sich ihr noch nicht von dieser Seite gezeigt hätte, und sie wurde von Neugierde verzehrt, besonders wegen jener berühmten Abendgesellschaften, von denen man sich halblaut mit geheimnisvollen Mienen Wunderdinge erzählte, was den prickelnden Reiz noch vermehrte.

Deshalb war sie bei den feierlichen Reden des Herrn von Migurac ganz Ohr, obwohl sie nicht viel mehr davon verstand als von Chinesisch, und ihm wurde die Philosophie noch teurer, weil sie sich dafür zu interessieren schien. Sie bat ihn in so treuherzigem Tone, ihre Seele nach den Absichten der Natur zu bilden, daß ihm die Tränen in die Augen traten.

Und mit so wunderbarer Leichtigkeit passen sich die Frauen den neuen Moden an, daß sie binnen kurzem wie ein Doktor über das Eigentum, die Nationalökonomie und den sozialen Staat dissertierte. Sie tat es mit Zurückhaltung, um nicht unbescheiden zu sein, und erschien dadurch noch gebildeter in allen Dummheiten der andern. Von ihrem Erfolge entzückt, stellte sie die Philosophen und die Philosophie ebenso hoch wie die Plauderecken, die Galabälle und die Cavagnole.

Deshalb erstrahlte vielleicht das Hotel de Migurac gerade in jenen Tagen im hellsten Glanze. Am Morgen, während die Bittsteller das Vorzimmer des Marquis überfüllten, drängten sich gewählte Besucher im Ankleidezimmer der Gnädigen. Galante Abbés und Stutzer, junge Offiziere, à la Maréchale gepudert, schöngeistige Barone und Vicomtes, dramatische und lyrische Dichter, Nationalökonomen und Metaphysiker. Für alle hatte sie einen liebenswürdigen Blick, und die Reform des Königtums war eine Lust, wenn man dabei so schöne Schultern durch die Lorgnette betrachtete. Beim Mittagsmahl zählte man nie weniger als zwanzig Gäste, und den ganzen Nachmittag durch rollte eine Kutsche nach der andern vor und setzte die ersten Vertreter des Geistes- und Geburtsadels, des geistlichen und Kriegerstandes ab. Mit dem Souper fing das Fest von neuem an und endigte erst spät in der Nacht. Die weiße, rosige, blonde kleine Marquise sprach wenig, aber erlaubte gern, daß man sie anbetete. Eine Silbe von ihren schönen Lippen, ein Lächeln ihres allerliebsten Mundes, ein Lebewohl ihrer feinen Finger waren geistreicher als ein Liebesbrief von Herrn von Beaumarchais, tiefer als eine Abhandlung von Herrn Thomas und poetischer als ein Sonett des Abbé Delille.

Inmitten dieser Gesellschaft wurde Herr von Migurac sehr verhätschelt, seiner selbst wegen geehrt und seiner Gattin wegen beneidet, und er schwelgte in strahlender Glückseligkeit. Vergebens hielt Herr Joineau ihm von Zeit zu Zeit vor, daß seine Ausgaben seine Einnahmen bei weitem überschritten; er lachte dem wunderlichen Menschen ins Gesicht und fragte obenhin, ob er ein Generalpächter wäre, der Schätze sammelte? Und wenn seine Frau Schwiegermutter ihm vorstellte, daß ein solches Gesellschaftsleben für eine junge Frau gefährlich wäre, unterbrach er sie durch schallendes Gelächter und durch Schmeicheleien über ihr hübsches Aussehen. Und als Marie Agnes ihm eines Abends träumerisch vorkam und auf seine Frage mit der schmollenden Miene eines Kindes sagte, daß sie fürchte, ihn weniger zu lieben, und ihm vorschlug, zusammen aufs Land zu gehen, war er derjenige, der sie beruhigte, indem er ausrief:

»Nein, du reines Wesen, ich kenne die Lauterkeit deiner Seele besser als du. Sei nicht betrübt, wenn mein Bild nicht mehr das einzige darin ist, wie zu der Zeit, wo die ganze Menschheit daraus verbannt war. Du raubst mir nichts, wenn du in deinem Herzen meinen Nächsten einen Platz gibst, und du liebst mich mehr, wenn du alle in deine Liebe einschließest.«

Die kleine Marquise blickte ihn mit eigentümlichem Ausdruck an und schüttelte den Kopf.

Indessen mußte Herr von Migurac bald erfahren, daß die friedliche Dauer des Glücks dem Menschen nicht gegeben ist. Eines schönen Morgens trat Herr Joineau in sein Arbeitszimmer und sagte sehr ernsten Tones, daß er, um sein Gewissen zu beruhigen, ihn über seine Angelegenheiten auf dem laufenden erhalten müßte. Und nachdem er ihn genötigt hatte, ihn anzuhören, bewies er ihm unwiderleglich, daß die Pistolen des Herrn Moriceau, so viel ihrer waren, jetzt verzehrt wären, oder daß wenig daran fehlte.

Diese Unterredung erinnerte den Marquis auf unangenehme Weise an jene, die er mit seiner Frau Mutter gehabt und die seine erste Heirat veranlaßt hatte. So abgehärtet er auch aus Gewohnheit und Grundsatz gegen Schicksalsschläge war, so konnte er doch einen Seufzer nicht unterdrücken und warf einen bedauernden Seitenblick nach den Bildern und Porzellangegenständen, die sein Arbeitszimmer schmückten. Dann aber erhob er den Kopf wieder und erklärte:

»Abbé, nachdem ich arm gewesen war, wurde ich reich. Nun werde ich von neuem arm sein und werde es mit Anstand sein. Der Weise steht über den Launen des Glücks.«

»Wohl wahr,« sagte Herr Joineau, den Blick auf seinen Bauch senkend, »aber glauben Sie, daß die Frau Marquise dieser Ansicht sein wird?«

Der Marquis schleuderte ihm einen verachtungsvollen Blick zu, erhob sich von seinem Lehnstuhl und sagte majestätisch:

»Ich werde mich davon sogleich überzeugen.«

Und unverzüglich klopfte er an die Tür des Gemachs seiner Gattin. Sie befand sich gerade in den Händen ihrer Zofen, die sie ankleideten, und war in eine Wolke von Gaze, Tüll, Spitzen und feinem holländischen Linnen gehüllt, aus welcher der Duft von Jugendfrische, Veilchen und Verbenen emporwallte. Ihr gegenüber auf einem mit Perlmutter eingelegten Tischchen hielt eine silberne Amorette ihr einen Spiegel vor. Eine Fülle von Gegenständen aus Kristall, Silber, Elfenbein und Gold, Kämme und Bürsten, Puderschachteln, Töpfe mit Olla podrida, Fläschchen, Seifenschalen, Nadeln jeder Größe, alles in entzückender Weise gewunden, modelliert oder ziseliert, waren umhergestreut. Jungfer Henriette reichte ihr eine Schachtel mit roten Schönpflästerchen. Die kleine Marquise las mit ihrem feinen Finger zierlich eins nach dem andern aus und klebte sie an, »die Leidenschaftliche« in den Augenwinkel, »die Galante« mitten auf die Wange und »die Neugierige« an den Ansatz des Busens.

Bei Herrn von Miguracs Erscheinen blickte sie auf und fragte, wie sie zu der Ehre dieses Besuches käme. Aber angesichts ihrer Schönheit und bei dem Glanz der sie umgebenden kostbaren Dinge und der ganzen Pracht dieses Körpers, der für den Luxus geschaffen war, fühlte Herr von Migurac weniger Sicherheit in sich. Jedoch befahl er den Mädchen, das Zimmer zu verlassen, zwang sich zu einem festen Ton und erklärte ihr, daß sie zugrunde gerichtet wären.

Marie Agnes verstand ihn nicht. Sie machte ein schmollendes Gesicht, erklärte, daß ihre Kleidung sehr bescheiden wäre und daß sie keine ihrer Frauen fortschicken könnte. Das einzige, was sie tun könnte, wäre, auf eine Sänfte aus Rosenholz zu verzichten, die sie zu kaufen gedächte. In Herrn von Migurac lebte mehr als je die Erinnerung an Madame Olympia auf. Als er ihr erklärt hatte, daß es sich um alles dies nicht handle, sondern daß sie binnen kurzem gezwungen sein würden, selbst das Hotel zu verkaufen, sah sie ihn entsetzt an, als ob sie fürchtete, daß er den Verstand verlöre, und stammelte schließlich:

»Aber mein Herr, was verlangen Sie denn? Soll ich barfuß in den Straßen umherziehen und auf den Plätzen singen, um mein Brot zu verdienen?«

Herr von Migurac wurde von heftigen Gewissensbissen gepackt und machte sich bittere Vorwürfe, daß er nicht die Seele eines Geldmenschen gehabt hatte. Aber es lag nicht in seinem Charakter, sich in die Vergangenheit zu versenken. Deshalb setzte er ihr in munterem Tone den Plan auseinander, der in seinem fruchtbaren Gehirn entstanden war. Konnten sie nicht mit dem Vermögensrest, der ihnen bleiben würde, irgendein Bauernhaus in Auteuil oder Suresnes mieten und dort in ländlichen Freuden leben, bis er ein Mittel ausfindig gemacht hätte, ihre Angelegenheiten wieder in Ordnung zu bringen? Hatte sie selbst nicht ehemals gewünscht, auf dem Lande zu wohnen?

Marie Agnes sah ihren Mann von neuem scharf an. Ein Schimmer von Melancholie verschleierte ihr Auge. Sie murmelte:

»Ohne Zweifel … aber jetzt ist alles anders geworden.« Und dann fuhr sie fort:

»Wir müssen wohl zusehen, mein Herr, daß wir nicht verhungern; aber das Landleben wird nach so viel Geselligkeit recht freudlos sein.«

Erleichtert, sie so vernünftig zu finden, setzte Herr von Migurac rasch und lebhaft hinzu, daß ihre Freunde sie sicher nicht verlassen würden. Der Herr Abbé Joineau würde sicher bei ihnen bleiben. Und wer weiß, ob nicht noch andre, des städtischen Treibens müde, sie in ihrer Zurückgezogenheit aufsuchen würden. Er schlug sich an die Stirn.

»Herr von Cadriot wird ganz gewiß mit uns gehen.«

»Herr von Cadriot?« sagte Marie Agnes mit vieldeutigem Lächeln.

Herr von Cadriot war ein junger Mann von ungefähr vierundzwanzig Jahren, der sich kurz nach Herrn von Miguracs Heirat energisch zur Philosophie bekehrt hatte. Er legte dabei einen außerordentlichen Eifer an den Tag, und morgens verließ er das Ankleidezimmer der Marquise nur, um nachmittags in ihrem Salon zu erscheinen und abends beim Souper am Tisch zu sitzen. Er hatte weiße Haut, eine gute Figur und ein Gesicht, in dem Sanftmut und Kühnheit auffallend gepaart waren.

Herr von Migurac verfolgte seinen Gedanken weiter und fuhr fort:

»Ich glaube, Herr Beaumanet wird auch dabei sein.«

»Herr Beaumanet?« sagte die Marquise und lächelte wie vorher.

Herr Beaumanet war ein reicher Manu über fünfzig. Er hatte sich durch Spekulation und Kornwucher mächtig bereichert, verkehrte in der besten Gesellschaft und gab sehr besuchte Feste. Er hatte ein dickes, rotes Gesicht und war als Lebemann bekannt. Eine einzige Tatsache wird den Edelmut seines Charakters genügend bezeugen. Obwohl Frau von Villecroix ihm die Hand ihrer Tochter ausgeschlagen hatte, war er doch von der kleinen Marquise unzertrennlich und zugleich der Busenfreund ihres Gatten geworden, der ihm aus Mitleid mit seiner Niederlage besondere Achtung erwies.

Herr von Migurac war von seinem Plan entzückt und setzte ihn seiner Frau eingehend auseinander. In Ermanglung andrer Freunde würde die Gegenwart dieser beiden Getreuen genügen, ihrer Verbannung einen andern Anstrich zu geben, als den einer Flucht aus Geldmangel. Und würden sie nicht in einer Art von philosophischer Gemeinschaft leben, wenn sie auf die Stadt und ihre Verderbtheit verzichteten und außer den köstlichen Freuden des Studiums und ihrer Liebe all die einfachen und lieblichen Genüsse des Landlebens kosteten, die in den besten Romanen so gepriesen werden?

»Ich werde mir Schafe halten!« sagte Marie Agnes, ihre rosigen Lippen kräuselnd.

Herr von Migurac versprach die Schafe. Seine Seele war begeistert, und es wäre ihm jetzt leid gewesen, einer so wunderbaren Aussicht zu entsagen, selbst wenn er sein Vermögen wiedergewonnen hätte. Er betonte:

»Sie werden daran denken, die Herren von Cadriot und Beaumanet zu fragen, ob sie uns Gesellschaft leisten wollen?«

Madame von Migurac antwortete mit gesenkten Blicken:

»Da es Ihr Wille ist, werde ich es tun.«

Die Liebenswürdigkeit seiner Frau versetzte den Marquis in den siebenten Himmel. Er erhob sich, aber im Augenblick, als er Abschied nehmen wollte, hielt ihn noch ein letztes Bedenken zurück:

»Sie zürnen mir also nicht, daß ich Sie ins Unglück gestürzt habe?«

Marie Agnes blickte ihn schmeichlerisch und zugleich listig an.

»Sie sind ein Kind! …« sagte sie.

Dabei streckte sie mit übermütiger Bewegung ihren weißen, runden Arm unter der Spitze des Pudermantels vor und hielt ihn nahe an die Lippen ihres Gatten. Er küßte ihn mit Entzücken. Und während er sich als der glücklichste aller Menschen zurückzog, rief sie ihre Frauen wieder, benetzte ihren Finger, tauchte ihn in die Schachtel, nahm ein letztes Schönpflästerchen heraus und klebte unter ihre Nase, ein wenig nach links, »die Unverschämte«.


 << zurück weiter >>