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Fünfzehntes Kapitel.
Von dem Leben, das Herr von Migurac in Paris nach seiner Rückkehr aus fremden Ländern führte

Herr von Migurac hielt seinen Wiedereinzug in Paris als ein ganz andrer wie vor etlichen zwölf Jahren. Denn anstatt eines jungen Edelmannes aus der Provinz mit hochherzigen Neigungen, aber arm an Erfahrung und Urteil, war er jetzt ein reifer Mann, den ein abenteuerliches Leben an alle Wechselfälle des Geschicks gewöhnt hatte und dessen Vernunft sich auf die unantastbarsten philosophischen Grundsätze stützte. Nur in einem Punkt war eine Aehnlichkeit vorhanden: in dem Mangel an Geld. Aber wenn der junge Louis Lycurgue ehedem in freiwilligem Mangel die Sühne seiner Missetaten gesehen hatte, so erkannte Herr von Migurac, durch Erfahrung gewitzigt, darin jetzt die erste Bedingung jeder moralischen, sozialen und philosophischen Existenz. Und so war denn sein Heim in der Rue du Pet-au-Diable mit ebensolchem Luxus ausgestattet, wie das frühere in der Rue Trousse-Vache. Seine Einsiedelei beschränkte sich auf zwei dunkle Räume, die auf einen recht schmutzigen, kleinen Hof gingen. Seine Einrichtung bestand aus einem erträglichen Bett, zwei Stühlen, einem festen Tisch aus weißem Holz und zwei sehr großen Koffern, von denen der kleinere seine Kleidungsstücke und der umfangreichere seine Papiere enthielt. Das Ganze wurde durch ein rohes Wandbrett von Fichtenholz, auf dem sich ein paar Bücher herumtrieben, und durch einen Kupferstich vervollständigt, auf dem Minerva dargestellt war, wie sie Theseus die ursprüngliche Verfassung Athens diktiert.

In dieser elenden Behausung hätte Herr von Migurac sich für den glücklichsten aller Menschen gehalten, wenn es ihm möglich gewesen wäre, seinen angeborenen Gesellschaftstrieb, der durch den Aufenthalt im Gefängnis noch unendlich zugenommen hatte, zu befriedigen. Nachdem er also mehrere Tage damit verbracht hatte, in der Hauptstadt herumzuspazieren, ihre Verschönerungen zu bewundern und die Freude seiner wiedererlangten Freiheit zu genießen, dachte er daran, sich den Eintritt in die Gesellschaft zu erobern, für die seine Neigungen ihn augenscheinlich bestimmten, nämlich jene gelehrten, gefühlvollen und unvergleichlichen Leute, die durch Feder oder Pinsel, in Versen, Prosa oder Farben ihren Mitmenschen den Kultus der Tugend und der Schönheit lehren.

Herrn von Miguracs Einführung bei den Schöngeistern begegnete weniger Schwierigkeiten als früher sein Eindringen in die Vorzimmer der Minister. Denn es ist viel leichter, mit Bettlern zu verkehren als mit den Mächtigen dieser Welt. Er erkundigte sich und erfuhr darauf, daß mehrere junge Männer von großem Talent sich jeden Abend im Kaffeehaus »Zum Grauen Kakadu« in der Rue de la Huchette zu treffen pflegten, um die höchsten Fragen der Moral und Politik bei Bier und Mandelmilch von oben hin zu diskutieren.

Herr von Migurac begab sich also nach der Rue de la Huchette. Schon von weitem erkannte er einen aus Metall geschnittenen Papageien, der am Vordach einer Kneipe hin- und herschaukelte; diese sah ziemlich kläglich und sehr finster aus, und mehr als eine zerbrochene Fensterscheibe war mit schmutzigem Papier verklebt. Trotzdem überschritt Herr von Migurac nicht ohne eine, bei ihm seltene Schüchternheit die Schwelle zu dieser Grotte des Apollo. Als er sich an die Dunkelheit des Raumes und den darin herrschenden Tabaksqualm gewöhnt hatte, bemerkte er im Hintergrund des Saales eine Anzahl schwarzgekleideter Leute, die mit großem Lärm gestikulierten und redeten. Er ließ sich an einem der nächsten Tische nieder, um sie noch aufmerksamer zu beobachten, und überzeugte sich ohne Schwierigkeit, daß er sich in der Tat unter Schriftstellern befand. Nicht nur, weil ihr Aussehen dürftig war, ihre Kleider fadenscheinig, ihre Manschetten ausgefasert waren und sich auf ihren Rockkragen mehr Puder befand als auf den Perücken, sondern auch, weil ein stolzer Ausdruck ihre Mienen erleuchtete. Sie suchten etwas darin, die andern Gäste mit Geringschätzung zu behandeln und mit verächtlichem Augenzwinkern laut unter sich zu lachen, als ob sie hier die Herren wären.

All dies entzückte Herrn von Migurac aufs höchste, und seine Seligkeit war ohne Grenzen, als einer von ihnen, ein magerer, vertrockneter, gelber Mensch aufstand und Schweigen gebot, indem er mit dem Krug auf den Tisch klopfte, worauf er mit stolzem Lippenspiel und begeistertem Blick im Fistelton ein Gedicht vortrug, das den Titel »Epistel an die Tugend« führte und unsern Marquis der Inbegriff des Erhabenen dünkte. Nicht, daß er alle Verse vollkommen verstanden hätte; aber diesen Mangel schrieb er seiner eignen Dummheit zu, und als der Verfasser sich unter allgemeinem Beifall niedersetzte, beteiligte er sich mit solcher Wärme daran, daß er ein Lächeln auf die dünnen Lippen des Helden lockte und die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Jetzt hielt Herr von Migurac den Augenblick, sich bekannt zu machen, für gekommen. Er erhob sich, machte einige Schritte auf die schwarzgekleideten Leute zu, und indem er sich mit der ihm eignen Grazie verbeugte, fragte er, ob es für einen Edelmann aus der Provinz unbescheiden wäre, wenn er um die Ehre bäte, solchen Genies vorgestellt zu werden.

Sein gewinnendes Aeußeres hätte überall für Herrn von Migurac eingenommen, aber sein Marquistitel war das Zauberwort »Sesam, tu dich auf« vor diesem Kreis von Schulfüchsen und Tintenschmierern. Da sie es sich seit langer Zeit zur Aufgabe gemacht hatten, alle Vorrechte der Geburt herunterzureißen, so waren sie ganz besonders darauf erpicht; und alle beeilten sich, ihm Platz zu machen und kamen sich viel größer vor, weil sie am selben Tisch mit einem Marquis saßen. Herr Mottet, der gelbe Poet, dessen Verse er beklatscht hatte, goß ihm mit eigner Hand ein Glas bis an den Rand voll und hieß ihn willkommen. Herr von Migurac tat ihm Bescheid, und da er noch etwas Geld in der Tasche hatte, befahl er der Aufwärterin, ein halbes Dutzend Flaschen zu bringen. Dies veranlaßte die Anwesenden, die Augen aufzureißen und im voraus eine sehr günstige Meinung über seine Verdienste zu fassen.

Nachdem der Wein die Zungen gelöst hatte, wurde Herr von Migurac gebeten, seine Abenteuer zu erzählen, von denen er einige Einzelheiten hatte durchblicken lassen. Er gab eine schlichte Erzählung zum besten, und zum Schluß sagte er, daß er den Rest seiner Tage der Philosophie und den Wissenschaften zu widmen gedächte, da er bis dahin auf so wenig philosophische Weise gelebt hätte. Obwohl gewisse Leute in ihm lieber einen Mäcen als einen Kollegen entdeckt hätten, wurde er doch lebhaft beglückwünscht und gebeten, seine Verse vorzutragen. Er rezitierte also die »Strophen an meine Mutter«, nicht ohne sich mehrmals zu entschuldigen, denn einer Kosakenhorde gegenüber hätte er sich weniger verlegen gefühlt. Tosender Beifall lohnte den Schlußsatz. Herr Mottet umarmte den Neuling sehr zärtlich, erklärte ihm, daß er von nun an einer der Ihrigen wäre und versicherte ihm, daß er nicht nur Gefühl, sondern auch eine Art von Genie hätte, die zugleich an die spielende Grazie Pirons und an die Tiefe des Präsidenten von Montesquieu erinnerte. Und man trank von neuem auf seine Erfolge.

So wurde Herr von Migurac in eine literarische Gesellschaft aufgenommen. Obgleich seine Gefährten mehr Papierverderber als etwas andres waren und sich weder der Bürger von Genf noch Diderot unter ihnen befand, wie er gehofft hatte, fühlte er sich doch durch ihren Empfang nicht weniger geehrt und führte von diesem Tage an ein Leben, wie es sich für einen Philosophen ziemte. Das heißt, er stand sehr spät auf und verbrachte den Vormittag mit Schreiben; dann genoß er als Mittagsmahl in irgendeiner Garküche ein schlecht zubereitetes Gericht und ein Glas Wein, schlug ein paar Stunden damit tot, in den Buchhändlerläden die Neuerscheinungen zu durchblättern, und machte einen Spaziergang auf den Boulevards. Oder er wohnte für zwanzig Sous im Parterre einem Schauspiel bei, aß in der Schenke zu abend, ging darauf nach Hause und überließ sich seinen Eingebungen, bis er vor Ermüdung über seinem Papier einschlief.

Um jedoch seinen Wünschen die Krone aufzusetzen und ihm die Weihe des Schriftstellers zu geben, fehlte ihm noch eins, und das war: gedruckt zu werden. Die beschriebenen Blätter häuften sich auf seinem Tisch und wanderten von da in den Koffer, denn lange Zeit wagte er nicht, sie einem Buchhändler anzubieten. In dieser Bescheidenheit ward er noch bestärkt durch Herrn Mottet, der ihm auf seine diesbezügliche Anfrage sehr warm geraten hatte, nichts an die Oeffentlichkeit zu bringen, bevor es zur Vollendung gediehen wäre, und das sei die Sache weniger Jahre.


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