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Neuntes Kapitel.
Wie Herr von Migurac sich im Ehestand aufführte

Schon am Tage nach der Hochzeit mußte Herr von Migurac dem Urteil seiner Mutter Achtung zollen und anerkennen, daß sie ihn weder über die Mitgift, noch über die Persönlichkeit seiner Frau getäuscht habe. In der Freude über diese glänzende Heirat bekundete Maître Moriceau eine großartige Freigebigkeit: er beglich nicht nur alle Schulden seines Schwiegersohnes – und zwar auf dessen Bitte in wahrhaft königlicher Weise und ohne zu feilschen –, sondern er fügte der Mitgift seiner Tochter aus freien Stücken noch eine Kassette von zwanzigtausend Talern hinzu, um sie für den Haushalt zu verwenden.

Wie Madame Olympia vorausgesagt hatte, verlieh Louis Lycurgues Heirat dem Marquisat sofort neuen Glanz. Nicht nur, daß der junge Edelmann es mit einem Falkenier versuchen, die Meute des Herrn von Jalaruc kaufen und von Paris eine englische Kutsche nach der letzten Mode kaufen konnte, auch seine ganze Lebensführung nahm an Pracht auffallend zu. Zu dem altertümlichen Hausgerät, das abgenutzt und unbequem war, gesellten sich die jüngsten Schöpfungen der Meister des Modegeschmacks. Helle Wandbekleidungen gaben den Wänden ein heiteres Aussehen. Nipptische von Herrn Boulle und lackierte Kommoden à la Martin prangten in ihren Messingverzierungen und wölbten ihre runden Bäuche. Die renovierten Salons füllten sich mit Pfeilerspiegeln, Wandspiegeln, pausbäckigen Liebesgöttern, Kupferstichen und kostbaren Kleinigkeiten. Das alte Familiensilber bereicherte sich durch wunderbare Stücke, bei denen Blumengirlanden und Muschelverzierungen kunstvoll abwechselten. Vollblutpferde wieherten in den Ställen, die Dienerschaft wurde verdoppelt; auffallende, kirschrote Livreen und betreßte Hüte in den Miguracschen Farben zogen die respektvolle Aufmerksamkeit der unteren Stände und die Eifersucht des unbemittelten Adels auf sich.

Von drei Uhr nachmittags bis zu vorgeschrittener Nachtstunde war in den Alleen des Schlosses ein ununterbrochenes Rollen von Wagen, die alle edeln Damen und Herren der Gegend zu den Einladungen des jungen Ehepaares heranbrachten, denn sie drängten sich zu Gastmählern, Jagdgesellschaften, ländlichen Festen und Bällen aller Art, bei denen die Kerzen manchmal nicht vor Sonnenaufgang erloschen. Maître Moriceaus Taler rollten lustig, aber der Biedermann fand nichts dabei zu tadeln, da er wußte, daß die Quelle noch nicht versiegt war. Er hielt sich für mehr als bezahlt durch die Freude, Seite an Seite mit den vornehmsten Edelleuten des Landes zu sitzen, er, der ohne einen Sou in der Tasche und mit einem schlechten Kittel nach Bordeaux gekommen war, und dessen Vater solche Feste nur hinter dem Stuhl eines Gastes stehend gesehen hatte.

Was die neue Marquise anbetrifft, so hätte es Herrn von Migurac übel angestanden, die Vortrefflichkeit ihres Charakters und die Gewissenhaftigkeit, mit der sie ihre Pflichten als Gattin erfüllte, zu leugnen. Mademoiselle Isabella Moriceau war nicht nur weiß und rosig, frisch und reizend anzusehen in der Blüte ihrer siebzehn Jahre, welche die bescheidene Sanftmut ihres Blickes und das Glück, das aus ihren schönen Augen leuchtete, noch lieblicher machten. In dem besten Hause von Bordeaux sehr sorgfältig erzogen, hatte sie sich auch die Manieren einer großen Dame unbewußt angeeignet und sah unstreitig viel vornehmer aus als die Mehrzahl der Schloßherrinnen der Umgegend, die wie ihr Geflügel von irgendeiner hungrigen Duenna in einem Winkel der Provinz aufgezogen waren. Allerdings – denn man muß nicht übertreiben – waren ihre Hände nicht ganz winzig. Etwas Röte oder Verlegenheit verriet zuweilen ihre Herkunft; und so gebildet sie auch war, hatte sie doch nicht so viel Geist wie eine Scudéry, Sévigné oder Dacier. Aber die Vollkommenheit ist nicht von dieser Welt, irgendwo mußte doch ihre menschliche Natur zum Vorschein kommen; und was ihr etwa fehlte, ersetzte sie reichlich durch die Achtung und unbegrenzte Liebe, die sie ihrem Gatten entgegenbrachte.

Denn wenn Madame Olympia die Wahrheit etwas ausgeschmückt hatte, als sie sagte, daß ihr Sohn Mademoiselle Moriceau schon früher aufgefallen sei, so war sie damit nur den wirklichen Tatsachen vorausgeeilt: die erste Begegnung hatte genügt, um das junge Frauenzimmer in den artigen Marquis verliebt zu machen, und kein Los schien ihr wünschenswerter, als seine Frau zu werden. Zwar hatte sie schon bei früheren Gelegenheiten mit zahlreichen Edelleuten gesprochen; doch sie betrachtete sie wie die armen Teufel, die nach dem Schaufenster eines Garkochs schielen und sehr wohl wissen, daß diese Leckerbissen nicht für ihren Gaumen sind. Von dem Augenblick an, wo sie erfahren hatte, daß dieser appetitliche, hübsche Marquis ihr zufallen könnte, hatte sie ein unbändiges Gelüst verspürt, davon zu kosten. Was anfangs vielleicht nur die Begehrlichkeit einer Bürgerlichen war und wobei die Eitelkeit eine große Rolle spielte, war gleich nach vollzogener Heirat leidenschaftliche Liebe geworden. Herr von Migurac war als Mann von Herz nicht des Glaubens, daß er seiner Pflicht als Ehemann genüge, wenn er Mademoiselle Moriceau seinen Namen und die Ehre seines Bettes gewährte. Er hatte sie bei jeder Gelegenheit mit der ihm eignen Ritterlichkeit und Zartheit behandelt, die ihm vom ersten Tage an das Herz seiner Frau erobert hatten, und da ihm außerdem die Anbetung, die aus all ihren Gebärden und Worten sprach, schmeichelte, so ließ er sie fühlen, daß er sie nach seinem Geschmack fände und ihr vor andern Frauen den Vorzug gäbe. Diese Gunstbezeigungen hatten die neue Marquise in einen solchen Taumel des Entzückens versetzt, daß es nichts gab, was sie nicht ihrem Manne zu Gefallen getan hätte. Wenn er den Mond verlangt hätte, so würde sie eine Leiter haben holen lassen, um ihn loszuhaken.

Es ist deshalb nicht zu verwundern, daß Herr von Migurac sich sechs Monate und länger als untadeliger Gatte zeigte. Er war aufmerksam und verliebt, sehr zufrieden daheim, zögerte beim Fortgehen, kam pünktlich wieder und hatte weder in den Hütten, noch in den Schlössern die kleinste Liebschaft angeknüpft. Er war würdig, jedem als Muster aufgestellt zu werden. Erst von diesem Zeitpunkt an, also ziemlich spät, fing seine Lebensweise an, sich zu ändern.

Welches die erste Ursache der Wolken war, die den Himmel des jungen Paares verdunkelten, ist bei der vorsichtigen Schreibweise des Herrn Joineau schwer zu entscheiden. Nachdem er die unschuldigen Freuden ihrer Liebe in lateinische Verse gebracht hatte, sind die Gründe ihrer Zwietracht bei ihm in einer dunkeln Prosa stecken geblieben. Es lassen sich darüber nur Mutmaßungen aufstellen. Vielleicht, daß die Marquise Olympia in der Befürchtung, ihre Schwiegertochter möchte zu große Macht über ihren Sohn gewinnen, sich nicht genug bemühte, die kleinen, unvermeidlichen Reibungen des ehelichen Lebens zu glätten. Vielleicht erschrak Herr Moriceau auf die Dauer über den rasend schnellen Abgang seiner Pistolen, nachdem er erfahren hatte, daß der Marquis in einer einzigen Nacht fünfhundert beim Pharao verloren hatte. Möglicherweise machte er einige Bemerkungen darüber oder bat seine Tochter, es zu tun. Vielleicht auch empfand Herr von Migurac einen jugendlichen Verdruß darüber, seine Hoffnungen auf Vaterschaft nicht sogleich erfüllt zu sehen. Oder die junge, verliebte und in den Sitten der großen Welt wenig erfahrene Frau legte Ansprüche an den Tag, die bei einem empfindlichen Ehemann Unabhängigkeitsgelüste zeitigten. Vielleicht war von all diesem etwas dabei – jedenfalls ist es offenkundig, daß bei Herrn von Migurac, ehe er ein Jahr verheiratet war, alles, was an Willen zur Treue und an ehelichem Beruf in ihm war, verbraucht war. Er fing an, sich zu langweilen, und konnte nicht umhin, sich zu zerstreuen.

Anfangs ging er mit unendlicher Vorsicht zu Werke und machte sich löblicherweise ein Gewissen daraus, seiner jungen Frau irgendwelchen Kummer zu verursachen, denn trotz seiner veränderten Stimmung konnte er ihre großen Vorzüge doch nicht verkennen. Nicht nur, daß er im Schloß und im Dorfe fortgesetzt die erbaulichste Zurückhaltung beobachtete, er trug auch Sorge, daß seine Geliebten und die Stätten der Wollust, die er aufsuchte, genügend entfernt waren, um ihr kein Aergernis zu geben. Er besann sich nicht, nach dem Abendessen vier oder fünf Meilen zu reiten, um in irgendeiner gastlichen Schenke lustige Gesellschaft zu finden, und es kam oft vor, daß er zwei Stunden hintereinander auf Leben und Tod galoppierte, um noch in derselben Nacht, ehe Madame von Migurac sich erhob, zurück zu sein. Wenn er zufällig bei irgendeinem Zechgelage festgehalten wurde und zwei oder drei Tage ausblieb, verfehlte er nicht, ihr bei seiner Rückkehr ein sehr artiges Geschenk an Parfümerien oder Spitzen zu überreichen.

Es schien ihm aber, als wenn Madame Isabella ihm für so viel Lebensart wenig Dank wüßte. Nicht, daß sie sich zu widerwärtigen, kleinbürgerlichen Vorwürfen erniedrigt hätte. Aber sie wurde ihrem Herrn Gemahl gegenüber von sehr ungleicher Stimmung. Bald empfing sie ihn mit kalter Miene und wies seine Geschenke zurück, bald sah sie ihn mit trübem Blick und tränenerfüllten Augen an oder ermüdete ihn durch unangebrachte und fast verzweifelte Zärtlichkeit. Sie trieb es so weit, daß Herr von Migurac, der eine sehr empfindsame Seele hatte, schließlich schon im voraus über das Wiedersehen verstimmt wurde, da er einen Kummer, dessen Urheber er war, nicht kalt mit ansehen konnte. Da er aber anderseits bemerken mußte, daß sie seine Schonung nicht nach Gebühr schätzte, wich er nach und nach davon ab und legte sich bei seinen Vergnügungen weniger Zwang auf. Um nicht bei der Heimkehr nach irgendeinem galanten Fest durch ein grämliches Gesicht verstimmt zu werden, nahm er die Gewohnheit an, sich sinnlos zu betrinken und den Weg zum Schloß nicht eher einzuschlagen, als bis er unfähig war, ein menschliches Gesicht zu erkennen. Aber wenn er am Morgen der Marquise bei ihrem Aufstehen mit einem Handkuß seine Aufwartung machte, fand er ihr Gesicht so verstört und ihre Augen so schwer, daß ihn sein Gewissen folterte und er keinen andern Wunsch hatte, als so schnell wie möglich zu entfliehen, um peinlichen Eindrücken zu entrinnen.

So kam es, erklärt uns der Abbé, daß Louis Lycurgue gerade durch sein Zartgefühl, das ihn doch Madame Isabella wieder hätte näher bringen müssen, ihr noch mehr entfremdet ward. Nicht stark genug, um ihn zur Aenderung seines Wandels zu veranlassen, peinigte es ihn doch in solchem Maße, daß er die Vergnügungen, in die er sich gestürzt hatte, nicht fröhlich genießen konnte. Seine Kumpane neckten ihn mit seiner trübsinnigen Laune, die ihn erst verließ, wenn er viele Krüge geleert hatte; und die liederlichen Mädchen, die er mit seiner Gunst beehrte, fürchteten ihn fast so sehr wegen seiner Heftigkeit, als sie ihn wegen seiner Freigebigkeit suchten. Auf dem Höhepunkt eines Bacchanals, wenn das Gelächter schamloser Dirnen in liederliche Reden hineinplatzte und das Klappern der Würfelbecher sich in das Klirren der Flaschen mischte, kam es vor, daß er sich fluchend erhob, die Teller und Gläser zerschmiß, die Tische umstieß und die Weibsbilder über den Haufen warf, während er jeden mit dem Degen bedrohte, der ihn hätte zurückhalten wollen. Mit einem Satz schwang er sich auf den Rücken des in Eile gesattelten Pferdes, schlug ihm die Sporen in den Leib und jagte mit verhängtem Zügel nach Migurac. Das Herz der Marquise hätte vielleicht vor Freude und Schmerz geblutet, wenn sie ihn zwei- oder dreimal gesehen hätte, wie er schluchzend unter ihrem noch erleuchteten Fenster kniete, hinter dem sie selber weinte und an das zu klopfen ihn eine zarte und verhängnisvolle Scheu abhielt.


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