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Elftes Kapitel.
Wie Herr von Migurac in den Dienst des Königs trat

Die drei Wochen, in denen Herr von Migurac von seinem Schloß nach Paris ritt, gehörten, wie er später gern erzählte, zu den angenehmsten seines Lebens. Das Opfer seines Reichtums und die freiwillige Verbannung, zu der er sich verurteilte, hatten ihn aller Gewissensbisse über seine Vergehen enthoben. Frei von Kummer, genoß er mit Heiterkeit alles Neue, auch das Geringste, das sich ihm auf dem Wege darbot. Denn obwohl Herrn von Miguracs Leben schon ziemlich ereignisreich gewesen war, darf man doch nicht vergessen, daß er noch sehr jung, kaum zwanzig Jahre, und niemals aus seiner Provinz herausgekommen war. Auch brachte er allen Dingen einen naiven und begeisterten Sinn entgegen. So lebhaft war der Reiz dieser Eindrücke, daß er gar nicht bemerkte, wie hart die Betten in den Herbergen, wie armselig die Kost und wie wenig verlockend die Zimmermädchen waren, mit denen zu liebäugeln er nicht verschmähte. Und häufig, wenn er ein Stück zähes Ochsenfleisch zerschnitt oder irgend eine Vettel mit roten Händen und plumpen Hüften in seinen Armen hielt, empfand er eine Art Wollust bei dem Gedanken, daß er so seine Sünden büßte. Dann forderte er zum zweitenmal Ochsenfleisch, gab dem Mädchen noch einen Kuß, um seine Buße zu verschärfen, und machte sich Vorwürfe, daß er sie nicht bitterer fand.

Wir wollen uns nicht bei den Abenteuern aufhalten, denen er auf seinem Wege begegnete, und die in den Augen andrer wenig Interesse boten. Den Auszug junger Edelleute aus der Provinz nach Paris haben schon genug Memoirenschreiber geschildert, und wir möchten uns vorwiegend mit den persönlichen Zügen des Herrn von Migurac beschäftigen, mit dem, was ihn von der großen Masse des Menschengeschlechts unterschied. Wir beschränken uns darauf, zu erzählen, daß er abwechselnd vom Regen durchnäßt, vom Nordwind durchkältet und von der Sonne gebraten wurde, daß er in zwei Dutzend Herbergen oder Scheunen nächtigte, die Habgier ebensovieler Herbergswirte erfuhr und in sämtlichen Provinzen, die von Bordeaux nach Paris aufeinander folgen, das gleiche magere Fleisch kaute. Er wäre auch beinahe von Räubern, von denen zwei auf dem Platze blieben, ausgeplündert worden. Auch hatte er achtzehn Herbergsmägden seine Liebe erklärt, war von vierzehn erhört und noch von neun andern begehrt worden, von denen eine sechzig Jahre zählte und eine andre ein beinloser Krüppel war. So kam Herr von Migurac mit sonnengebräuntem Gesicht, abgetragenem Anzug, aber stolzer Haltung auf seinem Fuchs in Paris an. Es war an einem Novembernachmittag; vom bleigrauen Himmel rieselte ein feiner Sprühregen auf den schmutzigen, mit schwarzen Kotlachen bedeckten Boden.

Auf den Rat eines liederlichen Mädchens in Orleans erkundigte er sich nach der Rue Trousse-Vache, und als er sie endlich in einem Labyrinth stinkender Gäßchen gefunden hatte, klopfte er an die Tür einer Winkelherberge, das »Geblümte Kaninchen« genannt, wo man ihm für einen kleinen Taler pro Tag einen mit einer Dachluke und Strohsack ausgestatteten Winkel und das entsprechende Essen zusicherte.

In seiner Wißbegier widmete Herr von Migurac die erste Zeit seines Aufenthaltes der Besichtigung der Sehenswürdigkeiten. Obwohl er seinen Stolz darein setzte, nicht überrascht zu erscheinen, so gab er doch zu, daß die Hauptstadt das Bild, das er sich davon gemacht hatte, bei weitem übertraf. Nach jeder Richtung hin wurde er von Bewunderung ergriffen: von der Kathedrale Notre-Dame und dem Louvrepalast, dem Spaziergang auf den Boulevards und der Morgue, wohin man die Ertrunkenen bringt, vom Châtelet, den geschmackvollen Equipagen, den prachtvollen Privathäusern, dem Glanz der Trachten, der Schönheit der Frauen, der ungeheuern Ausdehnung der Stadt und ihrem lebhaften Treiben. Trotz seines Vorsatzes, sich nicht als Provinziale zu verraten, blieb er doch bei der Neuheit des Anblicks erstaunt stehen oder sagte den Frauen, die ihm auffielen, eine Schmeichelei in seinem Gascogner Dialekt, zur großen Freude der Müßiggänger und zum Mißfallen der Ehemänner, die er übrigens gleichermaßen verachtete und durch einen einzigen Blick seiner blauen Augen in die Flucht schlug.

Indessen bemerkte Herr von Migurac nach Verlauf von drei Wochen, daß seine Börse sehr schmächtig wurde, trotzdem er schon eins der Juwelen, die er von seinem Vater besaß, zu Gelde gemacht hatte, und er wurde sich deutlich bewußt, daß er so nicht weiterleben könnte. Also ließ er seine Gedanken in die Vergangenheit zurückschweifen, und es fiel ihm plötzlich ein, daß er ja die heimischen Penaten nicht verlassen hatte, um die Hauptstadt zu besichtigen, sondern um eine Anstellung im königlichen Heer zu erhalten. Dies hatte er, seitdem er Castelmoron zwei Meilen hinter Migurac passiert hatte, gänzlich aus den Augen verloren. So befahl er denn ohne Verzug dem Knecht, sein Pferd gut zu striegeln und seine Kleider sorgsam zu bürsten, und früh am nächsten Morgen schlug er trotz des rauhen Dezemberwindes den Weg nach Versailles ein, um sich dem König in Person vorzustellen und ihm seinen Wunsch darzulegen.

Er war nicht wenig verwundert über das ganze Treiben auf der Landstraße, das Kommen und Gehen der Fußgänger und Pferde, der Postwagen und Privatkutschen, der »Nachttöpfe« und »Karabassen,« die die buntscheckige Menge der Höflinge, Bettler und Neugierigen beförderten. Die feierliche Großartigkeit von Versailles, die Fülle und Ausdehnung der Paläste, die Breite der Avenuen, die unerhörte Entfaltung von Truppen aller Waffengattungen, das unglaubliche Gewühl von Einspännern, Kutschen, Reitern und Sänften versetzte ihn in dumpfes Staunen. Der ganze Luxus, den er bis dahin gekannt hatte, schien ihm armselig und erbärmlich dagegen.

Aber fest entschlossen, den Zweck seines Kommens nicht zu vernachlässigen, näherte er sich dem Gittertor des königlichen Schlosses und schickte sich an, ungezwungen hindurchzureiten, als ein Schweizer, ein Hüne von Gestalt in goldstrotzender Uniform, ihm den Weg versperrte und ihn fragte, was er wollte und ob er glaubte, daß man in das Schloß wie in eine Mühle einritte. Obwohl ihm der Zorn zu Kopf stieg, antwortete Herr von Migurac höflich, daß er den König zu sehen wünschte. Darauf musterte der Mensch grinsend seine frostgerötete Nase, seinen staubigen Anzug und sein Pferd, dessen Aussehen in Wahrheit nicht mehr sehr gut war. Und in hochmütigem Tone versetzte er, daß er eine Bittschrift an seine Majestät aufsetzen sollte, und falls er irgendwelche Aussicht auf eine Audienz haben wollte, eine Empfehlung beifügen müßte, denn es würden jeden Tag vier- bis fünfhundert von der Sorte in den Papierkorb geworfen. Die Unverschämtheit dieses Bauernlümmels war eine derartige, daß Herr von Migurac vor Zorn zu ersticken glaubte, und wäre ihm nicht der Gedanke gekommen, daß er noch seine Sünden büßen müßte, so hätte er sich vielleicht zu irgend einer Gewalttat hinreißen lassen. Aber er begnügte sich damit, tief aufzuseufzen und den Menschen mit einem solchen Blick zu messen, daß er zurückfuhr und die Hand an den Degen legte, der ihm gegen die Waden schlenkerte.

Herr von Migurac erzählte später gern, daß er von diesem Tage an einsah, wie unheilvoll die absolute Macht eines einzelnen ist, und welche Laster jedes politische System untergraben müssen, wo der König von seinen Untertanen abgesperrt lebt und von Bevorzugten bewacht wird, die in ihrem Glücksrausch die Liebe seines Volkes von ihm fernhalten und ihn zugleich hindern, dessen Bedürfnisse kennen zu lernen. Wir können füglich noch hinzusetzen, daß er an diesem Tage auch von dem Glanze des Königtums den tiefsten Eindruck empfing. Nachdem er sein Pferd zum Ausruhen untergestellt hatte, sah er, daß sich vor einer Tür des Schlosses eine große Zahl von Menschen drängte. Er erkundigte sich und erfuhr, daß all diese Leute hofften, den König speisen zu sehen. Unbekümmert um den Zorn, den er erregte, brauchte er seine Ellbogen, trat den Leuten auf die Füße, machte sich Platz, und er war so glücklich, in die erste Reihe zu schlüpfen. Auf diese Weise konnte er Louis den Vielgeliebten von Angesicht zu Angesicht sehen. Er saß allein an einer Tafel, deren Reichtum an Silberzeug alles übertraf, was Herr von Migurac sich jemals hatte träumen lassen. Sein Anzug war nicht so erstaunlich kostbar, aber sein Gesicht, mit den regelmäßigen, schönen Zügen, war das eines Königs. Edelleute mit dem Degen an der Seite reichten ihm etwa zwanzig Schüsseln, von denen er kostete. Als er fertig war und sich erhob, ließ er einen ruhigen Blick über die schweigende Menge gleiten. Obgleich der sogenannte siebenjährige Krieg reich an Schlägen war und viel Unzufriedenheit erregte, folgte dem König beim Hinausgehen doch ein anbetendes Gemurmel. Herr von Migurac fühlte, wie ihm die Tränen in die Augen traten, und er sah ein, daß es wenig wäre, sein Leben für einen Fürsten zu opfern, der so gut gespeist hatte. Es ist bemerkenswert, wie weit er später von diesem Enthusiasmus abkam, denn in seiner Schrift: »Der Wahnsinn des entlarvten Heliogabalus« vergleicht er Louis XV. mit den abscheulichsten Despoten und schleudert alle denkbaren Verwünschungen auf sein Andenken.

Jedoch kam Herr von Migurac, nachdem seine Begeisterung sich gelegt hatte, sehr entmutigt von Versailles zurück. Obwohl das Alter seines Adels ihn berechtigt hätte, in königlichen Karossen zu fahren, und sein Vater, der Marquis, ehemals Verbindungen am Hof angeknüpft hatte, verbot ihm doch der Stolz, in diesem jämmerlichen Aufzug an dem Ort, wo seine Familie ehemals etwas Geltung gehabt hatte, um Protektion zu bitten. So beschränkte er sich darauf, selbst eine Bittschrift aufzusetzen und sie ohne Empfehlung abzuschicken. Aber da die Tinte nicht mit Streusand getrocknet war, wie es die Etikette vorschrieb, so wurde sie beim ersten Blick ungelesen in den Papierkorb geworfen, und die Prophezeihung des Schweizers ging in Erfüllung.

Als nichts erfolgte, verlor der Marquis doch nicht den Mut, sondern setzte Gesuche an verschiedene Persönlichkeiten auf, von denen er nach den Begriffen, die er sich vom Hof und dem Heere machte, annahm, daß sie imstande wären, ihm zu helfen: so an seine Hoheit den Dauphin, an die Königin Marie, die Prinzessinnen Töchter, die Marquise von Pompadour, den Staatssekretär des Krieges, den Herzog von Richelieu, den Marschall von Contades und mehrere Generale, deren Namen er in den Zeitungen gelesen hatte. Einen Monat lang wunderte er sich jeden Morgen, daß er keine Antwort erhielt, obwohl er bei jedem neuen Fehlschlag seine Ansprüche herunterschraubte; hatte er doch zuerst ein Regiment verlangt, dann eine Kompagnie und sich schließlich auf ein einfaches Patent als Kornett oder Fähnrich beschränkt.

Indessen wurde dieses Warten um so unangenehmer für ihn, je länger es dauerte. Er hatte nacheinander alle seine Schmucksachen zu Gelde gemacht, einschließlich des falschen Rubins, den er am Halse trug, ja sogar sein Pferd verkauft, von dessen Erlös er drei Wochen lebte. Er teilte seine Ausgaben mit der peinlichsten Sparsamkeit ein, nährte sich in den elendesten Garküchen, und in seinem nächtlichen Schlupfwinkel, wo er weder Feuer noch Kerze hatte, klapperte er mit den Zähnen. Mit leerem Magen und mangelhaft gegen die Kälte geschützt, mußte er die ihm neuen Unbilden eines nordischen Winters über sich ergehen lassen. Trotzdem kam ein Augenblick, wo er nach Prüfung seines Solls und Habens nur noch einen kleinen Taler in der Tiefe seiner Börse fand und auch keine Möglichkeit sah, ihm einen Gefährten zu geben. Da begann er sehr ernstlich nachzudenken und kam zu dem Ergebnis, daß, wenn er nicht zu erniedrigenden Auswegen greifen wollte, als etwa, sich bei einem Werbeunteroffizier eintragen zu lassen oder sich zu einer Beschäftigung unter seinem Stande herabzuwürdigen, ihm nur die Wahl unter zwei Entschlüssen bliebe: nämlich nach Migurac zu seiner Frau Gemahlin zurückzukehren oder das Leben zu verlassen, das ihm so ungastlich gesinnt war.

In der unheimlichen Dunkelheit seines Dachkämmerchens, in das der scharfe Nordwind hineinpustete, versuchte er vergebens, sich zu erwärmen, indem er sich in die Fäuste blies und sich in seine Pferdedecke einwickelte, und unwillkürlich gedachte er seines früheren behaglichen und üppigen Daseins und der liebevollen Verzeihung, die ihm sicher wäre, wenn er zurückkehrte. Und obwohl er bei dieser Vorstellung seine Unwürdigkeit noch tiefer empfand, so rührte sie doch sein Herz, und er wäre vielleicht seinen Ratschlägen gefolgt, wenn ihm nicht plötzlich die Einsicht gekommen wäre, daß er ja ganz unmöglich zu Fuß und mittellos heimkehren und ebensowenig leben könnte, bis ein Geldvorschuß eingetroffen wäre. Nach dieser Ueberlegung sah er deutlich ein, daß der Tod vorzuziehen wäre.

Als er diesen Entschluß gefaßt hatte, legte er sich die Frage vor, ob er nicht einen Abschiedsbrief an die junge Marquise schreiben sollte, um ihr seine allerletzten Grüße zu schicken. Da aber der Hunger in seinen Eingeweiden wühlte, glaubte er, daß sein letzter Taler besser angewandt wäre, dieses Verlangen zu befriedigen, als eine traurige Nachricht zu beschleunigen, die immer noch früh genug käme. Er ging also hinunter in die Schenke, ließ sich eine große Schüssel mit Suppe und gekochtem Fleisch auftragen, aß mit gutem Appetit und ging wieder in seine Kammer, wo er friedlich schlief, nachdem er seine Pistole geladen hatte.

Beim Erwachen fiel ihm ein, daß er an diesem Tage noch eine bedeutungsvolle Tat vollbringen müßte; die Pistole auf dem Tisch zog seinen Blick auf sich, und er erinnerte sich, daß es ans Sterben ging. Aber als er das Fenster geöffnet hatte, um die frische Morgenluft einzuatmen, ehe er sich in die des Fegefeuers begab, entzückte ihn die Schönheit der Sonne und die für diese Jahreszeit ungewöhnliche Wärme, und er beschloß, noch einen Spaziergang zu machen. Er ging also durch mehrere Gäßchen, die zur Seine führten, und plötzlich gab ihm der Frühlingszauber des Tages den Gedanken ein, sich zu ertränken. Dieser Einfall entzückte ihn. Aus Furcht, von einem Zudringlichen wieder herausgefischt zu werden, und weil das Wasser am Petit-Pont ihm durchaus nicht sauber schien, setzte er seinen Weg fort. Er machte einen Umweg durch die Rue Saint-Honoré und über die Place Royale, verließ das Stadttor de l'Etoile und irrte quer durch Gärten bis nach den Dörfern Passy und Auteuil. Er ging einige Minuten an dem durchsichtigen Fluß entlang und dachte an einer Stelle, wo das Ufer einige Fuß höher war, daß man sich von dort besonders gut hinunterstürzen könnte. Er sandte in Gedanken noch einen letzten Gruß an seine Gattin, seine Mutter, den Abbé Joineau und all die Schönen, die sein Leben versüßt hatten, und eingedenk des erbaulichen Endes, das der Marquis Henri gehabt hatte, rief er pathetisch:

»O, Natur, empfange den Körper und das letzte Lebewohl deines Kindes!«

Aber weil der Atheismus kein erklärtes Dogma für ihn war, so betete er noch ein Vaterunser und ein Ave Maria, bekannte alle seine Sünden, bereute sie aufrichtig, bekreuzigte sich und stürzte sich in den Fluß.

Aber wie es zu gehen pflegt: sobald das Wasser ihm in den Ohren brauste und er fühlte, wie ihm der Atem ausging und seine Füße das Flußbett berührten, stieß er mit den Fersen ab, arbeitete sich mit aller Macht in die Höhe, kam wieder an die Oberfläche und atmete die Luft mit Entzücken. Aber sogleich erinnerte er sich wieder seines Vorhabens und wollte sich gerade von neuem sinken lassen, als ein Geräusch an sein Ohr schlug. Er blickte in die Höhe und bemerkte ein junges, wohlgewachsenes Frauenzimmer mit Spitzenhäubchen und weißer Schürze, das zwei leidlich hübsche Arme in der Luft schwenkte und aus Leibeskräften schrie:

»Mein Gott, rettet ihn, retten Sie ihn!«

Ihre Bewegungen deuteten auf etwas Schwarzes, das im Wasser plätscherte. Obwohl Herr von Migurac die Absicht hatte, zu sterben, hielt er es doch für eine Verletzung der Ritterpflicht, wenn er den Kummer dieser jungen Person nicht zu heilen suchte. Wenn auch durch seinen Degen sehr behindert, hatte er doch mit wenigen Stößen einen kleinen Köter erreicht, von der Art, die man Mops nennt, der jämmerlich zappelte und winselte. Er packte ihn mit starker Hand am Nackenfell und setzte ihn in einiger Entfernung an Land … Vor Ueberraschung versteinert, sah ihn die junge Frau an, als ob er ein Flußgott wäre. Er näherte sich ihr etwas verlegen wegen seiner durchnäßten Kleidung und sagte:

»Madame, hier ist Ihr Hund. Geben Sie gütigst besser acht auf ihn.«

Dann grüßte er sie, drehte sich auf dem Absatz um und wollte pflichtschuldigst wieder ins Wasser gehen.

Aber eine durchdringende Stimme hielt ihn zurück.

»Um des Himmels willen, mein Herr, was haben Sie vor?«

Er fühlte auf seinem Arm die Hand des jungen Mädchens, das ihm ein Kammermädchen aus gutem Hause zu sein schien und ihn mit Interesse betrachtete. Er antwortete ihr höflich, daß er die Absicht habe, sich zu ertränken, daß ihn sehr friere und daß er keine Zeit zu verlieren habe. Trotz ihres Widerspruchs wollte er sich von ihrer Umklammerung losmachen, als ihm plötzlich der Kopf schwindelte, sei es infolge der Sonne oder des Wassers, das er geschluckt, oder weil er seit dem gestrigen Abend nüchtern war, und er der Länge nach bewußtlos mit dem Gesicht zu Boden fiel.

Als Herr von Migurac wieder zu sich kam, sah er vor sich rosige und weiße Wolken über einem azurblauen Himmel verteilt; wenig bekleidete Nymphen stützten nachlässig die Ellbogen darauf, und pausbäckige Liebesgötter, die auf Schmetterlingen ritten, schossen mit Pfeilen nach ihren verführerischen Busen. Vielleicht hätte er sich in einem Paradies der Cythere geglaubt, hätte er nicht, als er seine Blicke herumschweifen ließ, die Gewißheit gewonnen, daß er sich in einem sehr weißen Bett mit rosaseidenen Vorhängen inmitten eines Zimmers von vollendetem Geschmack befand. An seinem Kopfende saß auf der einen Seite ein sehr häßlicher Mann, in dem er ohne Mühe einen Arzt erriet, und an der andern die junge Person, die er am Ufer gesehen hatte, und die sich zu dem Manne der Wissenschaft hinüberbeugte und mit besorgter Miene leise zu ihm sprach. Ihre Hand ruhte auf dem Kopfkissen ganz nahe bei Herrn von Miguracs Munde. Er neigte leicht den Kopf und drückte seine Lippen darauf. Mit einem gellenden Schrei sprang sie in die Höhe, während der Arzt seine Brille fallen ließ.

»Ach, mein Herr,« sagte sie, die Hände faltend, »wie froh bin ich, daß Sie nicht tot sind.«

Dann setzte sie hinzu:

»Madame, sehen Sie unsern Ertrunkenen an!«

Herr von Migurac sah eine junge Schönheit eintreten, in der er die Herrin der andern erkannte, und deren Anblick ihn so erregte, daß er glaubte, wieder in Ohnmacht zu fallen. Sie war mit einem einfachen Ueberwurf bekleidet; ihr weit offenes Gazekleid ließ einen bewunderungswürdigen Busen sehen. Ein Gesicht, von den Grazien geschaffen, beugte sich über den kleinen Hund, den Herr von Migurac aus dem Wasser gefischt hatte, und der ihm seine Dankbarkeit durch lautes Bellen bezeigte. Sie hörte eine Sekunde lang auf, ihn zu küssen, und sagte mit entzückendem Lächeln:

»Mein Herr, wie könnte ich Ihnen dafür danken, daß Sie dies Kleinod von einem schrecklichen Tode errettet haben?«

»Madame,« sagte der Marquis, »da ich nicht wagen würde, mich an Stelle dieses Tieres zu wünschen, so will ich Sie um ein Mittagessen bitten.«

Einige Stunden später, als Herr von Migurac erfrischt, gesättigt, trocken und mit neuen Kleidern versehen war, erzählte er seiner Wirtin, die sich ihm als Mademoiselle Chloris, Tänzerin an der Oper, vorgestellt hatte, seine Abenteuer. Nun wollte es das Glück, daß Mademoiselle Chloris Herrn von Montreuil zum Freunde hatte, der es übernommen hatte, ein Regiment auszuheben als Ersatz für eines von denen, die sich bei Fillinghausen hatten fangen lassen. Herr von Montreuil, als galanter Sechziger, konnte diesem liebenswürdigen Kinde nichts abschlagen. Sie empfahl ihm Herrn von Migurac aufs wärmste, und es war ein glückliches Zusammentreffen, daß er ehedem mit dessen Vater verkehrt hatte. So kam es, daß unser Held acht Tage, nachdem er sich hatte ertränken wollen, ein Fähnrichspatent von Seiner Majestät beim Regiment Royal-Champagne in der Tasche hatte und zudem ein Geschenk von fünfhundert Talern, die Herr von Montreuil ihm im Andenken an den Marquis Henri zu geben wünschte. Außerdem zierte seine rechte Hand ein wunderschöner Brillant, ein Angebinde von Mademoiselle Chloris, und seine linke ein Perlenring, den ihm ihre Gesellschafterin, Mademoiselle Mirette, verehrt hatte. Daß diese Geschmeide einfach der Lohn für den geretteten Hund waren, würden unsre Leser nicht glauben. Wir wollen also gestehen, daß die gegenseitige Dankbarkeit des Herrn von Migurac und dieser liebenswürdigen Frauenzimmer die zärtlichsten Bande zwischen ihnen knüpfte. Mancher Griesgram würde ihn darob tadeln. Deshalb muß man zu seiner Entschuldigung außer seiner Pflicht der Ritterlichkeit die Merkwürdigkeit hervorheben, daß er sich die unerhörte Aufeinanderfolge unvorhergesehener Ereignisse nur durch das Eingreifen der Vorsehung erklären konnte, gegen die sich aufzulehnen strafbar gewesen wäre. Wenn er später aufgefordert wurde, einige Gründe für seinen Glauben an die allmächtige Güte Gottes anzugeben, so pflegte er zu antworten, daß keiner überzeugender wäre als die unerwartete Weise, in der er, im Begriff, sich das Leben zu nehmen, in den Dienst des Königs getreten war, weil er Mademoiselle Chloris' Mops gerettet hatte. Dies erzählte er mit einer Menge von Einzelheiten und nicht ohne Wohlgefallen.


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