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Zehntes Kapitel.
Von dem erhabenen Entschluss, den Herr von Migurac faßte, um seine Vergehen zu sühnen

Es wäre gewagt, Mutmaßungen darüber anzustellen, wie der Zwiespalt zwischen Herrn von Migurac und seiner Gattin mit der Zeit sich hätte ausgleichen können. Ohne jemals in seinen Aeußerungen und seiner Haltung die Achtung gegen die zu verletzen, die seinen Namen so edel trug, stürzte sich Louis Lycurgue, jeden Zwang verachtend, derartig in Ausschweifungen, daß nicht nur seine Frau Mutter, sondern sogar der Abbé Joineau, trotz seiner Zurückhaltung, ihm Vorstellungen machte. Dem letzteren gab er den Rat, lieber an seine Messen zu denken. Als aber Madame Olympia nicht nachließ, geriet er in furchtbaren Zorn, fluchte wie ein Heide und zertrümmerte die sächsischen und venezianischen Kostbarkeiten. Dabei brüllte er, daß das alles ihr Werk wäre, und daß sie sich selbst die Folgen zuzuschreiben hätte, und dies mit solcher Heftigkeit, daß sie ein paar Stunden lang stumm und atemlos blieb. Was die junge Marquise anbelangt, so war ihr Anblick bejammernswert. Mit jedem Monat wurde sie magerer und blasser und wandte sich mehr und mehr der Frömmigkeit und Wohltätigkeit zu, in der sie verzweifelt Trost suchte; und Herr Joineau in seiner liebevollen und gütigen Gemütsart bemühte sich, ihr zu Hilfe zu kommen. Vielleicht hätte sie sich mit der Zeit in das ergeben, was so viele Frauen erdulden, oder sich einen Liebhaber ausgesucht und Schlag um Schlag zurückgezahlt. Möglicherweise wäre ihr Gatte auch in plötzlicher Umkehr endgültig reuevoll zu ihr zurückgekehrt. Diese Möglichkeit ist jedoch zweifelhaft wegen eines unerwarteten Ereignisses, das zwei oder drei Jahre nach der Vermählung eintrat und den Anlaß zu bedeutenden Umwälzungen gab.

Eines Tages gefiel es Herrn von Migurac, dem ganzen Adel des Landes eine Festlichkeit zu geben, die seinem Rufe Ehre machte. Ob er darin nur der eignen Vergnügungslust zu frönen gedachte oder ob er, von Gewissensbissen getrieben, die junge Marquise für einen Augenblick von ihren schmerzhaften Gedanken befreien wollte, ist gleichgültig. Wahrscheinlich war seine geheime Absicht die, im vollen Glanze vor Madame von Solette zu erscheinen, einer pikanten Blondine mit lebhaften Augen und vielversprechendem Lächeln, der er seit Wochen stark zusetzte und von der er auch das letzte Zugeständnis zu erlangen gedachte. Jedenfalls beeiferten sich die Tapezierer von Bordeaux acht Tage lang, die weiten Säle des Schlosses nach dem neuesten Geschmack auszuschmücken, während Scharen von Gärtnern Sand auf die Wege streuten und in den Küchen sich Leckerbissen und Lebensmittel häuften.

Am besagten Tage setzten sämtliche Karossen des Landes, für diese Gelegenheit neu gemalt und verschwenderisch mit Lakaien besetzt, die Blüte des Adels in dem mit Kerzen erleuchteten Ehrenhof ab. Die Gäste erschienen in Samt, Brokat und Spitzen und strahlten von allem, was sie an Goldschmuck und Juwelen besaßen. Sie schritten die Treppe hinauf, die mit rotem Damast belegt und mit Blumengirlanden reich geschmückt war. Auf beiden Seiten stand eine Reihe von Lakaien in weißen Lederhosen und engem, grünem, goldbetreßtem Frack. Der Marquis empfing sie mit ausgesuchter Höflichkeit. Er trug einen enganliegenden Rock von purpurnem, goldgesticktem Tuch und eine graue Atlasweste mit purpurnem Chenillebesatz und einer vier Finger breiten Borte von Goldstickerei. Die Marquise, deren Schönheit beträchtlich eingebüßt hatte, erschien in einer weißen Atlasrobe, die mit goldenen Zweigen und Rosensträußen reich geblümt war. Das tiefausgeschnittene Mieder brachte die Schultern zur Geltung, und die großen Aermel von Argentanspitzen fielen am Ellbogen auseinander. Nach einer erlesenen Mahlzeit, bei der Pasteten von Périgueux und Straßburg, Poularden von Rennes, Bekassinen von Dombes und Kapaune von Caux, desgleichen eine kolossale Torte à la Frangipani die hervorragendsten Schüsseln bildeten, luden die Klänge eines Orchesters zum Tanze. Dieses war aus Hoboen, Geigen und einem Klavier aufs feinste zusammengestellt. Der Marquis von Migurac eröffnete den Ball durch ein Menuett, das er mit Frau von Solette tanzte, während die Marquise und der Herzog von Révigny das Gegenüber bildeten. Frau von Migurac war totenbleich und lächelte immerfort, obwohl ihr weiblicher Instinkt, der notorische Ruf und der unverschämte Ausdruck ihrer Nebenbuhlerin ihr genugsam verrieten, wer die Königin des Festes war.

Dann begann der allgemeine Tanz, und eine vornehme Fröhlichkeit erfüllte die glänzenden Säle, deren Spiegel das Bild der Paare bis ins Unendliche zurückwarfen. Mit ängstlichem, schüchternem Blick suchte Madame Isabella wider Willen den Marquis; doch in dem Durcheinander der wirbelnden, geputzten Menge konnte sie ihm schließlich nicht mehr folgen. Trotz all diesem festlichen Treiben fühlte sie sich nach und nach von der bittersten Traurigkeit erfaßt, und infolge des Kummers und der Hitze fürchtete sie plötzlich, ohnmächtig zu werden. Sie wollte aus ihrem Ridikül ein Fläschchen mit Hoffmannstropfen hervorholen, aber die Kammerfrau hatte es vergessen. Sie erinnerte sich, es in ihrem Schlafzimmer auf ein Wandbrett gestellt zu haben, und um nicht eine ihrer Zofen rufen zu müssen, schlüpfte sie lieber geräuschlos aus den Festräumen und ging die Treppe hinauf, in der Hoffnung, daß die Kühle und Einsamkeit sie erfrischen würden.

Vor ihrem Schlafzimmer angekommen, stieß sie voller Verwunderung über einen Lichtschein, der unter dem Türflügel hervordrang, die Tür auf. Bei dem Anblick, der ihr zuteil ward, blieb sie unbeweglich, wie versteinert stehen. Eine Dame, in der sie Frau von Solette erkannte, ordnete hastig ihre Kleider und entfloh in Eile, während ihr Gatte mit noch erhitztem Kopf und wollustsprühenden Augen, doch höchst verstört, ihrem Blick standhielt und sich zu fassen suchte. Um das Schweigen zu brechen, sagte er in ritterlichem und zugleich begütigendem Tone, wie wenn man einem Kinde zuredet:

»Gestatten Sie mir, Madame, Ihnen den Arm zu bieten und zu glauben …«

Doch sie hörte ihn nicht. Mit unwillkürlicher Bewegung wies sie auf das große, weiße, mit vergoldetem Schnitzwerk gezierte Bett, unter dessen blaudamastenem Baldachin Liebesgötter spielten, die sie in der ersten Zärtlichkeit des ehelichen Glückes bewundert hatten, und sagte sehr leise, mit gebrochener Stimme und einem Ausdruck unaussprechlichen Schmerzes:

»O, Louis … Louis … Wenn nicht die Ehre, sollte die Menschlichkeit …«

Dann verließen sie die Kräfte, und sie sank leblos zu Boden.

Der Marquis stürzte auf sie zu, hob sie in seinen Armen auf und trug sie nach einem Lehnstuhl. Ganz niedergeschmettert strich er sich über die Stirn und betrachtete ihre abgemagerten Wangen und schmalen Lippen. Und plötzlich murmelte er:

»Ich bin ein Elender!«

Er lief zur Tür und rief:

»Heda! Herbei! Die Frau Marquise ist krank.«

Und wie ein Wahnsinniger flüchtete er in den Korridor.

Bei der Nachricht von der Unpäßlichkeit der Marquise befahlen die Gäste ihre Wagen; aber vergebens suchte man den Marquis, um sich von ihm zu verabschieden. Seine Mutter entschuldigte ihn mit dem Hinweis, daß er ohne Zweifel bei seiner Frau wäre, für die er eine außerordentliche Liebe hätte. Nach dem Lärm des Aufbruchs, dem Geschrei der Kutscher, dem Stampfen der ungeduldigen Pferde und dem Klingeln der Wagenschellen schlossen sich die Gittertore wieder, die Kerzen verloschen, und im Schloß wurde es ruhig.

Indessen streifte Louis Lycurgue, im Innersten erschüttert, mit hastigen Schritten durch den Park, irrte planlos durch die gradlinigen Alleen oder durchs Dickicht und zerriß seinen Anzug an den Dornen. Bald stand er still, bald ging er weiter, hob die Arme zum Himmel, faßte seinen Kopf mit beiden Händen, und plötzlich brach er in schreckliches Schluchzen aus, das ihm fast die Brust zersprengte. Es war, als wenn bei den Worten seiner Frau, bei diesen Worten, die so grausam die Ermahnungen des Marquis Henri heraufbeschworen, gewaltsam, mit einem Schlage, ein Schleier von seinen Augen gefallen war, der sie bis dahin verhüllt hatte. Jetzt maß er sich selbst mit den Blicken und verurteilte sich als entehrt wegen vieler schuldiger Taten: weil er die Warnungen seines Vaters mißachtet und seine eignen Schwüre gebrochen hatte, weil er göttliche und menschliche Gesetze gelästert und übertreten hatte, besonders aber darum, weil er einem jungen, liebenswürdigen und unschuldigen Mädchen Treue gelobt und sich darauf beschränkt hatte, in ihrem Vermögen zu schwelgen und ihr jetzt eben die schlimmste Schmach anzutun – an der Stätte, die ihm vor allem heilig sein sollte.

Auf einem Heubündel saß der Marquis, bleich und mit wirrem Haar, des fallenden Taus nicht achtend, lange Zeit in seinen Schmerz versunken. Als er sich nach mehreren Stunden des Nachdenkens erhob, war sein Entschluß gefaßt. Da er sich einer solchen Beschimpfung schuldig gemacht, konnte er nicht wieder vor den Augen der Marquise erscheinen; es war eine Ehrlosigkeit, noch länger ihre Wohltaten anzunehmen.

Er kehrte also in sein Schlafgemach zurück, vertauschte seine Staatskleider mit einem Reiseanzug von grobem, braunem Tuch, packte etwas Wäsche zum Wechseln, ein Toilettenbesteck, eine halbgefüllte Börse, ein paar Juwelen, die noch von seinem Vater stammten, und eine Pistole in eine Reisetasche. Dann setzte er sich an sein Schreibpult und schrieb mit fester Hand:

 

»Madame!

Das Entsetzen, das meine Brust erfüllt, wenn ich mir mein Unrecht gegen Sie klar mache, ist so groß, daß mir die Worte fehlen, es auszudrücken. Mit all meinem Blut könnte ich die Tränen, die ich Ihnen entlockt habe, nicht wieder gut machen. Für ein solches Verbrechen gibt es weder Entschuldigung noch Reue. Edle, heilige Frau! Da die Vorsehung mir die Augen zu spät geöffnet hat, will ich das einzige tun, was Ihren Schmerz lindern kann, indem ich Sie von dem Anblick eines Schändlichen befreie. Wenn Sie dieses Lebewohl lesen, werde ich das Schloß für immer verlassen haben. Die Erinnerung an Ihre Tugenden, die ebenso unvergänglich ist wie die Scham, sie verkannt zu haben, bewahre ich in meiner Seele. Ich habe Ihr gefühlvolles Herz gemordet, und da ich meine Missetaten nicht ungeschehen machen kann, so versage ich es mir wenigstens, Verzeihung dafür zu erflehen. Ich habe Ihr Vermögen verschwendet, und da ich außerstande bin, es Ihnen zu ersetzen, will ich wenigstens auf das verzichten, was davon übrigbleibt. Alles, was ich besitze, dies ist mein ausdrücklicher Wille, gehört Ihnen. Ihnen, Marquise von Migurac, vertraue ich meine Ehre und die Sorge für meinen Namen an. Möge das Glück Ihnen einen Geliebten schenken, der Ihrer würdiger ist als ich. Möge der Degen eines Ulanen diesem Herzen den Rest geben. Es hat nicht verstanden, sich zur Höhe des Ihrigen zu erheben, aber Ihr Name und der der Tugend und Schönheit bleibt darin eingegraben.

Ihr unwürdiger Diener
Louis Lycurgue.«

 

Bei nochmaligem Lesen des Briefes fand er den Stil erhaben und fühlte sich erleichtert. Er siegelte ihn mit dem Miguracschen Wappen, verließ das Zimmer, schlich auf den Fußspitzen über den Korridor, stieg die Treppe hinab, drehte das schwere Portal geräuschlos in den Angeln und erreichte den Stall. Dort wählte er unter den Pferden einen kräftigen, kleinen tarbischen Fuchs, sattelte ihn selbst, befestigte seinen Reisesack auf dem Sattel, schwang sich hinauf und bog in die große Allee ein. Ehe er aus dem Tor ritt, hielt er an und umfaßte mit einem Blick die grüne Kuppel der symmetrischen Baumreihen, die Zwillingstürme des Schlosses, die blühenden Gebüsche und die fernen Gebäude des Pachthofes. Der Morgen graute darüber, und die Sterne erloschen in den azurnen Tiefen des Himmels. Ein leiser Wind flüsterte durch das herbstliche Laub, aus dem flüssige Tauperlen herabtropften. In den Nestern erwachten die Vogellieder … Louis Lycurgue trocknete eine Träne, warf einen Handkuß zurück und sagte:

»Du Natur, deren Lehren ich nicht begriffen habe, schenke ihr, die ich nicht zu lieben verstand, deinen Frieden!«

Dann gab er seinem Pferd beide Sporen und ließ es auf der Straße nach Poitiers traben. Nach einer Meile hatten sich die Falten auf seiner Stirn geglättet und er lauschte dem Hufschlag seines Pferdes auf der Straße; seine Haltung war wieder aufrecht und seine Seele beruhigt, und er summte den Refrain eines schlüpfrigen Liedes vor sich hin. Frau von Solette pflegte es zu singen und sich dabei selbst auf dem Klavier zu begleiten, während sie Busen und Lippen vielversprechend vordrängte. Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß er ihr Lebewohl sagen könnte, wenn er einen Umweg machte. Aber sogleich ließ ihn die Erinnerung an seine Sünden einen solchen Plan mit Abscheu zurückweisen. Wie hätte das zu seiner auferlegten Buße gestimmt!

Er erreichte den Gipfel eines Hügels, auf dem mehrere Häuser des Fleckens Castelmoron verstreut lagen, zwei Meilen von Migurac. Als er sich umsah, erkannte er noch in der Ferne in unklaren Umrissen das väterliche Schloß, unter Bäumen versteckt. Er grüßte es mit bedeutsamer Handbewegung, spornte sein Pferd an und ließ es bergab ausgreifen.

Er war befriedigt, die Versuchung besiegt zu haben, und seine Seele war voller Freude, daß die Tugend noch nicht ganz aus seinem Herzen geschwunden war.


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