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Zwölftes Kapitel.
Wie Herr von Migurac sich im Kriege aufführte

Das Regiment, bei dem Herr von Migurac Kornett war, wurde zur Rheinarmee geschickt, um unter Herrn von Soubise den Feldzug gegen das hannoversche Heer mitzumachen. Herr von Migurac verließ Paris voller Sehnsucht nach Ruhm und Kämpfen. Er zweifelte gar nicht daran, daß er sich die Leutnantstressen vor Ablauf weniger Wochen mit dem Degen erobert und die Anwartschaft auf den Marschallstab errungen haben würde. Der Krieg erschien ihm nicht nur als das geheiligte Mittel, die Unabhängigkeit des Vaterlandes zu verteidigen und den Ruhm seiner Waffen in die Weite zu tragen, sondern auch als eine Art höchst edeln Spiels, bei dem zwei Scharen gleich rechtschaffener und ritterlicher Kämpen sich auf dem Kampfplatz ein Stelldichein geben, um einen Zwist auszufechten, wie es Leuten geziemt, die den Degen führen. Darauf hätten Sieger und Besiegte sich nur zu versöhnen und die Becher auf gegenseitige Gesundheit zu leeren, indem sie sich ihre Heldentaten erzählten und das Böse, das sie zugefügt hatten, wieder gut zu machen suchten.

In dieser Ansicht wurde er durch die Sprache und die Sitten der jungen Offiziere seines Regiments bestärkt. Während des ganzen Marsches, den sie machten, um zu ihren Truppen in Westfalen zu stoßen, verbrachten sie die Tage mit Essen und Trinken, mit Spielen und Kurzweil mit den Weibern, die sie in großer Zahl begleiteten. Als sie ihre Quartiere bezogen hatten, erfuhr ihre Lebensweise keine große Veränderung. Herr von Migurac säumte nicht, in einer so auserlesenen Umgebung die letzten Spuren des Provinzbewohners abzustreifen. Einer der Hauptvorzüge seines Charakters scheint die wunderbare Leichtigkeit gewesen zu sein, mit der er sich allen Wechselfällen anpaßte. Nach wenig Wochen schien von dem Landjunker, der er in Périgord gewesen, nichts mehr an ihm zu sein und ebensowenig von dem armen, bedürftigen Schlucker, dessen Rolle er in Paris gespielt hatte. Aber er benahm sich wie ein vollendeter Offizier, leerte während eines Abendessens ein Dutzend Flaschen Champagner, wurde nicht müde, die Nächte beim Landsknecht, Biribi oder Würfelspiel zu verbringen, war kitzlig im Punkt der Ehre und schnell bereit, vom Leder zu ziehen, doch auch äußerst geschickt, den Wucherern das Geld abzunehmen und es ihnen nicht wiederzugeben, galant den deutschen Damen gegenüber, die sich nicht allzusehr sträubten, und nicht saumselig, wenn es galt, die Ehemänner, deren Langmut ein Ende hatte, weidlich durchzubleuen. Damals verspürte Herr von Migurac, daß der Dienst des Königs der wahre Dienst des Edelmanns ist, denn niemals hatte er so ungehindert die aristokratischen Neigungen befriedigen können, die seit seinem sechzehnten Jahre in ihm gekeimt hatten, und unter denen Spiel, Weiber und Wein sich den Rang streitig machten.

Wenn man aber Herrn von Migurac tadelt, daß er sich solchen Verirrungen hingab, so muß man billigerweise berücksichtigen, daß er nach dem Erdulden so bitterer Not ein natürliches Bedürfnis hatte, sich schadlos zu halten, und daß seine Natur ihn nicht zum Anachoreten geschaffen hatte. Uebrigens folgte er nur dem großen Strom; und das Leben wäre für so viele junge Leute von Stand wirklich unerträglich gewesen in den elenden deutschen Nestern, wo es weder eine Oper noch sonst eine Erholung gab, und sie wären vor Langeweile gestorben, wenn sie nicht Mittel gefunden hätten, sich zu zerstreuen. Es geschah, daß sie mehrere Tage lang auf schlammigen Feldern halb verschimmelten, die Füße im Wasser und von Nebel und durchdringendem Regen durchnäßt, und die Gesellschaft ihrer Mannschaft konnte sie nicht eben aufheitern: bestand diese doch aus übelriechenden, schmutzigen, mit Ungeziefer und Grind behafteten Vagabunden, die von den Werbern aufgegriffen waren. Wenn die Offiziere morgens kurze Musterung gehalten hatten, überließen sie den Exerziermeistern die Sorge, sie den Tag über zu drillen, und trafen sich in irgendeiner Schenke, wo sie die Zeit mit Zechen, Zanken und Sonettereimen totschlugen oder über ihre Triumphe in der Liebe disputierten.

Aber alles dies wäre ziemlich nichtssagend gewesen, wenn nicht von Zeit zu Zeit die Trompete geblasen hätte und die Schlacht zu erwarten stand. Beim ersten Signal waren die Krüge umgestoßen, die Karten in der Tasche und das Geld zusammengerafft. Trotz aller Einsprache des Wirtes vergaß jeder zu zahlen, eilte auf seinen Posten, während er sein Degengehenk umschnallte, schalt die Leute aus und ließ sie in Reih und Glied treten. Der Pulverrauch verscheuchte bald den Nebel der Trunkenheit; nur ein Fieber brannte in den Adern: die Klingen zu kreuzen.

Leider war das Bild der Schlachten nicht so, wie Herr von Migurac geträumt hatte, und sie entschieden sich im allgemeinen nicht durch einen Kampf Mann gegen Mann. Nach Eilmärschen, Rückstößen und entmutigenden Rückzügen mußte man lange unbeweglich in dem ewigen gelben Kot unter dem feindlichen Kanonenfeuer aushalten, das die französischen Geschütze erwiderten. Der einzige Zeitvertreib der jungen Offiziere war, einander zu überwachen, über die Flecke und Risse in ihren Uniformen zu spotten oder sich dazu herauszufordern, beim Pfeifen der Kugeln nicht den Kopf zu ducken oder mit den Augen zu zucken. Man ging Wetten ein, die abends bei der Flasche beglichen wurden. Herr von Migurac zeichnete sich rasch durch seine Ruhe und Fassung und durch die vollkommene Gleichgültigkeit aus, mit der er sich mitten im heißesten Gefecht einen Flecken von Pferdemist vom Rockaufschlag abkratzte, oder, auf einem Erdwall sitzend, sich die Nägel putzte. Im Gegensatz zu mehreren seiner Kameraden, die beim Kanonendonner außer sich gerieten, fühlte Herr von Migurac, sobald das Geschütz sprach, seine Kaltblütigkeit sich verdoppeln. Mit unbefangenster Neugier sah er zu, wie der Schlund der Kanonen aufflammte und das Kleingewehrfeuer prasselte. Nur wenn ein Mann neben ihm niedersank und er ihn auf dem Boden mit dem Tode ringen und die blutende Wunde zudrücken sah, wurde er bewegt. In solchen Augenblicken tauchte in ihm die Erinnerung an seinen Vater und die Lehre von der Brüderlichkeit der Menschen, die er ihm gegeben, wieder auf; und in der Entschiedenheit, mit der er befahl, die Verwundeten aufzuheben und wegzutragen, lag etwas wie leidenschaftliche Entrüstung. Diese Menschlichkeit trug ihm den Spott mancher Offiziere ein, die ihn mit seinem Mitleid für solche armen Teufel aufzogen und ihn als Kapuzinerpater behandelten; doch hüteten sie sich, zu weit zu gehen, denn sein Degen war sehr scharf, und er ließ sich nicht viel gefallen.

Jedoch der Schlachten waren wenige, und sie endeten nur zu oft mit einem Rückzug, den man strategisch rechtfertigte, oder in wilder Flucht, bei der man die röchelnden Verwundeten, das Lager, die Zelte und den Troß ihrem Schicksale überließ. Bei dem unaufhörlichen Regen mußte man die Dörfer verlassen, die man noch vor wenigen Tagen besetzt gehalten hatte, und deren Einwohner höhnische, haßerfüllte Gesichter zur Schau trugen; denn obwohl die deutschen Fürsten ihre Verbündeten waren, verhehlte die Bevölkerung keineswegs ihre Abneigung gegen Frankreich, und seine Niederlagen erfüllten sie mit Freude. Was die Offiziere des Königs anbetrifft, so gaben sie es auf, sich darüber zu betrüben, sobald der erste Verdruß vorüber war. Sie hatten ihre Pflicht getan und hielten die Ehre für gerettet. Hatten sie nicht jenen unvergleichlichen Monarchen zum Gegner, dessen Kriegskunst ebenso hoch stand wie seine Philosophie? Seine Siege über ihre Verbündeten, die Oesterreicher, erregten im Lager allgemeine Heiterkeit. Was war Demütigendes dabei, einem solchen Genius zu unterliegen? Der letzte Rest von Groll ging in dem Vergnügen unter, die Kriegführung des Herrn von Soubise und seine Liebschaften in Knittelversen oder Spottliedern zu besingen.

In diesem einförmigen und wenig ruhmvollen Kriege bot sich Herrn von Migurac unvermutet Gelegenheit, sich auszuzeichnen. Da Herr von Soubise wieder die Offensive nach dem Neckar zu ergreifen wollte, erhielt das Regiment Royal-Champagne, durch zwei Schwadronen leichter Reiterei verstärkt, Befehl, mit der preußischen Stellung Fühlung zu suchen. Nach einem mehrtägigen Aufklärungsmarsch trafen sichere Nachrichten ein, daß die Preußen auf dem Rückzug wären. Sogleich war die Zuversicht wiederhergestellt, und die Offiziere kehrten zu ihrer nächtlichen Beschäftigung mit Flaschen und Dirnen zurück. Eines Abends jedoch, als die Geister sich im Dunst des Weines und des Tabaks erhitzten, horchte Herr von Beauchamp, der am wenigsten betrunken war, auf und schrie:

»Heda, hört doch …«

Vor der Schwelle der Schenke hörte man, wie Gewehrkolben niedergesetzt wurden.

»Ach, was,« sagte Herr von Cravon, »irgendeine Ronde! – Meine Herren!« fuhr er fort, indem er sich in Mademoiselle Fifis Armen umdrehte, »lassen Sie uns auf das Wohl der Damen trinken!«

Aber seine Augen wurden groß, und er rührte sich nicht. Die Tür war eben aufgegangen, und davor blinkte eine Reihe von Musketen, während ein Offizier von den preußischen Grenadieren höflich seinen Dreispitz lüftete und die Anwesenden in einem teutonischen, aber sehr verständlichen Französisch aufforderte, keinen Widerstand zu leisten. Wilde Flüche und Verwünschungen schallten ihm entgegen. Mehrere griffen hastig nach den Waffen. Bei der Drohung, Feuer zu geben, hielt der Oberst einen ungleichen Kampf für zwecklos und wollte eben schweren Herzens seinen Degen übergeben, als eine unerwartete Gewehrsalve die Stille der Nacht durchriß und die Hälfte der Angreifer zu Boden streckte.

In fünf Minuten waren die Rollen vertauscht, und die Pommern lieferten ihre Waffen in die Hände der Infanteristen von Royal-Champagne. Die Verblüffung der befreiten Offiziere war nicht gering, als sie an der Spitze ihrer Befreier Herrn von Migurac begrüßten, den man vor zwei Stunden sinnlos betrunken in ein Stübchen hinter dem Hause geschafft und ausgekleidet hatte, um ihn ins Bett zu legen. Das Erscheinen der feindlichen Truppe hatte ihn gerade in dem Augenblick geweckt, als sein Rausch verflogen war. Er war aus dem Fenster gesprungen und hatte Alarm geschlagen. Alle spendeten ihm Beifall, und vor Frost klappernd nahm er die Glückwünsche an. Er hatte sich nämlich in der Eile nicht die Zeit genommen, sich anzukleiden, und von Kälte erstarrt hielt er mit der einen Hand seinen Degen und mit der andern sein Hemd fest, das in sehr unanständiger Weise im Winde flatterte. Dieses Abenteuer trug ihm das Leutnantspatent ein und veranlaßte Herrn von Beauchamp zu der witzigen Bemerkung, daß er sich die Lehre daraus zöge, nichts halb zu tun. Denn wenn er, anstatt halb, ganz betrunken gewesen und aus dem Saal getragen worden wäre, so hätte er dasselbe Glück haben können.

Dieser Vorfall war die wichtigste Episode in der militärischen Laufbahn des Herrn von Migurac. Abwechselnd Sieger oder besiegt, den Kopf in der Sonne oder die Füße im Wasser, in der Herberge oder unterm Zelt nächtigend, den Magen öfter leer als voll, erlebte er endlich den Tag, wo die europäischen Monarchen die Ehre für gerettet erklärten und Frieden schlossen. Zweiundfünfzig Schlachten waren geschlagen, einige hunderttausend Menschen auf dem Schlachtfeld getötet, ebenso viele in den Hospitälern und in den Laufgräben elendiglich umgekommen und mehr für den Rest ihres Lebens verstümmelt, hundertundachtzig Schiffe in den Grund gebohrt, zweihundert Millionen Taler ausgegeben und in zwei Welten ein Gebiet zweimal so groß als Frankreich von Grund aus verwüstet! Der Friedensschluß brachte unter anderm auch die Auflösung des Regiments Royal-Champagne mit sich, das nur für die Kriegszeit ausgehoben war. Herr von Migurac war lediglich auf sein Leutnantspatent angewiesen, aus dem er keinen Nutzen ziehen konnte, und auf eine Pension von hundert Talern, die um so weniger für ihn ausreichte, als sie schon bis zu sechstausend Livres und mehr für Schulden verpfändet war.

Obwohl zwei Kriegsjahre seinen Geist in bezug auf Hilfsquellen erfinderisch gemacht hatten, wäre er doch ohne Zweifel in Verlegenheit geraten, wenn er nicht zum Glück in Augsburg einem Pascha begegnet wäre, der Lehrer für die Truppen des Großtürken suchte. Nach einer kurzen Unterredung nahm er dessen Anerbietungen an und reiste nach Konstantinopel.


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