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Siebentes Kapitel.
Von den Jugendliebschaften des Herrn von Migurac

Wir müssen jetzt einen Gegenstand erörtern, dem der Biograph des Herrn von Migurac sich trotz aller Skrupel nicht entziehen könnte. Mit empfindsamer Seele, lebhafter Einbildungskraft und feurigem Temperament ausgestattet, konnte Louis Lycurgue sich nicht für alle Zeiten auf die unschuldigen Freuden der Kindheit und der ersten Jugend beschränken. Wir müssen gestehen, daß er ungewöhnlich früh bewies, daß er Herz und Sinne hatte. Doch wir wollen uns über dies Kapitel kurz fassen, und zwar aus zwei Gründen.

Erstlich würde es uns widerstehen, den Erfolg dieses Werkes auf zweifelhaften Wegen zu suchen. Es schien uns immer, daß die Autoren, die das Publikum durch lüsterne Schilderungen anlocken, sich nur zu ihrem Nachteil von den Besitzern schlechter Häuser unterscheiden. Diese letzteren treiben Prostitution, indem sie leichtfertige Frauenzimmer ausbeuten, die zumeist schon einen Hang zur Ausschweifung haben. Jene Schriftsteller aber schänden ihre eignen Gedanken, die ohne Zweifel zu einem moralischeren Beruf bestimmt waren. So sind sie die Schuldigeren, und zwar in dem Maße, wie der menschliche Geist höheren Wert hat als der Körper einer feilen Dirne.

Dieser Beweggrund allein würde unsre Bedenken rechtfertigen; aber auch das Beispiel des Herrn Joineau ermahnt uns dazu. Im Gegensatz zu der Mehrzahl seiner Zeitgenossen, und leider besonders einer großen Anzahl Geistlicher, die sich schwer gegen die Wohlanständigkeit vergingen, die ihr Gewand vorschreibt, zeigt sich der Abbé Joineau im Punkt der Liebschaften seines Zöglings sehr verschwiegen. Wir möchten gern glauben, daß seine hohe Auffassung von der Moral ihm diese Zurückhaltung auferlegte. Indessen scheinen andre Beweggründe noch bestimmender gewesen zu sein. Der erste ist, daß es übel angebracht gewesen wäre, den Marquis zu tadeln, denn wenn er sich der Fleischeslust überließ, so tat er nur, was unter Edelleuten Brauch ist. Da sein Beruf dem Abbé verbat, dies gutzuheißen, so zog er vor, zu schweigen. Das war weniger lobenswert, als wenn er ihn zur Rede gestellt hätte, aber doch noch besser, als wenn er, wie es die Zügellosigkeit der Sitten erlaubte, zu seinen Ausschreitungen die Hand geboten hätte.

Zweitens muß betont werden, daß der Abbé Joineau an den Beziehungen der Geschlechter, die gemeiniglich den Inhalt so vieler Memoiren und Romane bilden, wenig Anteil genommen hat. Nach eignem Geständnis war er den Freuden der Tafel und dem Schlaf ergeben, und bei verschiedenen Anlässen hat er in Sachen der Liebe eine bemerkenswerte Gleichgültigkeit bewiesen. Infolge seiner ruhigen, behaglichen und sanften Natur, die man der des Kapaunen, seines Lieblingsbratens, verglich, war er in allem, was die Leidenschaft betrifft, unbewandert. Und was ihn selbst nicht beschäftigte, verschmähte er bei der Schilderung andrer.

Wir wollen uns nicht weiter in das Kapitel über den Abbé vertiefen und beschränken uns darauf, nur zu sagen, daß es trotz seiner Verschwiegenheit doch offenbar ist, daß Louis Lycurgue vom fünfzehnten Lebensjahr an den lockeren Lebenswandel eines Kavaliers eher zu viel als zu wenig geführt hat. Ich nehme als Beweis nur die Unzufriedenheit seiner Frau Mutter, die zwar mit Genugtuung sah, daß er einen andern Weg einschlug als sein Vater, aber doch bald fand, daß er die Sache überstürze. Sie war nämlich gezwungen, ihre Kammerfrauen, soweit sie leidlich aussahen, eine nach der andern zu entlassen und sie durch bärtige Duennen zu ersetzen, die einen Husaren in die Flucht getrieben hätten. Selbst der Abbé erklärt, daß ihre Häßlichkeit ihm Aergernis gegeben habe! Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß der Name von Jungfer Seraphine eben damals aus den Memoiren des Herrn Joineau verschwindet. Man könnte vermuten, daß sie zu jener Zeit Madame Olympia beleidigt hätte, indem sie Louis Lycurgue, dem sie von seiner Geburt an nichts verweigert hatte, mehr bewilligte, als jener lieb war.

Wie dem auch sei, die Bauern im Dorf, die Frau oder Tochter hatten, gewöhnten sich bald, den Riegel vorzuschieben, wenn der kleine Marquis vorbeikam. Nicht, daß er fähig gewesen wäre, einer Frau, sei sie auch von niedrigster Herkunft, Gewalt anzutun. Aber da war keine Kuhmagd, Zofe oder Pächterin, die nicht bei seinem ersten Lächeln alles hingegeben und an seinen Lippen gehangen hätte; und das meine ich nicht nur bildlich. Bei seinen galanten Abenteuern hatte er mehr als einmal mit untergeordneten Leuten, die nicht wußten, wie erbärmlich und gemein die Eifersucht eines Ehemannes ist, ein Hühnchen zu rupfen. Eines Abends wurde er mit gespaltenem Schädel zum Schloß gebracht. Ein Holzhauer, der ihn sehr erhitzt bei seiner Frau überraschte, hatte einen Holzschemel auf seinem Kopf entzwei geschlagen. Zur Ueberraschung zweier Aerzte erholte er sich davon. Dies war übrigens ein Glück für den Bauern, den man schon hängen wollte; denn als Louis Lycurgue davon hörte, sprang er mit noch verbundenem Kopf aus dem Bett und jagte zu Pferde in einem Zuge nach Périgueux, um den Richter zu bestechen, was nicht schwer war.

Aber der Leser würde sich täuschen, wenn er glaubte, daß Louis Lycurgue seine Weide nur in den unteren Ständen fand. Ganz im Gegenteil; man ist in Anbetracht seiner Jugend sprachlos, wenn man erfährt, wie viele Liebschaften er in den angesehensten Häusern anzubändeln wußte, und mit welcher Keckheit er sie zu gutem Ende führte. Die Herzoginnen entgingen seiner Durchtriebenheit so wenig wie die Pächtersfrauen, und ehe er noch sein Kinn dem Barbier anvertraut hatte, hätte er über seine Eroberungen Buch führen können. Die Harmlosigkeit seines Blickes und die Kindlichkeit seines Aussehens bezauberten von vornherein und ließen kein Mißtrauen aufkommen. Die Anmut seiner Manieren und ein gewisser Eifer in seiner Galanterie erweichte die Herzen, und vor dem sprühenden Feuer seiner Jugend wich der letzte Widerstand.

Die Folge war, daß der, den man erst ein wenig spöttisch »den kleinen Marquis« genannt hatte, gar bald mit etwas Scheu »der galante Marquis« geheißen wurde. Während sein Gesicht und sein Name bei den Frauen ein Murmeln wohlwollender Neugierde hervorrief, machten bei seinem Erscheinen nicht nur einige brutale Ehemänner, sondern alle jungen Herren ein langes Gesicht. Seinen ersten Triumphen in der Liebe folgten fast unmittelbar seine ersten Duelle, wenn wir das, welches er im Alter von elf Jahren mit Herrn von Mardieu hatte, nicht mitzählen wollen, und sicherlich ging er zum Stelldichein der Waffen mit demselben Feuer wie zu denen der Wollust. Später hatten sich seine Ansichten über diese Dinge sehr geändert, und er tadelte angeblich seine Torheiten von ehemals. Aber man brauchte doch nicht sehr in ihn zu dringen, bis er zugab, daß zu den kostbarsten Erinnerungen, bei denen ihm immer noch das Herz klopfte, jene jugendlichen Kämpfe gehörten, wo es sich darum handelte, Mann gegen Mann und Auge in Auge das Leben aufs Spiel zu setzen und zu verteidigen. Es muß noch erwähnt werden, daß seine Menschlichkeit ebenso gepriesen wurde wie seine Tapferkeit. Als er das Unglück hatte, Herrn von Nérac, an dessen Frau er sich sehr herangemacht hatte, schwer zu verwunden, versagte er es sich, seinen Vorteil auszunutzen, solange der Mann zu Bette lag. Er erhörte die Wünsche der Dame nicht eher, als bis jener wiederhergestellt war, und ließ ihm sagen: wenn er gestorben wäre, würde er die Ehre seines Andenkens geschont haben.

Wir halten hier mit der kurzen Schilderung von Louis Lycurgues Liebesabenteuern inne und beschränken uns auf Wiedergabe der erbaulichen Betrachtung, mit der Herr Joineau dieses Kapitel schließen zu sollen glaubte. Nachdem er kurz einige dieser Streiche erzählt hat, endigt er also: »So sehr auch solche Handlungen der christlichen Keuschheit widerstreiten, so muß man in diesem Hang des jungen Marquis zu den Lockungen des Fleisches doch vielleicht eine jener geheimnisvollen Absichten sehen, durch die die Vorsehung menschliche Pläne zu vereiteln beliebt. Sie hatte beschlossen, daß seine beiden legitimen Ehen unfruchtbar bleiben sollten, aber ich wäre geneigt, zu glauben, daß sie ein so edles Blut im Königreich doch nicht versiegen lassen wollte. So gestattete sie, daß er sich auf verbotenen Wegen mit wunderbarer Fruchtbarkeit fortpflanzte. Um das Jahr 1780, da ich Migurac verließ, um mit meinem Gebieter in Paris zusammenzutreffen, begegnete es mir täglich, daß ich gerührt vor irgend einem jungen Bauern oder einer artigen Pächterstochter stehen blieb, die Zug für Zug das Bild des Herrn von Migurac waren, so wie er zu der Zeit, wo er das Schloß verließ, aussah. Dieser Anblick bereitete mir eine aus Wohlgefallen und Betrübnis seltsam gemischte Empfindung.«

Beim Betrachten dieses Lebens, dessen Ausschweifungen selbst der Abbé uns nicht hat verheimlichen können, ist es wohl erlaubt, zu fragen, ob Louis Lycurgue die ihm von seinem Vater hinterlassenen Vorschriften nicht gänzlich vergessen hatte. Aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz zögern wir nicht, zu sagen, daß er niemals die Erinnerung daran verlor, selbst nicht bei der schlimmsten seiner jugendlichen Uebertretungen. Herr Joineau hat selbst verzeichnet, daß Madame Olympia bei zwei oder drei Anlässen, wo ihr besonders daran lag, ihren Sohn nach ihrem Willen zu lenken, den Namen des Marquis zu Hilfe rief. Dann entfärbten sich die Wangen des Jünglings in plötzlicher Blässe und er fügte sich willig. Aber ein dunkles Gefühl des Unbehagens oder der Eifersucht hielt Madame Olympia davon zurück, das Andenken ihres Gatten ohne Not heraufzubeschwören, und der durchdringende Blick, den ihr Sohn ihr zuwarf, wenn sie es zufällig tat, war nicht geeignet, sie dazu zu ermutigen.

So wenig auch Louis Lycurgues Lebenslauf den Lehren seines Vaters entsprach, so steht es doch außer allem Zweifel, daß sie in seiner Seele niemals gänzlich erloschen. Zahllose seltsame Launen, die seine Umgebung außer Fassung brachten, muß man darauf zurückführen, daß ihm jene Lehren wieder in den Sinn kamen. Ich meine besonders gewisse Verstimmungen und Tränenausbrüche, denen er sich manchmal überließ, nachdem er einige Wochen dem Vergnügen gelebt hatte. Dann hörte man, wie er sich stöhnend auf der Erde wälzte. Nach solcher Erschütterung war er einige Tage niedergeschlagen und schier verzweifelt, und sein Kammerdiener merkte, daß seine einzige Zerstreuung die war, die Lieblingsbücher des seligen Marquis aufzuschlagen und sich eifrig darein zu vertiefen. Aber diese Zurückgezogenheit stand in zu gewaltsamem Gegensatz zu seinem überschäumenden Temperament, und nach Verlauf von vier Tagen oder einer Woche kehrte er mit verdoppelter Ausgelassenheit zu seinen Vergnügungen zurück, bis wieder irgend eine neue Grille die Kämpfe, die in seiner Seele tobten, bezeugte.

Eines Morgens um halb neun Uhr trat Herr Joineau wie gewöhnlich nach dem Aufstehen ins Studierzimmer. Er war nicht wenig erstaunt, am Tisch den jungen Herrn sitzen zu sehen, der kalt zu ihm sagte: »Herr Abbé, erlauben Sie mir, Sie daran zu erinnern, daß mein Vater Ihnen das Amt, mich zu erziehen, übertragen hat. Ich warte mit Ungeduld auf Ihre guten Dienste, die mir sehr not tun.«

Der Abbé war überrumpelt. Durch das Laubwerk der Bäume tanzten die Sonnenstrahlen, die Morgenfrische war göttlich und die Vögel zwitscherten fröhlich. Herrn Joineau kam die Sache recht ungelegen. Er wiegte den Kopf und wollte die Stunde auf den nächsten Tag verschieben, da Louis Lycurgues Verlangen leider etwas unerwartet käme. Aber fest entschlossen kam ihm der junge Mann an der Türe zuvor, drehte den Schlüssel im Schloß, steckte ihn in die Tasche und sagte zu dem Abbé, der ihn mit offenem Munde und weit aufgerissenen Augen ansah:

»Ich setze Ihre Bereitwilligkeit voraus, mein Herr. Nur Ihre Bescheidenheit allein ließ Sie vorschützen, daß es Ihnen Schwierigkeit bereitete, ohne Vorbereitung zu sprechen. Denn allerdings, wenn dem so wäre, würde meine Mutter verpflichtet sein, meinen Unterricht in andre Hände zu legen.«

Und zwei Wochen lang, in den Tagen der schönsten Blüte des lachendsten Maimonats, mußte der Abbé sich aufreiben, um der Wißbegierde seines spitzfindigen und schwer zu befriedigenden Schülers Genüge zu tun. Aber am fünfzehnten Morgen erwartete er ihn vergebens. Drei Nächte erschien Louis Lycurgue nicht im Schloß; die Reize einer Schauspielerin, die sich vorübergehend in Périgueux aufhielt, hatten ihn ganz gefesselt.

Unzweifelhaft war es auch die plötzlich erwachte Erinnerung an die väterlichen Ermahnungen, die ihn inmitten der tollsten Ausschweifungen unerwartet den Armen der Liebsten entriß, die ihn antrieb, Erfolgen zu entsagen, die er vor allen andern begehrt hatte. Zum Beispiel brach er plötzlich mit Madame von Beaulieu nach zwei Monaten eifrigen Hofmachens, als sie gerade im Begriff war, seine Wünsche zu erhören. Solche Nachklänge waren es auch, die ihn bei Unterhaltungen über Religion und Politik zu ketzerischen Ansichten hinrissen, die man eher unter der Feder eines Skribenten als auf den Lippen eines Edelmannes zu finden gewohnt war.

Auf welche Weise der galante Marquis in dieser Zeit überschäumender Jugend die philosophischen Grundsätze seines Vaters und seine eigne Aufführung in Einklang brachte, wollen wir nicht bis ins kleinste untersuchen. Die Seele eines fertigen Mannes gehorcht öfter instinktiven Eingebungen als der Logik, und wer da weiß, auf welcher Seite sein Vorteil und seine Ehre liegt, wird doch zum Schaden beider handeln, wäre er selbst Doktor der Philosophie. Wundern wir uns also nicht, daß Louis Lycurgue, der den Jahren nach noch ein Kind war, sich den liederlichen Regungen seiner Natur mit wenig Mäßigung hingab. Von dieser Schilderung seines Jünglingsalters wollen wir nur noch eine Beobachtung festhalten, nämlich die, daß er nie die Großmut seines Charakters verleugnete, und daß er stets unfähig war, einer gemeinen Regung zu folgen oder eine niedrige Handlung zu begehen.

Nicht daß er frei von Fehlern gewesen wäre; aber häufig verwickelten ihn höchst achtungswerte Beweggründe in Abenteuer, die von der Moral oder Religion getadelt werden, ja sogar von beiden, denn es kommt vor, daß sie übereinstimmen. Sobald er seinen Fehler erkannt hatte, bereute er ihn und züchtigte sich mit einer Heftigkeit, die nur zu oft, wie wir schon sagten, zu einem neuen führte.

Indessen vergingen die Jahre unter solchem Zeitvertreib, und Herr von Migurac nahm zu an Schönheit und Kraft. Bei dem Schmaus, den Madame Olympia zu Ehren seines achtzehnten Geburtstages gab, war er unstreitig der erste Edelmann der Provinz, und einmütig baute man die glänzendsten Hoffnungen auf ihn.

Am Tage nach diesem Fest hatte er mit seiner Mutter eine Unterredung, der wir füglich ein andres Kapitel widmen wollen.


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