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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Ein Uebergangskapitel

Wenn wir es wie manche Erzähler machten, die mit ihren Effekten geschickt hauszuhalten wissen, so wäre es an diesem Punkt unsrer Geschichte am Platz, irgendein Zwischengericht aus der Phantasie oder Metaphysik aufzutischen, eine Beschreibung, Abhandlung oder Anekdote, die geeignet wäre, dem Leser Eindruck zu machen oder dieser bescheidenen Erzählung etwas Reiz und Abwechslung zu geben, wie es bei einer Dichtung oder einer feierlichen Geschichtschreibung passend ist.

Es stände uns zum Beispiel frei, zu schildern, welche bedeutenden Ereignisse sich derweil auf unsrer Halbkugel zutrugen, während Herr von Migurac auf der seinen im Frieden schwelgte. Wir könnten sie einzeln durchgehen, von den Ebenen Polens, wo eine Nation im Todeskampf lag, bis zu den Städten Nordamerikas, wo ein Volk sich zur Freiheit durchkämpfte. Besonders könnten wir bei den unerwarteten Umwälzungen verweilen, deren Schauplatz das Königreich Frankreich war; bei den Unruhen, die der Versammlung der Generalstände vorhergingen, bei den merkwürdigen Ereignissen, die seit ihrer Einberufung einander folgten, dem Aufruhr, der Stadt und Land verheerte, den unzähligen Leistungen der Nationalversammlung und so vielen andern Dingen, die die gelehrten Arbeiten einiger tausend Geschichtschreiber noch nicht annähernd erschöpft haben.

Wenn wir die Beziehungen zwischen diesen Ereignissen und den philosophischen Lieblingsgrundsätzen des Herrn von Migurac hervorheben wollten, könnten wir in ihm einen hervorragenden Vorläufer des modernen Geistes feiern.

Wir könnten auch den literarischen Kunstgriff vorziehen, den Gegensatz zweier Zeitbilder noch schroffer hervortreten zu lassen, indem man sie gegenüberstellt, und aus dem Vergleich zwischen dem schrecklichen Wirrwarr in der ganzen Welt und der Ruhe, die unser Held im Schoße der Natur genoß, eine philosophische Erörterung großen Stils entwickeln.

Wir könnten auch unter dem Vorgeben, unsre Erzählung fortzusetzen und uns scheinbar an das wirkliche Leben des Herrn von Migurac zu halten, durch eifrige Nachforschungen die echten Urkunden, die uns fehlen, ergänzen und glänzende Schilderungen von den Gegenden, in denen er lebte, und den malerischen Sitten der Wilden entwerfen. Wir brauchten nur zu zwei oder drei Reisebeschreibungen, dem geographischen Handbuche des Herrn Reclus und irgendeinem Leitfaden der Naturgeschichte unsre Zuflucht zu nehmen, um eine wunderbare Schilderung von Neuguinea, seinen tätowierten, blutdürstigen Eingeborenen, der tropischen Vegetation, den Büffeln, Tigern und Elefanten zu entwerfen. Und vielleicht gelänge es uns, nach dem Muster Pindars durch glänzende Form die tatsächliche Unwissenheit zu verschleiern, in der wir uns über das Leben unsers Helden befinden.

Aber da wir es uns zur Regel gemacht haben, uns in dieser wahrhaften Geschichte nur an wirklich beglaubigte Tatsachen zu halten, so begnügen wir uns mit der kurzen Feststellung, daß der Name des Herrn von Migurac nach seiner Abreise ziemlich schnell aus dem Gedächtnis seiner Zeitgenossen verschwand und nur in seltenen Zwischenräumen wieder auftauchte, um den einen ein Lächeln der Neugierde, den andern einen Seufzer des Neides zu entlocken. Denn die finanziellen und politischen Fragen nahmen im Königreiche eine vorwiegende Bedeutung in Anspruch und verdrängten jede andre Sorge.

Man verlor Herrn von Migurac um so leichter aus den Augen, als die Welt vier Jahre lang durch kein Lebenszeichen daran erinnert wurde, daß er noch unter den Lebenden weilte. Erst im Frühjahr 1792 erwähnte eine Zeitung in Bordeaux beiläufig Herrn von Miguracs Rückkehr, gerade in dem Augenblick, wo der Fall des Ministeriums der Feuillants und der Antritt des girondistischen Ministeriums, die Wirren in Marseille, die Angelegenheit der Schweizer von Châteauvieux und die ersten Niederlagen der französischen Heere in Belgien sich die allgemeine Aufmerksamkeit streitig machten. Ein glücklicher Zufall hat uns den Bericht von Marius Carcelade, Kapitän des Dreimasters » La Belle Bordelaise«, finden lassen, der Gewürz zwischen Bordeaux und Batavia einschmuggelte und den Ruhm hatte, Frankreich eines seiner edelsten Kinder zurückzuführen. Diese Erzählung wird das folgende Kapitel in glücklichster Weise eröffnen.


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