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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Sie hatten Lager gemacht, hatten ungeheure Portionen Speck verschlungen und über Mr. Lawrence Jackfish und sein beklagenswertes Verschwinden gesprochen.

Dann blitzte in Joe wieder die alte Autorität auf: »Wir werden ihm schon helfen, Saul – das ist der Indianer, den ich mitgebracht hab' – der wird dafür sorgen. Wenn er nach Mantrap zurückkommt, wird er das erledigen. Lawrence wird nie mehr Führer sein.«

Dann dachten sie am Feuer stumm darüber nach, was nun aus ihnen werden sollte. Ralph unterbrach das Schweigen:

»Joe, ich glaube, Alverna wird mit mir nach New York gehen. Sie können sich kaum vorstellen, wie lieb ich sie gewonnen habe. Es erscheint komisch, Ihnen das zu sagen, aber da wir nun einmal so aufrichtig zueinander waren, bin ich –«

Alverna fuhr dazwischen:

»Ich glaub', ich hab' euch beiden schon klargemacht, daß die kleine Alvy darüber mitzureden hat, was –«

»Werdet ihr den Mund halten, alle beide!«

Der erschöpfte und niedergebrochene Joe Easter war wieder zum entschlossenen Kämpfer geworden.

»Ich bin erledigt. Ruiniert. Und schlimmer als das, ich hab' was getan, was ich nie in meinem Leben für möglich gehalten hätte: ich hab' versucht, das Leben anderer Leute zu lenken. Immer hab' ich gesagt, daß ich die Leute genau so nehm', wie sie nun mal sind, und nicht erwarte, daß der Reverend Dillon ein guter, fester Trinker oder Curly Evans ein Bibelausleger sein soll. Aber ich hab' versucht, eine anständige Frau aus dir zu machen, Alvy, und Sie, Ralph, hab' ich davor bewahren wollen, sich wegen dieses Mädels zum Narren zu machen. Ja, das ist mir danebengelungen. Aber ich hab' nicht anders können. Hört mal, wißt ihr denn, daß ich die ganze Zeit, wie ihr beide so tapfer dahergeredet habt: ›Los, erschieß mich‹, daß ich, bei Gott, an das und nichts anderes gedacht habe?«

Im Feuerschein und dem Purpurglanz des nordischen Sonnenuntergangs glitzerte der Lauf des Revolvers, den er ihnen jetzt zeigte.

»Ich hab' gemeint –« bekannte er weiter, »daß ich ein Bursche wär', der auf seine Weise sein Leben philosophisch führen kann. Ich war ein Narr. Aber es ist nicht die Angst vor dem Gehängtwerden, die mich davon abhält, euch beide umzubringen, 's ist nur – Herr Gott, ich bin so einsam! So elend! Alvy – du hast mir alle meine Freunde gestohlen – Pop, Curly, und jetzt Ralph. Du hast sie alle zu Dieben gemacht, und dich selber hast du mir auch gestohlen. Und jetzt hast du mir gezeigt, daß du vielleicht doch 'n bißchen Hirn in deinem hübschen jungen Kopf hast und daß ich dich nicht mehr kommandieren kann. Nur einmal noch will ich, daß geschieht, was ich sage! Ich will wissen, wie es in diesem Ralph Prescott da aussieht!

»Du oder ich, Alvy, einer von uns beiden wird mit ihm nach New York gehen; er könnte mir dort 'ne gute Stellung verschaffen – sagen wir in irgendeinem großen Pelzgeschäft, oder Lagerausrüstungen, oder sonst was. Oder aber du gehst mit ihm, und ich verschwinde ganz einfach. Ich weiß, daß – man lernt 'ne ganze Menge von dem Zeug, das Ralph Psychologie nennt, wenn man beim Fallenstellen ein paar Winter lang immer nur mit einem einzigen Menschen in einer Hütte eingeschlossen ist. Ich weiß, daß Ralph denkt, ich bin so ziemlich der beste Freund, den er in seinem Leben getroffen hat. Er wird wohl meine Tischmanieren für lausig halten, aber ich glaub', er würde ganz gern manchmal am Abend in mein möbliertes Zimmer in New York kommen – mein Empfangsschlafzimmer – und sich mit mir unterhalten, wenn er von seinen Gesellschaftsfreunden genug hat. Er muß wählen – jetzt in diesem Augenblick – ob er mit dir oder mit mir bleiben will. Ralph – wie soll's werden?«

Ralph sah von Joes verwittertem Gesicht zu Alvernas hübschem Mund. Da war keine Wahl. Da konnte keine Wahl sein!

Aber Alverna benutzte diesen Augenblick, ihr helles leuchtendes Haar mit der alten koketten Gebärde zurückzustreichen und munter zu zwitschern:

»Also, wählen werde ich. Wenn der liebe, gute Ralph glaubt, daß ich dasitzen werde und warten, bis man mir sagt –«

» Halt den Mund, verstanden

Beide Männer hatten gleichzeitig gesprochen, und beide mit der gleichen einschüchternden Barschheit. Angesichts dieses gemeinsamen Unwillens klappte sie zusammen und war still.

Von allen Gefahren und aller Ungewißheit dieser wahnsinnigen, unwahrscheinlichen Tage fühlte Ralph sich plötzlich befreit. Vielleicht kam er wieder zu Verstand, vielleicht sank er auch nur in die Feigheit seines alten geschützten Lebens zurück – auf jeden Fall entfloh er den unruhigen Reizen Alvernas und barg sich wieder dankbar in Joe Easters sicherer Kameradschaft.

»Möchten Sie wirklich gern nach New York kommen, Joe?«

»Ja, freilich.«

Immer mehr kehrte der sanfte, scharfsinnige Mr. Prescott ins Leben zurück. Nach Wochen gelähmter Kläglichkeit und Nutzlosigkeit arbeitete sein Gehirn wieder, wie es seinerzeit über Gesetzesproblemen gearbeitet hatte.

Ja, es müßte schön sein, Joe Easter irgendwo in der Nähe zu wissen – oh, nicht ihn mit Dinners zu quälen, bei denen hochnäsige, goldene Weiber mit ihren lächerlichen kleinen Trivialitäten waren, sondern ihn als Gefährten für lange Sonntagsausflüge auf Staten Island zu haben und gemeinsam zurückdenken zu können, wie mannhaft und tüchtig sie einst im romantischen fernen Norden gewesen waren –

»Wir könnten etwas finden, was sich für Sie lohnt, Joe. Zum Beispiel Fulton & Hutchinson, wo ich mein Lagerzeug her habe; die Leute können immer Fachleute brauchen, glaube ich. Und dann habe ich einen Freund, der einen großen Pelzhändler zum Klienten hat, und einen Bekannten, der aus Sibirien und Nordchina importiert. Sie wissen – Zobel. Natürlich. Wir werden etwas finden. Wollen Sie kommen?«

»Einverstanden«, sagte Joe.

Alverna erhob sich langsam.

»So, ich bin also draußen«, murmelte sie. »Die Frau kriegt den gewöhnlichen Anteil. Und ihr zwei Kerls –« sie gab ihrer Stimme einen trotzig-muntern Klang – »von mir aus könnt ihr euch beide zum Teufel scheren!«

Still wickelte sie sich in ihre Decken und fiel, wie es schien, in Schlaf. Später hörte Ralph sie schluchzen.


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