Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Kein Zweifel war mehr möglich, der hagere Mann am Steuer war Joe Easter.

Sein Kanu sprang bei jeder Welle, die heranbrauste, halb aus dem Wasser, und wenn es wieder eintauchte, spritzte der Gischt über den Bug.

Als er zum Landen wendete, schlingerte das Schiffchen und tauchte den Schandeckel ins Wasser, während der Indianer im Bug es mit aufgeregten Paddelschlägen vor dem Kentern zu bewahren suchte. Doch Joe stand gelassen auf, als hätte er festen Boden unter den Füßen ruhig winkte er ihnen zu und stellte den Motor ab.

»Ich hätte ihn erschießen können«, dachte Ralph.

Das Kanu kam die Landzunge entlang. Joe sprang ins Wasser, zog das Boot ans Ufer und blickte nachdenklich das heruntergekommene einsame Paar an, das Hand in Hand wartete. Er sah nicht zornig aus, seine Augen waren ausdruckslos, seine Lippen bewegten sich nicht, aber er bot nicht die Hand zum Gruße – und Joe Easter bot gewöhnlich die Hand, wenn er sie nicht zur Faust ballte.

Sie warteten – warteten, mit diesem ehernen Gesicht über sich, bis Ralph schrie: »Ach, machen Sie Schluß. Schießen Sie, wenn Sie wollen! Wir sind am Verhungern gewesen! Los – schießen Sie! Nur lassen Sie sich vorher von mir sagen, daß Sie sie nicht anständig behandelt haben! Gut, Sie haben gesiegt. Sie haben sie vor mir gerettet!«

Joes Augen öffneten sich zu einem freundlichen Blick, und freundlich sagte er: »Ich bin nicht gekommen, um Alverna zu retten. Ich wollte Sie retten.«

»Ich brauche nicht gerettet zu werden!« Ralph wurde hysterisch. »Ich will mich nicht kommandieren lassen! Und Sie sollen sie auch nicht mehr kommandieren!«

»Aber, Ralph, ich könnte Sie gar nicht kommandieren. Ich halt' sehr viel von Ihnen. Ich glaube, ich hab' noch nie jemand so gern gehabt, höchstens außer Pop Buck. Ich hab' mir so was vorgestellt, wie daß wir gute Freunde für unser ganzes Leben sein würden. Und –«

Zum erstenmal nahm sein Blick Notiz von Alverna, ruhte auf ihr in bedrohlichem Mißfallen. Dann wandte er sich wieder an Ralph und fuhr wärmer fort:

»Ich hab' von den Indianern gehört, welchen Weg ihr genommen habt, und mir gleich gedacht, daß sie Sie beschwatzt hat, sie mitzunehmen. Ich weiß, wie streng Sie es mit Pflichten nehmen, und hab' mir vorgestellt, wenn Sie mal draußen in New York sind, werden Sie sich verpflichtet fühlen, bei ihr zu bleiben. Und dann wär' der Teufel los! Davor wollte ich Sie retten. Sie würden sie schließlich hassen. Oh, ich war sehr wütend, zuerst. Denken zu müssen, daß meine Frau irgendeinen anderen einem so großartigen und edlen Burschen wie mir vorzieht – das hat mich wahnsinnig gemacht. Aber ich bin drüber weggekommen, und – kein lebendiges Weibsbild ist es wert, daß man für sie eine richtige Freundschaft opfert. Und vor allem dieses Mädel, Ralph. Sie ist süß, aber sie ist schlecht. Sie ist mit Curly Evans hübsch weit gegangen –«

»Das ist eine Lüge!« piepte Alverna, aber es kam sehr schwach heraus, und Joe redete, ohne sich stören zu lassen, weiter:

»Mit wieviel anderen noch, weiß ich nicht. Aber von Curly weiß ich's genau. Ich hab' gehofft, daß sie zu Verstand kommen wird, aber ich hab's aufgegeben. Ich bin durch. Aber ich werd' nicht zugeben, daß sie Ihr Leben auch zerstört. Ich werd' euch beide nach Winnipeg bringen, sie in ihren Zug nach Minneapolis setzen und Abschied von euch nehmen. Oder vielleicht wollen Sie doch noch versuchen, Ihren Freund Woodbury aufzusuchen.«

Joes Stimme klang elend – und elend, traurig und überflüssig kam sich Ralph in dieser lächerlich höflichen Konferenz vor, dieser langatmigen Wiederkehr zur Stupidität des Alltags nach der Unbekümmertheit seines Abenteuers.

Er hockte im Sand neben Alverna, Joe setzte sich ihnen gegenüber, kratzte sich am Kinn und redete zögernd weiter: »Ja, Sie könnten sich in der Handelsniederlassung hier am See ausrüsten und Woodbury suchen gehen.«

»Ja, ich könnte«, murmelte Ralph. »Aber er erscheint mir jetzt nicht mehr so sehr wichtig. Dafür aber Alverna! Ich denke, ich könnte etwas für sie tun. Wissen Sie, ich hatte vor, sie nach New York mitzunehmen. Ich will sehen, daß sie dort ein bißchen erzogen wird und etwas lernt –«

»Unsinn, sie hat Scherereien genug gemacht. Sie wird zu meiner Tante in Iowa gehen –« sagte Joe gleichgültig. »Dann wird sie vielleicht lernen, sich zu benehmen –«

»Teufel!«

Alverna hatte geschrien. Sie sprang auf und ballte die Fäuste.

»Jetzt hab' ich genug von euch beiden! Ihr Männer glaubt, ihr könnt über mich verfügen. Ihr glaubt, ihr könnt mich kaufen und verkaufen und weggeben, als wär' ich ein Hund. Früher habt ihr das können. Jetzt nicht mehr! Nach allem, was ich durchgemacht hab', Ralph – hab' ich einmal gejammert?«

»Nein.«

»Hab' ich mich unterkriegen lassen? Hab' ich mich vor der Arbeit gedrückt? Hab' ich Angst gehabt?«

»Nie!«

»Ganz sicher nicht! Und was dich angeht, Joe Easter, du kannst entweder schießen oder den Mund halten. Bring mich um, wenn du willst – mir ist es ziemlich egal – aber ich hab's satt, mir alles vorschreiben zu lassen. Du Dummkopf, oh, du idiotischer Dummkopf! Ich war ganz einfach ein albernes Ding – ein Kindskopf, und du hast 'n altes Weib wie Ma McGavity aus mir machen wollen – nur damit du ruhiger mit mir schlafen kannst. Ich werd' nicht bei deinem lieben Tantchen wohnen! Und ich werd' nicht zurückgehen und wieder 'n angestelltes Manikürmädchen sein! Ich kann mir einen eigenen Laden aufmachen. Und ich kann auch mit Ralph nach New York gehen. Aber ich werde tun, was ich will, von jetzt an, verstanden?!«

Joe begann: »Du wirst tun, was ich dir sage –«

»Schau' ich so aus?«

Nicht das stürmische Mädchen von Mantrap Landing, das kindisch in seinem Zorn, noch kindischer in seiner Freude gewesen war, blickte jetzt auf die beiden herab, sondern ein ernstes Weib. Ihr Gesicht war verbrannt und von Dornen zerrissen, ihre Hände waren hart und schwielig, ihre Stimme kalt und ihre Augen voll von einer Verachtung, die sich vor nichts fürchtete.

Die zwei Männer sahen einander unbehaglich an und rückten zusammen.

»Schön – ich weiß nicht. Gott, bin ich müde! Ich habe auch 'n bißchen Anstrengung hinter mir! Ich – auf jeden Fall verlang' ich, daß du nicht Ralphs Leben auch ruinierst.« Ralph hätte nie gedacht, daß Joes Stimme so demütig klingen könnte. »Laßt mich bis Whitewater mitgehen, dort können wir dann bereden, was wir alle tun werden.«

»Nein, nein, du kannst ebensogut wieder nach Mantrap zurück – nur borg uns was von deinem Proviant«, fertigte Alverna ihn ab. »Ich kann schon allein alles bereden, was für mich notwendig ist. Vorwärts, erschieß mich, wenn du dir nichts Besseres ausdenken kannst.«

»Aber – ich hab' nichts mehr in Mantrap, wohin ich zurückkehren könnte«, sagte Joe.

»Was meinst du damit?«

»Die Indianer. Alles verbrannt.«

»Alles, was?«

»Ja. Ich hab' geschlafen. Dann bin ich aufgewacht und hab' Rauch gerochen. Ich bin schnell hinaus, das Magazindach hat lichterloh gebrannt. Komisch, wie's über den See geleuchtet hat, und die Bäume – sie waren heller als im Sonnenschein, nur war das Licht unterhalb von den Blättern. Na, ich hatte 'ne Menge Pulver dort drin im Magazin und 'n bißchen Dynamit. Ist in die Luft geflogen. Hat 'ne Masse brennende Balken auf unser Haus und den Laden geworfen. Alles wie Zunder verbrannt, außer einem Teil von den Blockwänden. Am Laden war mir nicht so viel gelegen, aber es hat mir doch weh getan, zuschauen zu müssen, wie unser hübsches kleines Haus von den Flammen aufgefressen worden ist. Und wie das Haus Feuer gefaßt hat, hab' ich den Kanarienvogel singen gehört – und dann tat er einen entsetzlichen Angstschrei – ich glaub', er ist im Rauch erstickt, noch bevor ihn das Feuer geröstet hat. Und nach dem Brand sah ich deine neue Nähmaschine, Alvy. Ganz verbogen und das Holzwerk verkohlt. Alles beim Teufel. Ich war nicht versichert. Die Indianer müssen's wohl getan haben. Vielleicht haben sie sich gedacht, daß der Waldbrand sowieso nach Mantrap kommt und man nicht merken wird, was sie ausgefressen haben. So« – müde – »das ist alles.«

»Aber du guter Gott im Himmel,« rief Ralph, »warum sind Sie uns denn dann nachgekommen? Warum sind Sie nicht dort geblieben, um zu versuchen, ob Sie den Kerl erwischen können?«

»Was hätte das für 'n Sinn gehabt? Zu spät jetzt. Ist geschehen. Außerdem war Curly schon zurück. Er wird sich schon drum kümmern. Übrigens – ach, ich kann's ihnen nicht einmal sehr übelnehmen. Ich hätt's wahrscheinlich genau so gemacht, wenn ich ein Indianer wär' und am Verhungern.«

»Aber Sie werden zurückgehen und wieder aufbauen?«

»Nein, ich kann nicht. Mein Geld ist weg, nach den Pelzverlusten. Und ich hab' zu viel Schulden, um noch Kredit zu kriegen. Und wissen Sie, nachdem ich mein eigener Herr war, weiß ich nicht, ob ich's ertragen könnte, hier oben zu bleiben und für irgend 'nen Burschen zu arbeiten, den ich sonst immer aus dem Feld geschlagen hab'. Nein, ich – ich könnte eigentlich ganz gut nach Winnipeg gehen und versuchen, dort 'ne Stellung zu bekommen. Ich bin – wirklich – ich bin ein sehr guter Sachverständiger für Pelze, und auch 'n anständiger Buchhalter, und sobald ich mit Alvy und Ihnen wieder im klaren bin, werd' ich mich in Arbeit vergraben und's vergessen –«

»Joe!« Alverna hatte ihn mitleidstrahlend angesehen. Sie ließ sich neben ihm auf die Knie nieder. Sie streichelte sein Haar und nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände.

»Ich bleib' bei dir! Ich will für dich waschen, will Geld sparen – ich werd' für dich singen – ich werd' dich glücklich machen! Jetzt hab' ich 'ne richtige Arbeit. Sie sollen dich nicht unterkriegen. Alter Joe. Wir wollen's ihnen zeigen. Ich bleib' bei dir, in Winnipeg oder wo's ist – in Mantrap Landing – oder am Nordpol.«

Er zog ihre Hände weg und behielt sie in der Hand, während er ihr mit müder Zärtlichkeit ins Gesicht schaute.

»Nein, du hast recht gehabt. Ich bin zu alt und verbraucht für dich, und jetzt kann ich dich nicht mal mehr anständig unterhalten. Du hast 'nen Anfang gemacht, Alvy, jetzt bleib dabei. Aber ich werd' euch noch bis Winnipeg bringen, und ich kann auch noch genug Geld auftreiben, um dir 'ne Zeitlang in Minneapolis zu helfen, während du dich nach was umschaust … Und Sie, Ralph, Sie können Woodbury suchen gehen, ich werd' mich schon um die Kleine kümmern.«

»Niemals –« protestierte Ralph. »Sie brauchen mich. Sie sind viel schlimmer dran als ich. Jetzt« – ziemlich schwülstig – »wollen wir zusammenhalten, alle drei –«

Alverna sprang lachend auf:

»Oh, das ist blendend! Der Ehemann kommt angerast, um die Bande zu erwischen, den schuldigen Stadtgent und das nichtsnutzige Weibchen einzufangen, und dann sitzen alle drei zusammen und kohlen und feiern Verbrüderung! Ihr müßt schon entschuldigen, aber das wird zu komisch für mich! Männer sind doch die verquatschtesten Idioten – und ihr habt mich für ein Kind gehalten! Ich bin die einzige Erwachsene von uns allen!«

Die Männer blickten sie voll feierlicher Mißbilligung an, als sie sich wieder zu Boden warf und unbändig lachend mit ihren kleinen Fäusten auf den Sand trommelte.

»Na – ich denke, wir werden Lager machen, bis sich der Wind legt. Übrigens, habt ihr 'n bißchen Zucker? Wir haben noch 'ne Menge zu bereden«, seufzte Joe.

»Ja, reden wollen wir! Das wollen wir! Herr Gott, wie wollen wir reden! Wie Männer reden!« schrie Alverna.


 << zurück weiter >>