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Zwölftes Kapitel

Noch nie hatte Ralph eine Frau mehr bewundert als Alverna während dieses offiziellen Essens. Allerdings ließ ihre Redeweise jenen Zauber der Gelehrsamkeit vermissen, den man von einer Frau erwartet. »O je, das ist fei-in!« – Mit diesen Worten sprach sie ihren Beifall aus, als Mr. Dillon seine Bemühungen, die indianischen Damen für das Weben zu interessieren, schilderte, und zu Mr. McGavitys sittsamen Anspielungen auf die Reize ihres entblößten Halses kicherte sie: »Ach, gehen Sie, wo haben Sie den Quatsch her?« Einmal, das ist bezeugt, war ihr eine Anspielung auf ihre Verschwendungssucht zu viel geworden. Aber im übrigen lauschte sie allen Bemerkungen, die Mrs. McGavity machte, mit töchterlicher Aufmerksamkeit – und wir haben hier nur einen ganz unbedeutenden Teil der munteren, eifrigen und liebevollen Bemerkungen dieser Dame im Verlaufe des Abends berücksichtigt.

Als Mrs. McGavity erzählte, wie sie einen Wolf durch Abschießen von Platzpatronen vertrieben und einen Indianer durch den Satz: »Also, Herr, und was wünschen Sie?« in Schrecken versetzt hatte, und daß sie Mr. McGavitys Hosen immer noch zwei Jahre länger gebrauchsfähig erhielt, indem sie sie geschickt stopfte, da rief Alverna begeistert: »Das ist großartig! Das will ich meinen!«

Als der Reverend Mr. Dillon die Unterschiede zwischen der Verfassung der Church of England und der Methodistenkirche erläuterte, lauschte sie wie eine Jüngerin, aufmerksam vorgeneigt, ihr kleines, strahlendes Gesicht in die Hand stützend. Und als Joe gähnte, während Mr. McGavity erörterte, daß ein zwischen der Zweiföhrenspitze und Sullivan Island gespanntes Netz viel mehr Aussichten für den Felchenfang böte als ein im Island Channel ausgelegtes, kaschierte Alverna diesen peinlichen Zwischenfall, indem sie rief: »Ach, Joe, du armer Junge, du bist ja so müde von dem Trip, daß du kaum noch die Augen offenhalten kannst! … Ralph, ist es nicht einfach fabelhaft, wie Mr. Mac die besten Fischgründe hier herum kennt?«

Zwischen diesen Ausrufen war Alverna immer munter auf den Beinen – sie sprang vom Tisch auf, bot unermüdlich an, räumte gebrauchte Teller weg, wusch sie ab und sang zum Abtrocknen: »Yes, we have no Bananas.« Sie erriet, daß Mr. Dillon noch Spargel wollte (sie selbst nahm gar keinen, bemerkte Ralph) und daß Mrs. McGavity es voll Lüsternheit auf die Schüssel Weingelee abgesehen hatte.

Und dreimal sah Ralph sie zärtlich Joe mit der Hand durch das Haar fahren, wenn sie vom Ofen zurückkam und sich niedersetzte.

Sie waren seine Familie, Joe und Alverna, das empfand er stark, für sie würde er Mrs. McGavity voller Eifer die Gurgel abgeschnitten haben; und das wäre keine leichte und angenehme Arbeit gewesen.

Die letzten Reste Weingelee waren mit klappernden Löffeln aufgekratzt worden, und Mrs. McGavity hatte wie geistesabwesend alle Kokosnußbiskuits aus der Büchse neben ihrem Arm herausgefischt. Sie hatten den Tee getrunken, nicht mit kondensierter Sahne, sondern mit richtigen Zitronen, die Alverna stolz aus dem von Joe mitgebrachten neuen Schatzkistchen geholt hatte. Seit einer halben Stunde saßen sie in den Klubsesseln im Wohnzimmer und saugten an Zahnstochern, die Joe aufmerksam herumgereicht hatte, während Alverna in der Küche Geschirr wusch. Ralphs Hilfe hatte sie abgelehnt: »An einem anderen Abend; aber diese wilden Burschen brauchen jemand, vor dem sie dick tun können.« Als alle diese Vergnügungen vorüber waren, standen Mr. und Mrs. McGavity auf, verbargen zeremoniell ein Gähnen und ächzten feierlich: »Es wird wohl an der Zeit sein, daß wir uns auf den Heimweg machen, Joe.«

Mr. Dillon schoß mit ihnen aus seinem Sessel auf. »Nanu! Du mein Grundgütiger! Es ist halb elf! Ich hatte keine Ahnung, daß es schon so spät ist! Lassen Sie mich Ihnen und Ihrer guten Frau Gemahlin für das herrliche Essen danken, Mr. Easter. Und ich hoffe, Mr. Prescott, daß Sie einen recht angenehmen Urlaub hier verbringen werden. Gute Nacht allerseits! Gute Nacht!«

»Gute Nacht – so ein ent– zük–kendes Abendessen, Mrs. Easter«, sagte Mrs. McGavity.

»G'Nacht, Joe. Nacht, Alverna. Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Prescott«, sagte Mr. McGavity.

»Einfach ent–zük–kend! Ich wollte, ich hätte einen Gatten, der mir auch eine Menge Konserven mitbringt, statt mich alles selber machen zu lassen. Gute Nacht – gute Nacht!« sagte Mrs. McGavity.

Und sie waren gegangen; ein wohltätiges Schweigen senkte sich auf das Haus herab.

Auf dem knarrenden Klaviersessel vor der Zimmerorgel schaukelnd, sich ein wenig darauf hin und her drehend, beobachtete Ralph den behaglich in einen Fauteuil gestreckten Joe, und Joe wieder beobachtete die schweigende Alverna. Sie stand an einem Fenster, drehte ihnen den Rücken zu und zupfte an den sauberen Tüllvorhängen herum, die sie selbst gewaschen und aufgehängt hatte. Sie konnte nicht viel sehen; sogar in dem späten Zwielicht des Nordens waren nur verwischte, nebelhafte Silhouetten von Bäumen da.

Sie wandte sich zu ihnen um:

»Na, ich hoffe, du bist zufrieden, Joe.«

»Ja, ja, natürlich, ist fein gegangen! Haben's überstanden. Das McGavity-Weib läßt gern ihr Maulwerk laufen, was? Du hast sie gerade richtig behandelt, Alvy. Und 's ist alles vorüber!«

»Ja, für dich, Joe Easter. Du kannst's vergessen. Du würdest nicht dran denken, ihr zu sagen, daß sie sich entschuldigen soll. Du würdest dich nicht mal selber bei mir für sie entschuldigen. Du würdest sie wieder in das Haus hier einladen – über meine Leiche weg wirst du das tun!«

»Aber was ist denn los?«

»Du weißt ganz gut und recht genau, was los ist! Abgesehen davon, daß sie mich ein dummes Ding und eine schlechte Hausfrau geschimpft hat und daß sie gesagt hat, ich nehm' dir das ganze Geld ab und schmeiß' es hinaus für Dummheiten, und daß sie gesagt hat, ich bin ein dreckiger kleiner Feigling – nach alledem, was ich in den letzten paar Nächten durchgemacht hab', ganz allein im Haus! – und daß sie zu verstehen gegeben hat, ich bin eine ganz gemeine Hure – ach, sonst war sie Mutters kleiner Sonnenschein, die verdammte wiehernde Hyäne! Ich hab' genug! Ich hab' mich anständig benommen. Ich hab' es ausgehalten, solang' sie unser Gast war. Jetzt werd' ich aber was anfangen. Ich werd' sie und ihren fettköpfigen ›Gatten‹ hier hinaus –«

»He, he! Ho – ho – brrr!« Joe hatte sich erhoben; er stand da, die Hände auf ihren Schultern. »Sie war gemein, und du warst einfach tadellos. Aber bleib das auch. Tu ihr nicht Unrecht. Erwart von ihr nicht etwas, was sie nicht ist. Man muß alle Menschen in der Welt so nehmen, wie sie sind. Und laß nicht uns ausbaden, daß sie so'ne Stänkerin ist. Du warst so anständig – verdirb das jetzt nicht.«

»Du bist dran! Ich hab' was ausgestanden – jetzt sollst du was ausstehen!«

Sie stieß seine Hände von ihren Schultern, sie stampfte auf den Fußboden.

Joe stand ruhig da, die Hände in den Taschen, und redete langsam: »'s ist alles richtig. Mrs. Mac ist dumm und eine schlechte Person. Sie erwartet von dir, daß du eine Kluckhenne bist. Aber du wieder erwartest von ihr, daß sie 'n lustiger Hopsvogel ist. Ich, ich erwarte überhaupt nichts. Und ich bin der einzige, der kriegt, was er erwartet! Du mußt an Ralph und mich denken, und wie –«

Mit einem Schrei unterbrach sie ihn. Sie warf die Fäuste hoch, schloß und öffnete die Finger wie Fühler eines riesigen weißen Insekts, bohrte sich die spitzen Fingernägel in die Handflächen. Sie schleuderte den Kopf zurück, ihr Haar flatterte wild. Sie schrie noch einmal. Sie sprang auf Joe zu, trommelte mit den Fäusten auf seine Brust und raste: »Ach, hör auf, hör auf, hör auf! Ja, ja, so bist du – erst läßt du mich von diesem Teufel beschimpfen, und dann stellst du dich her und bleibst ganz ruhig – du, du kaltgekochte Kartoffel du, und du bist ein kaltes Biest, das bist du, das werd' ich allen Leuten sagen! Du wirst dich ruhig verkrümeln und schlafen gehen. Schnarchen wirst du! Und alles vergessen! Und ich werd' mit offenen Augen daliegen und so verdammt elend sein, weil ich nicht meine Hände in ihren fetten Hals graben kann und sie würgen, bis sie tot ist! … Ich werd' ihr zeigen … Wo ist der Whisky, den du mitgebracht hast?«

»Der ist – warum?«

Sie sprang in die Küche, riß die Decke herunter, die Joe über die neue Scotchkiste gebreitet hatte, um sie vor den keuschen Augen der Mrs. McGavity zu verbergen. Sie zerrte wütend eine Flasche hervor, zog wild den Korken heraus und, vor ihnen stehend, in der Tür zwischen Küche und Wohnzimmer, kippte sie die Flasche und trank mit einem langen Zug.

»Laß das!« sagte Joe scharf.

»Hab mich gern!« rief sie und knallte die Flasche auf die Kante ihrer Nähmaschine nieder.

Ralph, der sich am liebsten davongemacht hätte und fühlte, daß er so nur mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken würde, fiel fast vom Klaviersessel, als sie an ihm vorbeitobte. Sie ging zum grünen Diwan und warf sich hysterisch darauf.

»Der Schluck hat mich 'n bißchen ruhiger gemacht. Wenn ich nicht irgend so was hätte, würd' ich verrückt werden«, schnaubte sie. »Also, jetzt paß auf, Joe. Komm zu den Tatsachen. Du hast mich hier herauf in die Wälder gebracht. Du mußt es möglich für mich machen, daß ich hier bleiben kann. Stell dir nur selber vor: bloß noch eine einzige weiße Frau außer mir hier am Ort, und das ist diese ekelhafte, fromme Schraube, die drauf aus ist, mich unglücklich zu machen. Entweder sie muß gehen, oder ich muß gehen. Ich hab' ihr nie auch nur das geringste getan, was ihr ein Recht geben könnte, sich über mich herzumachen –«

Joe ging ruhig durch das Zimmer und verschloß ihren Mund mit seiner breiten Hand. Sie würgte, sträubte sich, biß, aber er brachte sie zum Schweigen und sagte etwas kühl:

»Abgesehen davon, daß du Ralph nervös machst, bist du – ein dummes Ding! Ich weiß doch, daß das McGavity-Weib ein Störenfried ist. Aber gerade weil sie die einzige weiße Frau hier in der Gegend ist und du auf sie angewiesen bist – mußt du dich danach richten. Sie versteht dich nicht, aber dafür verstehst du sie auch nicht. Und du willst gar nicht. Du willst nicht hören, was ich dir sage. Und – hast du nie was getan, was sie zum Klatschen bringen kann? Wie ist das mit den wilden Partien von Herschel Island nach Nipigon, die du anführst? Wie ist das mit dem Aufhetzen von Curly und George und allen anderen Jungs, daß sie die ganze Nacht Poker spielen und den wüsten hundsmiserablen Fusel saufen und so brüllen, daß man sie oben bei Revillon Frères hören kann?«

»Dir macht das genau soviel Spaß wie –«

»Natürlich macht's mir Spaß! Aber ich erwarte nicht von 'ner Betschwester wie der McGavity, daß sie mich deshalb für 'nen Sonntagsschulheiligen hält. Stell dir mal vor, was sie sich von dir denken muß.«

»Also, was ich mir von ihr denke –«

»Ja, davon hast du uns schon 'ne kleine Probe gegeben! Wie ich sage: sie hat ja noch nicht mal angefangen, alles auszuspeien, was sie sich denkt. Ihr Geist ist wahrscheinlich willig, aber sie ist nicht stark im Wörterbuch! Und du kannst dir ja selber ausmalen, wie Mac und sie über dich reden müssen, wenn sie sehen, was für Komm-her-Blicke jedes neue Drecksding in Hosen, das zufällig langkommt, von dir kriegt. Und dann willst du, daß sie dich dafür bewundert – und der liebe Herrgott allein weiß, was du mit George Eagan und Curly treibst, wenn ich weg bin!«

Sie saß kerzengerade auf dem Diwan. Ihre Stimme war nicht mehr hysterisch, sondern gewaltsam ruhig und voll beleidigter Wut:

»Joe Easter! Willst du sagen, daß ich ein schlechtes Frauenzimmer bin?«

Er antwortete nicht. Seine Augen waren unbewegt. Etwas in ihnen übte solche Gewalt im Zimmer aus, daß der unglückselige Ralph sich nicht rühren konnte.

»Also, vorwärts! So sag es doch! Trau dich ja nicht und fang an, lauter so verdammt dreckige Andeutungen zu machen, wenn du sie nicht aufrechterhalten kannst! Nun?«

Wieder antwortete er nur mit einem Blick, der wie ein Schraubstock war.

Sie zuckte verdrießlich die Achseln, sie wandte die Augen von ihm ab und sagte kleinmütig: »Ach, das ist ja langweilig. Alle diese blödsinnigen Verdächtigungen wirklich nichts weiter als blödsinnig. Bloß weil ich gern tanz' und die Leute aufzieh', glauben diese Idioten, die beieinander sitzen und hecheln, daß ich schlecht bin. Und« – ziemlich matt – »du hörst auf sie. Wirklich, Joe Easter, du solltest dich was schämen! … Na, ist es nicht wahr, Ralph?«

Diese direkte Apostrophierung erlöste Ralph aus seinem unseligen Bann: »Ach, ich wollte, ihr hörtet auf mit eurem Streiten. Es führt ja doch zu nichts. Ich gehe schlafen.«

»Aber wirklich, Ralph«, bat sie, »Sie haben keine Ahnung, wie schwer es für mich hier ist, mit nichts als den Pokerpartien. Ich würde viel lieber nette Tanzereien haben – wie wir's in Minneapolis hatten, am Harrietsee – mit 'ner lustigen Blase – aber Sie wissen ja: anständig. Ich war vielleicht nicht mehr als 'n kleines Maniküremädel in 'nem Friseurladen, wie die alte Bestie gesagt hat – oh, ich kann sie nicht ausstehen – aber ich bin wirklich anständig erzogen worden. Mein Papa war im Möbelhandel. Er hat sein eigenes Geschäft gehabt! Und glauben Sie mir, ein Maniküremädel kommt mit viel mehr feinen Hunden und interessanten Leuten zusammen, als wie so'ne alte Vogelscheuche wie Mrs. McGavity überhaupt gehört hat. Hab' ich nicht meinen Joe dort kennengelernt?!«

Sie gab sich Mühe, das munter, zärtlich und versöhnlich klingen zu lassen; aber Joe hockte auf seiner Fauteuillehne und sah sie nicht an.

Verzweifelt wandte sie sich wieder an Ralph. Ihr hilfloses Appellieren an ihn rührte ihn:

»Wirklich, ich hab' fabelhafte Leute kennengelernt – 's war das Hotel Ranelagh, und dort steigen alle wichtigen Leute ab. Und 'n Maniküremädel hat Gelegenheit, mit denen viel intimer zu reden als sonst wer im Hotel. Und was auch darüber gequatscht wird, wenn ein Maniküremädel was auf sich hält und die Jungens nicht frech zu sich werden läßt, behandeln die meisten sie wie ihre eigene Schwester, wirklich! Ach, die Leute, die ich dort kennengelernt und mit denen ich mich unterhalten hab'! Senatoren, Bankiers und Rennfahrer, Bischöfe und große Reklamemänner! – Und dann will Joe, daß ich hier zufrieden sitzen bleib'! Wo er doch ebensogut ein Geschäft in Winnipeg anfangen könnte (das soll eine blendende Stadt sein, hab' ich gehört) oder sonst in einer solchen Stadt, wo man was vom Leben sehen kann! Die Leute, die ich kennengelernt hab'! Ach, Ralph –« Sie sprang auf und lief zu ihm, ein strahlendes Kind. »Einmal, wie er in Minneapolis war, auf 'ner Gastspieltournee, hab' ich die Nägel von Jack Barrymore gemacht!«

Joe wurde plötzlich wieder lebendig. Er stand auf, er faßte sie beim Arm.

»Ich hab' nachgedacht, Alvy. Du hast's nicht leicht hier, das weiß ich. Ich bin nicht blind, das mußt du nicht glauben! Ich weiß, daß – Oh, sicher ist's für dich hier sterbenslangweilig. Aber ich seh' nicht, wie ich wegkommen könnte. Hier hab' ich mein Geld drinstecken. Mit dem bißchen, was ich in den beiden letzten Jahren verdient hab', bei den riesigen Verlusten an meinen Pelzen, könnte ich nirgends ein Geschäft anfangen. Aber vielleicht wär's in ein paar Jahren möglich. Wenn du 'n bißchen warten könntest, bißchen ruhiger sein und nicht so mit dem Kopf durch die Wand rennen wolltest. Wenn Mrs. Mac denkt, daß sie so fein ist, na, dann lach doch über sie. Deshalb – das ist mit ein Grund, warum ich Ralph hergebracht hab'. Natürlich hauptsächlich, weil er mir gleich gefallen hat, wie ich ihn gesehen hab'. Klar! Aber zum Teil auch, weil ich wollte, daß du dich mit jemand unterhalten kannst, der Freude am Norden hat und doch 'ne ganze Menge nachdenkt und nicht immer gleich Unfug stiftet. Hab' ich recht, Ralph? Sollte sie nicht probieren, 's noch 'ne Zeitlang auszuhalten? Oder soll ich sie zurückschicken in die Stadt?«

»Ach je, Joe, wenn du das könntest?« Sie pirouettierte wie eine Ballettänzerin. »Nur über den Winter runtergehen, und dann im Mai, nach dem Eisgang, wiederkommen?«

»Und was tun?«

»Ach, ich könnte wieder zu den Mädels in die Wohnung gehen.«

»Und wieder mit Maniküren anfangen?«

»Das möcht' ich nicht tun. Eines gibt's hier, was ich mag – außer dir, Liebes. Ich mag meine Küche und mein Haus, und daß ich alles machen kann, was ich will. Und ich bin eine gute Hausfrau, nicht, das bin ich doch? Ich könnt's nicht aushalten, wenn ich wieder zurück müßte und um Punkt halb neun im Laden sein und alle Stammkunden vornehmen – die Affen, die so eingebildet auf sich sind, daß sie meinen, man muß in sie verliebt sein, auch wenn sie alt und fett sind und aus 'm Maul riechen. Und auch immer dort sein müssen, wenn man elend ist und Kopfweh hat. Und die Friseurlümmels, die einem nie Frieden geben. Nein. Ich möcht' ganz einfach dort sein und ins Kino geh'n –«

»Du mit deinem Temperament und dem Reißteufel in dir? Versteh mich recht, ich mach' dir keinen Vorwurf, ich glaube, ich würd' mich auch nicht um 'nen Barbierladen reißen; aber du müßtest ja ganz vor die Hunde gehen, wenn du keine Arbeit hast, die dich beschäftigt und in Anspruch nimmt. Und dann, das weißt du ja, ich hab' nicht genug, um einen doppelten Haushalt führen zu können –«

Er erklärte Ralph:

»Die Situation ist die. Pelzeinkauf – das bedeutet für den Händler viel mehr als das Ladenhalten – ist ein Spekulationsgeschäft. In diesem Jahr ist der Markt heruntergegangen, gerade wie ich mit meinen Einkäufen fertig war, und ich mußte jedes verdammte Bisamrattenfell um sechzig Cent billiger verkaufen, als ich dafür bezahlt hatte – und ich hab' siebzehntausend Stück gehabt! Das hat so ungefähr mein ganzes Kapital verschlungen. Und dann – auch der Laden bringt jetzt fast nichts. Die Hudsons Bay und Revillons und ich, wir haben Schluß machen müssen mit dem Kreditgeben an die Indianer, weil sie ihre Schulden nicht bezahlen wollen. Sie haben's sich in der letzten Zeit ganz angewöhnt, die Rechnung so hoch wie möglich anlaufen zu lassen und dann, wenn sie etwas Geld in die Hand kriegen – die Regierungszahlungen zum Beispiel – kommen sie nicht rein und zahlen ab, wenn wir ihnen auch noch so lang' gepumpt haben. Sie springen in ein Kanu und fahren runter zum Warwicksee und geben ihr Geld dort aus, wo sie keine Rechnungen auszugleichen haben, 'n Vorwurf kann ich ihnen draus nicht machen. Die armen Teufel kriegen nicht viel Geld in die Hand. Aber ich bin nicht reich. Ich kann nicht hundert Creefamilien aushalten. Und so bleibt nur das bißchen Geschäft mit den paar Kerls, die bar zahlen.«

Alverna, die jetzt einige Minuten die ehrbare, stille Dame gewesen war, begann wieder zu toben.

»Ja, und was er Ihnen nicht gesagt hat – daß er Sie in diese ganze Gefahr hineingebracht hat! Und mich hier allein gelassen hat in den Nächten, die er weg war!«

»Ich hoffe, daß du allein warst!« knurrte Joe.

»Ach, der Teufel soll dich holen, ich werd' mir deine Verdächtigungen nicht gefallen lassen! Und jetzt werd' ich Ralph sagen, in was für 'ne Situation du ihn gebracht hast! … Weil wir ihnen den Kredit gesperrt haben, sind die Indianer außer sich vor Wut. Sie sagen, wir hungern sie aus. Und das tun wir auch. Und sie haben geschworen, daß sie alle drei Läden hier verbrennen und uns in den Betten ermorden werden! Jede Nacht jetzt können sie über uns herfallen –«

»Das ist einfach idiotisch,« sagte Joe, »das weißt du ganz gut. Wenn es wahr wäre, würd' ich sowohl Ralph wie dich von hier fortschaffen und mich selber auch. Ich leg' nicht mehr Wert als andere darauf, umgebracht zu werden, weder in meinem Bett noch sonstwo. Die Indianer sind wild geworden, aber sie können gar nichts tun – die Waldcreestämme speziell hier in der Gegend, mein' ich. Die haben Angst vor uns.«

»Man kann schreckliche Angst haben«, sagte Alverna, »und doch Leute in ihren Betten verbrennen oder – Gott! Schau!«

Sie zeigte auf das dunkle Fensterviereck.

Ralph blieb das Herz stehen.

»Oh, es ist nichts«, sagte sie entschuldigend. »Ich hab' nur 'n Moment lang geglaubt, daß 'n Indianergesicht am Fenster ist. Und so reizend und herrlich sicher, Mr. Easter, hab' ich mich fast jede Sekunde gefühlt, während du unterwegs warst!«

Und genau so sicher, dachte Ralph, würde er selbst sich von jetzt an wahrscheinlich fühlen.

Joe und Alverna stritten noch eine halbe Stunde weiter, sie schliefen schon fast ein und sprangen dann wieder voller Zorn auf, beide hatten recht, und beide hatten bitter unrecht. Sicherlich war Joe ungerecht, dachte Ralph, und gewiß war Alverna zu bemitleiden. Dennoch stand er trotz alledem heimlich auf Joes Seite.

Joe gehörte in eine Männerwelt. Er war nicht an seinem Platz, wenn er sich mit einer Frau auseinandersetzte. Die ruhige Freundlichkeit, die Ralph, McGavity oder den Reverend Mr. Dillon entwaffnete, konnte gegen Alvernas leidenschaftliche Wutanfälle nicht aufkommen.

Ralph suchte sich zu drücken, aber beide wandten sich immer wieder an ihn, er war in diesem Tollhaus gefangen. Als der Streit ein Ende gefunden hatte, war er so schläfrig, daß ihm alles gleichgültig war, und sollten auch alle Indianer des Mantrap-River-Geländes herkommen, um zu brennen und zu morden.

Joe rief endlich: »Wir halten den armen Ralph die ganze Nacht auf, und dabei geht ihn das alles doch gar nichts an! Hast du sein Bett in der Veranda aufgestellt?«

Und Alverna bereitete ihm sein Lager.

Männer können wohl Betten machen, aber auf eine herzlose, mechanische Weise: japanische Diener, Spitalwärter, Stewards, französische Kammerdiener – aber welcher Mann wird je dem Kissen diesen letzten freundlich eifrigen Schlag geben, der so rätselhaft zum Schlummer lädt? So freundlich und eifrig war Alverna, stolz auf ihre Geschicklichkeit.

Joe war hinausgegangen, um dafür zu sorgen, daß das Magazin gut verschlossen würde. Als sie fertig war, stand sie neben Ralph in der dämmerigen kleinen Veranda, auf der einen Seite schimmerte der See, auf der anderen war die erleuchtete Tür zum Wohnzimmer. Nach flüchtiger Munterkeit war sie wieder bekümmert. Sie sah in dem Halbdunkel zart wie ein Kind aus, und ihre Stimme war so jung.

»Was soll ich machen, Ralph? Ich hab' solche Angst vor'm Hierbleiben, und dann mag ich auch ganz einfach nicht mehr. Wo anders kann Joe mich nicht ernähren. Und wie sollte ich's aushalten, wieder mit Maniküren anzufangen, oder den ganzen Tag im Laden auf den Beinen zu sein, oder als Dienstmädel zu gehen und mich kujonieren zu lassen?« Sie streckte ihm die Hände entgegen.

Er trat zurück. Es erschien ihm natürlich, den Arm brüderlich um sie zu schlingen – viel zu natürlich.

»Ich weiß nicht«, jammerte er, als flehte er um Befreiung von der Last, die sie ihm aufgebürdet hatte.

»Auf jeden Fall sind Sie ein netter, lieber Kerl. Und halten Sie mich nicht für zu schlecht. Bitte, tun Sie das nicht. Ich hätte – aber lassen Sie sich um Himmels willen nie einfallen, Joe davon zu erzählen, also da war ein Mann, der herkam, 'n Händler, oh, 'n blendender Bursche, und der wollte, daß ich mit ihm weggeh', aber ich hab' nicht gemocht. Aber – reisen und die Welt sehen! Oh, na – gute Nacht.«

Voll köstlichen Wohlbehagens über sein sauberes Pyjama und über die sauberen Leintücher und Decken glitt er in Halbschlaf. Aber immer wieder fuhr er auf. Das Haus war ruhig, Joe und Alverna schliefen, das Flüstern der kleinen Wellen im See vertiefte das Schweigen noch, und in dieser Stille wurde aus jedem geheimnisvollen Rascheln ein Indianergeräusch – ein Kriechen zum Haus, ein Tappen an der Wand der Veranda, ein Öffnenwollen der Verandatür, ein Streichholzanbrennen zum Entzünden petroleumgetränkter Fetzen, ein langsames Messerziehen, ein Kriechen durch das Dunkel …

Er lag angespannt da. Plötzlich schoß er in die Höhe, blieb gelähmt sitzen – sein Herz raste. Da waren leise Schritte, da waren –

Ganz deutlich. Schleichen durch das Gras. Vorüberstreifen an einem Rosenstrauch.

»W–wer ist da?« rief er mit zitternder Stimme.

Jemand lief leise davon, und dann kam wieder die schwarze, schleichende Stille.


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