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Achtzehntes Kapitel

»Ich glaube, es ist vielleicht besser, wenn ich noch ein paar Tage hierbleibe, bis Evans mit seinen Polizisten zurückkommt. Der gute Woodbury kann sich meinetwegen noch eine Zeitlang an den süßen Früchten der Einsamkeit erfreuen«, sagte Ralph während des Frühstücks.

»Das ist fein. Tun Sie's nur. Aber fühlen Sie sich nicht verpflichtet, es unsretwegen zu tun«, antwortete Joe langsam. »Wenn Alvy Angst hat, kann ich ja sehen, daß Pop und vielleicht George und Pete hier schlafen. Aber wir würden uns natürlich riesig freuen, wenn Sie so lang' hierbleiben, wie Sie können. Und ich würd' auch gern noch mehr über diese Wasserkraftsache von Ihnen hören. Was meinen Sie zu 'nem Picknick heute auf dem Blaunasen-Eiland?«

Ralph fühlte sich geschmeichelt und hatte das tröstliche Gefühl, doch etwas mehr als ein Schwächling unter den Riesen der Kanus und Tragstrecken zu sein, als Joe seinen Ausführungen über die Möglichkeiten, welche die Wasserkräfte dieser Wildnis boten, aufmerksam lauschte.

Kurz vor Mittag fuhren sie mit dem Motorkanu zum Blaunasen-Eiland hinüber. Alverna hatte sich bei der Vorbereitung des Proviantkorbes tüchtig und arbeitsam gezeigt, aber jetzt spielte sie die junge Dame auf einer Bootsfahrt – mindestens auf der Themse. In ihrem frischgebügelten kornblumenblauen Musselinkleid, in weißen Zwickelstrümpfen und rot abgesteppten weißen Schuhen lag sie im Bug zwischen zwei Kissen und balancierte einen etwas ramponierten Papierschirm (ihren einzigen) graziös über sich – auf dem einen der Kissen prangte eine Princeton-Flagge, das andere zeigte in gebranntem Leder einen Indianer im Federschmuck, der seltsamerweise ganz anders aussah als Lawrence Jackfish und Häuptling Wapenaug.

»Und verdammt noch einmal«, dachte Ralph wild, »trotz all ihres Getues und ihrer Kulturlosigkeit, sie ist hübsch. Geradezu erschreckend hübsch! Und sie könnte lernen – laß sie drei Jahre in guter Gesellschaft leben, und sie wird mich wegen schlechter Tischmanieren herunterkanzeln. Zum Teufel! Kann ich denn überhaupt nicht mehr aufhören, an sie zu denken?«

Er wandte sich an Joe und machte Anstrengungen, über Hechte und über Literatur zu reden, aber im Lärm eines Außenbordmotors gehen alle Feinheiten des Gesprächs verloren.

Sie landeten an einem weißschimmernden Strand, unter kieferbestandenen Klippen. Als sie das Essen – und Alvernas Kissen – an Land gebracht hatten, kletterte Joe den Abhang hinauf, um Feuerholz zu suchen.

Alverna streckte sich auf dem Strand aus und stützte ihre Wange in die Hand.

»Wenn Sie weggingen, würd' ich mich von Ihnen mitnehmen und aus dieser schrecklichen Gegend fortbringen lassen«, murmelte sie. »Oder würden Sie Angst vor mir haben, ohne Anstandswauwau?«

»Ich fürchte, das wird sich nicht gut machen lassen.«

»Würden Sie mich – glauben Sie nicht, daß es nett wäre, mich mitzuhaben?«

»O – ja – aber –«

»Es war so nett heute nacht neben Ihnen, und ich hab' mich so sicher gefühlt und so – so – Sie haben mich doch hoffentlich nicht geküßt, wie ich eingeschlafen war?«

»Nein!« wütend.

»Hätten Sie's nicht ganz gern getan? Nur ein ganz kleines, süßes Schmetterlingsküßchen« – mit einem Blick, der selber ein Kuß war.

Er sprang auf, mit einer Nervosität, die nicht durchaus Nervosität war.

»Verflucht, ja, wahrscheinlich hätte ich! Aber ich werd's nicht tun. Ein für allemal, das ist genug, Alverna! Heute nachmittag noch fahre ich los und suche Woodbury auf. Ich hab' es satt! Ich gehe! Ich bin meiner nicht sicher, solange ich mit Ihnen zusammen bin, und was Sie angeht, Sie sind eine komplette Närrin – und so verdammt hübsch! Das halt' ich nicht mehr aus. Genug. Ich gehe!«

»Aber Sie haben doch erst heute morgen gesagt – Wissen Sie denn nie, was Sie eigentlich wollen?«

»Anscheinend nicht!«

»Kann man sich denn nicht für mehr als fünf Minuten auf Sie verlassen?«

»Anscheinend nicht!«

»Und Sie würden uns jetzt allein lassen, wo wir von den Indianern bedroht werden?«

»Mir droht etwas viel Schlimmeres: meine Ehre zu verlieren!«

»Aber, aber, Ralphiechen! Was soll denn das! Wenn ich das hören will, kann ich ins Theater gehen! Und Sie würden uns also verlassen, während –«

»Ihr könnt Pop und George bei euch schlafen lassen. Vielleicht werden die Sie küssen!«

»Oh, Ralph! Ralph! Oh! Das war gemein! Das war sehr gemein! Das war nicht anständig! Wo ich doch nur Spaß gemacht hab'! Vielleicht war ich 'n bißchen albern, aber – oh, Sie waren jetzt nicht nett!«

»Ich hatte auch nicht die Absicht, es zu sein!«

Als Joe mit angekohltem Holz und einem Arm voll trockener Zweige zurückkam, starrte Ralph ausdruckslos auf den See hinaus und zeigte Alverna, die ihn unglücklich ansah, den Rücken.

Ralph drehte sich herum und sagte erregt:

»Joe, es ist mir sehr unangenehm, daß ich Sie unausgesetzt mit Abänderungen meiner Pläne langweile. Aber ich habe mir die Sache noch einmal überlegt und bin zu folgendem Entschluß gekommen: wenn Sie mir Lawrence oder irgendeinen anderen Indianer, ein Kanu und ein Zelt leihen könnten, breche ich – heute nachmittag noch! – auf und suche Woodbury. Es ist – äh – es quält mich. Ich komme mir wie ein Deserteur vor … Obwohl ich mir wahrscheinlich weiter so vorkommen werde, da ich Sie unter diesen Umständen verlasse.«

»Gut, Ralph. Es tut mir verdammt leid, daß Sie gehen, aber – wie Sie wollen. Sie müssen tun, was Sie für das beste halten. Natürlich: nehmen Sie Lawrence. Ich kann Saul Buckbright bekommen, wenn ich mal 'nen Kanumann brauche. Ich würd' Ihnen gern meinen Kanumotor leihen, aber ich glaub' nicht, daß Lawrence oder Sie damit umgehen könnten. Können Sie ihm beim Paddeln helfen?«

Ralph sah Alvernas Lippen, die stumm die Worte formten: »Gehen Sie nicht! Bitte!« Er ignorierte sie.

Und das war alles.

Zweieinhalb Stunden später war das Kanu fertig ausgerüstet, teils aus dem Laden, teils aus Joes eigenem Besitz, und Lawrence Jackfish saß, unerschütterlich gelassen, als ginge es zum Tanz, im Heck. Ralph nahm mit unglückseliger Miene Abschied von Joe, Pop Buck, George Eagan, McGavity und dem Reverend Mr. Dillon – und die meisten dieser guten Freunde verschwanden aus seinem Leben, als wären sie nur gedruckte Symbole in einem Buch, das er um Mitternacht gelesen hatte.

Alverna war nicht gekommen, um Adieu zu sagen.

»Ich glaub', sie hat Angst davor gehabt, Sie wegfahren zu sehen. Ich weiß nicht, ob Sie's gemerkt haben, aber Alvy hat Sie wirklich schrecklich gern«, sagte Joe ernsthaft – und Ralph kam sich vor wie ein Taschendieb. »Sie hat sich gleich, wie wir zurückgekommen sind, davongemacht. Wahrscheinlich ist sie irgendwo draußen im Wald und weint. Armes Kind! Machen Sie sich nur keine Sorgen wegen der Indianer. Ich werd' heute abend George Eagan ins Haus kommen lassen. Behüt' Sie Gott! Kommen Sie wieder zu uns, sobald Sie können!«

Als das Boot langsam in den Träumenden See hinausglitt und Ralph sich im Bug nach dem Häuflein Männer umdrehte, das auf dem Holzpier stand und ihm ein letztes Lebewohl zuwinkte – so traurig war ihm noch bei keinem Abschied zumute gewesen, seitdem seine Mutter nach seiner Hand gegriffen, aufgeseufzt und ihre Augen geschlossen hatte.

Vielfacher Kummer bedrückte sein Herz. War er Joe gegenüber ein Deserteur? War nicht seine eigene Schwäche und Schlappheit schuld daran, daß Alverna mit ihm geflirtet hatte? Konnte er denn nie, nicht einmal in diesem Lande der ruhigen Wälder und makellosen Seen klar und unbeugsamen Willens sein?

Mußten denn immer nur Kummer, Beschämung und schmerzende Wunden übrigbleiben, wenn Mensch und Mensch sich berührten, mußten alle darunter leiden, die nicht waren wie Joe Easter, sondern sich von ihrem Ich aufzehren ließen?

Und er würde Alverna nie wiedersehen. Aber er mußte sie wiedersehen. Das Herz tat ihm weh.

Und – um von den Höhen solcher Gefühle wie Ehre, Liebe und Rechtschaffenheit herabzusteigen – war er nicht ein kompletter Narr, sich noch einmal den Unverschämtheiten Wes Woodburys auszuliefern?

Und würde er überhaupt diese schulterverrenkende Paddelarbeit aushalten können?

Er hatte in der Verwirrung seiner Gefühle nicht in Betracht gezogen, wie schwer es ihm fallen mußte, auch nur zwei Stunden am Tag zu paddeln. Warum hatte er nicht noch einen zweiten Indianer mitgenommen? Jetzt konnte er nicht zurückfahren, seine Schwäche eingestehen und sich noch einmal von allen verabschieden. Aber würde er es aushalten können?

Schon jetzt – nach fünfzehn Minuten – war jeder Paddelschlag eine Qual. In den Schultern hatte er einen Krampf, sein Nacken war wie in einem Schraubstock. Seine schwielenlosen Hände brannten. Und er konnte nichts dagegen tun, daß ihm das Wasser in den Schoß tropfte, so oft er sein Paddel von der einen Seite auf die andere schwang.

Gut – nun voller Entschlossenheit – er mußte eben hart werden.

Wenn ihnen der Proviant nur nicht ausging, wenn sie nicht vorher verhungerten …

Die Route zum Solferino-See und zum Warwick-See führte an der Windspitze, einer langen, sandigen, mit Kiefern bewachsenen Landzunge, vorbei. In der Luftlinie war sie ungefähr zwei Meilen von Mantrap Landing entfernt, auf dem Landweg, wenn man über einen buschigen Hügel, den Elchberg, ging, drei Meilen.

»Wenn wir bei der Landspitze sind, werd' ich mich ein bißchen ausruhen«, versprach sich Ralph. »Lawrence Jackfish wird mich auslachen. Von mir aus, Lawrence Jackfish soll der Teufel holen.«

Als sie um die sandige Spitze der Landzunge kamen, sah Ralph eine Gestalt am anderen Ufer entlang laufen, eine Gestalt in Frauenröcken, die ein Bündel trug, eine leichte, flinke Gestalt.

Es war Alverna.

Sie winkte ihnen zu. Als sie auf den weichen Sand des Strandes herunterkam, taumelte sie ein wenig.

Lawrence lenkte unaufgefordert das Kanu zu ihr hin. Ralph konnte sehen, daß ihr Gesicht in Falten verstockten Eigensinns verzogen war. Sie hatte ihre Matrosenbluse an, ihren weißen Rock und die weißen Segeltuchschuhe, dasselbe Kostüm, in dem sie ihn vor drei Tagen begrüßt hatte. Aber der Hut auf ihrem Kopf war ein alter zerdrückter Filz, der Joe gehörte. Ihr Bündel bestand anscheinend aus Kleidern, die in einen Kissenüberzug gepackt waren. In ihrem Gürtel steckte ein Revolver.

Als das Boot in der Nähe des Ufers war, sprang Ralph hinaus, ohne sich darum zu kümmern, daß seine Mokassins naß wurden.

»Du lieber Himmel, was machen Sie denn hier?« fragte er. »Kommen Sie ein Stückchen am Ufer entlang und –«

» Mir liegt gar nichts daran, ob Lawrence mich hört oder nicht! Mir liegt gar nichts daran, und wenn mich die ganze Welt hört!«

»Aber mir!«

»Ja, natürlich, Ihnen!«

Aber sie ging mit ihm am Ufer entlang.

Sie setzten sich auf eine Erhöhung unter einer Kiefer. Sie warf ihr Bündel ab, wischte sich die nasse Stirn und seufzte vor Müdigkeit. Von seinen schmerzenden Schultern wußte Ralph fast nichts mehr.

Sie begann voller Ungestüm:

»Ich geh' mit Ihnen!«

»Das können Sie nicht! Unmöglich! Seien Sie nicht verrückt. Sie können nicht!«

»Also – ich tu's! Sie müssen mich mitnehmen! Hören Sie mich an: Es ist nicht nur, weil ich Angst vor den Indianern hab'. Es ist – Hier mein ganzes Leben verbringen zu müssen beim Kochofen und mit der Entenjagd – und ich hasse Entenjagd! – bis ich alt und runzlig und genau so eine Hexe bin wie Ma McGavity – der Teufel soll sie holen! Ich will nicht!«

»Aber Sie sind doch Joe etwas schuldig!«

»Nichts bin ich ihm schuldig. Mann, können Sie nicht aufrichtig reden, ein einziges Mal? Hängt ihr New Yorker euch genau so an dumme Redensarten wie ein Trapper oder ein Friseur? Etwas schuldig? Ich hab' ihm ein Jahr Schönheit gegeben. Oh, ich weiß, daß er's schön gefunden hat! Er hat mich gehabt, Leib und Seele, und ich bin nicht häßlich, ich bin nicht blöd, ganz egal, was Sie darüber denken, ganz egal, was für ein Narr ich bin! Und den Narren spiel' ich hauptsächlich, weil ich sonst vor Langweile verrückt werden würde.«

»Ich hab' ihm Liebe gegeben. Und ich hab' für ihn gekocht und für ihn gewaschen; ich hab' für ihn gesungen. Und jetzt liebt er mich nicht mehr. Das weiß ich. Eine Frau merkt das! Er glaubt, ich bin so'n Betthase. Oh, er hat mich gern, aber nicht so, wie er Sie oder Pop Buck gern hat. Er ist ein sehr lieber Kerl, er ist tapfer und anständig und alles mögliche, aber er ist ein richtiger alter Schulmeister. Widersprechen Sie mir nicht! Ich glaube, ich weiß mindestens ebensoviel wie Sie von Joe und mir selber, auch wenn Sie so tun, als ob Sie die Weisheit mit Löffeln gefressen hätten!«

»Ich tue gar nicht –«

»Von mir aus können Sie. Es würde ganz gut zu Ihnen passen! Ach, ich wollte nicht gemein werden. Wirklich, ich glaub', Sie sind fürchterlich gescheit.« Die Aufrichtigkeit der Wut war mit unheimlicher Schnelligkeit verschwunden, sie girrte wieder verführerisch. »Ich hab' ja nur Spaß gemacht. Sie sind wirklich blendend gescheit, davon bin ich überzeugt!«

»Das ist sehr schmeichelhaft, mein liebes Kind, aber es ist ganz einfach unmöglich, daß Sie mit mir kommen. Seien Sie jetzt ein bißchen vernünftig. Gehen Sie zurück zu Joe und sprechen Sie sich offen mit ihm aus. Ich bin ganz sicher, daß er Sie nach Minneapolis oder in irgendeine andere Stadt schicken wird, wenn –«

»Sie sind ganz sicher! Ach, Sie verdammter kalter Fisch! Verzeihen Sie, Ralph. Aber ist es denn so schwer für Sie, nur ein paar Minuten 'n bißchen menschlich zu sein? Herr Gott, ich bin doch nicht wie die Weiber, die Sie in New York kennen. Ich hab' keinen Menschen, an den ich mich wenden kann – außer Ihnen. Hören Sie, Lieber. Ich kann's nicht. Wenn ich irgendwo in so einer Stadt wär', würde Joe meinen, daß er auf mich aufpassen muß, oder so was. Er wird wahrscheinlich wollen, daß ich zu 'ner verhutzelten alten Tante von ihm geh', die er in Iowa hat. Er würde mich totquälen. Die Ehre seines Namens oder irgend so was. Oh, ihr Männer mit eurer Ehre!«

»Aber Sie werden –«

»Gar nichts werd' ich! Passen Sie auf! Hören Sie mir zu, Ralph Prescott! Wenn Sie mich nicht mitnehmen und das ist mein Ernst, hören Sie, es ist mein Ernst! Merken Sie das nicht? Wenn Sie mich nicht mitnehmen, dann geh' ich zu Fuß nach Kittiko, mitten durch die Wälder.«

»Das können Sie nicht. Das ist lächerlich!«

»Ich weiß, daß es lächerlich ist! Aber ich werd's tun. Lieber würde ich mitten im Wald verhungern, bevor ich zurückgeh' und mich in meinem Bett umbringen oder von den McGavitys zu Tod klatschen laß. Sie wissen's nicht, aber in der letzten Nacht hat mir Joe 'ne Standpauke gehalten, und er sagt, ich muß mich mehr um diesen verdammten alten Drachen kümmern. Ich muß schauen, daß ich sie lieben lerne. Tatsache! Und ich soll mich mit ihr abgeben und nicht mit solchen Lausbuben wie Curly Evans. Einen Dreck werd' ich! Lieber krepier' ich!«

»Ich bin überzeugt davon, daß es Ihnen ernst ist. Aber, du lieber Gott im Himmel, wo wollen Sie denn was zu essen hernehmen, wenn Sie versuchen, zu Fuß –«

»Ich hab' 'ne Seite Speck und 'n bißchen Mehl im Wald versteckt, damit kann ich ein paar Tage auskommen. Und dann hab' ich Angelzeug hier in meinem Bündel. (Ach, Ralph, ich hab' dieses süße kleine schwarze Kleid nicht dort lassen können und die neuen Pumps mit den roten Absätzen, ich hab' sie so gern.) Und ich werde versuchen, ob ich mit dem Revolver da ein paar Enten schießen kann. Oh, ich werd' schon weiterkommen, vielleicht. Und dann kann mich ja ab und zu 'n Trapper oder 'n Indianer ein Stück im Kanu mitnehmen.«

»Und wenn – wäre es Ihnen recht, wenn irgendein unbekannter Lümmel Sie mitnimmt, der sich dann, wenn Sie im Lager mit ihm sind, als Schurke entpuppt?«

»Sicher nicht! Aber Sie, wenn Sie nett und behaglich in Ihrem Lager sind und sich so fein und stolz vorkommen, weil Sie den anständigen kleinen Mann gespielt haben – mit einem Herzen von Stein – werden Sie dann ruhig an Alverna denken können, die irgendeinen Schuft um Hilfe angehen – und ihn dafür bezahlen muß?«

»Ach, verdammt noch einmal! Ich wollte, Sie –«

»Also, ich will nicht! Ralph! Lieber Ralph! Hören Sie, Lieber! Ich werd' Sie gar nicht stören. Wirklich nicht! Ich könnt' nicht zu Fuß gehen, und ich könnt' auch nicht den ganzen Weg paddeln, wenn ich 'n Kanu stehlen würde. Aber ich bin viel stärker, als ich ausschau. Ich werd' nicht so dumm sein wie gestern bei der Entenjagd. Das hab' ich ja nur getan, weil's mir Spaß gemacht hat. Ich hätt' alle drei Gewehre tragen können und noch sechs dazu. Ich werd' paddeln – Sie haben doch ein Extrapaddel im Kanu, nicht wahr? Ich werd' immer kochen. Ich werd' – oh, ich werd' fürchterlich viel an den Tragstrecken schleppen!«

»Darum handelt es sich nicht.«

»Bin ich zu häßlich? Bin ich zu alt? Ist es so langweilig, mit mir zusammen zu sein – wenn ich für Sie sing' und 'n paar dumme Witze mach'? Bin ich so scheußlich?«

»Ich wollte, Sie wären es!«

»Können Sie mich nicht leiden?«

»Nur zu gut. Das ist es ja. Sie machen sich lustig darüber, daß ich von Ehrgefühl rede, aber gerade darum geht es. Eben um das. Für Sie, für Joe und für mich selber.«

»Oh« – hoffnungslos – »ich weiß! … Ich möcht' nur wissen, ob's schon mal einen Mann von Ehre gegeben hat, der so viel Ehre im Leib hatte, daß er sie für eine Frau opfern konnte! Ach, mein Lieber, Gott erbarm' sich Ihrer mit Ihrer Ehre! Leben Sie wohl, Ralph.«

Sie stand auf, sie schleppte sich weg, ohne auf seine Proteste zu hören. Ihre Schultern, die einst so heiter und unbeschwert waren, beugten sich unter ihrer Last und sahen alt aus wie die einer abgearbeiteten Squaw.

Er lief ihr nach, er faßte ihren Arm, er nahm ihre Hand. Sie ließ sie schlaff in seiner liegen.

»Es hat keinen Sinn«, ächzte sie. »Ich geh'. Ich geh' wirklich. Joe ist ein lieber Kerl, aber er hat einen Fehler gemacht: er hätt' mich nie hier heraufbringen dürfen. Ich geh', um frei zu werden, oder – um meine Knochen in irgendeinem Sumpf liegen zu lassen.«

Diese Drohung wirkte besser als alles Quälen. Ja, sie würde es tatsächlich tun. Er sah diese zarten Knochen, wie sie nach Jahren in irgendeinem fürchterlichen Morast gefunden wurden – arme kleine, weiße Knochen, und ein Totenschädel, den einst lachendes rosiges Fleisch bekleidet hatte.

»Aber –«

Er war nicht mehr greisenhaft weise und voll guter Ratschläge, er hatte nichts mehr von der Überlegenheit des Älteren. Er war sehr jung und sehr erschrocken. »Angenommen, ich nehme Sie mit. Joe würde erraten, daß wir zusammen sind. Er würde uns verfolgen.«

»Haben Sie Angst vor Joe?«

»Ich habe Angst vor ihm!«

»Ich auch, bei Gott!«

Sie lachte, das erstemal. Dann begann sie eifrig zu reden und zeichnete eine Karte mit dem Finger in ihre kleine Handfläche.

»Sehen Sie. Es gibt zwei Wege nach Whitewater, zur Eisenbahn. Das ist der Weg, auf dem Sie gekommen sind – der Weg, den Sie auch jetzt gehen wollten – Mantrap River, Warwick See und dann der Dampfer nach Whitewater. Aber es gibt noch eine andere Route. Wieder zurück, über den Elchberg, hinter Mantrap Landing vorbei, dann kommt man zum Geistersquaw-Fluß, fährt den ein Stück stromaufwärts, und dann geht's geradeaus südlich nach Whitewater, über den Verlorenen Fluß, Gänsesee, Weinenden Fluß, Mitternachts-See und Bulldoggen-See. Der Weg ist kürzer, als die Krähe fliegt, aber es gibt da fürchterlich viel Tragstrecken, hab' ich gehört, und ein paar ganz gemeine kleine Creeks, die man hinaufstaken oder -leinen muß. Fast kein Mensch geht diesen Weg, aber man kann's tun. Curly hat's einmal gemacht. Joe ist nie dort gewesen, und Lawrence auch nicht.«

»Aber wenn Lawrence uns führen soll und nicht weiß –«

»Oh, ich hab' mir einen Plan von dort aus Joes Karte abgezeichnet.«

»Wann? Wann haben Sie den Entschluß gefaßt –?«

»Oh, heute nachmittag, wie Sie sich fertiggemacht haben, um vor mir davonzulaufen, oder vielleicht vor Ihnen selber – und wie ich bei mir ausgemacht hab', daß wir miteinander gehen werden. Joe wird nie im Leben drauf kommen, daß wir diesen Weg genommen haben. Wenn er versuchen sollte, uns zu verfolgen – nur glaub' ich wirklich nicht, daß er das tun wird, er läßt einen immer, wenn man nur fest genug aufgetreten ist – aber wenn er uns jagen sollte, würd' er uns auf dem anderen Weg suchen, über den Warwick-See.«

»Also –«

»Ralph! Lieber Ralph! Können Sie denn nie davon loskommen, der feine Mr. Prescott zu sein? Müssen Sie immer rumgehen und Ihr Gewissen bewundern? Wenn ich dran denk', daß Sie wirklich diesen Idioten Woodbury wieder aufsuchen wollten! Eine Idee, pfui!

»Wir werden Joe gar nichts antun, absolut nichts. Ich werd' so brav sein wie ein Mäuschen – wahrscheinlich! Und – ach, Ralph, ich will fürchterlich arbeiten! An den Tragstrecken werd' ich das Kanu mit tragen helfen. Wirklich, ich bin schrecklich stark. Hören Sie! Schluß mit dem Gerede! Sie wissen selber ganz genau, daß Sie mich mitnehmen! Sie werden! Ralph! War' es nicht sehr nett, Alverna mitzuhaben, ohne daß scheußliche Leute da sind, die einem alles verekeln?«

Er versuchte eine wohlüberlegte Antwort zu geben …


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