Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

Whitewater war einst eine Sägemühlenstadt mit fünfzehnhundert Einwohnern gewesen. Aber die patriotische Bauholzgesellschaft hatte das ganze Holz abgeflößt, das heißt alles Holz, das nicht fahrlässig verbrannt worden war, und der Ort war auf hundert Seelen zusammengeschrumpft – ein Haufen baufälliger Hütten in einer wüsten Wildnis von Baumstümpfen und Morästen.

Seine Hauptzier ist ein hoher eiserner Sägemühlenschornstein, den ein Funkenfänger aus Drahtnetz krönt. Der Schornstein ist jetzt verfallen und wird wohl ein Opfer des nächsten Sturms werden. Die zweite Pracht von Whitewater, das Bunger House, überragt stolz die Teerpappehütten. Hier gibt es Kost und Logis.

Es erhebt sich ganze drei Stockwerke hoch. Angestrichen wurde es noch nie, und die Schmierigkeit seiner grauen Holzschindeln belebt nur das saubere Gelb neuer Bretter, die Mr. Bert Bunger aufzunageln genötigt war, um den Regen abzuhalten. Die meisten Fenster sind zerbrochen. Wo einst die Holzkönige, oder wenigstens Holzknechte, Fluchten von zwei Zimmern bewohnten (beide ohne Bad, eines zum Schlafen und eines zum Pokerspielen), wo einst der Speisesaal unter dem Tritt der Holzfällerpantinen erdröhnte, dort ist Mr. Bunger jetzt glücklich, wenn er einen einzigen Mieter hat und sechs Kostgänger für Schweinefleisch und Bohnen.

Doch Mr. Bunger kann in der Armut nicht vergessen, daß er einmal mächtig war. Es verletzt ihn, irgend etwas für seine Gäste tun zu müssen, es stört seine Patiencespiele und sein Herrengefühl, völlig Fremde zu empfangen.

Ralph und Woodbury mußten die Nacht hier zubringen, bevor sie mit dem Flußdampfer Emily C. Just den Flambeau River hinauf nach Kittiko fuhren, wo sie sich endlich in ihre Kanus einschiffen sollten. Sie kamen freundlich in das Büro des Bunger House. Hinter ihnen kam der Sergeant der Mounted Police, vom gleichen Respekt erfüllt wie sie. Die Royal Mounted sind nicht als schüchtern bekannt, aber Mr. Bunger war die einzige Person in Whitewater, die mit Essen und Quartier versorgen konnte.

Das Büro unterschied sich nicht sehr von einem Schweinestall, noch weniger von einer mit Möbeln vollgestopften Dachkammer. Es war ein ziemlich großer Raum. Auf der einen Seite lag ein Haufen wackliger Stühle und windschiefer Tische, daneben war eine Badewanne aus Porzellan unziemlich zur Schau gestellt. Offenbar hatte jemand die Absicht gehabt, sie in einem Zimmer oben zu installieren und gelegentlich an die Wasserleitung anzuschließen; sie hatte aber kaum mehr zu erwarten, daß sie jemals noch von jemand an irgend etwas angeschlossen werden würde. (Man darf nicht glauben, daß sie die einzige Badewanne im Hause war. Es gab noch eine, in einem Zimmer, dessen Schlüssel Mr. Bunger chronisch verlegt hatte. Aber diese war ein armseliges Blechding, dessen Anstrich sich schuppte, ein außerordentlich geeigneter Apparat, allerdings nur für derbe und unempfindliche Personen.)

Der übrige Teil des Büros war angenehm möbliert mit einem zerschlissenen grünen Spieltisch, einem runden Kieferntisch, auf dem als Hotelbibliothek ein sechs Wochen altes Exemplar des Montreal Star ruhte, und dem marmorierten Ladentisch, hinter dem Mr. Bunger Patience spielte, mit Karten, die sich als Teigwaren (leicht gefärbt) in der Suppe nicht mehr verwenden ließen.

Von dem Staub in den Ecken, den Spinnweben in den stromlosen elektrischen Lampen, von dem allgemeinen Gemengsel aus rotem Schmutz, Sägemehl und Zigarettenstummeln zu reden, wäre nicht vornehm.

Als Woodbury, Ralph und der Sergeant hintereinander zum Pult marschierten, hob Mr. Bunger indigniert den Kopf.

»Könnten wir zwei Zimmer für heute nacht bekommen und ein Abendessen?« fragte Woodbury in der gewinnendsten Herzlichkeit, die ihm zu Gebote stand.

Mr. Bunger, ein magerer, kleiner Mann, legte sorgfältig die Grün-Neun auf die Acht, wischte sich die Hände ab, sah weise drein, legte die Zehn auf die Neun, sah wieder auf und rülpste: »Hah?«

»Wir möchten zwei Zimmer, und ich glaube, der Sergeant will auch eins. Geht in Ordnung, was, in Ordnung?«

»Oh, wohl, wohl«, die Patience des Mr. Bunger schien aufzugehen. »Wollt ihr euch eintragen, Jungens? Jetzt zum Teufel, wer hat das Buch da weggenommen? Irgendwer spielt da immer mit den Sachen rum. Hängt mir schon beim Hals heraus!«

Ralph, dem Mr. Bunger gnädigst gestattet hatte, selbst seinen Sack hinaufzutragen und sich selbst sein Zimmer zu suchen, entdeckte, daß dieses den größten Teil der gesetzlich vorgeschriebenen Hotelzimmereinrichtung aufwies, nämlich ein Bett, eine Kommode und einen Stuhl, obgleich das Bett so empfindsamer Natur war, daß es schon zu quieken begann, wenn man es nur ansah, die Kommodenschubladen sich nicht öffnen ließen und der einsame Stuhl, ohne daß es zu einem Erfolg geführt hätte, mit Zaundraht repariert worden war. Aber etwas, was sonst in Hotelzimmern zu finden sein sollte, fehlte ganz und gar: atembare Luft. Er bemerkte, daß das Fenster zugenagelt war, und statt der Luft gab es einen abgestandenen Geruch von Blumenseife, zerquetschten Insekten und modriger Leinwand.

Er warf seinen Rucksack auf den Boden, nahm ein oder zwei Taschentücher heraus und floh in den Korridor.

Woodbury floh mit ihm. Sie trafen sich an der Treppe.

»Scheußlicher Ort! Ich werde dem Bruder, dem Bunger, schon noch erzählen, wie ich ihn schätze, bevor wir weggehen«, knurrte Woodbury, und Ralph bewunderte ihn wieder wegen dieser rauhen Kühnheit.

Jetzt war es halb sechs, und bei Bunger wurde um sechs Uhr zu Abend gegessen. Aber sie mußten noch nachsehen, ob ihre Indianerführer, ihre Kanus und Zelte eingetroffen waren. Ralph verlor das Gefühl der Trostlosigkeit, das ihn bedrückt hatte, als sie durch die Gassen verkommener und verfaulender Blockhütten schritten und zu einem Lager weißer Zelte und Wigwams im Schatten der Kiefern kamen.

»Ich bin wirklich im Norden, bei Indianern!« frohlockte er.

Ihre Indianerführer, die mit den Vorräten von Bearpaw heraufgekommen waren, lagerten mit einem Trupp Crees. Als Woodbury nach ihnen fragte, kamen sie im Gänsemarsch aus ihrem Zelt.

Ralph war in der Indianertradition von Coopers Lederstrumpf aufgewachsen. Er erwartete von allen, daß sie aussähen wie der Häuptling auf dem Büffel-Fünfcentstück, wie die Statue, die in allen ordentlichen Parken zwischen dem Goethe in Marmor und dem General Sherman in Bronze steht – ein »Sachem«, adlernasig, hoch, voll großartiger Würde. Sein Herz krampfte sich zusammen, als er vier dunkle, verkümmerte Strolche auf sich zuwatscheln sah, die sich als Jesse, Louey, Charley und Nick vorstellten.

Sie sahen nicht im mindesten wie Herren der Wildnis aus, die damit beschäftigt sind, unter dem Schatten einer sehnigen Hand den fernen Flug eines Adlers zu beobachten. Sie sahen aus wie kleine Sizilianer, die einen Kanal gegraben haben, und der einzige menschliche Ausdruck, den sie aufwiesen, war ihr hochmütiges, selbstbewußtes Grinsen. Federn und Decken trugen sie nicht, sondern schmierige schwarze Anzüge billigster Sorte, die aus dem Hintergassenladen irgendeines Weißen stammten. Das einzige Zeichen indianischer Kunst waren ihre Mokassins und ein dürftiger Perlengurt, der den Union Jack zeigte. Sie sprachen nur Cree, mit Ausnahme von Charley, einem älteren Indianer, der sich recht gut mit dem Englischen helfen konnte, wenn er nicht zu sehr gequält wurde.

Ralph bedauerte, daß Woodbury Charley für sein Kanu genommen und ihn zwei rauchfarbenen Männern überlassen hatte, deren Sprache ihm so unverständlich war wie die eines Murmeltiers. Doch Woodbury war der Kapitän der Flotte; er würde die Führung übernehmen müssen –

Woodbury begrüßte die Indianer mit Ungestüm: »Schön, schön, schön, Burschen! Da wären wir! Können morgen losgehen! Alle unsere Sachen auf dem Dampfer?«

Charley grunzte: »Nein, noch nicht.«

»Na, was lungert ihr dann da ums Zelt herum? Den größten Teil an Bord geschafft?«

»Nei–ein.«

»Überhaupt was an Bord?«

»Noch ni–icht.«

»Noch nicht! Noch nicht! Noch nicht! Was glaubt ihr denn, was das heißen soll? Warum habt ihr nicht – was habt ihr für eine Erklärung?«

Charley tauschte mit den anderen einen Blick aus, der halb blöde war, halb belustigt über die Wut des Neulings wegen einer so unwichtigen Angelegenheit: ob man einen Dampfer nun schon diese Woche, oder die nächste, oder einen Monat später bekam. Crees waren nicht für Uhren geschaffen. Als Woodbury sein Toben mit einem machtvollen »Und ihr macht euch jetzt sofort an die Arbeit« abgeschlossen hatte, antwortete Charley friedlich: »Ist gut.« Er schlenderte gemächlich zu dem Vorratsstapel, die anderen folgten ihm zufrieden nach.

Charley war ein braver Mann und ein großer Kanulenker, aber er war erst fünfzig, seine Erfahrung im Führen Weißer erstreckte sich erst über fünfunddreißig Jahre. Er war durchaus bereit, alles zu tun, was von ihm verlangt wurde, aber nie, auf keinen Fall dachte er daran, seine Pflichten zu erfüllen – ein Zelt aufschlagen, das Essen herrichten oder ein Kanu ausösen, in dem das kalte Wasser schon drei Zoll hoch um die Füße seines unglücklichen Herrn gluckste – bevor er daran erinnert wurde.

Woodburys Wüten hatte nur die Folge, daß er noch länger dazu brauchte, die Vorräte, die unter einer Persenning aufgestapelt waren, abzuzählen: Zelte, Decken, Kanus, Paddel, Segel, Motor, Benzin, Proviant. Es war nahezu sieben, als er damit fertig war, die einzelnen Posten Ralph zuzubrüllen – der wie ein mißtrauischer Buchhalter dastand und sie auf der Liste abstrich – und sie sich auf den Rückweg zum Bunger House machten. Als sie in den unordentlichen Vorraum kamen, ruhte Herr Bert Bunger in Hemdsärmeln und verschwitzten Hosenträgern, zähnestochernd und kopfkratzend, in einen Sessel gestreckt, die Füße auf dem zerlumpten Billardtuch, von zahllosen Arbeiten aus.

Woodbury war nunmehr guter Laune und schrie Herrn Bunger zärtlich an: »Abendessen fertig?«

»Tja und – gegessen.«

»Wir werden uns waschen und dann schnell reinspringen.«

»Waschen Sie sich und springen Sie, soviel Sie wollen, aber Abendessen werden Sie hier nicht kriegen, um die Nachtzeit nicht! Abendessen ist vorbei!«

»Abendessen ist vorbei – um sechs vierzig?«

»Abendessen ist vor–bei!«

»Dann sagen Sie dem Koch, er soll was für uns zurechtmachen.«

»Gar nichts werd' ich dem Koch sagen, daß er für Sie zurechtmachen soll. Der Koch hat genug Arbeit damit gehabt, daß er diese Schweine von Eisenbahnern und Fuhrleuten gefüttert hat, auch ohne daß er bis Mitternacht für'n paar ekelhafte Kerle arbeitet, die nicht den Verstand haben, zur rechten Zeit zu ihrem Essen zu kommen. Ich bin der Koch!«

»Warum haben Sie uns dann nicht gerufen? Wir waren im Indianerlager, keine hundert Yards –«

»Ich hab' genug zu tun, auch wenn ich nicht hinausgeh' und Leute suche, die zu faul sind, zum Essen zu kommen.«

»Also, wo können wir etwas zu essen bekommen?«

Mit köstlicher Freude, die Langsamkeit durch Saugen an seinem Zahnstocher unterstreichend, sagte Mr. Bunger langsam: »Nirgends!«

»Also in Dreiteufels –«

Woodbury war wieder einmal im Zuge. Er schrie, er drohte mit der Faust; er wollte Bunger verklagen; wenn sie nicht sofort Abendessen bekämen, wollte er etwas Fürchterliches tun.

Der dreckige kleine Mann sah ihn voller Verachtung an. Plötzlich hatte Ralph genug von dieser Kläfferei.

»Ach, machen Sie nicht so einen Krach!« knurrte er Woodbury an; dann, entschuldigend: »Ich meine – es hat gar keinen Sinn, mit so einem Schwein wie dem zu reden.«

»Wer ist ein Schwein, sagen Sie?« kläffte Bunger. »Sie sollten sich lieber was in acht nehmen, wen sie hier beschimpfen!«

Wenn es sich darum handelte, Stromschnellen zu nehmen, mochte Ralph wohl ängstlich sein, aber mit wütenden und drohenden Männern fertig zu werden, war er vom Gericht her gewohnt, und so ignorierte er Bunger mit einer Verächtlichkeit, die viel aufreizender war als Worte, und fuhr zu Woodbury fort:

»Es hat gar keinen Sinn, Zeit an diesen armseligen Lumpen zu verschwenden. Das ist sein Wirtshaus – so wie es ist. Wir werden uns von unseren Indianern Speck braten und das Zelt aufstellen lassen. Holen wir unsere Sachen aus den Zimmern oben und schlafen wir draußen.

»Sie können«, kreischte Mr. Bunger, »in Ihren Zelten verdammt noch mal schlafen, soviel wie Sie wollen, aber Sie werden für Ihre Zimmer bezahlen! Sie haben sich eingetragen. Das ist das Gesetz!«

Woodbury stieß ein ominöses »Oh, das Gesetz, das Gesetz!« aus, aber Ralph unterbrach ihn brüsk: »Und ich bin Rechtsanwalt! Hören Sie, mein Lieber!« (Aber das war ein Mißgriff. Bunger stand zu tief auf der sozialen Stufenleiter, er wußte nicht einmal, daß er mit »mein Lieber« beleidigt wurde.) »Der Sergeant von der Mounted ist drüben im Bahnhof. Sie brauchen nur zur Tür zu gehen und ihn zu rufen, ja? Bitte, fordern Sie ihn auf, uns wegen Nichtbezahlung unserer Zimmerrechnung zu verhaften. Bitte! Und dann hören Sie zu, wenn ich ihn einige Kleinigkeiten über die lex talionis nisi sub super cum poena, Paragraph 47, frage! Rufen Sie ihn nur, ja, während wir hinaufgehen und packen!«

Woodbury barst vor Verlangen, die erkältende Wirkung dieses nüchtern juristischen Satzes durch eine seiner geschwollenen Reden zunichte zu machen, aber Ralph hielt ihn mit einem unfreundlichen Blick und einem Ton, der halb ein Grunzen und halb ein gereiztes Seufzen war, davon ab und führte ihn zu ihren sauer riechenden Zimmern.

»Das war ein großartiger Bluff, den Sie da hingelegt haben«, erkannte Woodbury an. »Herr Gott, lieber möcht' ich hundert Dollar Strafe zahlen und ein gesalzenes Anwaltshonorar, bevor ich dem die drei Dollar für die Zimmer gebe!«

»Ja. Rechtsanwälte hören gern so reden«, sagte Ralph. »Ich möchte nicht. Absolut nicht aus prinzipiellen Gründen – wegen der hundert Dollar. Aber ich werde dem Schwein antun, was ich kann.«

»Sie haben's ihm fein gegeben! Fabelhaft! Er wird sich nicht trauen, den Sergeanten zu holen. Das war wirklich hervorragend tüchtig von Ihnen, wie Sie ihn abgeführt haben. Gar nichts wird er tun.«

Woodbury war zum erstenmal voller Bewunderung – und Ralph war diese aufdringliche Bewunderung ebenso unsympathisch wie vorhin das völlig ungehemmte Rasen.

»Kommen Sie in mein Zimmer. Schauen Sie«, sagte Ralph. Er wies auf den nur wenige Yards entfernten Bahnsteig, wo der Sergeant der Mounted Police mit dem Ortspolizisten im Gespräch stand. Gleich darauf sah er den wütenden Bert Bunger – der aber jetzt, mit einem Rock und sogar einer alten Krawatte versehen, etwas respektabler aussah – zu den beiden Funktionären hinüberlaufen.

»Der Bluff ist mißlungen«, sagte Ralph. »Wir können nichts machen, glaube ich. Wir haben uns eingetragen und sind zu spät zum Abendessen gekommen. Wir wollen aber auf jeden Fall weg und ihn nichts am Frühstück verdienen lassen. Aber für die Zimmer zahlen wir.«

Woodbury war sofort wieder der redenschwingende Geschäftsmann, der doch Schockmillionendonnerwetter schwere Not etwas in der Sache tun wollte.

»Wir zahlen nicht! Wenn irgend jemand glaubt, daß er mit so 'nem Blödsinn bei uns was ausrichten kann, wie der Gauner in diesem gottsverdammten Rattenloch es probiert, dann lassen Sie sich von mir sagen, lassen Sie sich von mir –«

Ralph ließ ihn weiterschwadronieren und ging die Treppe hinunter; dort traf er mit Bunger und den beiden Polizisten zusammen, gerade als sie in den Vorraum kamen.

Bunger brüllte ihm zu: »Na, jetzt werden wir sehen –« Aber Ralph nahm keine Notiz von ihm und fragte den Sergeanten: »Soviel ich vom kanadischen Gesetz weiß, haben Sie gewisse behördliche Vollmachten?«

»Ja.«

»Dann werden Sie mir gestatten, mich Ihnen gegenüber wie vor dem Gerichtshof zu benehmen, nämlich die drei Dollar für die Zimmer, die wir nicht benutzen werden, bei Ihnen einzuzahlen? Sie wissen, was für eine Meinung jeder anständige Mensch von diesem Mann haben muß. Es ist mir peinlich, Sie damit zu belästigen, aber ich muß sagen – ohne verleumderische Absicht – er ist so schmutzig, daß ich mich wirklich scheue, ihm das Geld selbst einzuhändigen.«

Der Sergeant sah beglückt aus. »So geht es mir auch«, sang er förmlich, aufrecht und stolz in seinem Scharlachrot und Blau, und warf einen rasiermesserscharfen Blick auf den wutkochenden Mr. Bunger. »Ich habe selber auch ein bißchen Angst vor Bazillen. Ich glaube, wir werden die Sache dem Ortspolizisten hier überlassen. Von den Mounted wird wohl erwartet, daß sie sich erschießen lassen oder erfrieren, aber ich denke nicht, daß sie verpflichtet sind, sich solchen Ansteckungsgefahren auszusetzen.«

Die beiden Polizisten strahlten vor Entzücken. Sie wußten, daß im Umkreis von hundert Meilen – Klatsch eilt von Grenzer zu Grenzer wie in einer Pension voll alter Weiber – im Umkreis von hundert Meilen, und noch in zehn Jahren, jedermann, der unter Herrn Bert Bunger gelitten hatte, vor Freude jauchzen würde bei der Geschichte von dem Mann, der sagte, Bunger wäre so schmutzig, daß er ihm nicht Geld in die Hand geben wollte.

Ihre Ekstase wurde keineswegs herabgestimmt, als Bunger, nachdem der Ortspolizist ihm das Geld übergeben hatte, die drei Scheine zerriß und in hysterischer Wut darauf herumtrampelte.

Aber in Ralph war kein Entzücken. Sein Zorn war verraucht. Er verließ jäh den Vorraum, stapfte zu seinem Zimmer hinauf und beantwortete Woodburys polternde Frage mit einem kurzen: »Alles erledigt. Packen wir und gehen wir.«

Er setzte sich auf die Kante seines schmutzigen Betts und brütete.

Es war ein Unglück für den Privatmann und ein Segen für den Rechtsanwalt in ihm, daß er immer beide Seiten jeder Kontroverse, beide Konfliktparteien verstehen konnte, auch wenn er selbst zufällig Partei war. Doch für Heldentum war er zu zart – er war nicht konsequent genug, immer seiner Erkenntnis gemäß zu handeln, wenn er sah, daß sein Gegner im Recht war. Solche Männer sind es, die in Klöster flüchten, in narkotisierende Lektüre, in verhaßte, aber Schutz gewährende Geselligkeit, weder imstande, die kindischen Zänkereien und Verletzungen, mit denen wir das Leben vergiften, zu ertragen, noch sie zu ändern.

Er empfand plötzlich Ekel vor sich selber, wegen der Billigkeit seines Triumphes.

»Gott, wie kleinlich! Stolz, weil ich herausgefunden habe, wie ich diese räudige Mistkatze beleidigen kann. In einem Viehstall aufgewachsen – wo sollte er Benehmen herhaben? Und ist er denn überhaupt schlechter als der Städter, der höflich tut, wenn er einen nicht riechen kann? Und ich so eingebildet! Ah, natürlich! ›Rufen Sie den Sergeanten! Ich werde ihm etwas von der lex talionis sub nisi erzählen!‹

»Der große Herr Ich! Der große Rechtsanwalt! Der kluge Stadtherr! Schlimmer als Wes. Er ist schlicht und tapfer. Und er auch – Ich habe mich ihm so überlegen gefühlt, mit seinen Anekdoten –«

Er wurde gewahr, daß ein Großteil seiner Niedergeschlagenheit seinen Grund im Nachlassen seiner Bewunderung für Woodbury hatte. Und er fühlte, wie notwendig echte Freundschaft für ihn geworden war in einer Welt, die ihm seit dem Tode seiner Mutter sinnlos und verwirrend erschien. In diesem nicht endenwollenden Gedankenkreisen, das ihn schon in seiner einsamen Wohnung bei seinen düsteren Grübeleien in schlaflosen Nächten dem Wahnsinn nah gebracht hatte, begann er Woodbury wieder zu bewundern.

Er verbarg sich nicht die aufreizenden Eigenschaften dieses Mannes – sein Protzen, seine Lautheit, sein Aufblasen geringfügiger Dinge, seine anmaßende Unwissenheit – aber er fand Halt an diesem aktiven Selbstbewußtsein, an dieser Munterkeit in allen Lagen, an dieser physischen Kraft.

Er sprang auf, warf die wenigen Sachen, die er herausgenommen hatte, in den Rucksack und verschloß ihn, bevor Woodbury mit seinem Gepäck in der Tür erschien.

»Tut mir leid, Wes, daß ich dieses ganze Gezänk angefangen habe. Denken Sie nicht mehr daran. Wir wollen schauen, daß wir aus diesem lächerlichen Haus herauskommen und uns auf dem guten ehrlichen Erdboden schlafen legen.«

Vor fünf Minuten hatte Ralphs gesunde Wut aus Woodbury einen ergebenen Gefolgsmann gemacht. Jetzt, im Nu, fühlte er sich wieder als Kommandant.

(Man könnte sich Wes als Jungen vorstellen, einen dicken Jungen, der Prügelknabe in seiner Bande ist und doch der Erfinderischste, wenn es sich um das Aushecken von Plänen zum Melonenstehlen oder zum Katzenquälen handelt, aber auch der Erste, sich unter höchst unhygienischen Zeremonien in eine der Brüderschaften, die sie gründeten und – noch in der ersten Ferienwoche vergaßen, »einweihen« zu lassen; einen stillen, fetten Jungen, der einem spitznäsigen, kleinen Führer gehorchte und seinem Peiniger, der halb so groß war wie er, mit hängenden Lippen zumurrte: »Ach – herrje – so hör doch auf, ja?«, sich aber immer nach jemand sehnte, den er kujonieren könnte, wie er selbst kujoniert worden war.)

»Ich sage Ihnen, mein Sohn, Sie müssen lernen, sich wegen nichts aufzuregen, da oben in den Wäldern. Nehmen Sie die Dinge, wie sie kommen, Ralph – nehmen Sie die Dinge, wie sie kommen – genau so, wie sie nu zufällig kommen, 's hat keinen Sinn, mit dem schäbigen Bunger zu schimpfen und zu streiten. Ich würde ihm nur eine gelangt haben und wäre dann hinausgegangen. Diese Tour wird 'ne ausgezeichnete Sache für Sie sein; Sie werden hier lernen, alle Ihre Sorgen ganz einfach zu vergessen und zu lachen, lachen, lachen – das ist der Dreh – das haben wir immer in meinem Offiziersschullager gesagt – das ist die Sache hier oben – den ganzen Quatsch wegpacken und lachen, lachen, lachen. Na, wollen nicht mehr dran denken. Ich sage Ihnen« – er unterbrach sich, um zu strahlen – »was wir machen werden. Wir werden auf dem Erdboden schlafen. Das wird Sie kräftig machen.«

Und Ralph folgte, unter seinem Rucksack schwankend, wie ein demütiger Jünger dem Generalissimus, der alle diese Pläne und nützlichen Ideen ersonnen hatte.

Aber er fürchtete sich wieder vor dem Aufbruch in die Wildnis ohne irgendeinen Schutz vor Wes Woodburys Erhabenheit,


 << zurück weiter >>