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Achtes Kapitel

Es war Abend geworden, der Motor sang durch den Regen, als sie mit dem ausgebesserten Kanu an das Ende der pappelgekrönten Uferklippen kamen und einen offenen Lagerplatz auf einer alten Lichtung entdeckten. Die wackeligen Stangen, Reste eines Felchen-Trockengestells, waren ein Zeichen, daß es hier einstmals ein Indianerlager gegeben hatte.

Weder Woodbury noch Ralph hatten eine Ahnung davon, und hätte der Führer Charley es auch gewußt, er würde nie daran gedacht haben, es zu erzählen – aber hier bauten die ersten französischen Missionare und Forscher im Jahre 1587 Wigwams; und seit damals hatten Gouverneur und Bischof sowohl wie der einsame Trapper hier immer Ruhe gefunden, sei es für einen Tag, sei es für eine Woche. Wohl ist der Wald ringsum noch ebenso unberührt wie 1492, aber der Mantrap River ist dennoch die königliche Hauptstraße durch die Wildnis, die Bostoner Poststraße, die Große Nordstraße.

Es war ein freundlicher, grasbewachsener Platz, steinfrei, geschützt durch eine Wand von Weißföhren. Die Indianer schlugen die Zelte auf und hatten nach fünf Minuten ein großes Feuer angefacht, wozu ein Weißer eine halbe Stunde gebraucht hätte. Am Hals, an den Handgelenken und den Händen durchnäßt, steif und starr, setzte Ralph sich großartig auf eine Proviantkiste unter einem Segeltuchdach, das über einem Astgestell vor dem Feuer konstruiert war, und reckte seine Arme vorwärts über die freudespendende Flamme.

Es war das erstemal, daß Woodbury und er einen Streit nicht beilegten. Spannung, Schweigen war zwischen ihnen, ein Zuwarten, ein Horchen auf Gefahr.

Woodbury sprang auf. »n' paar Fische holen«, stieß er heraus. Ralph sah ihn auf den niedrigen Felsen am Fluß, wie er immer wieder seine Angelschnur auswarf und ab und zu einen Hecht herauszog. Es war aller Voraussicht nach dort unten auf den Steinen nichts weniger als trocken, und Woodbury sah unendlich verlassen und rührend aus. Ralph fühlte sich schuldig. Er knöpfte den langen Ölmantel zu, den er mit so köstlicher Erleichterung aufgerissen hatte, seufzend zog er seine mit Wasser gefüllten Stiefel wieder an und schlenderte zum Ufer hinunter.

»Hören Sie«, sagte er leise, während Woodbury Hand über Hand an seiner Angelschnur zog und ihm das Wasser zwischen den runden Fingern durchtropfte, »ich weiß, daß ich kein sehr nützlicher Begleiter bin, und ich weiß, daß Sie gerade jetzt einigen Grund haben, mir nicht besonders grün zu sein, aber ich will trotzdem nicht hoffen, daß ich Sie vom Feuer abhalte.«

»Sie? Mich abhalten? Seien Sie nicht albern!« Das hörte sich nicht sehr liebenswürdig an. (Aber, ach, die ganze Zeit hätte man ihn als jenen dicken kleinen Jungen sehen können, der so empfindlich war, weil er wußte, daß er ein Nichts war, und so ausfällig, weil er sich immer beleidigt und verletzt fühlte. Und ein klein wenig davon begriff Ralph, aber nicht zu viel, denn an keiner Stelle ist hier behauptet worden, Ralph Prescott hätte eine größere oder zartere Seele als irgendeiner von uns.)

»Zufällig macht mir Fischen Spaß«, sagte Woodbury. »Es macht mir so viel Spaß, daß ich, nachdem ich zweitausend Meilen, oder vielleicht sind's dreitausend, dazu hergekommen bin, fischen möchte. Der Regen wird meinem Teint nicht schaden, was bei anderen Leuten anscheinend der Fall ist!«

Ralph sagte langsam und sorgfältig, aber eigentlich ohne viel Interesse: »Schön, Sie können zum Teufel gehen!«

Er kehrte zu dem Segeltuchdach und der einlullenden Wärme zurück und zog sein Ölzeug ganz aus. Er wußte nicht recht wieso, aber er hatte das Gefühl, Trotz und Herausforderung zu zeigen, indem er sich so zu verweichlichtem Komfort herabsinken ließ; und er war der Überzeugung, ein vollendeter Rebell zu sein, als er, ohne Woodbury, dessen Magen bisher auf der Tour die einzige rechtsgültige Uhr gewesen war, um Erlaubnis zu fragen, Charley befahl, ihm ein großes Stück Sterz abzubrechen und eine Tasse von dem Tee zu geben, den die Indianer – gesunde Burschen ohne Vorurteile für die Freuden des Fischens bei strömendem Regen – behaglich in ihrem von nassen Kleidern dampfenden Zelt tranken.

Er sah Woodbury zu, der den Fluß entlang fischte, bis er hinter einer Krümmung verschwand. Er hatte den Eindruck, daß der Häuptling zu seinem Besten Märtyrer war. Aber er weigerte sich, wieder in Gefügigkeit zurückzufallen, und wollte glücklich einnicken, als ihn plötzlich das Geräusch eines fremden Motors aufschreckte.

Es war ein schärferer, schneidenderer Ton als der von Woodburys Außenbordmotor. Durch den Regenschleier erblickte Ralph ein fremdes Kanu, das flußaufwärts jagte, ihrem Lagerplatz zu. Als es näher kam, sah er, daß zwei Männer darin waren: im Bug ein junger, verdrossen aussehender Indianer, im Heck ein Weißer mit einer Jagdmütze aus Segeltuch und einem abgetragenen schwarzen Gummimantel. Wo Woodbury, um zu landen, laviert hatte, aufgestanden war, die Hand über die Augen gehalten und Charley unklare Fragen zugebrüllt hatte, fuhr der Fremde, ohne irgendwelche Fragen zu stellen, schnell in einer großen Kurve herauf, die Hand am Gasventil des Motors, während er exakt auf den richtigen Sandstreifen zuhielt.

Er stand auf, nahm seine nasse Mütze ab und wand sie aus. Ralph bemerkte, daß es ein hagerer Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren war, mit verwittertem Schädel, großer Nase und starken Augenbrauen – ein Yankee aus dem Landstrich nördlich von Boston vielleicht, oder ein Matrose von Cap Breton.

Der Unbekannte rief kurz: »Was dagegen, daß wir hier bei Ihnen Lager machen?«

»O nein!« sagte Ralph.

Das klang ziemlich selbständig, aber innerlich zitterte er doch, als er ohne Erlaubnis vom großen E. Wesson Woodbury ein Arrangement traf. Und ihm gefiel der Fremde nicht, der seinem Bug-Indianer beim Ausladen und Umdrehen des Boots, beim Aufstellen ihres einen niedrigen Zelts und Herrichten der Moskitonetze half. Dieses Zelt war nicht aus Seide und nicht hermetisch verschließbar.

»Ach, Herr Gott, der Kerl ist ja noch pestilenzialischer männlich als Wes!« stöhnte Ralph.

Der Mann bückte sich unter Ralphs Dach und setzte sich, ohne um Erlaubnis zu fragen, auf eine niedrige, flache Speckkiste. Er zog seine Pfeife heraus.

»Haben Sie 'n bißchen Tabak? Mein Beutel ist durch und durch naß geworden.«

Der Ton, in dem er sprach, war freundlich, aber er sah Ralph nicht an; er nahm keine Notiz von ihm, mit einer Gleichgültigkeit, die schlimmer war als Woodburys aufgeblasene Unverschämtheit.

»Leider nein«, sagte Ralph kurz. »Aber Zigaretten habe ich. Solche Weiberdinge werden Sie wohl nicht rauchen.«

»Wieso? Ich würde wirklich gern eine nehmen, wenn Sie sie entbehren können!«

Der Mann sprach mit Überraschung und sah mit glänzenden, erstaunlich hellen und arglosen blauen Augen Ralph ins Gesicht.

Eine Sekunde lang war Ralph ihm zugetan, er fühlte in ihm etwas Ungekünsteltes und herrlich Ursprüngliches. Aber er rauchte schweigend, und Ralph sank wieder in Mißbehagen und fühlte sich erbärmlich als Stadtzärtling, als er diese aufgerissenen, langfingerigen, hageren Hände mit großen Knöcheln betrachtete, die aus Stahl zu sein schienen.

Etwas verlegen sagte der Fremde nach einer Weile: »Hören Sie, ich bin da wohl irgendwie ins Fettnäpfchen getreten? Sie haben so ausgesehen, als ob Sie 'n bißchen empfindlich wären wegen Zigarettenrauchen. Hab' ich eine wunde Stelle getroffen? Gott im Himmel, so was mach' ich immer wieder! Ich hab' nicht viel Takt in mir, glaub' ich. Oder – hören Sie – herrje – sind Sie vielleicht knapp mit Zigaretten?«

Er sprach mit einer ernsten Güte, mit der seltenen Güte des Mannes, dem es nie einfällt, daß jemand so närrisch sein könnte, sie auszunutzen, mit der Güte des Mannes, der sich nie schlägt, weil er es nie nötig hat.

Ralph sagte eifrig: »Nein! Wirklich nicht! Ich habe sehr viel, und sie sind in Zinnbüchsen – ich bin heute durch und durch naß geworden, aber die Zigaretten sind Gott sei Dank heil geblieben. Es ist nur, weil der – also, mein Kamerad sagt, daß man ein männlicher Mann sein muß, wenn man – Sie haben wahrscheinlich erraten, daß ich nicht der kommandierende General hier bin, sondern nur der Waisenknabe, der hinten nachläuft!«

Wieder das wunderbare Strahlen dieser reinen blauen Augen, in denen aber diesmal eine besorgte Frage stand, und:

»Nein – nein – ich habe mir keine Gedanken über Ihre Gesellschaft gemacht. Natürlich wußte ich noch vor dem Landen, daß noch ein Weißer da ist –«

»Wieso?«

»Na, ich habe die Fußspuren gesehen – Stadtstiefel wo ihr beide aus den Kanus gestiegen seid. Aber ich habe mir gar kein richtiges Urteil gemacht. Übrigens, ich muß mich wohl vorstellen. Ich heiße Joe Easter. Ich bin Freihändler, in Mantrap Landing am Träumenden See. Ich will der H. B. C. und Revillon Frères Konkurrenz machen, und das gibt mir auch gehörig zu schaffen – diese großen Gesellschaften sind hübsch pfiffig. Der Hudsons-Bay-Agent in Mantrap ist ein schlauer Bruder – feiner Kerl, und seine Frau ist auch eine schrecklich nette Dame. Ich war gerade unterwegs – Brandon – Vorräte kaufen. Hören Sie, Sie kommen doch aus dem Osten, nicht?«

»Ja.«

»Chicago?«

»New York.«

»So, so! Ich habe einmal einen aus New York kennengelernt – war hier fischen – vor vier Jahren war's – der Mann hieß Brown – im Kolonialwarengeschäft en gros war er – den werden Sie wohl nicht kennen?«

»Ich –«

»Hören Sie!«

Joe Easter zog plötzlich seine Schultern hoch, die für diesen hageren Mann überraschend breit waren, und lächelte, ein rauhes offenes Lächeln, das über das ganze Gesicht ging, über die blauen Augen, über die schwere Stirn, über den häßlichen Mund und die derben roten Wangen. Es war, als ob Sonnenschein aus diesen düsteren Nadelbäumen, diesem traurigen Fluß brechen würde. »Hören Sie! Ich glaube, ein New Yorker muß dasselbe Gefühl haben, wenn man ihn fragt, ob er aus Chicago kommt, wie so ein Londoner, wenn man ihn fragt, ob er aus Regina ist!«

»Ach, ich weiß nicht, was für eine besondere Tugend es sein soll, aus der Stadt mit der größten Anzahl Idioten zu kommen!«

»Vielleicht, aber ich glaube, in diesem Leben – und das ist das einzige Leben, in dem ich bis jetzt so ziemlich Bescheid weiß – sind die Leute nicht nur auf ihre Tugenden stolz. Ach Herr Gott, jetzt philosophier' ich schon wieder. Wissen Sie, vor ein paar Jahren habe ich in Kittiko so 'n Magazin von der Emily C. Just geklaut, und da war ein Stück drin über einen Burschen, den sie einen Hinterwäldlerphilosophen nannten. Das bin ich, sage ich Ihnen! Das ist zwei Jahre her, und ich bin jetzt noch nicht ganz fertig damit! Jedes Mal, wenn ich Bisamratten billig kaufe und sie teuer loswerde, dann schreibe ich das meinem gewaltigen Hirn zu, und wenn ich mir die Pfoten dabei verbrenne, ja, das ist dann natürlich nur, weil ich zu gut für diese gemeine Welt bin. Freilich! Aber es ist sehr komisch, mir zuzuschauen, wie ich mich aufplustere, wenn ich mal mit einem gebildeten Menschen zusammenkomme, was?«

Joe Easter war rot vor Lachen. Ralph fühlte sich wohler. Er begann schüchtern, aber ehrlich von seinen Schwierigkeiten beim Bewältigen der Wildnis zu sprechen; er steuerte auf seine eigentlichen Sorgen los, als sie, wie von einem Wirbelsturm in der Prairie, von Woodburys Erscheinen heimgesucht wurden, der unfreundlich »Hallo« röhrte.

Er stand neben dem Dach, triefend, mit vielen Fischen prunkend, und fühlte sich beschimpft, weil er nicht als Held und Märtyrer begrüßt wurde.

»Hallo«, sagte Easter ruhig.

»Glaube nicht, Sie zu kennen, mein Bester!« schnaubte Woodbury.

Easters Augen verloren etwas von ihrer Arglosigkeit und Güte, als er mit Woodbury redete: »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, daß ich hierbleibe. Das ist eine Art Lieblingslagerplatz von mir. Ich heiße Easter – habe eine Handelsniederlassung in Mantrap Landing –«

Dann brillierte der Verkaufsmanager (und Vizepräsident) der Twinkletoe-Strumpf-Company in Herzlichkeit und würdigen Begrüßungsworten, wie sie am Platze waren zwischen zwei starken Männern, die sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, wiewohl sie von den entgegengesetzten Enden der Erde kamen:

»Ausgezeichnet, ausgezeichnet, ausgezeichnet! Joe Easter! Bauen Sie hier Hütten, alter Junge! Habe schon tausendmal von Ihnen gehört. War vor drei Jahren schon mal hier oben; kam damals nicht ganz bis zum Träumenden See, hatte es aber vor. Tja, ich hatte vor, Futter in Ihrem Laden zu kaufen, wenn wir dort sind. Mein Name ist Woodbury, Wes Woodbury, Joe. Haben sich – Prescott vorgestellt? Das erstemal hier oben … Das erstemal überhaupt weg aus dem Kinderzimmer, bei Gott! … Hören Sie, was meinen Sie? Er wollte Gummischuhe tragen statt Stiefel! Klar, daß Sie Mokassins und Gummischuhe anhaben, an so 'nem Tag wie heute, aber ich habe ihm erklärt –«

In den Katarakt von Woodburys vertraulichen Eröffnungen schnitt wie der Bug eines Kanus Joe Easters Stimme:

»Ich trage nie Stiefel im Sommer. Immer Mokassins im Boot und Gummischuhe drüber, wenn ich an Land bin.«

(Ralph entsann sich, daß er für die vornehmen, von Woodbury empfohlenen Stiefel fünfunddreißig Dollar bezahlt hatte.)

Woodbury gluckste: »Schön, schön. Werde es mit Mokassins und Überschuhen probieren müssen, Joe. Aber hören Sie, das wird Ihnen Spaß machen. Das Knäblein hier! Jetzt fängt er schon an, seine Hörner zu spüren und sich zu denken, daß er 'n zuverlässiger Old Timer geworden ist; aber wie wir losgegangen sind, da hat er 'n Kissen mitgeschleppt, und dann wollte er sich am Abend ganz ausziehen und in Pyjamas kriechen! Hier oben! Nördlich vom dreiundfünfzigsten 1«

»Ist das möglich

Easter starrte auf Ralph; Woodbury feixte ihn an; er war in die Situation des lustigen kleinen Jungen herabgewürdigt, der gemeint hatte, dem Bräutigam seiner Schwester gegenüber der gastfreundliche Hausherr zu sein, jetzt aber unter dem unterdrückten Erwachsenengekicher ins Bett geschickt wird. Easter wandte seinen scharfen Blick von ihm ab, sah gelassen zu Woodbury auf, der gebückt, den Kopf am Zeltdeckendach, dastand, und sagte gedehnt:

»Passen Sie auf. Ich bin sechsundvierzig. Geboren bin ich in New Brunswick. Sohn eines Schuhmachers. Hübsch lange Zeit in einer Wagenfabrik gearbeitet. Deshalb bin ich in den Wäldern erst mit fünfundzwanzig Jahren oder so was gewesen. Wie ich hergekommen bin, als richtiger Ostdandy mit Extrahemd, habe ich mit Fuhrwerken angefangen, und dann mit Fallenstellen, bevor ich mit den schlechten Handelskniffen zu tun hatte. Ja, im Anfang habe ich mir sicher Mühe gegeben, ein richtiges ausgekochtes, in der Faser gefärbtes Rauhbein zu werden. Deshalb habe ich damals in den Hosen geschlafen, sogar in heißen Nächten. Aber – also – ich sage Ihnen – so ist es: wie ich alt und reich geworden bin – mir sind oft ein paar Dollars übriggeblieben, nachdem meine Jahresrechnungen bezahlt waren – und jetzt, wenn ich mit den Hunden im Winter auf Fahrt bin, Pelze kaufen, schlafe ich in allem, was ich habe, außer meiner Lesebrille. Aber –«

Er hielt jäh ein. Seine Augen bohrten Löcher in Woodbury. Seine Stimme war gefroren.

» Aber, Freundchen, in Sommernächten habe ich Pyjamas an, ganz, besonders, wenn ich auf einer Fahrt bin. Und es sind seidene Pyjamas, Freundchen, und ich würde lieber auf meinen Bugmann verzichten – Lawrence Jackfish, der gerade Ihre Tomaten da oben stiehlt – als auf das nette Kissen, das ich seit fünf Jahren mit mir herumschleppe. Natürlich für einen flotten Stadtmenschen wie Sie – Geschäftsreisender sind Sie, nicht, Woodbury? – ist es schön, Strapazen zu ertragen, während Sie sich hier durchkämpfen; aber bei mir gehört es zum Geschäft, und ich reise so bequem, als ich nur kann, und wenn ich noch eine Zigarette haben könnte, Mr. Prescott, wäre ich Ihnen sehr dankbar.«

Ein Niagara von Schweigen stürzte herab, und Easter rauchte, Ralph rauchte, und Woodbury suchte nach Worten und – fand sie nicht.

Woodbury zog nach einer angemessenen Zeit der Entrüstung über diesen leichtherzigen Verrat noch eine Kiste unter das Dach, und Woodbury – rauchte auch. Außer dem Gekicher der vier Indianer über den letzten Whitewater-Skandal, den Lawrence Jackfish rapportierte, dem Knattern der Kienäpfel im Feuer und dem deprimierenden Prasseln des Regens war nichts zu hören.

Ralph brach das quälende Schweigen mit schwacher Stimme:

»Joe, mein Vorname ist Ralph. Ich möchte Sie in dieser Angelegenheit in Anspruch nehmen. Kann ich Ihnen einiges sagen?«

»Selbstverständlich, Ralph.«

»Ich bin ein Schwächling. Ich bin blutarm. Ich könnte ein Neunzehnfuß-Kanu keine halbe Meile weit paddeln. Ich könnte keine hundert Pfund über eine Tragstrecke schleppen. Ich könnte keine Schnelle nehmen, allein. Ich könnte nicht –«

Trocken (und es war Woodbury, den der Schiedsrichter fixierte, nicht Ralph) meinte Joe Easter: »Warum sollten Sie auch? Warum sollte das irgendwer, wenn er nicht ein ausgemachter Narr ist, von Ihnen erwarten? Was sind Sie – Doktor, Professor, Anwalt?«

»Anwalt.«

»Ich glaube, Sie könnten mich auf dem Broadway in fünf Minuten verlieren. Ich glaube, das Orchester würde keinen großen Wert auf mein Urteil legen, wenn ich in die Oper ginge. Ich glaube, Sie könnten einen Fall vor Gericht besser führen als ich. Also, dann – es sind nur minderwertige Kerle, Leute, die ihre wacklige Meinung über sich selber stützen müssen und sich jemand suchen, auf den sie hinunterschauen können, nur solche Leute stellen sich hin und sagen einem Neuling, daß er nichts taugt. Natürlich können Sie nicht viel über eine Tragstrecke schaffen. Und wozu denn? Sie wollen doch nicht Lastfuhrwerker werden, nicht wahr? Es schindet –« Joes Stimme klang merkwürdig drohend – »es schindet und piesackt Sie doch niemand – in meinem Land?«

Ein zweites langes, peinliches Schweigen. Ralph tastete nach den Worten, die seine Gefangenschaft in diesem öden Land, in dem marternden Geschwätz von Woodbury brechen sollten. Joe Easter würde einen Ausweg wissen. Aber Ralph zögerte, bevor er die Worte aussprach, die das Leben vielleicht so rasch ändern konnten wie ein farbloses, kraftlos aussehendes Fläschchen Gift.

Die Überraschung kam nicht von Ralph, noch von Joe, sondern von Woodbury.

Dieser beugte sich unter dem Schutzdach vor, streckte die Pfeife aus, sah bedrückt und verlegen zu ihr hinunter und sprach mit der Sanftheit, die an einem aufgebrachten Mann immer ergreifend wirkt:

»Ralph, ich glaube, ich habe Sie wirklich ziemlich schlecht behandelt. Wahrscheinlich ist Joe derselben Meinung. Wahrscheinlich habt ihr beide recht. Tut mir leid, Ralph, alter Junge. Ich hab's nicht gewollt. Ich geh' zu leicht los. Wir wollen uns die Hand geben und alles gut sein lassen.«

Seine ausgestreckte Hand sah im flackernden Feuerschein müde und demütig aus; er sah Ralph voller Vertrauen an.

Gegen Tobsuchtsanfälle war Ralph gewappnet gewesen, aber durch die Anständigkeit des Mannes in die Sklaverei zurückgeschleppt zu werden, war unerträglich. Er antwortete nicht sogleich. Woodburys Hand fiel ungedrückt herab. Der Fluß verschwand in der frühen, regenschweren Dämmerung. Das große Feuer aus Kiefernklötzen schien heller zu leuchten, als ein Schein über die schräge Segelleinwand hinter und über ihnen flackerte. Die vier Führer richteten in dem Kommunismus der Wildnis mit Easters Mann das Abendessen her, und Lawrence Jackfish war so freundlich, den Büchsenkäse der Städter zu kosten.

Als Ralph sich entschloß, zu reden, war er nicht mehr hysterisch. Er hätte in einem Prozeß resümieren können:

»Wes, es ist zu spät. Sie sind kein schlechter Kerl, im wesentlichen. Sie sind ganz einfach ein Ignorant, der dank diesem merkwürdigen modernen System, der Heiligkeit des Händlertums, zu Wohlstand emporgehoben worden ist, und –«

»Also, lassen Sie mich sagen –«

» Bitte! Aber ich kann nicht einen Schritt weiter mit Ihnen reisen.«

»Sie werden müssen! Und von jetzt an werden Sie Ihr Teil –«

»Wes, es handelt sich gar nicht so sehr darum, daß Sie unverschämt zu mir sind, als vielmehr darum, daß Sie mir auf die Nerven fallen. Und wenn Joe irgendeine Möglichkeit für mich finden kann, werde ich Sie allein lassen – jawohl, Sie sitzen lassen! Jawohl, durchgehen! Desertieren! Und das jetzt gleich! Ja, ich würde lieber allein verhungern, als auch nur noch eine Mahlzeit einnehmen, die von Ihren Salbadereien begleitet ist. Mein Gott, Mann, ich war so müde und habe mich so bemüht, zu – Teufel! Das brauchen Sie nicht zu wissen; das ist vorbei; und jetzt – Joe, können Sie mir helfen?«

»Ja, hm«, sagte Joe und hörte auf zu sprechen.

Verzweifelt, überlegend, ob er die freiherrliche Biederkeit Joe Easters falsch ausgelegt hätte, entsetzt, sich wieder dem Zungengalopp Woodburys ausgeliefert zu sehen, bat Ralph: »Ich will keine Bequemlichkeit, Joe. Ich kann von Speck leben – oder sogar von Sterz allein. Ich mache mir nichts aus Regen und Schnellen. Aber die Zeit, die eine Erholung sein sollte, an dieses ausgestopfte Hemd verschwenden zu müssen, diesen Tischredner, diesen –«

»Höh! Brrr!« machte Joe gelassen. »Ich habe an gar keine Schwierigkeiten gedacht. Ich habe mir nur überlegt, ob Sie lieber in der Veranda schlafen würden oder im Besuchszimmer, bei mir in Mantrap Landing. Aber selbstverständlich, Ralph. Wenn Sie mitkommen wollen, werde ich Ihnen ein paar Angelplätze in der Nähe geben und Sie dann zur Eisenbahn zurückbringen. Und ich würde Ihnen auch sehr gern so eine Art Picknickplatz zeigen, den ich gefunden habe –«

Da barst der große Woodbury.

Er barst, er explodierte, er spie Lava über das ganze Leinwandgebäude:

»Jetzt, wo ihr euch einen niedlichen Sommerplan gemacht habt, mit einem reizenden Picknick sogar, will ich euch mal ein paar Sachen erzählen. Dieser Mann, Prescott, Easter – den habe ich in New York aufgefischt, wie er so verdammt niederträchtig erledigt war, daß seine Hände gezittert haben. Vielleicht Kokain oder so was, vielleicht heimliches Saufen, ich weiß nicht! Ich habe ihm die Möglichkeit gegeben, auf eine Tour mitzukommen, die mich Monate an Vorbereitungen gekostet hat – Telegramme und persönliches Plänemachen, vom Geld will ich gar nichts sagen – was liegt mir am Geld! Und dann –«

»Ich bezahle meine Hälfte –« kam es wirkungslos von Ralph.

»Und dann läßt er mich hängen. Also, wenn Sie glauben, Mr. Prescott, daß ich auch nur mit der Wimper zucken werde, weil ich Ihre Gesellschaft verliere – und wenn es schon mal einen ängstlicheren, winselnderen, wimmernderen Hasenfuß als Sie auf 'ner Tour durch die Wildnis gegeben hat, dann möchte ich den nur mal zu sehen kriegen, verstanden, den möchte ich nur mal zu sehen kriegen; und wenn Sie glauben, daß ich in der Nacht aufsitzen und Ihrer blödsinnigen, neunmalklugen Gesellschaft nachheulen werde, also, dann sind Sie auf dem Holzweg, verstanden, dann sind Sie sicher auf 'nem verdammt langen, blöden Holzweg. Gehen Sie! Ich halte Sie nicht zurück! Nicht eine Sekunde lang! Aber lassen Sie sich eines gesagt sein, mein Lieber – Sie ekelhafter kleiner Gesellschaftsstreber – das sind meine Indianer. Ich habe sie geheuert! Das sind meine Kanus. Ich habe sie gekauft! Sie sollten für Ihr Kanu nachher bezahlen – oder was davon übrig geblieben sein wird, wenn Sie's in noch paar Schnellen zertöppern! Aber woher kann ich wissen, ob Sie's tun werden? Woher kann ich wissen, ob Sie mich mit meinen Forderungen nicht genau so sitzen lassen, wie Sie mich mit der Tour sitzen lassen. Ich habe noch nie 'ne Partie Poker auf Kredit mit Ihnen gespielt – Gott sei Dank!«

»Ausgezeichnet«, sagte Ralph.

»So«, sagte Woodbury, »und wenn der liebe Mr. Easter denkt, Sie sind ein so großartiger Gesellschaftunterhalter in der Westentasche, daß er Sie mitnehmen will, bitte sehr, von mir aus, geht in Ordnung. Aber wenn ich in Mantrap Landing bin, werde ich 'n paar Worte mit den anderen Weißen dort zu sprechen haben – soll heißen, mit den wirklichen Weißen dort, und wenn ich zu Ende erzählt habe, was ich weiß, glaube ich nicht, daß Mr. Ralph E. Prescott so verdammt willkommen sein wird.«

Joe Easter war bis nun stiller gewesen als die hohe Tanne hinter ihrem Schutzdach, denn die Tanne seufzte wenigstens in dem gleichmäßigen Wind und dem nicht nachlassenden Regen. Einmal hatte Ralph ihm, unaufgefordert, eine Zigarette gereicht. Er hatte sie an einem ins Feuer gesteckten Zweig angezündet. Das glimmende Holz verwandelte die Falten in seinem ausgetrockneten Gesicht in Furchen, die wie Täler in roter Erde waren. Jetzt sprach er gleichgültig:

»Woodbury, Sie kommen nicht nach Mantrap Landing.«

»Ah, ich komme nicht hin? Also, ich möchte verdammt gern sehen, wer mich daran verhindern wird!«

»Nichts da. Sie kommen nicht hin. Nicht, weil ich etwas dagegen habe, daß Sie Ihre Mitteilungen über Ralphs völlige Verderbtheit an den Mann bringen – bei Leuten wie Pop Buck und George – oder wie ich ihn entführt habe. Aber ich habe einfach von Natur aus einen Widerwillen vor Ihren Stiefeln, Wes, und vor Ihrer schmutzigen Gewohnheit, in den Kleidern zu schlafen. Deshalb werden Sie nicht nach Mantrap Landing kommen. Sie werden nach –«

»Und wer soll mich daran hindern?«

»Ich. Ich bin Friedensrichter. Ich müßte Sie hoppnehmen und nach Bearpaw zur Verhandlung schicken, wegen Schießens von Elchen in der Schonzeit.«

»Seien Sie kein Narr. Ich habe noch nie in meinem Leben einen Elch geschossen!«

Es gereicht Ralph zur Ehre, daß er nicht widersprach: »Nanu, Sie haben mir doch erzählt, Sie hätten vor drei Jahren ein halbes Dutzend geschossen!«

Joe Easter redete weiter: »Nein, wahrscheinlich nie. Ich möchte wissen, wieviel Sie schon zu schießen versucht haben. Aber es gibt noch etwas, weshalb ich Sie hoppnehmen kann – und dafür werde ich Sie ganz bestimmt hoppnehmen – und das ist das Einschleppen von Schnaps ins Indianerterritorium. Halten Sie den Mund, Sie Dummkopf! Einmal in Ihrem Leben halten Sie den Mund und hören Sie zu! Sie haben eben jetzt eine Flasche in der Hintertasche, und wie ich hier gelandet bin, habe ich Sie daraus trinken sehen, oben bei der Krümmung. So, das ist es, wie der Missionar in Mantrap sagt. Also, Wes, wir brauchen Sie nicht hier. Und wenn Sie deshalb nach Osten –«

Dann mußte Ralph für einen Augenblick E. Wesson Woodbury ebensosehr bewundern, wie er ihn verachtet hatte. Woodbury entgegnete kräftig, aber nicht mehr unverschämt; er entgegnete wie der dicke Junge, der durch Hexerei ein Vierzigtausend-Dollar-Verkaufsmanager geworden ist:

»Joe, Sie sind ein sehr interessanter und unterhaltender Kerl. Vielleicht könnten Sie mich wegen Spritpaschen verhaften, aber Sie werden's nicht tun. Aus irgendeinem blödsinnigen Grund – Gott stehe Ihnen später bei! – gefällt Ihnen dieser Prescott hier, und der würde in jeden Prozeß gegen mich mit hineingezogen werden … Wollen Sie 'n bißchen Tabak? Sie müssen die schlechten Zigaretten schon etwas über haben!«

»Danke«, sagte Joe. Er stopfte seine Pfeife und ließ sie zu seinem Nachdenken glucksen, während Ralph sich verlassener und trostloser vorkam als je in seinem ganzen Leben bisher.

»Ja, vielleicht«, sagte Joe. »Ich könnte übrigens auch Schwierigkeiten haben, Sie zu überführen. Aber – sehen Sie mal, Wes.« Er sprach in bittendem Ton. »Ich werde mit Ralph im Träumenden See und den anderen Wassern in der Gegend von Mantrap Landing fischen. Wenn Sie mit Ihren beiden hübschen Kanus zurückgingen und es mit dem Solferinosee versuchten, so würden Sie ein bedeutend besseres Fischen haben.«

»Danke vielmals; sehr aufmerksam von Ihnen, nur werde ich es nicht tun«, sagte Woodbury mit einer Gelassenheit, die schön anzusehen war.

»Ja, es ist auch aufmerksam von mir – nicht viele Unterhosenhändler oder Pascher haben Gelegenheit, zum Solferinosee zu kommen – aber Sie werden hingehen. Charley!«

Auf das unschuldige Wort Charley folgten andere in Cree – knatterndem, scharfem, befehlendem Cree. Woodburys Indianer sprangen vom Feuer auf. Sie ließen Sterzpfanne und Teekessel fallen; sie standen entsetzt horchend da.

»Ich habe ihnen nur gesagt«, erklärte Joe, »was ihnen passieren würde, wenn sie mit einem Pascher nach Mantrap kommen sollten. Sie werden morgen früh damit anfangen, Sie nach Solferino zu bringen – oder sonst werden Sie zu Fuß gehen müssen!« Er sprach wieder in ganz unverständlichen Lauten, und die Indianer hockten sich ans Feuer.

»Jetzt, Wes«, sagte Joe, »wollen wir alle was von Ihrem Abendbrot haben. Sie brechen morgen um vier Uhr früh auf.«


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