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Siebzehntes Kapitel

Den ganzen Nachmittag angelte Ralph, mitten in einem See, der so glatt war, so klar bis in die tiefsten Tiefen, daß er in einem Freiballon zwischen Himmel und Erde dahinzutreiben glaubte, und in diesem Frieden schienen die Konflikte zwischen Mann und Frau, zwischen Weißen und Indianern ferner und lächerlicher zu sein als die Kriege der Ameisenhügel.

Er hatte glücklich seine Angst vor der bevorstehenden geselligen Veranstaltung in Mr. Biermeiers Hütte vergessen. Die Fama, in Gestalt Pop Bucks, hatte zu erzählen gewußt, daß es bei dieser Gelegenheit ebenso trinkfroh und pokerlustig zugehen würde wie bei den Bacchanalien der letzten Nacht in Joes Haus. Es würde in der Tat, hatte Pop frohlockt, eben dieselbe Gesellschaft mit denselben wackeren Trinkern und Spielern sein.

Ralph hatte verzweifelt nach Ausreden gesucht, um nicht mitgehen zu müssen, aber als er nach Hause zurückkehrte, hüpfte Alverna in so exaltierter Vorfreude umher, daß er nichts sagen konnte.

Joe hätte es von Rechts wegen vorziehen sollen, in Pantoffeln zu Hause zu bleiben. Er hätte heimliche Pläne entwerfen müssen, wie er sein leichtfertiges Lämmchen den Wölfen fernhalten könnte, doch auf Ralphs geflüsterten Vorschlag: »Sollen wir nicht lieber gleich nach dem Essen nach Hause gehen, statt noch Karten zu spielen?« erwiderte Joe ganz überrascht: »Warum denn, 'n bißchen Pokerspielen und Trinken macht mir doch Spaß!«

Das klang so, wie wenn man ihm sein neues Spielzeug wegnehmen und ihn früh zu Bett schicken wollte.

»Oh, ja – ja – natürlich –« sagte Ralph.

Alverna tanzte für sich allein mit glänzenden Augen zu den Klängen des Grammophons. Sie hatte den ganzen Nachmittag eifrig an ihrem schwarzen Kleid gearbeitet, die Kanten der Taille eingeschlagen und den dreieckigen Ausschnitt mit billigen Spitzen garniert.

»Ist das nicht fein? Steht's mir nicht blendend? Alles ganz allein gemacht!« jubelte sie, sich kokett drehend und wendend, und warf Ralph einen Blick über ihre reizende Schulter zu.

»Was für Kinder das doch sind! Komplikationen? Lächerlich!« reflektierte der reife Ralph, den das Angeln in eine beschauliche Stimmung gebracht hatte.

Er hatte nicht bemerkt, daß sie ein Paar neuer Pumps mit hohen roten Absätzen anhatte, und selbst wenn ihm das aufgefallen wäre, hätte er nie vermutet, daß diese neuen Schuhe noch von Wichtigkeit werden sollten. In glänzender Laune kleidete er sich zum Dinner um – das heißt, er wusch sich das Gesicht und holte einen kläglich zerdrückten Stadtrock aus seinem Rucksack.

Die Revillon-Frères-Niederlassung und Biermeiers Hütte lagen abseits vom See, eine Meile vom übrigen Mantrap Landing entfernt, dort, wo der Mantrap River und der Geistersquawfluß sich zu einem Strom vereinigen. Der Weg dahin, der zwischen Zwergföhren durch den Sumpf führte, war feucht, an einer Stelle waren schwankende Holzklötze durch den Morast gelegt.

Am Anfang dieser Brücke durch den Sumpf blieb Alverna stehen und wandte sich jammernd an Joe: »Ich kann nicht hinüber!«

»Warum nicht?«

»Meine neuen Tanzpumps. Die Absätze sind zu hoch. Ich würd' ausrutschen und sie im Schmutz ruinieren. Oh, ich kann nicht. Joe, wirklich! Ich kann nicht! Du mußt mich hinübertragen! Du mußt!«

»Teufel!« rief Joe. »Ich hab' genug damit zu tun, mich selber hinüberzubalancieren. Warum hast du dir nicht anständige Schuhe angezogen und die verdammten Dinger in deine Tasche gesteckt?«

»Also, das hab' ich nicht getan, und du mußt mich tragen!«

»Das hättest du aber tun sollen, und ich werde dich nicht tragen!«

Ralph hätte sich gern erbötig gemacht. Sie wäre ihm eine angenehme Bürde gewesen, aber der Zeitpunkt schien sich nicht für freundliche Anerbietungen zu eignen.

Joe ging brummend über die Brücke, und sie folgte ihm, sich auf den schwankenden Stämmen seitlich vorschiebend, indem sie einen Fuß vorsetzte, den anderen vorsichtig nachzog und dazu mit den Armen arbeitete wie eine Windmühle. Sie schnitt unglückliche Grimassen und ächzte und winselte ununterbrochen vor Angst.

In der Mitte, wo die Brücke von einer kleinen Stelle festen Bodens unterbrochen wurde, wartete Joe auf sie und sagte versöhnlich:

»Es war einfach blödsinnig, daß du diese Pumps angezogen hast. Du kennst den Weg. Wenn du nicht dran denken kannst, geeignete Schuhe anzuziehen, solltest du dir eigentlich Schuhe und Strümpfe ausziehen, Na – ich will versuchen, dich den übrigen Weg zu tragen, wenn du mich nicht erwürgst.«

»Wenn! Aber! Obwohl! Wenn! … Ich werd' sie ausziehen!« schrie sie.

Ohne sich um Ralph zu kümmern, warf sie sich auf einen Baumstumpf, zog sich die Seidenstrümpfe und die kleinen Pumps aus und plantschte dann mit hochgehobenen Röcken wütend durch den Schmutz, der ihre weißen Beine bis oben bespritzte.

Hinter sich hörte Ralph George Eagan rufen: »He, Alvy! Verrückt geworden?«

Ohne sich umzusehen, klagte sie ihr Leid: »Joe will, daß ich mir die Kleider, die mich so viel Arbeit gekostet haben, ruinier', aber ich werd' ihm schon zeigen, daß er mich nicht unterkriegen kann!«

Ralph hatte das plötzlich satt, und am unerträglichsten war ihm das Bewußtsein seiner eigenen dummen Schwäche für sie. Noch peinlicher war es ihm später, als ihr Wirt, dem er Eis für die Whisky-Sodas hereinbringen half, brummte: »Der arme, gute Joe! Ich bin neugierig, ob er weiß, daß Curly Evans was mit Alverna hat.«

»Das ist nicht wahr!« widersprach Ralph.

»Machen Sie sich nicht lächerlich!«

Wenn Ralph sich je unter diesen Hinterwäldlern nicht zu Hause fühlte, dann war es sicherlich bei der Pokerpartie an diesem Abend. In den Romanen werden alle richtigen Neulinge, besonders wenn sie Brillen tragen und nicht mehr als hundertsiebenunddreißig Pfund wiegen, nach einem dreiwöchentlichen Aufenthalt auf einer Ranch, in einem Holzknechtslager oder auf einem Walfischfänger abgehärtet und tüchtig. Gewöhnlich besiegen sie den Zweihundertsechzehnpfund-Eisenfresser und heiraten die Tochter des Boss'. Ralph war aber heute abend noch viel mehr Neuling (und gelangweilter Neuling) als zu der Zeit, da er von Whitewater im Dampfer abgereist war.

Zum dritten Male brüllte Biermeier: »Na, jetzt werd' ich euch Klugscheißer um 'nen Vierteldollar leichter machen, den vierten Teil von 'nem Dollar, Gents«, zum siebenten Male lispelte Pete Renchoux (dieses Lispeln hielt er für schwedischen Akzent): »Bei mir, bei mir steht die Bank«, zum elften Male brüllte Pop Buck: »Und noch 'n kleiner Schluck kann uns auch nicht weh tun« – und da hatte Ralph genug von den geselligen Freuden.

Er lehnte sich in seinem knarrenden Küchenstuhl zurück und versuchte von seinem Blatt entzückt zu sein, der Treffzwei, Treffvier, Karosieben, dem Herzaß und der Piquedame.

Er hatte längst feststellen müssen, daß Biermeiers Hütte nach feuchten Kleidern, abgestandener Büchsenmilch und gebratenem Fisch roch, daß der Kalender der Versicherungsgesellschaft an der Holzwand zerrissen war und daß Pete Renchoux unaufhörlich auf den zigarettenstummelübersäten Fußboden spuckte. Er wußte, daß er sich nach allen Regeln herzhafter Männlichkeit, des Sports und der Wildnis an diesen Schönheiten zu erfreuen hatte.

Er tat es aber nicht.

Er war froh, als Joe drei Stunden nach dem Essen gähnte und den Vorschlag machte: »Wir sind alle nach der letzten Nacht 'n bißchen müde. Nach Hause gehen, Ralph – Alvy?«

Sie hatte jedem ihrer Anbeter noch eine Menge der verwickeltsten Dinge zu sagen, aber sie brachen auf.

Biermeiers junger Gehilfe aus Aberdeen erbot sich, sie nach Hause zu begleiten.

Alverna flüsterte Ralph zu: »Gehen Sie voraus. Dieser schottische Ziegenbock ist so ernsthaft, daß er mich ankotzt.«

Als sie zu der sumpfigen Stelle kamen, warf sie ihm einen Blick zu, und wortlos nahm er sie in seine Arme und trug sie hinüber.

Sie war eine so leichte und liebe Last – anfangs. Bevor er den halben Weg hinter sich hatte, keuchte er schon und verzweifelte fast, so oft er über ganze Abgründe von Schmutz schwankte, aber er war sehr stolz auf sich und seine Kraft.

Als er sie auf festem Boden absetzte, klopfte er ihr mit ruhiger Freundlichkeit auf die Schulter. Dieses kleine Abenteuer hatte sie zueinander gebracht, diese ehrbare Umarmung, die frei war von der zitternden Erregtheit des Tanzes, hatte sie beruhigt. Alverna sprach nicht mehr mit der süßen Saccharinstimme des Weibes, das Komplimente heischt, sondern wie ein Kamerad.

»Das war sehr lieb von Ihnen, Ralph. Und Joe hat recht gehabt. Ich hätt' mir für den Weg ordentliche Schuh' anziehen sollen. Ich bin so ein Nichtsnutz!«

»Alverna!«

»Ja?«

»Sie sollten Joe nicht so quälen und immer etwas von ihm verlangen. Er ist ein sehr anständiger und guter Kerl. Und – gescheit.«

»Ich weiß. Seien Sie doch nicht albern! Ich hab' ihn wahnsinnig gern. Aber – alles hier ist so langweilig, das macht mich ganz verrückt. Herr Gott, wenn ich doch wieder mal ein paar Monate lang was vom Leben sehen könnte! Und ein Theaterstück! Ich beneide Sie ja so! Alle die Stücke in New York sehen, von denen ich lese. Sie haben doch sicher ›Was kostet Ruhm?‹ gesehen. War das fein? Ich hätt' es so gern gesehen! Muß ein blendendes Stück sein. Und ›Regen‹. Das hätt' ich gern gesehen. Wie ich noch in Minneapolis war, bin ich immer ins Theater gegangen. Und dann, wissen Sie, ich kenn' auch ein paar Schauspieler. Ich weiß nicht, ob ich's Ihnen schon erzählt hab', aber einmal hab' ich die Nägel von Jack Barrymore gemacht! Hören Sie, erzählen Sie mir was von ›Regen‹. Was für'n Stück war das?«

Als Joe nach Hause kam, unterhielten die beiden sich in aller Anständigkeit.

Als sie von dem Stück gesprochen, nur den Namen erwähnt hatte, war Ralphs Phantasie in die Straßen New Yorks geflogen. Er würde sich freuen, wieder dort zu sein, wenn der Herbst käme und er ausgeruht wäre.

Er war jetzt dort! Kein Poker, kein spuckender Pete Renchoux, kein rülpsender Biermeier … Er dachte an stille Freunde, helle, blumengeschmückte Salons und die ruhige Freude an Gesetzesproblemen.

Als Joe in das Haus gegangen war, redete Ralph weiter. Er erzählte ihr aus seinem Leben. Der Bearkeley-Fall und sein Plaidoyer vor den Richtern des Obersten Gerichtshofes zu Washington. Sein Ehrgeiz, ein bleibendes Werk über die gesetzliche Regelung der Wasserkraftausnützung zu schreiben. Seine Freunde: der Klassenkamerad, der jetzt Diplomat war, der Arzt, der eine Operation im Flugzeug ausgeführt hatte, und der Forscher, der in Nordchina zu Tode gemartert worden war.

Sein Unterbewußtsein prahlte: »Ich werd' ihr zeigen. Sie denkt vielleicht, ich kann nicht saufen und schmutzige Witze reißen wie Pete. Wahrscheinlich kann ich das auch nicht. Oder Gefahren ins Auge schauen wie Joe und Curly. Aber ich werd' ihr schon zeigen, daß ich auch noch wer bin!«

Dinners – ja, er »zog den Frack dazu an« – ja, ziemlich oft.

Die Oper, vornehme Nachtklubs, Weekends.

Seine Ausflüge nach Europa. Ein Herbsttag in Rotterdam, die Platanenblätter, die von den Bäumen in die Kanäle fallen. Mitternacht zu Weihnachten in Rom, die in Tücher gehüllte Menge auf den Stufen der Ara Coeli. Die rotweißen Tischtücher der Restaurants in Daubigny und die Unmassen Bier im Münchener Hofbräuhaus. Gestreifte Markisen und das Klappern leichtfertiger Absätze in Monte Carlo.

»Je, Sie sind aber viel gereist!« wunderte sich Alverna.

»Gute Nacht«, sagte er über ihrer warmen Hand.

Nachdenklich schritt er von der Veranda zum Seeufer hinunter.

Die Theorie, die er in Tischgesprächen und seiner moralischen Lektüre kennengelernt hatte (überlegte er), diese Theorie besagte, für einen anständigen Mann sei es durchaus unmöglich, einem Freunde zugetan zu sein, ihn zu bewundern und ihm zu vertrauen und doch gleichzeitig von der Frau dieses selben Mannes völlig behext zu sein. Diese Theorie erkannte er jetzt als idiotisch. Er hatte Joe Easter so gern wie nur irgend jemand auf der Welt, er hätte für ihn alles Erdenkliche tun können, und er hoffte, daß sie beide – in New York sowohl wie in Mantrap Landing – ihr ganzes Leben lang intime Freunde bleiben würden. Er verstand die elende Nervosität, in die Joe durch die Narrheiten seiner Frau versetzt wurde, und teilte sie. Und doch war er die ganze Zeit von ihr ausgefüllt, als hätte es nie so etwas gegeben wie Joe und Freundestreue. Er konnte jede Linie ihres Gesichts und ihrer Schultern sehen und ihre Stimme hören, die ein unersättliches Zärtlichkeitsbedürfnis in ihm erregte. Es war gut (seufzte er), daß er Mitleid für sie empfand. Daran mußte er sich anklammern. Denn nur zu leicht konnte er in eine Verzauberung geraten, in der er, blind und gebannt, sie nicht mehr als kindisches, gewöhnliches, nach jedem Mann tappendes Wesen sehen würde, sondern als die leuchtende Rose des ganzen Alls, die in ihren eigenen Strahlenglanz gehüllt ist.

Aber andererseits (er plädierte wie vor einer Jury) war es einfach eine Lüge, daß ein Mann gegen eine solche Bezauberung nicht ankämpfen könnte. Die aufrichtige Freundschaft zweier Männer war immer mehr wert als alle Frauenreize.

Er wollte kämpfen.

Nein, er mußte fliehen!

Das war nicht seine Welt. Hier war er verloren. Hier gab es nichts, aus dem er hätte Kraft ziehen können. Und es würde immer eine Befriedigung für ihn sein, das Spiel mit Woodbury zu Ende gespielt zu haben. Ihn wiederzufinden, würde ihn stärken, ihn wiederzufinden und – gut, nein, nicht unter ihm zu leiden, sondern seine Unverschämtheit zu bekämpfen, offen zu bekämpfen.

In so hochgemuter, selbstgefälliger Stimmung war er, als er auf dem Rückweg von der Indianersiedlung über einen Baumstamm stolperte, der quer über den Weg gelegt war. Trotz der Dunkelheit konnte er erkennen, daß der Baum neben dem Pfad gestanden hatte und gefällt worden war, damit er den Weg verlege, absichtlich gefällt, in den wenigen Stunden, seit sie diesen Pfad benützt hatten.

Schnell kehrte er zu der Hütte zurück. Er bildete sich ein, Schritte zwischen den Bäumen zu hören.

Alverna war zu Bett gegangen, aber Joe saß noch in der Küche; er hatte die Schuhe ausgezogen, rauchte einen Maiskolben Tabak und las die Wochenausgabe des Montreal Star.

Leise, damit Alverna es nicht hörte, erzählte Ralph von seiner Entdeckung.

Joe brummte: »Weiß nicht, was das bedeuten soll. Schauen wir mal nach.«

Er zog sich die Schuhe mit einer nervösen Hast an, die ungewöhnlich an ihm war, und nahm eine elektrische Taschenlampe mit.

Als sie miteinander den Weg hinunterschritten, fühlte Ralph sich voller Freuden frei von der Verlegenheit, die Alverna wie eine Scheidewand zwischen den beiden Männern aufgerichtet hatte.

»Hm«, überlegte Joe an dem gefällten Baumstamm. »Merkwürdige Sache. Irgendein Indianer muß wohl gedacht haben, daß uns das ärgern wird. Vielleicht soll es auch so was wie 'ne Warnung sein. Hören Sie, erzählen Sie Alverna nichts davon. Ich hab' nicht davon geredet, aber wie wir heute abend zurückgekommen sind, hab' ich bemerkt, daß jemand mein Vierzehnfuß-Kanu gestohlen hat – das graue. Auf jeden Fall ist es nicht am Pier. Fangen sie doch was an? Aber« – Joe lachte leise – »das ist ein Beweis dafür, daß sie sich nicht sehr viel trauen, nicht wahr? Na, wie wär's mit Schlafengehen? Herr Gott, bin ich schläfrig!«

Das war Ralph keineswegs.

Er hatte begonnen, sich auszuziehen, knöpfte aber entschlossen sein Hemd wieder zu, zog unter der Bettstelle auf der Veranda sein Gewehr heraus und füllte ruhig das Magazin. Das erstemal in seinem Leben setzte er sich für jemand anderen einer Gefahr aus – aber ob es für Joe oder für Alverna war, wußte er nicht genau. Er ging hinaus, hockte sich auf die Stufen und wartete.

Die Waldnacht rauschte leise und war voll bewegter Schatten. Er schlief halb ein, die obere Stufe drückte ihn schmerzhaft in den Rücken – er nickte – dann (es mochte eine halbe Stunde vergangen sein) war er mit einem Ruck ganz wach. Er hatte ein Geräusch gehört, das in seiner Undeutlichkeit nur um so erschreckender klang. Er war noch unter der Einwirkung des Schlafes und wollte nicht recht glauben, daß es kein Spiel war, daß wirklich jemand auf ihn zuschlich.

Steif saß er da. Seine Augen brannten wie Feuer. Angestrengt spähte er in die Finsternis. Es hörte sich an, wie wenn etwas leise an Zweigen vorbeistreifte, immer wieder. Dann gewahrte er eine zusammengekauerte Gestalt zwischen Haus und Laden, eine Gestalt auf Händen und Knien –

Ein Hund? Fast hätte er gelacht. Aber das Gelächter erfror in Furcht, als die Gestalt sich erhob und an den Verschlüssen der Ladenfenster herumfingerte.

»Wer ist da?« rief er unsicher.

Die Gestalt lief davon. Ralph schoß, zweimal, in einer überraschenden, mörderischen, angstvollen Wut. Kein Schrei, nur Schweigen in dem Hof.

Plötzlich war Joe neben ihm, grotesk aussehend in einem alten zerrissenen Baumwollnachthemd, und sagte ziemlich ruhig: »Was ist los?« Hinter ihm wimmerte Alverna, die sich eilig ein Negligé über ihr kokettes gelbseidenes Pyjama geworfen hatte: »Oh, was war das, was war das?«

»Es wollte jemand in den Laden.«

»Na«, sagte Joe gelassen, »ich glaub' nicht, daß er's noch einmal probieren wird. Getroffen haben Sie ihn wahrscheinlich nicht – ich hab' jemand den Südweg hinunterlaufen sehen. Wir können ganz ruhig hineingehen. Machen Sie sich keine Sorgen drüber. Wir werden die Tore zumachen, dann kann niemand rein, und bevor einer die Ladenfenster aufstemmen kann, würd' ich ihn hören, ganz sicher. Aber ich bin Ihnen sehr dankbar –«

»Nichts könnt'st du hören! Du hast von dem Kerl jetzt auch nichts gemerkt. Ich will nicht schlafen gehen! Ich bin zu erschrocken!« protestierte Alverna.

»Schön, setz dich hin und lies, bis dir der Schlaf wieder kommt«, gähnte Joe.

»Weck mich auf, wenn du wirklich Angst kriegst. Aber es wird schon alles gut gehen. G' Nacht!«

Ralph und Alverna saßen, müde von der Aufregung des Kampfes, mit taunassen Füßen nebeneinander auf den Stufen.

»Ich hab' Angst, ich hab' einfach Angst. Todesangst!« flüsterte Alverna.

Er faßte beruhigend ihren Arm, und sie klammerte sich an seine Hand an. »Ach, Ralph, ich hab' mich so gelangweilt hier! Ich hätt' nie gedacht, daß es etwas noch Schlimmeres gibt als diese Langweile. Aber jetzt weiß ich's: so zu erschrecken! Ich bin gar nicht mehr ich selber. Ich warte nur drauf, daß was Fürchterliches geschieht. Und ich weiß nicht, von wo's kommen wird. Oh – diese Angst! Sie dürfen nicht weggehen. Joe sagt, Sie meinen, daß Sie zu dem schrecklichen Mann zurückmüssen, mit dem Sie zusammen waren. Ach, tun Sie's nicht, Ralph, Lieber! Ich weiß, Joe möcht', daß Sie hier bleiben. Er hat Sie so gern.«

»Und Sie?« – ganz weich.

»Oh, riesig! Vielleicht glauben Sie, weil ich so viel Unfug stifte und so gern tanz' und Krach schlag' und überhaupt der Tunichtgut im Ort bin – vielleicht glauben Sie, daß das alles ist, woran mir was liegt. Aber ich hab' das alles ja so über. Wirk–lich, ich hab' Respekt vor Leuten, die elegant und gebildet und alles das sind. So wie Sie. Oder glauben Sie, daß ich ganz einfach 'ne kleine Gans bin?«

»Nein, Sie Baby!«

»Das freut mich. Sie wären ganz überrascht, wenn Sie wüßten, wie ich die Magazine und alles les'. Und Bücher auch, wenn ich Zeit hab' – natürlich hab' ich sehr viel zu tun. Ich freu' mich wirklich, daß Sie nicht glauben, ich hab' nur ganz einfach so 'nen Kürbis auf dem Hals!«

Sie dehnte sich behaglich schnurrend neben ihm dann fuhr sie wieder erschrocken auf: »Sie werden nicht weggehen! Sie werden uns helfen! Sie werden uns nicht allein lassen und zu dem Schwein gehen, mit dem Sie zusammen waren?«

»Natürlich nicht … Armes erschrocknes Vögelchen!«

»Bin ich auch! Ich bin nur ein kleiner Spatz in den Krallen der Katze. Und ich bin auch so schläfrig!«

So saß er da und behütete sie, während sie immer wieder einnickte.

Er selbst fühlte sich in ihrer Gegenwart geschützt und furchtlos.

Und langsam wurde der See im wiederkehrenden Tageslicht sichtbar.


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