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Zehntes Kapitel

Mit gutem Wind segelten sie über den Träumenden See und näherten sich dem Haufen von Blockhütten, aus dem Mantrap Landing bestand.

Den ganzen Tag über war es Ralph unbehaglich zumute gewesen, so sehr er sich auch bemüht hatte, für Joe heiter und guter Dinge zu sein.

Zwei einander entgegengesetzte Vorstellungen von Joes Frau und ihrem Haus suchten ihn heim. »Erzählte mir, wie verrückt sie ist auf Musik und so weiter«. Ja, natürlich! Sie wird so künstlerisch sein, daß es jedem Künstler vor ihr grauen würde; sie wird so geziert damenhaft in ihrem neuen Wohlstand sein, daß jede Dame bei ihrem Anblick in unflätiges Schimpfen ausbrechen müßte. Sie wird ihn wahrscheinlich von oben herab behandeln. Sie wird ihre tadellos eleganten Freunde – alles Gentlemen – in Kaufläden und Paketpostbüros schildern. Sie wird zu verstehen geben, daß Ralph nichts damit erreichen wird, wenn er sich für einen Gent ausgibt und einen Yalemann. Bei ihr nicht! Und sie wird aus seiner schönen Freundschaft mit Joe eine entsetzliche Plüschmöbelvornehmheit machen.

Oder, gleich schlimm, sie wird nicht fürnehm, sondern eine Schlumpe geworden sein.

Ralph dachte an das Bunger House in Whitewater, und in Warwick hatte er die Trapperhütten gesehen. Er wußte, wie schmutzig ein Haushalt in dieser freien Wildnis werden kann. Er erinnerte sich einer Hütte, in der sie Benzin gekauft hatten: eine Eßküche, wo die Bratpfanne fettriefend im Mehlfaß lag und das Tellertuch zum Stiefelputzen benutzt worden war, wo klebrige Teller vom Ende der einen Mahlzeit bis zum Beginn der nächsten auf dem Tisch blieben und dann gesäubert wurden, indem man sie in einen Topf mit kochender Suppe tauchte, die allem Anschein nach zum Essen bestimmt war.

Das Bett war ein Tohuwabohu aus schmierigen Decken, Kissenüberzügen mit schwarzen Schmutzstreifen, Äxten, Flinten, Fischschuppen, Zeitungsfetzen und jungen Hunden gewesen. Über und unter und durch alles zog sich ein saurer Dunst von nassen Kleidern und altem Essen.

Wird Joes Haus auch so sein – nur, als Zugabe zu diesen männlichen Gräueln, ein Geruch von abgestandenen Parfüms, von Alvernas Coldcream und Nagelpaste? Und schlampig durch den Dreck schlapfend ein wasserstoffsuperoxydblondes Weib in einem zerrissenen Schlafrock, ein Frauenzimmer, das keinen Wert mehr darauf legt, anziehend auszusehen, jetzt da sie ihren harmlosen, dummen Mann der Wildnis schon eingefangen hat?

Den ganzen Tag lang machte Ralph eine muntere Miene, erzählte Joe, daß er ihn für einen großartigen Kerl hielte, und bemühte sich krampfhaft, diese letzten Stunden köstlicher Freiheit zu genießen.

Von der anderen Seite des Sees aus erschien Mantrap Landing als ein Fleck auf einer felsigen, grünen Küste. Als sie durch das leuchtende Wasser näher kamen, wuchs die Siedlung vor ihren Augen. Ralph sah eine Reihe zerstreut liegender Blockhütten auf einem Abhang an der Mündung des Mantrap River, der den Träumenden See durchströmt. Hinter den Hütten erhoben sich zottige Hügel, mit Kiefern und wildem Buschwerk bewachsen, teils versengt, teils abgeholzt, in ihrer halben Nacktheit viel trostloser als der düstere Wald. Ungefähr in der Mitte der Hüttenreihe, neben einer Holzkirche mit abbröckelnder, schieferähnlicher Bemalung und einem Turm, dessen Zinndach verrostet war, lag ein Klumpen von Cree-Wigwams aus Zelttuch und Birkenrinde.

Auch aus dieser Nähe machte der Ort auf Ralph so wenig den Eindruck von etwas Bleibendem, von einer zivilisierten, dauernden Wohnstätte, daß er ihn mit dem Durcheinander der im Röhricht herumliegenden Kisten und ins hohe Gras geschleuderten Ballen am Anfang einer Tragstrecke verglich.

Einsam mußte es hier sein, schwermütig zur Zeit des Sonnenuntergangs; nirgends ein bleibendes Obdach, das dem melancholischen Herzen hätte Wärme spenden können.

Joe machte, statt gerade auf die näheren Hütten zuzuhalten, einen großen Bogen und fuhr dem anderen Ende zu.

»Ich muß dem alten McGavity – das ist der Hudsons-Bay-Agent – seine Gelegenheit geben. Mein verhaßter Rivale im Geschäft, das ist wohl wahr, und Alverna hält ihn für einen alten Sauertopf und ziemlich ekelhaft moralisch, aber er ist ein ganz nettes altes Huhn«, sagte Joe. »Er ist Schotte – nach Porridge ist er rein närrisch. Hat immer noch Heimweh, nach dreißig Jahren in Kanada. Deshalb geb' ich ihm immer 'ne Gelegenheit, die Flagge für mich zu hissen. Ich glaub' ja eigentlich nicht, daß das zum Amt gehört, aber schließlich bin ich Friedensrichter – soweit überhaupt einer da ist. Deshalb hab' ich auch Woodbury Gottesfurcht beibringen können wegen Alkoholeinfuhr … Ziemlich dreckiger Trick übrigens, wenn man bedenkt, daß ich eine ganze Kiste Whisky an Bord hab'!«

Lawrence Jackfish im Bug hatte ihre eigene Flagge aus einem Wachstuchfutteral genommen und an dem rohen grünen Mast befestigt, während Joe zweimal seine Flinte abfeuerte.

Sie glitten schnell auf die Hudsons-Bay-Niederlassung zu – das »Fort« wurde sie genannt, es war auch wirklich einmal eines gewesen und von den Indianern belagert worden. Ralph sah jetzt, daß es eine schmucke Blockhütte mit behauenen Balkenenden, wie ein Schweizerhaus, war; von der Front leuchtete ein neues Schild »Hudson's Bay Company«.

Es bedeutete für ihn die Eroberung der Wildnis … Indianer der alten Zeiten mit Federkopfschmuck und gefransten Wildlederhosen; die habichtsnäsigen Gouverneure, Herrenabenteurer mit Spitzenmanschetten und Dreimastern; Kanus mit acht munteren Paddelrudern; und, unerforschte Ströme hinuntertreibend, die Lieder französischer Voyageure.

Vor der Niederlassung lag eine stattliche Rasenfläche, in deren Mitte der schimmernde Flaggenmast aufragte, am Fuß von weißgetünchten Steinen umkränzt. Aus dem Laden eilte ein schwerfälliger und anscheinend nicht mehr junger Mann. Er winkte mit seinem Hut, er hielt einen Revolver hoch und feuerte ihn zweimal zum Gruße ab, und dann entfaltete sich die Fahne.

Scharlachrot, in der Sonne leuchtend, flatterte sie vor den mattgrünen Hügeln. Ralph war kein Anglomane, aber er empfand die Romantik dieser Fahne; er sah sie fliegen, britischen Mut verkünden, nicht nur hier in den dürren Kiefernwäldern, nein, in der ganzen Welt – über rauchenden Flußhäfen in Birma, auf Schiffen, die durch Eismeere stampfen, vor vergoldeten Tempeln, bei der Parade der Gardekavallerie im lärmenden London. Er erschauerte vor ihr, er erblickte in McGavity und Joe etwas, das an einer stolzen Tradition teilhatte; und so kam er nach Mantrap Landing, nicht mehr einsam und voller Zweifel, sondern mit dem Stolz eines Mannes, der von wackeren Freunden willkommen geheißen wird.

Als sie wendeten und an der Hudsons-Bay-Niederlassung, der Kirche und dem Indianerlager vorüberfuhren, wurden sie von weiteren Schüssen begrüßt, denen Joes knallende Büchse antwortete, und dann näherten sie sich einem langen Holzpier. Am Ufer war Joes Laden mit der Aufschrift »Easter Handelsgesellschaft«, ein etwas unsicher auf seinen Beinen stehender Speicher und ein überraschend nettes Häuschen – auch Holz, zweifellos, aber mit Schindeln verkleidet, die in einem freundlichen Grün und Weiß gestrichen waren. Ein Mädchen kam aus dem Haus gelaufen, den Abhang herunter und heraus auf den Pier – ihr Haar glitzerte und funkelte im Sonnenschein – und winkte ihnen zu.

»Alverna«, sagte Joe.

Er schien Ralph merkwürdig kühl zu sein.

Ralph betrachtete sie bange. Als der Motor abgestellt war und sie durch das ruhige seichte Wasser trieben, das dunkel und doch klar im Schatten des Piers lag, sah er zu seiner Überraschung, daß Alverna genau so war, wie Joe sie geschildert hatte. Sie war jung, sie war schlank und bezaubernd. Nichts von Wasserstoffsuperoxyd war an diesem honigfarbenen, seidigen Haar. Ihr weißer Rock und die tief ausgeschnittene Matrosenbluse sahen nett aus. Ihre Augen waren kindlich – kindlich ihre kleine gerade Nase – ganz ein Kindergesicht – und ihre Wangen ungeschminkt; ihre Stimme klang zärtlich, als sie rief:

»Joe, ich hab' mich schrecklich nach dir gesehnt!«

Als das Kanu am Pier anlegte und Ralph sich steif erhob, beugte sie sich herunter, die Hand zum Willkomm ausgestreckt, und sang: »Hallo! Ich freu' mich.«

Ralph Prescott, dieser eingefleischte Junggeselle, war in der Tat aufgeregter über Alvernas Nähe, als er über fünfzehnpfündige Muskalonges, über die Aussicht, ein Elen vor die Augen zu bekommen, und über Woodburys Schinderei mit dem Außenbordmotor gewesen war, kurz, aufgeregter als bei allen seinen Erlebnissen in dem wilden Nordland, außer der schnell geschlossenen Freundschaft mit Joe Easter. Als er auf den Pier kletterte, hatte er zum erstenmal seit dem Tod seiner Mutter das Gefühl, wirklich nach Hause zu kommen.

Erst nachdem er Alverna eine halbe Stunde heimlich beguckt hatte, kam er zu dem Schluß, daß ihre Augen keineswegs kindlich waren, sondern feucht und voll geheimer Sehnsüchte, und erst am Abend, als er schlaflos in der Veranda lag, kam er auf den Gedanken, daß es schwierig werden könnte, seine Freundschaft mit Joe – der ihm sympathisch war wie nicht bald jemand, den er kennengelernt hatte – unter dem Einfluß des eindringlich weiblichen, sanft und unwiderstehlich lockenden, des unbewußten, ungewollten, überwältigenden Zaubers zu bewahren, den die feuchten Augen von Joes Frau ausübten.

Als sie den Pier hinaufschlenderten, fragte Alverna nur: »Alles gut gegangen? Ach, hast du mir den Crêpe de Chine mitgebracht? Und das Eingemachte? Fünf Pfund? Und die Modemagazine?«

Sie begann schnell und aufgeregt von allem zu plappern, was sich ereignet hatte. Bei der alten Mag waren junge Hunde angekommen. Ihr Biskuitteig war sitzen geblieben. Gestern nacht hatte sie einen Moskito in ihrem Zimmer gehabt. Evans, der Polizist, mußte bald kommen – ein paar Chippewyan-Indianer hatten ihn oberhalb des Geistersquawflusses getroffen. Und sie hatte sich das Haar gewaschen, gerade heute früh.

Ralph war, während er hinter ihnen einherging, voller Neugier, wie Joe sich verhalten würde. Er selbst, er wäre nervös geworden, ihn hätte ihr Gezwitscher aufgebracht. Joe schien ganz ruhig, er schien sie so zu nehmen, wie sie war, wie er warmen Sonnenschein und hoffnungslosen Regen nahm – ernst, friedlich, nie bestrebt, irgend etwas im Leben aus dem, was es nun einmal unabänderlich war, zu etwas anderem zu machen. Er hatte den Arm um Alvernas Schulter gelegt, aber er war ganz kühl, er wendete den Kopf bei ihren Ausrufen, aber er machte keine Bemerkungen dazu.

Sie schritten durch den kahlen, von den Mokassins vieler Indianer zertrampelten Hof, der von dem Laden, dem Speicher und dem Wohnhaus gebildet wurde. Sie kamen durch ein Tor, durch einen Garten mit einigen wenigen Blumen, Rosen und Tigerlilien und traten in das Haus ein.

Für den ordnungsliebenden Ralph war es nach dem Schmutz der anderen Hütten, des Zelts und des Lagerfeuers ein linoleumbelegtes Paradies. Es hatte vier Räume: zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und eine Eßküche. Entweder Alverna oder Joe, einer von beiden war ein geborener Haushälter, denn das Haus war so peinlich in Ordnung wie eine neuenglische Küche. Die Zimmer waren in leuchtendem Blau ausgemalt. Keine schmutzigen Teller standen herum, und der schwarze Eisenofen spiegelte vor Sauberkeit. Auf dem polierten Buffet lehnte (eine Pracht in Ralphs Augen, der wochenlang nur schmieriges Emaillegeschirr gesehen hatte) eine Reihe goldgeränderter Porzellanteller, und neben dem Buffet hing ein Käfig mit einem munteren Kanarienvogel.

»Den verdammten Vogel habe ich vierhundert Meilen weit im Kanu hergeschleppt«, sagte Joe.

Die Bilder waren Farbdrucke von schmachtenden Mädchen und von Kavalieren, die so etwas wie Kostüme von 1500 anhatten und jungen Damen von 1750 ihre Diener machten.

Noch vor sechs Wochen hätte Ralph sich in gewaltsamen, zynischen Betrachtungen darüber ergangen, wie schrecklich diese Bilder seien – so kitschig – aber jetzt gaben sie ihm ein Gefühl von Zuhausesein, von Behaglichkeit, Sicherheit und Ruhe.

Neben dem Samtdiwan mit giftgrünen Troddeln im Wohnzimmer stand eine Zimmerorgel aus den Tagen William Dean Howells': ein prachtvolles Bauwerk mit rautenförmigen Spiegeln, Topfgeranien auf luftigen Konsolen und roter Seide hinter geschnitztem Stabwerk. (Diwan und Orgel waren im Schlitten auf der Winterstraße, dem zugefrorenen See und Fluß, hergeschafft worden.) Auf einem Bücherbord ruhte Joes seltsame Büchersammlung: ein brochierter Bertha-M.-Clay-Roman neben den »Pickwick Papers«, ein Church-of-England-Gebetbuch, »Das neue Rechensystem« und »Pollyanna« beieinander, Wells' »Grundriß der Weltgeschichte«, ein James-Oliver-Curwood-Roman, Longfellow und »Das Rauchwagen-Witzbuch«.

Ralph hatte nicht viel Zeit, sich umzusehen. Alverna nahm seine beiden Hände und rief: »Ich freue mich schrecklich, daß Sie mit Joe hergekommen sind. Bleiben Sie einige Zeit hier?«

»Wenn ich darf!«

»Oh, natürlich – aber, selbstverständlich! Ich bin schrecklich froh. Sind Sie geschäftlich unterwegs oder auf Urlaub?«

»Nur ein bißchen Fischen.«

»Hören Sie, Sie kommen sicher aus Chicago.«

»New York.«

»Wirklich? Oh, das ist großartig! Ich hab' mich immer soooo danach gesehnt, New York kennenzulernen! Aber ich bin auch nicht ganz von hinten. Ich bin in Minneapolis geboren – ja, eigentlich in Minneapolis in Idella. Oh, wir werden sehr schön miteinander plaudern, Ralph – ich darf doch Ralph zu Ihnen sagen, nicht wahr?« Sie warf ihm einen schmachtenden Blick zu. Und es steht geschrieben, daß Ralph sie nicht so kühl ansah, wie seine Sekretärin es erwartet hätte. »Sie können Alverna zu mir sagen, wenn Sie wollen.«

»Äh –« sagte Ralph.

»Noch was von dem Ale im Keller?« fragte Joe.

»Natürlich, klar«, sang sie. »Ich werd' euch schnell was zum Essen geben. Ihr müßt ja ganz verhungert sein, nach alle dem scheußlichen Sterz. Hören Sie, Ralph, wollen Sie sich waschen gehen? Mögen Sie parfümierte Seife? Eine Menge Herren mögen sie nicht. Aber es gibt auch 'ne Menge, die sie mögen. Ach, hör mal, Joe. Wir müssen für Ralph heute abend eine Gesellschaft haben. Wir werden Georgie Eagan einladen und Pete Renchoux – das sind Trapper, Ralph; die faulenzen sich hier aus, bevor sie über den Winter wieder in die Wälder gehen; wir werden Pete und Georgie und Pop Buck einladen und vielleicht auch Niels Stromberg und werden 'nen kleinen Poker aufziehen. Wir haben 'ne ganze Menge Gin! Ja, Joe? Bitte, Joe! Ohch, ja!«

»Na ja, freilich – morgen vielleicht«, zögerte Joe. »Ich hätte auch gar nichts gegen ein bißchen Poker und Schnaps. Aber heute abend, wo Ralph New Yorker ist und eine feine Nummer mit Büchern und Musik und dem allen, glaube ich, müssen wir die – die anständigen Leute einladen – Mac und seine Frau und Reverend Dillon.«

»Ach Gott!«

Alverna ereiferte sich.

»Wirklich, Ralph, Joe ist – da hört sich alles auf. Mac – das ist McGavity, der Hudsons-Bay-Agent – also, er ist eine alte Kratzbürste. Wenn er gut aufgelegt ist, dann sieht er aus wie ein anderer, wenn er Zahnschmerzen hat, und Mamma McGavity, die hat einen Haß auf jeden, der sich amüsiert. Reverend Dillon, der ist nicht so übel, ich glaub', der würde ganz gern mal 'nen Tropfen schlucken, wenn er könnte, aber er ist Missionar und dazu da, um anderen den Spaß zu verderben. Ach Joe –«

»Wir werden sie heute abend einladen – die Macs damit wir's hinter uns haben. Verstehst du, wie ich's mein', Alvy?« sagte Joe gelassen.

»Ach, geh zum Teufel!« Sie bekam einen Wutkoller wie ein vierjähriges Kind, stampfte mit dem Fuß auf, packte ihn am Rock und schüttelte ihn. »Ich könnte dich – du willst nie darauf hören, was ich sage! Ich will eine Gesellschaft! Und kein Leichenbegängnis!«

»Übersteh's, Alvy, und dann wollen wir morgen eine richtige Gesellschaft machen.« Joe hatte bei ihrem Ausbruch nicht eine Miene verzogen. »Ich hab' 'ne Überraschung für die Jungens – eine ganze Kiste echten Scotch! Und ich werd' ihnen sagen, daß es eine Spende von dir ist.«

Sie zauderte einen Augenblick, und dann verfiel sie ebenso rasch in Begeisterung wie vorher in Wut. Sie küßte ihn schnalzend, sie stürzte sich sogar auf Ralph und küßte ihn, zu seiner größten Verwirrung, auf die Wange.

»Schön«, rief sie. »Vielleicht hast du recht, daß wir uns die alten Krähen zuerst vom Hals schaffen müssen. Jetzt muß ich aber was zum Essen für euch finden.«

Sie begann in der Küche herumzurumoren, so munter »Hab' ich 'ne Wut auf Harry« summend, als hätte sie nie in ihrem Leben einen innigeren Wunsch gehabt, als für die Mannsleute zu kochen.

Ralph bemerkte, daß ihre Nägel noch immer das unnatürliche Rot der Manikürpaste zeigten. Er (der immer übertrieben rosige Nägel genau so gehaßt hatte wie aufdringlich parfümiertes Haar) mußte sich eingestehen, daß er sie für ihre schwachen Versuche, sich zu pflegen, bewunderte. Und er grübelte: »Kein Wunder, daß sie manchmal wild wird. Joe ist die Güte selbst, aber er ist so gesetzt – so wie ich, glaube ich – und sie muß es hier oft langweilig finden.«

Sie servierte ihnen Kaffee in wirklichen Porzellantassen, wirklichen, unglaublichen Schinken zwischen dünnen Schnitten wirklichen und noch unglaublicheren Brots und ganz reife Tomaten aus Joes kleinem Gewächshaus – auf einem Tablett, über das eine saubere weiße Serviette gebreitet war.

Der New Yorker Ralph Prescott würde Porzellantassen, kalten Schinken und weißes Brot für nichts Überwältigendes gehalten haben, zweifellos hätte er eine nackte Tomate zurückgewiesen, und reine Servietten waren das Selbstverständlichste von der Welt gewesen. Aber nach Wochen mit Speck, Sterz und Tee, in einem Land, dessen Sommer so kurz ist, daß man Gemüse nur mit Mühe ziehen kann, war das alles ein Wunder für ihn.

Was für ein Luxus, nicht mit schmerzenden Knien auf einer Persenning zu hocken, einen glühendheißen Zinnbecher in der Hand zu halten und aus den zwei in die Büchse gebohrten Löchern Sahne in den Kaffee tropfen zu lassen, sondern aufrecht in einem Stuhl zu sitzen, die Beine herrlich unter einen mit schönem, sauberem Wachstuch gedeckten Tisch zu strecken und die Sahne – wenn es auch dieselbe kondensierte Sahne war – aus einem reizenden kleinen goldweißen Kännchen zu gießen! Wie köstlich war der Schinken, wie delikat jedes Krümchen des flockigen Brots! Und der unglaubliche Wohlgeschmack einer frischen Tomate – lieblicher in ihrem kostbaren Duft als die Früchte Arabiens, der Liebesapfel, die wahre Liebesspeise, zu essen bei sanfter Musik und schwindendem Licht.

»Donnerwetter, ist das gut!« schrie er, in den Tönen eines Wesson Woodbury, und Alvernas Lächeln ließ ihm das Essen nur desto besser munden.

Nie hatte er sich so innig zu Hause gefühlt wie hier bei seinen Freunden Joe und Alverna, über dem roten Wachstuch, auf dem in leuchtenden Farben das Ottawaer Kapitol brannte … Ihre aufgestützten Ellenbogen hoben sich weiß und lieblich von der Feuersbrunst ab.

Bevor sie fertig waren, knarrte die Tür auf, und ein alter, bärtiger, breitschulteriger, dickbäuchiger, verrunzelter, grauhaariger Mann schob sich, ohne anzuklopfen, breitlächelnd herein.

»Oh, Pop, gute alte Haut!« rief Alverna, sprang vom Tisch auf und warf sich ihm an die Brust.

»Heh, laß mich los!« brummte der, umfaßte sie mit einem Grislybärenarm, hob sie hoch und setzte sie in einen prunkvoll vergoldeten Schaukelstuhl.

Joe erklärte: »Pop, das ist ein Junge, dem wir die Schlüssel der Stadt übergeben müssen – Ralph Prescott. Wir müssen ihm mal zeigen, was richtiges Fischen ist. Ralph, das ist Pop Buck, der zäheste alte Gauner nördlich von Dauphin – ist seit sechzig Jahren in den Wäldern der erste Mann, der von Winnipeg zum Mackenzie River raufkutschiert ist – fünfundsiebzig Jahre alt und hat noch nicht aufgehört zu fluchen.«

»Und«, setzte Pop Buck selbstzufrieden hinzu, »kann mehr Schnaps fassen und sich mehr Pötte auf 'n Paar Zweier langen als zehn junge Männer im Mantrap-River-Distrikt. Freut mich, Sie kennen zu lernen, Ralph!«

Ralphs Hand war weiß und schwach in der Umklammerung dieser behaarten Tatze. Pop ließ sich vorsichtig in einen Küchenstuhl nieder. Alverna flog hinüber und setzte sich ihm auf den Schoß. Er streichelte ihr glänzendes Haar und knurrte:

»Tja, sechzig Jahre, seit ich von Winnipeg weg bin, das war nur ein Fort und ein Dreckloch damals. Aber meine Zeit ist vorüber. Früher könnt' ich 'n Ochsen umbringen, indem ich ihm den Hals umgedreht hab'. Aber jetzt hab' ich mich auf meine Rente zurückgezogen – das ist mein feiner Name für den Schmarren, den ich mir von meinem Jungen schicken lasse (sonst würd' ich ihm den Schädel einhauen) – und ich taug' nur noch für so kleine Zerstreuungen, wie Saufen und Hofmachen.«

»Ach, Pop, du bist einfach ent–setz–lich!« schimpfte Alverna.

»Na, frag nur irgendeine hübsche Squaw hier herum, ob sie nicht den alten Pop für 'nen besseren Tänzer hält als so einen von den jungen Hunden da oben! Ralph, freut mich, daß Sie hier bei uns sind. Kann Sie immer zum Fischen mitnehmen, wenn Joe zu viel zu tun hat.«

»Vielen Dank.«

»Von Winnipeg oder von den Zwillingsstädten? Oder vielleicht Chicago?«

»Nein, New York.«

»New York, ah? So, so, so! Und Sie sehen ganz aus wie'n Mensch. Na, New York ist ganz hübsch vorwärts gekommen ohne mich. Ich bin auch im Osten geboren – Fort Wayne, Indiana – aber ich hab' nie dahinterkommen können, warum ein Mensch, der doch gerade genug Gemeinheit und Häßlichkeit an sich selber hat, sich zu sechs oder sieben Millionen anderen Narren verkriechen soll. Ist schon hier schlimm genug – das ganze Jahr lang 'ne Bevölkerung von acht Weißen und zwanzig Indianern, und dazu wimmeln einem vielleicht noch fünfzig rein in jedem Sommer zwischen den Fangzeiten. Das ist ein Haufen Narren, der für mich ausreicht. Ist überhaupt nur ein vernünftiger Mensch hier – Joe Easter – der einen trinken und's auch sein lassen kann, und meistens hat er Grips genug und trinkt einen. Und auch der ist fertig, hat diese Müh' und Plage mit dem Goldhaar geheiratet.«

Alverna kuschelte sich an seine Brust und schnurrte: »Du weißt recht gut, daß du scharf auf mich bist.«

»Wie der Teufel. Na ja, werd's wohl sein. Auf Schnaps bin ich auch scharf. Aber das heißt noch nicht, daß ich mir'n auf meinen Porridge geb'. Du bist was Kostbares, das bist du, mein Kätzchen, und 'ne tüchtige, geschickte, fleißige Gaunerin, und außerdem macht dir nichts so Spaß, wie alle jungen Trapper und Händler hier herum auf dich scharf zu machen und dann unschuldig auszuschauen.«

»Das ist nicht wahr!«

Alverna lief, fast böse, von ihm weg. »Ich kann nichts dafür, wenn mir immer ein Haufen Idioten an der Rockfalte hängt. Sie haben sonst nichts zu tun.«

»Das kann vielleicht sein«, schnaubte Pop Buck fröhlich – fröhlich wie ein alter Kiefernstamm in einer Junibrise. »Auf jeden Fall bin ich froh, daß Ralph aus New York kommt. Der wird nicht auf dich reinfallen! Dort gibt's so Putzichens wie dich in jedem Block, mein Kätzchen!«

Sie sah zu Ralph hinüber. Ihre Augen fragten: »Gibt es dort viele Mädchen wie mich?« Und wider seinen Willen gaben seine Augen zu: »Nein.«

Lieblich, und mit einer gewissen süßen Unverschämtheit, schlüpfte sie aus dem Zimmer, einen Blick zurückwerfend, der jedem von ihnen allein zu gelten schien.


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