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Zweites Kapitel

Unter den Schaufenstern der Fünften Avenue mit ihren silbernen Cocktail-Mixbechern, Smaragd-Armbändern und prunkvollen Toiletten (die direkt aus dem Faubourg Saint-Honoré bezogen sind) fällt die prächtige Fensterausstattung des großen Sporthauses Messrs. Fulton & Hutchinson auf.

Sie zeigt eine Lagerszene. Wie grün ist das baumwollene Gras, wie wässerig das gläserne Wasser, wie erschütternd für jeden verbannten Dan'l Boone die ausgestopfte Amsel, die auf einem leblosen Schilfrohr ihr stummes Lied singt! Und wie unentbehrlich sind nicht für das rauhe Lagerleben der transportable Radioapparat, das Luftkissen, das sich in einen Rettungsgürtel verwandeln läßt, und der Vierflammen-Petroleumofen!

Ralph Prescott staunte dieses realistische Bild ehrfurchtsvoll an, marschierte dann in den Laden und wurde in das siebente Stockwerk, in die Abteilung für Touristenausrüstung, gewiesen.

»Ich gehe nach Nordkanada fischen und brauche etwas Dauerhaftes und ziemlich Einfaches an Kleidern«, sagte er bescheiden zu dem herangleitenden Kommis.

»Gewiß, Herr. Eine ganze Ausstattung? Dürfte ich Ihnen diese Reithosen aus Whipcord empfehlen, dazu Schnürstiefel, ein echtes Ouspewidgeon-Flanellhemd und eine imprägnierte Segeltuchjacke mit Jagdtaschen? Also diese Hosen zum Beispiel, die werden Ihr ganzes Leben lang halten, und sie sind wirklich sehr preiswert, nur achtundsechzig Dollar« – der Kommis strahlte.

Ralph zögerte und knurrte etwas Unverständliches, ließ sich aber schließlich dazu überreden. Er wählte zwei besonders flauschige Flanellhemden, das eine schwarz und knallrot gewürfelt, das andere gelb und grün gestreift. Dazu nahm er einen verwegenen Zwei-Gallonen-Bill-Hart-Hut mit Lederband und bewunderte dann in einem dreiflügligen Spiegel die ganze Pracht und Herrlichkeit.

Wie den meisten Männern war Ralph das Probieren von Kleidern gewöhnlich eine Qual, und die Neuheit eines neuen Anzugs ließ ihm alles, was er vorher getragen hatte, abgenützt und schäbig erscheinen. Aber seine Lagerausrüstung machte ihm dieselbe Freude wie eine Maskerade. Er sehe sehr männlich und tüchtig aus, sagte er sich. Er richtete sich grimmig auf, stemmte die Fäuste großtuerisch in die Hüften und nahm die randlosen Augengläser ab, die ihm jetzt zu seinem Äußeren – der rauhe Mann der Tat – nicht ganz passen wollten. In diesem Augenblick hegte er nicht den leisesten Zweifel daran, daß er Stromschnellen hinunterschießen, an den Tragstrecken dreihundert Pfund schleppen und den frechsten Indianer meistern könne.

»Ich werde mir eine große runde Brille anschaffen, so eine wie Wes Woodbury hat – das sieht sportsmännischer aus«, beschloß er.

Der kundige Kommis, dessen Erfahrung in gefahrvollen Expeditionen nicht lediglich aus dem Etablissement der Messrs. Fulton & Hutchinson stammte, sondern auch auf drei Wochen in einem Y. M. C. A.-Lager am Chautauquasee zurückblicken konnte, versah Ralph noch mit einigen großen bunten Halstüchern, Rock, Hose und Hut aus Öltuch, ventilierten Handschuhen, zusammenfaltbaren Pantoffeln, Wollsocken (von irgendeiner Spezialfirma speziell hergestellt, für irgendeinen Spezialzweck, den der Kommis nur ziemlich nebelhaft umschreiben konnte), hohen Schnürstiefeln, niedrigen Schnürstiefeln und Segeltuchschuhen mit Gummisohlen, die einen Zoll dick waren.

Nun erinnerte Ralph sich Wes Woodburys flehentlicher Bitte: »Was Sie sich auch anschaffen, sehen Sie um Gottes willen, daß Ihre Ausrüstung klein bleibt!«

Er entrann aus dem siebenten Stockwerk, nachdem er auf den dringenden Rat des Kommis noch einen Rucksack gekauft hatte, der so groß war, daß der Indianer, der ihn vollgepackt über eine Tragstrecke schaffen könnte, erst hätte geboren werden müssen. Es war ein bezaubernder, raffinierter Rucksack. Er hatte Innentaschen, Außentaschen und Obertaschen, alle mit Riemen und Klappen und köstlichen kleinen Schlößchen. Er hatte nur einen Fehler: die obere Verschlußklappe war so kunstvoll und sinnreich eingerichtet, daß es keine Möglichkeit gab, sie zu befestigen; sie mußte immer offen bleiben und gewährte allem Regen des Himmels Zutritt. Das entdeckte Ralph aber erst, als er in einem kleinen Kanu auf dem Warwicksee schwamm.

Den Rest seiner Ausrüstung erstand er im ersten Stockwerk.

Zelte, Decken, Kanus und derlei waren von Woodburys Freund in Winnipeg vorbereitet worden und sollten sie an der Endstation der Bahn, in Whitewater, erwarten, so daß Ralph sich damit begnügen konnte, nur zwei bis dreimal so viel zu kaufen, als er brauchte.

Die Sportspezialisten hatten noch das Vergnügen, ihn mit einigen Kleinigkeiten auszustatten, die später seinen Indianerführern viel Freude machen sollten: mit einem kugelgelagerten Kompaß, einer Moskitosalbe, die von den dankbaren Moskitos für Nektar gehalten wurde, einer eisernen Ration von hochkonzentrierten und unverdaulichen Nährtabletten und mit einem Apparat, der abwechselnd alles sein konnte: Messer, Nagelfeile, Bohrer, Korkenzieher, Zange und Schraubenzieher. Aber manches war auf der Tour doch von einigem Nutzen: eine großartige elektrische Lampe, eine Schrotflinte und Angelruten, Rollen, Fliegen, Angelhaken und Fischnetze, die – wie der Gerätefachmann ihm versicherte – unerläßlich waren.

Für ein erstes Abenteuer in einem solchen Geschäft war Ralphs Selbstbeherrschung wirklich groß, besonders wenn man bedenkt, unter welchem hypnotischen Bann er auf Zelte mit Grammophonen, zusammenlegbaren Eisschränken und Porträts von Roosevelt sehen mußte, auf liebliche Entenjagdanzüge aus Gras, die den Kostümen hawaiischer Tänzer glichen, und auf bezwingend realistische Wachspuppen, die mit allen Anzeichen von Behaglichkeit in Eiderdaunenschlafsäcken schlummerten.

Es war vollbracht. Ralph drückte sechs verschiedenen Kommis und dem Portier die Hand und nahm stolz Abschied. Alle seine Einkäufe kamen zu ihm in den Taxameter. Sie waren zu köstlich, als daß er auf ihre Zusendung hätte warten können, und in bizarren, die Phantasie reizenden Paketen türmten sie sich um ihn von Sitz und Boden des Autos auf.

Zu Hause legte er seine Rüstung an und stellte sich vor den großen Türspiegel, der ihn unlängst so erschreckt hatte. Es war einfach prachtvoll: breitkrempiger Hut, Segeltuchjacke mit riesigen Taschen für Jagdbeute (die aber noch zu erlegen war), rot und schwarz gewürfeltes Hemd, Whipcord-Breeches und die erschreckliche, grimmige Brille, die er unterwegs noch schnell beim Optiker besorgt hatte.

»He! Ich seh' gar nicht so schlecht aus! Ich sehe wirklich nach etwas aus! Ich –«

Auf unerklärliche Weise war mit einem Male der Zauber vernichtet, er war kein Kind mehr, das Held sein spielte, frei sein und geschickt und stark – er war nichts weiter als ein müder Akademiker mittleren Alters.

»Teufel, ich sehe aus wie Ralph Prescott in einer renommistischen Verkleidung! Ich sehe aus wie ein Dilettant auf einer Liebhaberbühne! Die Kommis bei Fulton & Hutchinson lachen sich wahrscheinlich halbtot über mich!«

So sehr er eben noch in selbstvergessener Freude jubiliert hatte, plötzlich war er tief in selbstbeobachtende Zweifel versunken. In seinem Kostüm der Wildnis, das noch von keinem Kotstreifen, keinem Blutstropfen, keinem Regenspritzer beschmutzt war, saß er wieder elend und grübelnd in seinem nüchternen roten Ledersessel.

Aber aus seiner trüben Stimmung stieg eine Tatsache empor: Er besaß einen Freund!

Sein ganzes Leben lang hatte er nur laue und vorsichtige Bekannte gehabt, die zuverlässig genug und beständig waren, verstehend und bequem, aber voller Angst vor dem Leben, voll peinlicher Angst vor den Opfern und der heißen Anteilnahme wahrer Freunde. Und in demselben E. Wesson Woodbury, der ihm als lärmender und flacher Dummkopf oft eine komische Figur gewesen war, hatte er die eine, dauernde Freundschaft gefunden.

»Wir werden es wunderschön in den Wäldern haben. Wes ist ein ganzer Kerl. Er wird mich schon aus meiner verdammten Hasenherzigkeit herausbringen.«

Mit einem schwachen Abglanz seiner nachmittägigen Begeisterung begann Ralph zu packen. Doch es war ihm eingefallen, daß diese Expedition gefährlich werden könnte, und während er mit vielem Hin und Her seine Schätze in dem ungeheuren Rucksack ordnete, sah seine Phantasie Kanus, die in Stromschnellen zertrümmert wurden – in Wüsteneien gebrochene Beine – um einsame Zelte streifende Bären – in pfadlosen Urwäldern verirrte Stadtschwächlinge.


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