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Elftes Kapitel

»Was meinst du, Pop?« forschte Joe, als Alverna sie einer freien Männerberatung überlassen hatte. »Alverna hat 'nen Anfall gehabt, weil ich durchaus wollte, daß wir Mac und seine Frau und den Reverend Dillon heute zum Abendessen einladen, damit wir sie los sind, und uns dann erst morgen abend richtig amüsieren … Ralph! Mac und der Reverend werden scharf darauf sein, Sie kennenzulernen und alle Neuigkeiten von New York und Europa und so zu hören. McGavity hat's nicht so mit den Büchern, aber er ist 'ne Menge gereist – ich glaub', er war mal in Frankreich, bevor er herübergekommen ist von Schottland – und der Reverend, der ist ein heiliger Schrecken – ich glaub', er hat so ungefähr alle erstklassigen Bücher gelesen, die überhaupt geschrieben worden sind. Ja er liest sogar die Bibel auf Griechisch. Wie ich mir die Sache überlegt hab', Pop, müssen wir die heute einladen. Was meinst du?«

Pop veränderte die Lage seines mächtigen Korpus im Sessel, zog eine Pfeife aus einer seiner großen Taschen sie waren wie Kornsäcke an seiner abgetragenen Jacke aufgenäht –, stopfte umständlich die Pfeife, machte schmatzend einen Zug, stöhnte, drückte den Tabak fester, setzte die Pfeife noch einmal in Brand und holperte:

»Tja – sieh mal – also, meine Meinung ist … Sie sind doch Professor, nicht, Ralph?«

»Nein, Anwalt, Pop.«

Alverna war Ralph aus dem Sinn gekommen. Pop Buck gefiel ihm. Das war es, was er suchte, diese Zuflucht vor der nervösen Hast New Yorks … Ja, er war froh, daß er Woodbury verlassen hatte –

»Anwalt, so? Ja, das ist ein bißchen besser, als Professor sein, 'n Professor nimmt Jungs und macht feine moralische Burschen aus ihnen, und 'n Anwalt sieht zu, daß sie nicht ins Loch kommen, weil sie sich so aufführen, wie der Kerl's ihnen beigebracht hat. Ich hoffe, Sie machen sich nichts aus meinem Husten und Schnauben und Lästern, Ralph. Joe schimpft immer drüber! Joe mit seinen verdammt feinen poetischen Gefühlen.«

»Auf jeden Fall«, sagte Joe in aller Ruhe, »hab' ich dich jetzt so weit, daß du mir keinen Tabaksaft mehr auf meinen sauberen Fußboden spuckst. Also, sag mal, Pop: hab' ich recht gehabt mit dem Abendessen heute?«

Pop Buck sog genießerisch an seiner schmutzigen Pfeife und seufzte:

»Also, ich halt's nicht mit Georgie Eagan und allen den Jungens, die steif und fest dabei bleiben, daß alle Missionare Deibel sind. Da bin ich 'n bißchen radikal. Wie ich mir's denke, ist ein Missionar ganz in Ordnung – solang' er seine Nase nicht ins Trinken und Fluchen steckt. Jetzt sieh dir mal den Reverend Dillon hier an. Er ist 'ne recht brave Haut, für'n Menschen, der sein ganzes Leben im College und so gesteckt hat. Einmal, wie er mit mir im Januar unterwegs war – und, Sakrament, war das kalt, die Fäustlinge sind mir halb an der Nase angefroren, wie ich mich geschneuzt hab' – Reverend Dillon, also, er denkt lange Zeit nach, und endlich meint er, er ist jetzt dran und muß 'nen Spruch machen, und da sagt er: ›Pop,‹ sagt er, ›Pop, 's ist verdammt kalt!‹«

»Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen kann und sagen, daß das 'n tüchtiger Fluch war. Also, ganz unter uns, 's war nicht mehr als 'n Kleinkinderfluch. Aber er hat doch ordentlich guten Willen gezeigt. Deshalb würd' ich ihn heute abend einladen, denk' ich. Aber –«

In Pops Stimme klang eine schwere Bedrücktheit.

»Aber ich hoffe, du wirst keinen Alkohol an ihn verschwenden, wo so verdammt wenig in der Gegend da ist und wir jungen Burschen ihn doch brauchen. Schon der Erhaltung unserer Gesundheit wegen.«

»Werd' ich nicht«, sagte Joe.

Und Pop Buck ging.

Während Joe aus war, um seine Gäste einzuladen, und Alverna mit den Vorbereitungen zum Abendessen begann, machte Ralph es sich in seiner Veranda bequem und ließ seine Blicke über die leuchtende Fläche des Träumenden Sees wandern. In der Veranda war ein Feldbett, und Ralph hatte sie dem stickigen Gastzimmer mit seinen kleinen Fenstern vorgezogen. Er war zugleich zufrieden und unruhig. Er sah Joe Easters kleine Weisheiten in der Flut von Pop Bucks dröhnenden Zynismen ertränkt, er sah Joes Zärtlichkeit für Alverna wundgerieben durch ihr Herumflirten, ihr Quecksilbern und Komödiespielen, er sah die Einsamkeit des Manns und seinen Mut in dieser Einsamkeit; und Joes Leben und Probleme waren ihm mehr als die Verlegenheit irgendeines goldenen Klienten oder irgendeines aufgeblasenen Klubbekannten.

Dann seufzte er: »Was für ein niederträchtiger, nichtsnutziger Bücherwurm bin ich doch!« und ging hinein, um Alverna seine Dienste anzubieten.

Es machte ihr Spaß, Speisen zu erfinden. Ihre Kochkunst war um so höher einzuschätzen, als sie darauf angewiesen war, aus Konserven frisch schmeckende Gerichte zu bereiten. Joe hatte Kisten voll neuer Herrlichkeiten mitgebracht, auf die sie sich eifrig stürzte, ununterbrochen plappernd (sie hörte nie auf zu reden, während sie arbeitete). »Ist's nicht 'ne Schande, das ganze Essen und alles für diese idiotischen Macs zu machen? Reverend Dillon (ich sag' Ray zu ihm, heimlich, und glauben Sie mir, es geht ganz gut, aber Joe würde mir bei lebendigem Leibe die Haut abziehen, wenn er mich dabei erwischen würde, daß ich mit 'nem Geistlichen frech bin) – Ray gibt was auf feines Essen, aber ich glaub', der alte McGavity und Frau Mac meinen, es ist 'ne Schlechtigkeit, sich dabei erwischen zu lassen, daß man auch noch was anderes als gedörrte Pflaumen und Schweinefleisch mit Bohnen ißt.«

Sie machte Suppe – Suppe aus Gemüsekonserven, aber sie würzte sie mit englischer Sauce und mit Karotten und Petersilie aus ihrem kleinen Gewächshaus. Der Spargel kam auch aus einer Konserve, ebenso die Butter, die der wichtigste Bestandteil der Sauce war, aber mit rotem Pfeffer, etwas Zwiebel und Eiweiß (unter Gefahren von Kittiko hertransportiert) vollbrachte sie dies chemische Kunststückchen.

Es war eine Lust, ihren schlanken Fingern zuzusehen, dem silberigen Plätschern ihrer Stimme zuzuhören, und bald hatte Ralph vergessen, daß sie nicht mehr Adjektive kannte als »blendend«, »fabelhaft«, »geliebt« und »fein«.

Das Hauptgericht sollte jenes Elchfleisch sein, das, ob nun legal in der Jagd- oder illegal in der Schonzeit erlegt, im Haus des Friedensrichters, des Missionars und des gesetzestreuen McGavity sowohl wie in den Hütten der leichtsinnigen Crees die Hauptnahrung des Landes war. Und wie gewöhnlich war es zäh; es war ganz besonders zäh, ein Messer sprang von seiner widerstandsfähigen Oberfläche ab, und Gabeln fielen müde und verbogen daneben zur Seite.

»Ist nur 'ne Frage von Grips und Armschmalz«, sagte Alverna. »Ich hab' mir von Joe 'ne Fleischmaschine besorgen lassen – so ziemlich die einzige nördlich von Bearpaw, glaube ich. Hier, Sie werden drehen.«

Dreimal ließ sie Ralph die hartnäckigen Fasern des Elchfleisches durchdrehen, nachdem sie das Messer mit einem Eisenhammer bearbeitet hatte. In dieses Hamburger Steak mischte sie rasch gehackte Zwiebeln, Knoblauch, Bambusschößlinge – aus einer Konservenbüchse, von einem Chinesenladen in Winnipeg – gab etwas Selleriesauce dazu und ließ es über einem langsamen Birkenkohlenfeuer schmoren.

»Geben Sie jetzt acht darauf, Ralphiechen, und ich spring' hinein und zieh' mich um – ich werd' den Lilien auf dem Felde mal was vormachen!«

Sie sprang in das Schlafzimmer neben der Küche. Er wollte, sie hätte die Schlafzimmertür ganz zugemacht. Sie war so harmlos kameradschaftlich, aber es wäre ihm lieber gewesen, sie hätte nicht so viel Anständigkeit als selbstverständlich vorausgesetzt. Er gab sich Mühe, ihre weiße Gestalt nicht umherhuschen zu sehen, während er feierlich das Elchsteak bewachte.

Wenn Alverna noch immer Wesens machte über polierte Fingernägel und einen gewissen delikaten Gebrauch von Rouge, so war sie aber auch bewundernswert flink, denn in zehn Minuten hatte sie statt der Matrosenbluse und des weißen Rocks ein schwarzes Kleid an, Moiré mit einer leuchtend roten Randstickerei. Das Dunkle machte sie noch schlanker und geschmeidiger, ihr Haar, nun schlicht und gewaltsam ehrbar, war noch leuchtender. Jetzt sah er sie nicht nur als ein lustiges Kind, ein »gutes Ding«, das manchmal ein wenig lästig wird und bewundert werden muß, weil es seine kleinen Launen und Munterkeiten unter den ledernen weißen Frauen und den schmierigen Squaws des öden Landes zu bewahren versteht – sondern als ein Mädchen, an dessen Arm durch einen Salon zu gehen man stolz sein konnte.

Sie stellte sich in die Tür und hielt die Hand lässig vor die Schulter, zu deutlich posierend, um zu mißfallen.

»Gefall' ich Ihnen?« säuselte sie – mit klingender Stimme, mit schmeichelnden Augen, feuchten, begehrlichen Augen.

Es war fast Pop Bucks Ton, in dem Ralph knurrte: »O ja, glaub' schon. Kommen Sie her und sehen Sie sich Ihr Steak an. Drehen Sie's um oder nicht?«

Sie schlüpfte neben ihn, sie bettelte, wie ein kleines weißes Hündchen mit blauem Halsband um Bonbons bettelt: »Sie sind ein alter Brummbär! Na, ist das nicht ein süßes, kleines Kleid?«

»Natürlich …« Mr. Ralph Prescott, so reich an Einwänden und so geläufig im Aneinanderreihen kraftvoller Worte – nervös und weiß nichts zu sagen?

Er war froh, als Joe wieder da war, seinen Gast mit einem Aufleuchten seiner blauen Augen begrüßte und dann seine Blicke glücklich auf seiner hübschen Frau ruhen ließ. »Na, ich hab's fertiggebracht, so lange wegzubleiben, Kinder, daß ihr schon fast die ganze Arbeit gemacht habt. Die Macs kommen und der Reverend auch, Alvy. Werden gleich da sein. Ich werd' dir Ehre machen. Ich geh' mich rasieren und mir den Hals waschen und werd' mir ein ganz sauberes weißes Hemd anziehen … Wissen Sie schon, was Sie die nächsten Tage machen wollen, Ralph? Fischen, oder 'n bißchen ausrasten, oder was? – das heißt, natürlich, außer dem Flirten mit Alverna. Da werden Sie nicht drum rumkommen; sie würde sonst beleidigt sein.«

»Ich tu' nicht flirten! Du bist einfach scheußlich, so wie du redest!« maulte Alverna.

»Ach, du armes Kindl« lachte Joe, während er seinen Rock auszog und ihn durch die Küche ins Schlafzimmer feuerte – die einfachste Art, sich seiner zu entledigen. »Ich schimpf dich doch nicht aus. Ebensogut könnt' ich glauben, daß ein Kalb junge Katzen wirft, wie daß du nicht jeden armen Jungen, der zufällig vorbeikommt, mit deinen Blicken einfängst. Ich will nur versuchen, Ralph vor dir zu schützen.« Etwas bitter Ernstes, dachte Ralph, war hinter Joes Neckerei, als er fortfuhr:

»Übrigens, wenn du nicht die Leichtgewicht-Flirtmeisterin wärst, Alvy, würdest du dir Ralph langen und das Allerneueste über Theater und Tanzschritte und so erzählen lassen. Ich hab' eine edle Seele und bin 'ne große Nummer in Fallenködern und Kopfrechnen, aber nicht in den Gesellschaftskünsten. Nur quäl Ralph nicht zu Tod'!«

Es war vielleicht ein Kompliment, so bald zum Zeugen eines ehelichen Zwists gemacht, ja mit hineingezogen zu werden, aber Ralph empfand es als ziemlich lästiges Kompliment. Denn Alverna schmiß einen Teller auf den Boden und schrie: »Ach, du und dein oller Ralph, und überhaupt alle Männer machen mich krank! Weil ich lustig sein will und 'n bißchen Unterhaltung haben, nicht nur dreckige Geschichten und Fluchen und wie verteufelt geschickt ihr Jungens im Schießen und Fischen seid, und weil ich möchte, daß die Leute sich benehmen wie wohlerzogene Damen und Gentlemen, und vielleicht, daß du dir 'n bißchen Zeit von deiner schweren Arbeit absparst, rumzusitzen und zuzuhören, wie deine Haare wachsen, und daß du dich sauber hältst und bißchen nett aussiehst und zivilisiert! – Ach, du machst mich krank! Nur weil ein Mädel nett ist zu den Leuten, da habt ihr alle eine so dreckige Phantasie, daß – Das Steak brennt an!«

Ihr Redeschwall endete in einem Aufschrei hausfraulichen Entsetzens, und Ralph stahl sich in die Veranda hinaus.

Drei Minuten später konnte er hören, wie Joe mit freundlicher Stimme über alles, was er auf seiner Reise erlebt hatte, berichtete und sie in bester Laune Fragen herausgurgelte und ihn ermunterte: »Das ist fei-in« oder: »Je, war das ein Schwein!«

»Oh, um die Schweigsamkeit eines E. Wesson Woodbury und die philosophische Ruhe in jener goldenen Gesellschaft!« seufzte Ralph. Ein ziemlich schwächlicher Versuch, sardonisch zu sein! Aber er wußte wohl, daß er Alvernas Heftigkeiten nicht ebenso zu entfliehen wünschte wie den Grobheiten Woodburys.

Ehekonflikte wie Eheintimitäten fanden ein Ende durch das Erscheinen des Hudsons-Bay-Agenten Mr. McGavity, seines guten Weibes und des Reverend Mr. Ray Dillon von der Church-of-England-Mission, die alle so würdig einherschritten wie Katzen auf Eiern.

Mrs. McGavity hatte ein Doppelkinn, eine Goldbrille und Wangen, die rund, aber pergamenten und mit Leberflecken geschmückt waren. Sie erfreute ihre Umwelt mit einet süßlichen, tugendreichen Scherzhaftigkeit. Ihre Unterhaltung war voll kleiner persönlicher Späßchen, kleiner feiner Stiche, die eigentlich niemand merken sollte, die aber die friedlichsten Menschen vor Wut ersticken ließen.

In einem anderen Gesellschaftskreis würde sie den Leuten mit dem Fächer die Wangen getätschelt haben. Sie war überaus tugendhaft, niemals, auch nicht von der giftigsten Zunge, war sie je des Kokainschnupfens, Brandstiftens, der Anbetung heidnischer Götzen, des Bankraubes oder des gewohnheitsmäßigen Sichentführenlassens geziehen worden; tugendhaft war sie und reich an Idealen, für andere ebenso wie für sich, und voll munterer Zurechtweisungen, die sie auf die freundlichste, süßeste und matrönlichste Weise vorbrachte, mit glitzernder Zurschaustellung von Goldzähnen. Sie hatte wundervolle Augen. Nie entging ihr ein kokettierender Blick oder eine Spinnwebe in der Hütte eines Nachbarn.

Der Reverend Mr. Dillon war ein großer, dünner junger Mann mit hoher Stirn und einem sehenswerten Adamsapfel. Er vergab ununterbrochen den Indianern, daß sie Indianer waren.

Nach der Anmut dieser beiden bot die schwerfällige Rauheit des Herrn McGavity eine gewisse Erleichterung. Er war ein bekümmerter Mann mit Schnurrbart und Schmerbauch. Er sagte zögernd die traurigsten Sachen über Geschäftsabschlüsse und die Pelzsteuer.

Mrs. McGavity eröffnete die Lustbarkeit mit einem zart geseufzten »Guten Abend, Mrs. Easter. Ich will hoffen, wir machen Ihnen nicht zu viel Scherereien damit, daß wir so plötzlich zum Abendessen kommen.« Sie warf schnell einen Blick auf Alvernas Rosenstrauß, der in einem Marmeladenglas auf dem Tisch stand. Sie kicherte, in der Richtung von Joe.

»Wissen Sie, Mr. Easter, wir alle haben das liebe Kind so gern, weil sie so jung ist und glaubt, sie kann so alten Frauen wie Tantchen McGavity, die so dumm und faul geworden sind nach all den Jahren, was zeigen. Es ist so lieb, daß sie brav ist und so viel guten Willen hat und sich den Kopf darüber zerbricht, wie die Sachen ausschauen, und ich hoffe, sie wird sich etwas davon behalten können, wenn sie mal Kinder gehabt hat!«

Mrs. McGavity sah wieder auf den Tisch und erstickte ein wenig in nachbarlicher Lustigkeit. Ralph bemerkte, daß Alvernas Mund sich zu einer dünnen Linie zusammengezogen hatte.

Nun kam er an die Reihe:

»Nun, Mr. Prescott? Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, wirklich. Ich höre, Sie sind aus den Staaten. Aus – New York, sagte Joe. Aber Sie sind nicht dort geboren

Ihre wirklich wunderbaren Beobachtungskräfte widmeten sich seiner verschmierten, fettigen Hose und seiner schmutzigen Jacke, und als sie damit fertig war, lächelte sie in kraftlosem, fettem Vergnügen. Er konnte fühlen, wie es ihn im Rückgrat stach, als er mit mühevoll errungener Höflichkeit antwortete:

»Nein, ich bin in Pittsfield, Massachusetts, geboren.«

»Wirklich? Massachusetts? Das ist aber merkwürdig. Sie sehen einem Mann, den ich kennengelernt habe, so ähnlich, der kam aus Oklahoma – er hatte dort ein Schuhgeschäft. Massachusetts. Hm. Sehen Sie, ich komme auch aus den Staaten. Mein Gatte ist aus Schottland. Sie und ich, wir werden zusammenhalten müssen. Er meint, alle Schotten sind so überlegen – er macht sich nichts draus, wenn ich mir ab und zu den Spaß mache und's ihm unter die Nase reibe – das Leben wäre so langweilig ohne Sinn für Humor, denken Sie nicht auch? Ich sage zum Reverend immer, daß Humor gleich nach Frömmigkeit kommt und – ich sage oft zu meinem Gatten: »Ach, ihr wilden Hochländer könnt so viel von euch halten, wie ihr wollt, und so, aber ich weiß, daß die meisten von euch für jemand anderen hier oben arbeiten!«

Herrn McGavitys Lippen waren ebenso dünn geworden wie Alvernas Mund.

Seine bessere Hälfte nahm den Reverend Mr. Dillon vor:

»Haben Sie wieder einmal versucht, Andachten in der Creesprache abzuhalten, Mr. Dillon …? Es ist so lieb und gut und süß vom Reverend, Mr. Prescott, er versucht auf Cree zu predigen, und ich bewundere ihn so dafür, aber – hi, hi, hi! – die Indianer können nicht ein Wort davon verstehen, was er sagen will! Ah – die Suppe!«

Nachdem sie so einen jeden in köstliche Laune gebracht hatte, eilte die gute Dame zu ihrem Stuhl, breitete die Serviette unter die Falten ihres glänzenden Halses und schlürfte begeistert einen Löffel.

Mr. Dillon war weniger spaßhaft:

»Zu uns gekommen, um ein wenig zu fischen, Mr. Prescott?«

Seine Stimme war überraschend tief für einen so dünnen Hals.

»Ja, ein wenig.«

»Ihr erster Aufenthalt im Nordland?«

(Würden sie denn nie den Mund halten und ihn sich seiner Wonne an der Suppe erfreuen lassen? Richtige Suppe! Heiß! Mit einem Aroma! In Porzellantellern!)

Er mußte: »Ja, es ist – äh – mein erster Aufenthalt hier.«

»So, so, tatsächlich! Ihr erster Aufenthalt hier. Sie kommen also aus New York. Zuerst dachte ich, aus Chicago.«

»Ach, lassen Sie doch, Reverend!« unterbrach Frau McGavity freudig, »Sie dürfen nicht so fürchterlich daneben hauen. Diese Leute aus New York sind alle so großmächtig und fein, mit ihren Wolkenkratzern und Banketten und so weiter, und wenn wir nicht schon im ersten Augenblick, wo wir sie sehen, erraten, wo sie her sind, so zeigen wir, daß wir schrecklich ungebildet sind. O ja! Man kann sie immer erkennen, daran, daß sie so zugeknöpft und rühr-mich-nicht-an sind … Seien Sie Tantchen McGavity nicht böse, Mr. Prescott, daß sie sich ihr Späßchen macht! … Das ist wirklich eine feine Suppe, Mrs. Easter.«

Während sie in entsetzlich nachbarlichem Frohsinn Suppe, Elch, Spargel, Büchsenmais, Weingelee aus Gelatine, Kokosnußbiskuits aus einer Büchse genossen – jeden Bissen rollte Ralph über seine Zunge, voll Dankbarkeit gegen die dicken kleinen Götter des Essens – riß Mrs. McGavity den größten Teil der Konversation an sich:

»Haben Sie noch immer Ärger mit dem Kochofen, Mrs. Easter?«

»Ich hab' doch nie Ärger mit ihm gehabt«, sagte Alverna.

Ihr Ton war, eine Sekunde lang, feindlicher, als einer anständigen Person an einem jungen Ding behagen konnte, das zu einer Grenzveteranin sprach.

Mrs. McGavity drohte ihr mit einem züchtigen Zeigefinger und:

»Aber, na, na, Kindchen, gestehen Sie nur! Sie brauchen keine Angst zu haben und können es ruhig sagen – sie hat mir ja so viel Spaß gemacht, Mr. Prescott! Zuerst, wie sie hergekommen ist, da hat sie gemeint, sie könnte ein nettes stetiges Feuer haben, genau so wie in der Stadt, wo man Hickoryholz kriegen kann, und wir haben hier doch nur Kiefern und Pappeln, und das brennt so schnell ab, und dann ist's aus. Sie sagte mir, sie wird überhaupt keine Bratpfanne benutzen wie wir anderen blöden alten Hausfrauen! O nein, sie wird schmoren! Und dann, wie sie kein Feuer stetig halten konnte, da sagte sie – sagte sie –« Mrs. McGavity erstickte fast an ihrer guten Laune und ihrem reichlichen Löffel Mais – »›Der Ofen ist schuld dran!‹ sagte sie.«

»Aber,« warf Alverna ein, »ich hab' jetzt ein stetiges Feuer. Mit Birke.«

»Aber es ist doch keine da – auf zwei Meilen nicht.«

»Ich weiß. Aber ich hab' welche.«

Mit einemmal war Mrs. McGavity nicht mehr fröhlich, sondern betrübt und in ihren besseren Gefühlen verletzt:

»Sie haben doch nicht den armen Joe, bei allem, was er zu tun hat, weggeschickt in die Wälder und ihn für Sie Birkenholz schleppen lassen!«

»Nein, Mrs. McGavity, das hab' ich nicht. Ich hab's selber getragen. Zwei Meilen weit.«

»Oh!«

Für den Augenblick schien Mrs. McGavity allen Materials für ihren Witz beraubt, und unglücklich suchte sie danach. Sie besprach mit Mr. Dillon die Gottlosigkeit der Indianerkinder, die, obgleich unablässig dazu angehalten, nicht die geringste Lust zu haben schienen, in die Sonntagsschule zu gehen. Dann dachte sie etwas anderes aus. Sie sagte zu Alverna:

»Haben Sie viel Angst gehabt, wie Joe nicht da war, und so?«

»N–nein.«

»Mr. Prescott, es war so komisch mit ihr, zuerst, wie sie hergekommen ist. Ach, jedesmal wenn sie einen Hund gehört hat, einen ganz einfachen Ziehhund, der in der Nacht im Busch herumgeschlichen ist, hat sie geglaubt, es ist ein Bär oder ein Wolf oder vielleicht ein Indianer oder weiß der Himmel was alles! … Na, ist es so oder nicht, Mrs. Easter?«

Alverna bekannte:

»Ja, leider hab' ich so Angst gehabt. Ich war so eine kleine Gans, ach, ein richtiger Angsthase!«

»Sicher,« sagte Mrs. McGavity, »Sie waren sehr tapfer dabei – für ein Mädel, das immer nur in der Stadt gearbeitet hat – in einem Friseurladen!«

Alverna war plötzlich zum Ofen geflohen.

»Der Tee – kocht über –«, würgte sie heraus. Sie stand mit dem Rücken zu ihnen.

Mrs. McGavity fuhr fort: »Ich kann natürlich schwer verstehen, wie man überhaupt Angst haben kann. Vielleicht hab' ich nie genug Phantasie dazu gehabt. Aber ich konnte nie vor irgendwas erschrecken. Tja, wie ich zuerst in die Wälder gekommen bin – und das war gerade nach dem Riel-Aufstand, und die Indianer waren noch wirklich feindselig – sie haben eine Frau ein paar Meilen von mir skalpiert – und da hab' ich gesagt: ›Ich werde mich nie von etwas unterkriegen lassen!‹ Und mich hat auch nie was untergekriegt!«

Zu Alverna, die noch am Ofen war:

»Nanu, Kindchen, schon wieder ein neues Kleid? Aber Sie verstehend wirklich, Ihren Mann rumzukriegen und sich immer was Neues von ihm kaufen zu lassen! Sie verstehend, daß er Ihnen jedesmal, wenn er die Nase aus Mantrap raussteckt, ein neues Kleid mitbringt, und mein Alterchen – ach, der würde mir überhaupt nichts bringen, wenn – Vielleicht hat er Angst, daß die jungen Burschen mir zu viel Aufmerksamkeit schenken würden! Na, wahrscheinlich hat er alle die hübschen Quarters mit dem Königskopf drauf so lieb, daß er glaubt, es wäre unpatriotisch, wenn er sie aus der Hand lassen würde. Na, na!«

Sie beugte sich über Ralph – außer ihm geriet bei dieser Gelegenheit auch eine Schüssel mit kostbarem Weingelee in große Gefahr – und patschte ihrem Mann die dicke rote Hand.

»Mach dir nichts aus meinen Späßchen, Jimmy«, tröstete sie ihren Gefährten. »Du gefällst mir doch eigentlich besser als alle die hübschen Burschen, die so aussehen wie Joe, auch wenn du ein porridgeschädliger, schmutziger, knickriger Scottie bist!«

»Teufel, Weib, gar nichts mach' ich mir draus!« Jimmys Akzent war so dick wie gestricktes Zeug. »Aber ich weiß nicht, ob Mrs. Easter immer deine eigentümlichen Witze verstehen kann!«

Alverna dreht sich am Ofen herum. »Es ist nicht neu – mein Kleid. Es ist das alte Ding, das den Silbergürtel dran gehabt hat. Ich hab' es selber gekauft, von dem Geld, das ich selber verdient hab' – im Friseurladen! Und ich hab' diese roten Dinger um die Kante herum selber draufgenäht. Selbst genäht!«

»Oh, na, na, Kindchen!« Mrs. McGavity erhob sich, ging zu Alverna, umarmte sie und begrub sie fast in der Unermeßlichkeit ihrer Schultern und ihres ausgedehnten Busens. Alverna war in der Umklammerung kaum zu sehen. »Na, na, na! Ich hoffe, ich hab' Ihnen nicht weh getan! Es war ja nur ein kleines Späßchen von Tantchen McGavity.«

»Nein – ich weiß – ich hab' nur gemeint –«

»Ist ja alles gut, Kindchen. Und Sie haben wirklich was Hübsches draus gemacht, mit der Stickerei.«

Mrs. McGavity trat einen Schritt zurück und bewunderte das umgearbeitete Kleid. Alverna breitete den Rock aus wie eine Ballettänzerin, um seine Reize zur Schau zu stellen. Mrs. McGavity flüsterte delikat und diskret, mit einem Flüstern, das man nicht viel weiter als bis zum Seeufer hätte hören können: »Seien Sie vorsichtig, Kindchen, Sie zeigen Ihre Beine!«

Und milde alle anstrahlend watschelte Mrs. McGavity zum Tisch zurück, während Alverna aufhörte zu lächeln, die gespreizten Hände sinken ließ und sich wieder dem Ofen zukehrte.

Mrs. McGavitys kurze Abwesenheit hatte gefährlicherweise den anderen die Unterhaltung überlassen. Ralph hatte wenig zu erzählen und Joe Easter noch weniger, aber der Reverend Mr. Dillon war voll trauriger Anekdoten, und Mr. McGavity hatte den Wunsch, vom Geschäft zu sprechen.

Mr. Dillon war kein Verstandesriese, aber er war freundlich und heiter. Er habe eine undankbare Arbeit auf diesem Feld, seufzte et. Von den Indianern schien man in geistlicher Hinsicht nicht viel erwarten zu dürfen. Sie waren wohl gefügig genug, solange es sich darum handelte, dem Morgen- und dem Abendgebet beizuwohnen, und sie hörten sich auch seine Predigten an – und vielleicht hatte Mrs. McGavity recht in bezug auf seine kläglichen Versuche im Cree, aber er konnte die Wahrnehmung machen, daß die Indianer sehr wohl, ja in der Tat sehr wohl zu verstehen schienen, was er sagen wollte. Aber gleich nach dem Abendgebet gingen die Indianer durch, zur Counsellor Three Foxes-Hütte und tanzten dort; und er wußte ganz positiv, daß am letzten Sonntagabend fünf von den jüngeren Indianertrappern Poker gespielt hatten, und um Geld gespielt, nahezu bis Mitternacht, im Wigwam eines äußerst zweifelhaften Charakters namens Tristram Hundegespann.

Dann, während Mr. Dillon Atem schöpfte und Mrs. McGavity nachholte, was sie vorhin an Weingelee und Kokosnußbiskuits versäumt hatte, bemächtigte sich ihr Gatte des roten Fadens der geselligen Freuden:

»Haben Sie Tom Pinkford in Brandon gesehen, Joe?«

»Nein, ich hab' ihn nicht gesehen, Mac«, sagte Joe.

»Haben Sie ihn überhaupt nicht gesehen?«

»Nein, ich hab' ihn gar nicht gesehen.«

»Das ist komisch. Ich habe gemeint, er wäre jetzt dort.«

»Ich weiß nicht, Mac. Ich hab' ihn gar nicht gesehen. Vielleicht war er gerade nicht in der Stadt – ich hab' ihn nicht zu Gesicht bekommen … Ralph, Sie müssen sich von Mac erzählen lassen –«

»Aber Joe,« beharrte Mr. McGavity … »ich habe gemeint, Sie wollten mit ihm über Toms Weißfuchsfarm reden.«

»Ja, ich hab' so was vorgehabt, Mac, aber – ich hab' ihn zufällig nicht getroffen.«

»Was meinen Sie, Joe? Werden Sie Wishepagon-Wollsocken für den nächsten Winter nehmen, oder bleiben Sie bei den Hamiltonsocken?«

»Ich werde Wishepagon anschaffen.«

»Ah, ich hab's ja gesagt.« Mr. McGavity schüttelte triumphierend die Hand. Er wandte sich an Ralph; er erläuterte alles eindringlich: »Aber ich war es, der Joe zuerst von den Wishepagonsocken erzählt hat. Er hat immer nur Hamiltonsocken geführt. Und was meinen Sie? Was meinen Sie? Immer und immer und immer wieder habe ich mit dem Inspektor geredet – ich habe offen mit ihm gesprochen, Mr. Prescott, als Mann zu Mann – ich habe ihm gesagt, ich könnte zweimal soviel Wishepagonsocken verkaufen, als ich Hamiltonsocken verkaufen kann – die Indianer sind ja sonst vielleicht manchmal dumme Kerls, aber sie wissen, was für Socken sie mögen – sie wissen, ob Socken schrumpfen oder nicht schrumpfen – und sie wissen, ob ihre Füße trocken sind oder nicht – und ich habe das dem Inspektor gesagt, und noch immer bekomm' ich Hamiltonsocken! Und was halten Sie davon, Mr. Prescott?«

Mr. Prescott sagte, daß das, soweit er es beurteilen könne, ein ganz unverdientes Unglück sei.

Alverna nötigte Mr. Dillon: »Sie müssen noch ein bißchen Sauce zu Ihrem Spargel nehmen. Ich hab' sie selber gemacht, es ist eine Art Mayonnaise.«

Mrs. McGavity hob hervor: »Ach, habt ihr sie gehört? Es ist eine Art Mayonnaise, Na, ist das nicht reizend?« Sie kicherte drei fette, fauchende Kicherer und lächelte Alverna herablassend zu – wie eine alte Jungfer vor allen Leuten auf ein nettes Kind zeigt und ihm zulächelt.

Alverna maulte genau so, wie dieses Kind maulen würde.

Und dies war der Anfang eines Abends, der, abgesehen von Alvernas Weinen nachher, voll nachbarlicher Fröhlichkeit und wackerer Grenzergespräche war.


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