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XXIII.
Der Hof in Yakima

»Ich muß gestehen, daß Ihr Beide euch eine schöne, ländliche Szenerie gewählt habt!« bemerkte Herr Boltwood.

»Wwwie bist du hergekommen?« stammelte Claire.

»Autobus über Blewett-Pass, Zug geht hier von Ellensburg weiter. Diese Frau – alles in Ordnung?«

»Ja, alles wunderbar. Wir wollten eben aufbrechen und zurückfahren, Herr Boltwood«, flehte Milt.

»Hm!«

»Tut mir schrecklich leid, Herr Boltwood, daß ich Claire auf so eine Tour mitnehmen mußte …«

»Ich will Sie nicht sonderlich tadeln. Wenn dieses junge Frauenzimmer sich irgendetwas in den Kopf gesetzt hat, sind wir Übrigen die reinsten Marionetten. Ja, sogar ich – sie hat mich über die ganzen Rocky Mountains geschleppt. Und ich will zugeben Claire, daß es mir gut getan hat. Aber jetzt fang ich wieder an, menschlich zu fühlen, und ich glaube, es ist auch Zeit, daß ich das Regiment übernehme. Wir werden noch den Nachmittagszug nach Seattle erreichen, Claire. Die Fahrt war außerordentlich interessant, aber ich glaube, wir machen jetzt vielleicht Schluß. Daggett, bitte, wollen Sie den Gomez nach Seattle fahren? Beach sagt mir, Ihr Wagen ist total zertrümmert. Verlieren Sie daran Geld?«

»Nein, Herr Boltwood. Der Karren hatte ausgedient. Ich muß aber doch noch zu ihm zurückgehen, weil ich meine Kleider drin habe.«

»Nun gut, wollen Sie also meinen Wagen in die Stadt fahren, bis zu fünfzig Dollars können Sie mir aufrechnen, so viel Sie wollen …«

»Ich möchte lieber nicht …«

»Das ist ein vollkommen ehrliches Geschäft – Ich würde es nur gar zu gern schnell abschließen! Oder, wenn Ihr verfluchter Stolz Sie hindert, irgendetwas zu rechnen, bringen Sie mir den Wagen so hin. Komm, Mädi, der ›Bus‹ wartet – bitte, beachte meine anpassungsfähige Art mich auszudrücken, ich sage ganz selbstverständlich ›Bus‹ für Autobus – und die Koffer hab ich auch. Jetzt wollen wir zur Station weiterrattern. Nein! Keine Einwände, Kind!«

Auf dem Eisenbahnperron waren Claire und Milt unter ständiger Bewachung des Herrn Boltwood, der ungemein nervös war, weil alle zwei Minuten berichtet wurde, daß der Zug weitere zwei Minuten Verspätung habe. Sie gingen auf und ab, sprachen leise, sehr eingeschüchtert, aber durch gemeinsame Schuld verbunden, sehr intim miteinander.

»Das war ein hübscher Ort, um eine transkontinentale Fahrt zu beenden – im Hof des Herrn Johnny Kloh mit ungetrübter Aussicht auf Blechkannen!« lamentierte Claire.

»Na, Ihre Fahrt hat nicht beim Kloh geendet, sondern weit oben in den Bergen.«

Herr Boltwood zankte auf sie los: »Wieder eine Minute Verspätung! Möcht wissen, was da los ist!«

»Ja, Vater.«

Als Herr Boltwood ihnen seinen ungeduldig wartenden Rücken zuwendete, faßte Claire Milts Hand und flüsterte ihm zu: »Sie sehen, ich bin befangen! Ich hab geglaubt, daß ich Vaters Herr und Chauffeur bin, aber er spürt, woher der Wind bläst. In seinem Herzen ist er wieder daheim im Büro und erteilt Befehle. Er wird mich wahrscheinlich Jeff zur Züchtigung übergeben! Sie werden es nicht erlauben, daß man wieder eine Zierpuppe aus mir macht, nicht wahr? Kommen Sie, so bald Sie können, zu Gilsons zum Tee. Gleich, wenn Sie nach Seattle kommen.«

»Tee – Jetzt, da wir Ihren Gilsons so nahe sind, bekomm ich Angst. Wüßte nicht, wie ich mich benehmen soll. Herrjeh, ich hab gehört, man muß eine Teetasse und ein Sandwich und ein Stück Kuchen und eine ellenlange Konversation auf einmal balancieren! Ich würde den Tee ausgießen und den Kuchen fallen lassen und mich wahrscheinlich vom Diener hinauswerfen lassen müssen.«

»Nein, das werden Sie nicht! Und wenn – verstehen Sie denn nicht? – es würde eben nichts machen! Es würde gar nichts machen!«

»Wirklich, Claire, Liebste, wissen Sie, warum ich diese ganze Tour unternommen habe? In Schoenstrom habe ich Sie sagen hören, daß Sie nach Seattle gehen. In diesem Augenblick entschloß ich mich, auch hinzugehen und Sie kennen zu lernen und wenn es durch einen Mord sein müßte. Aber, oh, ich bin so ungeschickt.«

»Sie haben gesehen, wie ungeschickt ich beim Fahren bin. Sie haben mich gelehrt, darüber hinwegzukommen. Vielleicht kann ich Sie auch einiges lehren. Und wir wollen studieren – abends – zusammen! Ich bin ein gründlich unwissendes Parasiten-Frauenzimmer. Sie werden mich wirklich und lebendig machen! Eine wirkliche Frau!«

»Liebste – liebste …«

Herr Boltwood steuerte auf sie zu. »Der Zug kommt endlich. Jetzt werden wir einmal wieder ordentlich schlafen, bei den Gilsons. Ich habe telegraphiert, daß sie uns erwarten sollen.« Er ging wieder.

»Bin schrecklich froh, daß Ihr Vater immer wieder dazwischen kommt, denn ich hab so eine Angst, daß ich schon verzweifle«, sagte Milt. »Gott, ich glaube, ich hör den Zug kommen. Ich – eh – Claire, liebste Claire …«

»Milt, wollen Sie um mich anhalten? Bitte schnell, denn das ist der Zug. Ist es nicht zu dumm – eines Tages werden Sie ganz von Neuem anfangen müssen, formell um mich anzuhalten, um der Leute willen, wie Vater zum Beispiel, wenn Sie und ich schon wissen werden, daß wir einig sind! Wir haben manche Dinge zusammen getan, wenn auch nicht gerade zusammen getanzt. Wenn Sie Ingenieur sind, werden Sie mich rufen und ich werde gerannt kommen bis nach Alaska. Und manchesmal werden Sie mit mir nach Brooklyn Heights kommen – Da ist der Zug. Oh, mein Kamerad, mach schnell mit deinem Ingenieurtitel! Schnell, schnell, schnell! Denn wenn es getan ist, dann: wohin du gehest, gehe auch ich! Und du hast mich sekkiert und überschrieen, ja, ja, ja, und ich habs ganz gern gehabt, und – ja, Vater, die Koffer sind alle hier. Telephonier mir, in derselben Minute, wenn du nach Seattle kommst, Liebling, und wir werden eine Privatlektion im Teeschalen balancieren haben – Ja, Vater, ich hab die Karten. Bin so froh, Liebster, daß die Tour plötzlich abgebrochen wurde – hat mich mit einem Ruck in die Wirklichkeit versetzt – hat mich erkennen lassen, daß ich mit dir zusammen war, jede Minute, seitdem ich dich dort hinten in Dakota fortgeschickt habe und du mich mit den großen, kummervollen Augen angesehen hast, wie ein Kind, und – ja, Vater, Pullmann ist hinten. Ja, ich komm schon!«

»W – wart! H – hast du gewußt, daß ich um dich anhalten werde?«

»Ja. Die ganze Zeit seit dem Yellowstone-Park. Hab immer an eine nette Art gedacht, dich abzuweisen. Aber es gibt keine. Du bist wie Pinky – kann dich nicht los werden – muß dich annehmen. Außerdem hab ich herausgefunden …«

»Daß du mich lieb hast?«

»Ich weiß nicht? Wie kann ich das sagen? Aber ich fahre gern im Auto, meinen Kopf auf deiner Schulter und – jaaaa, Vater, komm schon!«


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