Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIV.
Das Raubtier im Wagenpark

Sie begegneten einander im frostschimmernden Morgen der Berge auf dem Weg zum Wagen-Parkplatz, wo sie noch vor dem Frühstück ihre Autos fahrtbereit machen wollten. Sie waren verlegen und taten darum sehr ungezwungen, waren erfinderisch in der Vermeidung jeder Anspielung auf vertrauliche Mitteilungen am Lagerfeuer und ungeheuerlich beredt, was das destillierte Wasser zum Nachfüllen der Batterien betraf und den Preis des Benzins im Park. Vere de Vere ritt auf Milts Schulter und versuchte, in ihrer ursprünglichen Art eine eingetretene Pause durch ein »Mrwr« zu verkürzen.

Ehe einer der anderen Autoreisenden erschienen war, kamen sie durch das offene Tor in den Wagenpark – und blieben wie blöd stehen, um einen Bären, einen großen, schwarzen, fetten und unendlich unangeketteten Bären anzustarren, der durch die Wagenreihen stolzierte, schnupperte, die Ohren spitzte, als er beim Gomez angelangt war, sich schwerfällig auf das Trittbrett hinaufschob und auf dem Sitz zusammenrollte. Sein Hinterteil nahm den Platz zwischen Bordwand und Dachkante ein und man konnte ihn laut schnüffeln hören.

»Oh! Gott! Milt! Ich habe eine Schachtel Bonbons auf dem Sitz liegen lassen – Oh, bitte, jagen Sie ihn fort!«

»Ich? den – fortjagen?«

»Scheuchen Sie ihn auf. Fürchten sich Tiere nicht vor den Augen der Menschen –«

»Nicht in diesem Park. Schießwaffen verboten. Tiere stehen unter dem Schutze der U. S. Army. Aber ich will es versuchen – vorsichtig.«

»Wollen Sie nicht, daß ich Sie für einen Helden halte?«

»Ja-a, wenn ich nicht hingehen und wirklich einer sein muß.«

Sie schlichen sich an den Wagen heran. Der Bär wackelte ein wenig mit den Hinterbeinen, sah sich nach den zudringlichen Gästen um, sagte »Uffll!« und wendete sich wieder seinen Bonbons zu.

»Schuhh!« antwortete Milt höflich.

»Lluffll!«

Milt nahm aus seinem Karren, neben dem Gomez, ein Werkzeugkästchen heraus und schleuderte mit beachtenswerter Geschicklichkeit eine Reihe von Schraubschlüsseln gegen das hin und her wankende Hinterteil des Bären. Es war ein Vergehen gegen die polizeiliche Vorschrift. Der Bär machte mit der Verpackung der Bonbonsschachtel ein Ende und wendete sich Milt zu … der sich eiligst Claire näherte … die bereits am Tor angelangt war.

Dame Vere de Vere, Katze vieler tausend Schlachten, stieß einen entsetzlichen Schrei aus, schoß von Milts Schulter auf den Bären los, mit vorgestreckten Krallen und gesträubtem Fell. Der Bär tappte nachlässig einmal mit der Pranke und die Katze flog in die Luft. Der nunmehr befriedigte Bär schlenderte zum Zaun, kletterte hinauf und dann hinüber.

»Gute alte Vere! Dieser Fettklumpen muß sie ja beinahe betäubt haben, mit seinem Stoß!« Milt lachte Claire zu, als sie zusammen in den Wagenpark zurücktrabten. Die Katze rührte sich nicht, als sie zu ihr herankamen; gab kein einschmeichelndes »Mrwr« von sich, mit dem sie sonst Morgen um Morgen den einsamen Milt zu begrüßen pflegte, da er noch verlassen hinter dem Gomez einherfuhr. Er hob Vere auf.

»Sie ist – sie ist tot«, sagte er. Er weinte.

»Oh Milt – gestern Abend sagten Sie noch, daß Vere Ihre einzige Verwandte sei. Jetzt haben Sie nur noch die Boltwoods!«

Sie faßte nicht seine Hand, auch sprachen sie nicht miteinander, als sie ernst und feierlich bis an das Ende des Parks gingen und Dame Vere de Vere begruben. Beim Frühstück sprachen sie von der Route des kommenden Tages, vom Cañon außerhalb des Parks, mehr nördlich. Aber es geschah mit der eigentümlichen, schnellen Selbstverständlichkeit intimer Freunde.

Beim Frühstück war es, daß ihr Vater einen gewissen Milt Daggett die Tochter eines Boltwood mit »Claire« ansprechen hörte. Der Vater war so erstaunt, daß er sich räusperte und sich mit einem Eifer an seinen Haferbrei machte, der unnatürlich war bei einem Mann, für den das Frühstück mehr eine moralische als eine interessante Angelegenheit war.

Während er sich eine Zigarre anzündete und Claire die Rechnung bezahlte, schritt Herr Boltwood würdevoll auf Milt zu, räusperte sich noch einmal und sagte: »Schöner Morgen.«

Es war das erste Mal, daß die beiden Männer, unbeaufsichtigt von Claire miteinander sprachen.

»Ja. Werden eine schöne Fahrt haben. Könnten über den Mount Washburn fahren. Führt bis auf zehntausend Fuß Höhe.«

»Eh – Sie sagten – hat Fräulein Boltwood mir nicht gesagt, daß Sie auch nach Seattle fahren?«

»Ja.«

»Haben dort wohl Freunde?«

Milt grinste unwiderstehlich. »Nicht einen Einzigen. Aber ich werde mir schon Freunde machen. Ich will dort an der Hochschule Maschinenbau studieren und vielleicht auch ein wenig Französisch.«

»Ah, so. Wirklich?«

»Ja. Bin zu beschränkt gewesen in meinen Bestrebungen. Seh nicht ein, warum ich nicht darauf ausgehen sollte, Eisenbahnen und Kraftanlagen und Straßen zu bauen – Sibirien, Afrika und alle möglichen interessanten Plätze.«

»Ganz richtig. Ganz richtig. Eh – ja ich – oh, ich – Haben Sie Fräulein Boltwood gesehen?«

»Ja, ich hab Fräulein Boltwood im Büro gesehen.«

»Ja? Ganz richtig. Eh – oh, da kommt sie schon.«

Nachdem der Gomez gestartet war, eröffnete Herr Boltwood das Gefecht: »Dieser junge Mensch – glaubst du, daß es gut ist, wenn du dich von ihm beim Vornamen nennen läßt?«

»Warum denn nicht? Ich nenn ihn ›Milt‹. ›Herr Daggett‹ ist ein zu langer Titel für jemanden, der einen ununterbrochen aus Gefahren errettet, entweder aus der drohenden Tiefe oder vor Straßenräubern oder Bären oder sonst irgend etwas. Ach, ich hab dir noch gar nicht erzählt. Dem armen Milt ist seine Katze getötet worden …«

»Ja, ja Kindchen; du kannst mir davon zur rechten Zeit erzählen, aber wir wollen für den Augenblick bei diesem sozialen Problem bleiben. Glaubst du, es ist gut, wenn du gar so intim mit ihm wirst?«

»Er hat nur zu viel Selbstachtung. Er würde niemals Vorteil ziehen – – –«

»Das seh ich selbst. Ich spreche nicht um deinetwillen, sondern um seinetwillen. Ich bin ganz überzeugt davon, daß er ein sehr lieber Kerl ist und ehrgeizig. Tatsächlich – hast du gewußt, daß er sich Geld erspart und zurückgelegt hat, um eine Hochschule zu besuchen?«

»Wann hat er dir das erzählt? Wie lange hat er diesen Plan schon … Ich habe geglaubt, daß …«

»Heut früh, jetzt eben.«

»Oh! Bin ich froh!«

»Ich weiß nicht, was du meinst, Kind, aber – Was hab ich gesagt? Siehst du denn nicht ein, was für ein verkappter Tyrann du bist? Wenn du mich von New-York bis zu den wilden Urmenschen schleppst – und dieser Haferbrei heute früh hat mir gar nicht geschmeckt – was wirst du erst mit diesem unschuldigen Lämmchen tun? Ich will ihn schützen!«

»Tätest gut daran! Denn ich will ihn schnitzen und anmalen und vielleicht verderben. Einen Mann zu schaffen – einen Mann, der mit dem Leben umzugehen weiß – ist so viel herrlicher, als dumme Bilder und Statuen und Bücher zu schaffen. Ich werde ihn sekkieren, bis er die Hochschule absolviert. Er soll inneren Stolz erlangen – oder vielleicht seine schlichte Einfachheit verlieren und zu Grunde gehen; und dann werde ich ihn an irgendein wohlerzogenes, rotbackiges Mädchen verheiraten, wie Jeff Saxtons Cousine zum Beispiel – die vielleicht einen gemeinen Geldjäger aus ihm machen wird; und ich spiel mit dem Schicksal und ich verdien Prügel und ich weiß es wohl und kann es doch nicht ändern und alle schlummernden weiblichen Instinkte in mir sind erwacht und – Herrgott, jetzt hätt es mich beinahe aus der Kurve getragen!«


 << zurück weiter >>