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III.
Ein junger Mann in einem Regenmantel

»Huh! So ein Auto! Schaun Sie, 's hat das Geschirr zerrissen! Das kostet Sie zwei Dollars, das Richten. Das Auto ist zu schwer!« tobte Zolzac.

»Schon gut! Schon gut! Gehn Sie nur, um Himmelswillen, und holen Sie ein anderes Geschirr!« schrie Claire.

»Das macht also zusammen fünffünfzig.« Zolzac grinste. Claire stand ihm gegenüber. Sie dachte an andere Fahrer, arme Leute, in alten Wagen, die der Gnade dieses Mannes mit dem goldenen Herzen preisgegeben waren. Sie starrte an ihm vorbei ins Weite nach der Richtung, aus der sie gekommen waren. Ein anderes Automobil war in Sicht.

Es war ein Blechkäfer von einem Wagen; jenes behende, lustige, über alle Furchen springende Modell, das unter dem Namen »Karren« bekannt ist. Haube und Kasten aus Blech, selbst zusammengenagelt und selbst angestrichen, saßen auf dem nackten Chassis eines kleinen, billigen Teal-Wagens. Der einsame Fahrer trug einen alten, schwarzen Regenmantel mit einem entsetzlichen Kragen aus geschnüreltem Samt und eine neue karrierte Kappe aus einem schottischem Plaid-Stoff. Der Karren hüpfte durch den Kot an Stellen, wo der Gomez der Boltwood geschleudert und geschlingert hatte. Der Wagenlenker fuhr bis dicht hinter Claires Wagen heran und sprang heraus. Er trabte auf Claire und Zolzac zu. Seine Augen waren sieben- oder achtundzwanzig, aber seine rosafarbenen Wangen waren zwanzig und wenn er lächelte – scheu, strahlend – war er überhaupt nicht so und soviele Jahre alt sondern: ewig ein Bub. Claire hatte die undeutliche Vorstellung, daß sie ihn schon einmal gesehen hatte, irgendwo an der Straße. »Festgefahren?« fragte er nicht übermäßig klug. »Wieviel rechnet Ihnen Adolph?«

»Er verlangt dreifünfzig, und weil sein Geschirr gerissen ist, verlangt er noch zwei Dollars …«

»Oh! er arbeitet also immer noch mit dem alten Schwindel! Ich kenne das alles. Er hält sich dieses Geschirr eigens zum Herausziehen von Wagen und es reißt jedesmal. Immerhin hat er zuletzt nur sechs Silbermünzen für die Reparatur verlangt. Lassen Sie mich einmal mit ihm verhandeln.«

Der junge Mann wendete sich mit erboster Schnelligkeit um und zum erstenmal in ihrem Leben hörte Claire »Geschäfts«-Deutsch reden, deutsch, wie es Amerikaner, die es nie gelernt haben und Deutsche, die es bereits vergessen haben untereinander sprechen.

»Schon sex hundred Mal I höre alles about the way you behandeln die Autos, Zolzac, you verfluchter Schweinhund and I werde den Sheriff auf dich hetzen.«

»Dot ain'd wahr vielleicht einmal die Woche kommt somebody und I muß die Arbeit immer lassen und in die Regen ausgehen und seh mal how die boots sind kotig, two Dollars is nicht zu viel for die boots …«

»Now, ich hab aber mehr als genung davon! Die boots seien verdammt and mach, daß du fortgehst – kotige boots, zum Teufel – schlag dir die boots aus dem Kopf, verleicht I arrest you selbst, by golly, weißt du! I bin an Art Sheriff-Stellvertreter.«

Der junge Mann stand breitbeinig da. Er schien sichtlich größer zu werden, während seine etwas schmutzige Hand drohend vor, ja unter – und im ganzen Umkreis – von Adolph Zolzacs behaarter Nase herumfuchtelte. Der Bauer war stärker, aber er zog sich zurück. Er nahm die Zügel auf. Er lamentierte: »Ich soll nichts bekommen für das zerbrochene Geschirr?«

»Oh ja. Du bekommst zehn – Jahre! Und dann bekommst du eine Ausweisung!«

Zolzac schrie, nachdem er dreißig Ellen weit weg war, noch zurück: »Sie glauben wohl, Sie sind ein verflucht pfiffiger Kerl, was?« Das war sein letzter ernstlicher Gegenhieb. Ungeschickt, wie einer, der es nicht gewohnt ist, lüftete der junge Mann vor Claire die Mütze, wobei das glatte, borstige, flachsfarbene Haar sichtbar wurde, das von einer ziemlich schön geformten Stirne glatt zurückgebürstet war.

»Herrje, es tut mir leid, daß ich so schimpfen und poltern mußte, aber das ist das einzige, was Adolph versteht. Bitte, glauben Sie nicht, daß die meisten Leute hierherum so sind wie der. Man sagt, daß er der schmierigste Kerl im ganzen Land ist.«

»Ich bin Ihnen unendlich dankbar, aber verstehen Sie was von Automobilen? Wie kann ich aus dem Kot da herauskommen?«

Sie war etwas erstaunt, als sie den Burschen erröten sah. Eine Blutwelle überflog seine helle Haut. Das liebenswürdige Lächeln tauchte wieder auf und er sagte zögernd: »Erlauben Sie, daß ich Sie herausziehe«.

Sie blickte von ihrem mächtigen Wagen auf seine Fliegenmaschine.

In Erwiderung dieses Blickes sagte er: »Ich kanns wirklich machen. Ich bin an den Gumbo gewöhnt – regelrechtes Sumpfhuhn. Versuchen wir es mit vereinten Kräften. Haben Sie ein Schlepptau?«

»Nein, ich hätte nie daran gedacht eines mitzunehmen.«

»Ich werde meines holen.«

Sie ging mit ihm zurück bis zu seinem Karren. Dem fehlte nicht nur das Dach und die Seitenteile, sondern auch der Windschutz und das Trittbrett. Es war ein Spielzeug – eine Kartonschachtel auf Zahnstocherachsen. Auf dem gewölbten Kasten hinten war ein Reisekorb angeschnallt, der zum Teil mit Segeltuch bedeckt war. Vom Sitz herab guckte ein kleines haariges Gesicht.

»Eine Katze?« rief Claire, als er mit einem Drahtseil kam, das er hinten aus dem Blechverschlag herausgezogen hatte.

»Ja. Sie ist der Kapitän des Schiffes. Ich bin nur der Maschinist.«

»Wie heißt sie?«

Der junge Mann schritt, bevor er antwortete, weiter bis vor Claires Wagen und sie trabte gehorsam hinter ihm her. Er bückte sich, um die Vorderräder zu besehen. Er hob den Kopf, sah zu ihr auf und wurde wieder rot. »Ihr Name ist Vere de Vere!« gestand er. Dann lief er wieder zu seinem Karren zurück. Er fuhr ihn bis vor den Gomez-Dep. Das Loch in der Straße selbst war ebenso tief wie das an dem Rande des Kornfeldes, in dem sie stecken geblieben war, aber er nahm es spielend. Sie war von dieser Geschicklichkeit fasziniert. Wo sie eine zehntel Sekunde lang gezögert hätte, um den besten Kurs zu wählen, schleuderte er den Wagen gerade auf das Loch zu, tauchte zwischen glasig schwarzen Wassermauern, die sich zu beiden Seiten neben ihm wölbten, durch, riß den Wagen arglistig erst nach rechts, dann nach links und wieder geradeaus, immer den Spuren folgend, die im festesten Boden liefen.

An dem winzigen Winkeleisen, das als Stufe dienend ein Trittbrett ersetzte, war ein alter Spaten befestigt. Der junge Mann grub Rinnen vor allen vier Rädern von Claires Wagen, so daß sie sanft bergauf fahren konnten, statt gegen die senkrechten Kotmauern, die sie aufgeworfen hatten, hart anzurennen. Auf diese schiefen Flächen streute er das von Claire gesammelte Reisig; plötzlich innehaltend, hob er aus seiner kauernden, gebückten Stellung mitten im Kot den Kopf leicht zu ihr empor und fragte: »Mußten Sie dieses Reisig selbst holen?«

»Ja. Schrecklich naß!«

Er schüttelte nur voll Mitgefühl den Kopf.

Er befestigte das Schleppseil an der Hinterachse seines Wagens und an der Vorderachse des ihren. »Wollen Sie jetzt, bitte, mit ganzer Kraft anfahren, wenn ich zu ziehen anfange«, sagte er fragend, beinahe respektvoll. Als der schwer arbeitende Karren das Drahtseil gespannt hatte, öffnete sie die Drosselklappe. Das Seil zitterte. Ihr Wagen schien mürrisch zurückzuziehen. Dann kam er herauf – wirklich herauf – das freudigste Erlebnis für jeden Automobilisten. In der Aufregung darüber, tatsächlich wieder vorwärts zu kommen, so schnell wie nur irgend eine lebendige Schnecke, fuhr sie weiter und weiter, während der junge Mann vorne auf sie zurückgrinste. Auch blieb weder sie noch er stehen, ehe nicht beide Wagen eine viertel Meile weiter in dem nunmehr bloß dicken Kot in Sicherheit waren. Sie stellte den Motor ab – und plötzlich ergriff sie ein Wirbelwind schwindelerregender, krankmachender Müdigkeit. Aber noch während sie sich dieser vollkommenen Erschöpfung hingab, bemerkte sie, daß der junge Mann sie nicht anstarrte, sondern, ihr weiter den Rücken kehrend, das Schleppseil abnahm und es in seinem Karren verstaute. Sie überlegte, ob es wohl aus Taktgefühl oder aus bäurischer Gleichgültigkeit geschähe. Ihr Vater sprach zum erstenmal seitdem der Galahad vom Blechkasten erschienen war: »Wieviel, glaubst du, sollen wir dem Burschen geben?«

Nun sind von allen bisher ungelösten kosmischen Problemen weder das Krebsleiden noch die Vernichtung der Armut die wirklich verwirrenden Fragen, sondern einzig diese beiden: Was ist ärger: in einer Gesellschaft nicht in Abendtoilette zu erscheinen, wenn alle Übrigen Abendkleider tragen oder in Abendkleidern zu erscheinen in einem Hause, in dem sie – wie sich nachher herausstellt – niemals getragen werden? Und: was ist ärger, kein Trinkgeld zu geben, wo es erwartet wird oder es zu geben, wo das Trinkgeld eine Beleidigung ist?

Mit müdem Kopf und nassen Fußgelenken erschauerte Claire. »Ach, du Lieber, ich glaube nicht, daß er von uns eine Bezahlung erwartet. Er macht den Eindruck eines furchtbar unabhängigen Menschen, 's könnte sein, daß wir ihn beleidigen, wenn wir ihm Geld anbieten …«

»Die einzige vernünftige Ursache einer Beleidigung in diesem Jammertal ist, daß man einem kein Geld anbietet!«

»Ebensogut – ach, du Lieber, ich bin so müde. Aber die brave, kleine Claire wird hinauskriechen und diplomatisch sein.«

Sie preßte die Finger an die Schläfen, als wollte sie verhindern, daß ihr der Kopf berste und wankte wieder hinaus auf einen neuen Schauplatz von Schlamm und Nässe. Doch trat sie mit dem denkbar sorglosesten, regenverwaschensten Lächeln vor den jungen Mann hin. »Wollen Sie nicht zurückkommen, um meinen Vater zu begrüßen? Er ist Ihnen so schrecklich dankbar – ebenso wie ich. Und dürfen wir – Sie haben sich so geplagt und uns beinahe das Leben gerettet – dürfen wir Ihnen Ihre Mühe nicht lohnen? Wir sind Ihnen wirklich so sehr zu Dank verpflichtet …«

»Ach, es war doch gar nichts. Fühl mich sehr geschmeichelt, wenn ich Ihnen behilflich sein konnte.«

Er schüttelte ihrem Vater herzlich die Hand und leierte: »Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr – er –«

»Boltwood.«

»Herr Boltwood. Mein Name ist Milt – Milton Daggett. Ich seh, Sie haben eine New-Yorker Nummer auf Ihrem Wagen. So etwas sehen wir nur verflucht selten. Freu mich, daß ich Ihnen behilflich sein konnte.«

»Ach ja, Herr Daggett.« Herr Boltwood klimperte teilnahmslos mit dem Geld in seiner Tasche. Hinter Milt Daggett schüttelte Claire stürmisch den Kopf und fuchtelte mit den Händen herum, als spielte sie mit Kastagnetten. Herr Boltwood zuckte die Achseln. Er verstand nicht. Seine Beziehungen zu jungen Männern in billigen Regenmänteln waren ausnahmslos pekuniärer Art. Sie leisteten einem Dienste und man bezahlte sie dafür – womöglich nicht zu hoch – und sie hörten auf zu existieren. Wohingegen Milt Daggett fortfuhr, respektvoll zwar, doch etwas tölpelhaft, weiter zu existieren, und Herrn Henry Boltwoods eigene Tochter verzögerte den natürlichen Verlauf der Dinge durch belanglose Fragen:

»Haben wir Sie nicht vorhin schon gesehen in – wie hieß das Dorf, durch das wir gekommen sind, etwa zwölf Meilen weit von hier?«

»Schoenstrom?« schlug Milt vor.

»Ja, das war's, glaub ich. Sind wir nicht an Ihnen vorbei gekommen oder sonst wie? Wir haben bei einer Garage angehalten, um einen Reifen zu wechseln.«

»Ich glaube nicht. Allerdings war ich heute morgens in der Stadt. Sagen Sie – er – haben Sie und Ihr Vater was gefuttert …«

»Eh –«

»Ich meine, haben Sie dort Mittag gegessen?«

»Nein, ich wollt, wir hätten!«

»Na, hören Sie, ich auch nicht und – ich würde mich schrecklich freuen, wenn Sie beide jetzt etwas mit mir essen wollten.«

Claire versuchte, ihm ein freundliches Lächeln zu schenken, aber es gelang ihr bestenfalls, ihm eines zu borgen. Sie konnte ein vernünftiges Essen nicht mit Milt und seinem kotbespritzten, blechbedeckten, schwärzlichbraun angestrichenen Teal-Karren in Zusammenhang bringen. Er schien von ihrem zweifelnden Gesichtsausdruck befriedigt. Auf seinen Vorschlag hin fuhren sie ein Stückchen weiter bis zu einer Stelle, wo die Wagen auf festem Grasboden neben einigen Eichenbäumen halten konnten. Unterwegs erhob Herr Boltwood voll Bestürzung seine Stimme. Der nervöse Zusammenbruch hatte ihn weder wunderlich noch gewalttätig gemacht; er hatte sich einen rührenden Glauben an gutes Essen erhalten.

»Wir könnten vielleicht irgendein gutes, kleines Gasthaus finden und uns Kotelettes geben lassen mit ein paar Champignons und Erbsen etwa«, beharrte der Mann aus Brooklyn Heights.

»Oh, ich glaube nicht, daß diese Landwirtshäuser wirklich so besonders gut sind«, erwog Claire. »Und schau – dieser nette, komische Junge. Wir konnten ihn doch nicht gut kränken. Es macht ihm so viel Spaß, den guten Samariter zu spielen.«

Dem geheimnisvoll gewölbten Kasten seines Wagens entnahm Milt Daggett einen winzigen Kocher, der mit Trockenspiritus zu heizen war, eine Bratpfanne, die für Puppen ein wenig groß, für grobknochige Hände jedoch ein wenig klein war, eine Büchse Speck, Eier in einem Beutel, eine Kaffeekanne, eine Dose Kondensmilch und einen Haufen verschiedenartiger Zinnteller und Porzellantassen. Während Claire auf seine Bitte die Teller und Tassen säuberte, kochte er Speck mit Ei und einen Kaffee; der kleine Kocher im Innern des Wagens wurde gegen Wind und Regen vom Koch selbst geschützt, der sich über ihn beugte. Der Speisengeruch stimmte Claire versöhnlich gegenüber der Tatsache, daß sie durch und durch naß war, und daß der Regen fortfuhr, ihr in den Nacken hineinzulaufen.

Er hob die Hand und fragte: »Wollen Sie nicht die Schuhe ausziehen?«

»Hein?«

Er schluckte. Er stammelte. »Ich meine, ich meine – daß Ihre Schuhe ganz vollgesogen sind mit Wasser. Wenn Sie im Wagen sitzen bleiben wollen, so kann ich die Schuhe auf den Motor stellen. Er ist hübsch warm von der Fahrerei durch den Kot. Die Strümpfe können Sie unter der Haube trocknen.«

Sie amüsierte sich über die Beflissenheit, mit der er wegsah, während sie ihre Halbschuhe auszog und die viel zu dünnen Strümpfe unter die schwarze Blechhaube steckte. Sie überlegte: »Er hat eine nette, ungeschickte, liebe Art. Aber so einen schlechten Geschmack! sind doch wirklich ganz gute Fußgelenke. Anscheinend schickt es sich in Teal-Karrenkreisen nicht, Fußgelenke zu haben. Seine Schwestern haben nicht einmal Gliedmaßen. Aber haben Märchenprinzen Schwestern? Er ist ein Märchenprinz. Wenn ich aus dem Kot draußen bin, wird er seinen Regenmantel in ein Paar herrlicher weißer Flügel verwandeln und verschwinden. Aber was wird aus der Katze werden?« So irrte ihr müder Geist wie ein Eichhörnchen in einem Drehkäfig umher, während sie steif dasaß, an einem Rostfleck auf einem der Teller putzte und Milt beobachtete, wie er Speck und Eier briet. In Erwägungen versunken, ob man in Daggett-Familien Katzen zu diesem Zwecke gebrauche, legte sie die durchnäßte, unglückliche Vere de Vere auf ihre Füße, was ihr selbst gar wohl behagte und das Entzücken der Katze erregte. Es war ein offener Wagen und der Regen regnete weiter und ein fremder junger Mann befand sich einen Fuß weit von ihr entfernt und hütete das nicht eben hell flackernde Feuer – doch selten noch hatte sich Claire so häuslich gefühlt. Milt kämpfte sichtlich, um etwas zu sagen. Nachdem er einige Male mit einer kleinen, ruckweisen Bewegung den Kopf zurückgeworfen hatte, versuchte er es mit einem: »Sie sind so naß! Ich möchte so gerne, daß Sie meinen Regenmantel nehmen.«

»Nein! Wirklich nicht! Ich bin schon durch und durch naß. Halten Sie wenigstens sich trocken.«

Darüber war er sehr unglücklich. Er zerrte an einem der Mantelknöpfe. Sie brachte das Gespräch auf ein anderes Thema. »Ich hoffe, Dame Vere de Vere wird langsam warm.«

»Scheint so. Sie ist ein wenig anspruchsvoll. Wollte eigentlich einen kleinen Wagen für sich allein haben. Aber ich hab gefürchtet, daß sie mit mir nicht wird Schritt halten können. Zumindest nicht auf die Dauer.«

»Einen kleinen Wagen? Und die Pfoten auf dem winzigen Volant. Ach – süß! Fahren Sie weit, Herr Daggett?«

»Ja, ziemlich. Nach Seattle, Washington.«

»Nein, wirklich? Wie merkwürdig. Wir fahren auch hin.«

»Auf Ehre? Sie chauffieren den ganzen Weg? Ach nein, wahrscheinlich wird Ihr Vater …«

»Nein, er chauffiert nie. Übrigens – hoffentlich fühlt er sich nicht gar zu elend dort drüben.«

»Das ist doch zum Schießen! Da fahren wir beide nach Seattle? So was nennt man wohl ein eigentümliches Zusammentreffen, nicht? Hoffe, daß ich Sie manchesmal auf der Straße treffe. Aber eigentlich glaube ich doch nicht. Wenn Sie erst einmal aus dem Kot draußen sind, werden Sie mich in meinem Teal mit ihrem Gomez einfach verlieren.«

»Na, muß nicht sein. Sie sind der bessere Fahrer. Und ich will es mir ja leicht machen. Bleiben Sie lang in Seattle?« Das war nicht bloß eine höfliche Frage um Konversation zu machen. Sie war neugierig. Was hatte dieser weltfremde junge Mann mit den frischen Backen soweit von zu Hause zu suchen?

»Ja, ich habe eine schwache Hoffnung – die staatliche Eisenbahn, Alaska. Ich will da versuchen, irgendwie hineinzukommen. Ich bin in meinem ganzen Leben niemals aus Minnesota herausgekommen, aber es gibt noch so eine Menge Berge und Meere und Sachen, hab ich mir gedacht, die ich gerne sehen möchte und da hab ich einfach meinen Koffer und Vere de Vere in den Wagen gesteckt und bin losgefahren. Ich verwende Benzol statt Benzin, das kostet viel weniger. Sollte ich jemals fünf ganze Dollars beisammen haben, ja, da könnte ich gleich bis Japan weiterfahren!«

»Das wäre lustig!«

»Obwohl ich da, wie nennt man das? – eingesalzene Fische – essen müßte. Eine Frau aus unserer Nachbarschaft, die ist als Missionärin nach dem Orient gegangen. Nach dem, was sie erzählt, nehme ich an, daß man, um in Japan ein Haus zu bauen, nichts weiter braucht, als eine Flasche Klebgummi, einen Stoß Zeitungen und ein Paar zwei-mal-Vierer. Und man kann das Haus auf einem Purpurberg bauen und unten sind lauter Kirschbäume und –.« Er preßte die zusammengeballte Hand an die Lippen und senkte den Kopf. »Und der Ozean! Gott! Der Ozean! Wir werden ihn schon in Seattle sehen. Die Bucht wenigstens. Und die Dampfer – die gerade aus Indien kommen! Huh! Bin ja verdammt poetisch geworden auf einmal! – Eier sind fertig!« Der junge Mann hing nun keinen Traumbildern mehr nach. Er war ganz Geschäftigkeit, als er ihr Speck mit Ei servierte; einen Teller voll trug er zu Herrn Boltwood hinüber, der im Gomez saß und sich ganz in sich selbst verkrochen hatte. Da Claire die Blechteller selbst gesäubert hatte, fühlte sie sich jetzt von ihrer nackten Blechernheit nicht mehr abgestoßen; auch der Kaffee in der Porzellantasse mit dem abgebrochenen Henkel war ganz erträglich. Milt trank aus dem Becher einer Thermosflasche. Er schwieg. Sofort nach dem Essen räumte er die Sachen ein. Claire erwartete einen Abschied, der sich in die Länge ziehen und ziemliche Anforderungen an ihr Taktgefühl stellen würde; doch er kletterte in seinen Karren, sagte: »Guten Tag, Fräulein Boltwood. Viel Glück!« und fort war er.

Ohne ihn lag die Straße kahl und leer vor ihr im Regen.

Es schien nicht möglich, daß Claires Körper je wieder dazu bewogen werden könnte, weiter zu fahren. Ihre Muskeln waren schwach, ihre Nerven überreizt.

Aber im Augenblick als der Gomez anging, fühlte sie jene magische Veränderung, die jeder Tourenfahrer kennt. Sie war augenblicklich munter, scheinbar in der Lage, bis in alle Ewigkeit weiter zu fahren. Der Instinkt des Chauffeurs kam über sie, machte ihre Augen unermüdlich, ihre Hände sicher und stark. Niemals war sie müde gewesen; würde es niemals werden, solange es ihre Sache war, den Wagen in Gang zu halten.

Sie war vielleicht sechs Meilen gefahren, als sie in ein Dorf kam, das St. Klopstock hieß. Auf der kotigen, durchnäßten Hauptstraße des Ortes lud ein Mann Bruchsteine auf einen Wagen auf. Neben ihm stand ein zweiter Mann in einem vielversprechenden Regenmantel, der einige Schritte vorwärts machte und die Hand hob. Claire hielt an.

»Sind Sie die junge Dame, die in dem Loch bei Adolph Zolzac stecken geblieben ist?«

»Ja, und Herr Zolzac hat sich nicht sehr gut benommen dabei.«

»Er wird sich von nun an ganz ausgezeichnet benehmen und es wird überhaupt kein Loch mehr geben. Ich glaube, Adolph hat sich bemüht, es schlammig zu erhalten – hat Kot und Schmutz hineingeschmissen – und hat durchs Herausziehen der Reisenden eine ganze Menge Geld verdient. Bill und ich wir gehen jetzt direkt hin, um das Loch mit Steinen auszufüllen. Milt Daggett ist eben hier vorbeigekommen – der Bursche hat Courage, aber ich hab lachen müssen – sagt er zu mir: ›Barney,‹ sagt er, ›Sie sind der reichste Mann in der Gemeinde, und der Bankier, und Sie haben selber einen großen Wagen, und Sie glauben, daß Sie ein großes Tier von einem politischen Führer sind,‹ sagt er ›und doch lassen sie diesen Zolzac sich einen Privat-Ozean halten gegen allen Frieden und die verfluchte Bequemlichkeit des Staates Minnesota‹. Er versteht's zu reden, der Bursche. Er hat mir erzählt, wie Sie festgefahren sind – hat mir sehr leid getan – bin selbst einmal in New-York gewesen und da hab ich gleich Bill geholt und jetzt gehen wir hin und werden Adolph ein Geschenk und eine Überraschung zugleich bringen und ihm das Loch ausfüllen.«

»Aber wird Adolph es nicht wieder ausgraben?«

Der Bankier war ein aufgeblasener Schwätzer, aber sein Blick war wie Stein. Er holte aus dem Wagen eine Flinte hervor. Gedehnt sagte er: »In diesem Fall würden wir die Überraschungsexpedition noch durch einen eleganten Wachposten verstärken.«

»Aber wie hat – wer ist dieser seltsame Milt Daggett?«

»Der? Ach niemand Besonderer. Er ist nur ein Bursch von da unten aus Schoenstrom. Aber wir kennen ihn alle. Geht zu jeder Tanzerei, dreißig Meilen weit im Umkreis. Das Merkwürdige an ihm ist nur: wenn er was Schlechtes sieht, so sucht er sich irgendeinen armen Teufel, wie mich heraus und sagt, was er denkt.« Claire fuhr weiter. Sie bemerkte, daß sie nach Milts Karren ausschaute. Er war nicht zu sehen.

»Vater,« rief sie aus, »fällt dir nicht auf, daß dieser Bursche uns nicht gesagt hat, daß er das Loch ausfüllen lassen wird? Geht hin und tut's. Er macht mir Angst. Ich fürchte, wenn wir abends nach Gopher-Prairie kommen, so hat er dort für uns die Gemächer bestellt, in denen einst ›Prinz Stehkragen‹ geschlafen hat.«

»Hhhhhhmm«, gähnte der Vater.

»Merkwürdiger junger Mann. Er sagte einfach: ›Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen!‹«

»Huuuuuhhm! Frische Luft macht mich so schläfrig.«

»Und – foppt einen! Kommt doch irgendwie durch das Schlammloch! Und dann sagt er … Schau! Die Felder erstrecken sich hier so weit und nicht ein Baum ist zu sehen, ausgenommen die Weidenbüsche um die Bauernhäuser dort. Und er hat so oft ›Herrje‹ gesagt und statt Lunch sagt er Mittagessen. Und seine Nägel – nein, ich glaube, er ist wirklich einfach ein Bauernbursch.«

Herr Boltwood gab keine Antwort. Sein mechanisches Lächeln zeigte einen ungeheuren Mangel an Interesse für junge Leute in Teal-Karren.


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