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XXI.
Die Goldmine verlorener Seelen

»Das konnte doch nicht Pinky gewesen sein! Ja! Ja, der Wagen, den er hatte, war doch rot«, rief Claire.

»Sicherlich. Der Tepp hat sich irgendwo eine Anstreicherfarbe, für eine Scheune vielleicht, verschafft und versucht, den Wagen zu übertünchen. Er will damit durchbrennen!«

»Wir wollen ihm nachjagen. In meinem Wagen.«

»Macht es Ihnen nichts?«

»Natürlich nicht. Ich geb darum meine Einwände gegen die Philosophie des Lebens in der Wildnis nicht auf, aber – mit diesen Schuhen haben Sie recht gehabt – Oh, bitte lassen Sie mich nicht zurück! Ich will mitkommen!«

Diese Worte stammelte sie, einzeln hervorgestoßen und vollständig verloren, während sie ihm über die Felsen hinunter nachkletterte. Er blieb stehen. Seine Lippen bebten. Er hob sie auf, trug sie hinunter, zögerte einen Augenblick, während sein Gesicht – seltsam verkürzt wie sie es von seinen starken Armen aus sah – vor Aufregung zuckte. Er ließ sie sanft hinunter und sie kletterte in den Gomez.

Es schien ihr, daß er beinahe zu vorsichtig, zu langsam fahre. Er nahm die Kurven und Ecken leicht. Sein Gesicht war so ausdruckslos, so undramatisch bewegt, wie das eines Omnibuschauffeurs. Dann sah sie auf den Geschwindigkeitsmesser. Er machte bergab achtundvierzig Meilen die Stunde und dreißig bis vierzig bergauf.

Pinky war zwei Meilen vor ihnen in Sicht. Pinky blickte zurück; augenblicklich sah man ihn, sich den Hut in die Stirne drücken, sich vorbeugen: der dämonische Fahrer. Milt saß nur noch etwas aufrechter da, sah nur noch freundlicher, ruhiger und entschlossener aus.

Der Karren floh vor ihnen auf der gewundenen Bergstraße. Er puffte eine Kurve hinauf und fuhr dann immer langsamer. »Hat's zu schnell nehmen wollen. Armer Pink!« sagte Milt.

Sie kamen ihm bei dieser Steigung näher, doch als die Straße bergab ging, rannte der Karren verzweifelt hinunter. Ein anderer Wagen kam ihnen entgegen und wich an einer der breiteren Stellen an den Straßenrand aus. Pinky fuhr so unvorsichtig an ihm vorbei, daß Claire – es lief ihr dabei kalt über den Rücken – sah, wie die äußeren Räder des Karrens gerade an der Kante des Straßenrandes fuhren – der Kante eines fünfzig Fuß tiefen Abgrundes. Milt fuhr leicht an dem stehenden Wagen vorbei – ja, winkte sogar noch mit der Hand dem wartenden Fahrer zu.

Die ganze Geschichte kam Claire gar nicht wie die Jagd auf einen Dieb vor. Sie sah gelegentlich nach Pinky hin, als er um eine S-Kurve an einem bergab führenden Teil der Straße wirbelte, dann – es war zu schnell, als daß man sehen konnte, was eigentlich geschah: der Karren fuhr geradewegs auf den Rand der Straße zu, schoß darüber hinaus und stürzte, sich überschlagend, den Abhang hinunter. Er lag ganz unsinnig, das Unterste zu oberst gekehrt, da, den Auspufftopf und das Bremsgestänge sichtbar in der Luft, an Stelle des Sitzes und der Haube.

Milt hielt ganz vorsichtig den Gomez an. Der Tag war ganz still – bis auf das leise Rieseln eines kleinen Wassers in einer Rille. Der umgedrehte Wagen unter ihnen lag auch still; von Pinky nichts zu sehen und nichts zu hören.

Milt, von dem der schmollende Knabe nun gänzlich gewichen war, nahm Claires Hand und drückte sie an seine Wange. »Claire! Sie sind hier! Sie wollten mit ihm fahren, um Platz zu machen – oh, ich habe mit Ihnen herumgeschafft, weil ich mit mir herumschaffen wollte! Wollte mich dazu bringen, Ihnen zu sagen – aber oh, Sie wissen ja, Sie wissen ja! Können Sie es aushalten, da hinunterzugehen? Es ist mir schrecklich, daß Sie's tun müssen, aber vielleicht könnten Sie helfen.«

»Ja. Ich komme«, flüsterte sie.

Es schien verzweifelt langsam zu gehen, diesen Abhang hinunterzuklettern, wo alle Steine ins Rollen gerieten. »Warten Sie hier«, befahl Milt, als sie unten angelangt waren.

Sie blickte weg von dem grotesk aussehenden Wagen. Sie hatte bemerkt, daß die eine Seite wie ein von ungeduldiger Hand zusammengeknülltes Papier aussah. Milt beugte sich nieder und sah unter den Wagen; er schien etwas zu sagen. Als er zurückkam, sprach er nichts. Er wischte sich die Stirne ab. »Kommen Sie. Wir wollen zurück hinaufklettern. Es ist jetzt nichts mehr zu tun. Glaube, Sie versuchen doch nicht mitzuhelfen. Sie könnten vielleicht nicht schlafen.«

Er half ihr den Abhang hinauf, fuhr zum nächsten Haus und telephonierte an Dr. Beach. Später wartete sie oben, während Milt, der Doktor und zwei andere Männer den Wagen aufhoben. Während sie wartend stand, dachte sie an den Teal-Karren wie an ein lebendiges Wesen – einen alten Freund, an den sie sich oft in der Not gewendet hatte.

Milt kehrte zu ihr zurück. »Es bleibt noch etwas für Sie zu tun. Bevor Pinky starb, bat er mich, seine Frau zu holen – Dolores ist es, glaub ich. Sie wohnt dort in einem Seitental, nur ein paar Meilen weit. Sie könnte jetzt vielleicht eine Frau um sich brauchen. Beach wird hier alles veranlassen. Können Sie kommen?«

»Natürlich. Oh, Milt, ich hab nicht …«

»Ich hab nicht …«

»… ernstlich gemeint, daß Sie ein Höhlenmensch sind! Sie sind mein großer Bruder!«

»… ernstlich gemeint, daß Sie ein Snob sind!«

Sie fuhren noch fünf Meilen auf der Landstraße weiter, dann einen Seitenpfad hinauf, wo der Gomez an beiden Seiten an Gehölz streifte, während er sich verzweifelt in Moos und in regenausgehöhlte Furchen und in loses Gestein grub, was alles, in einer tückischen Böschung zusammengehäuft, den Wagen wieder zurückzustoßen drohte. Neben ihnen lagen die Gebirgswälder in heiliger Stille, voll Farnkräuter und Maiglöckchen und hellgrüner Moose. Sie kamen vor Einbruch der Dunkelheit an eine Lichtung. Vor der Lichtung war ein Bach mit einem einfachen Schwingtrog – das Zeichen eines nicht allzu erfolgreichen Goldminen-Arbeiters. Vor einem Blockhaus, in einem schiefen Schaukelstuhl, saß eine große, weiße, schlaffe Frauengestalt. Sie mochte einmal wirklich schön gewesen sein. Sie erhob sich und zog das Umhängtuch über die Brust zusammen, als die Beiden in die Lichtung fuhren und dann zu Fuß ihren Weg über Baumstümpfe und Gestrüpp suchten.

»Wo wollt Ihr hin, Leute?« wimmerte sie.

»Ja, ja eben …«

»Ich bin ja sicherlich froh, jemanden zu sehen! Ich bin zu Tod erschrocken. Bin jetzt seit zwei Wochen hier allein. Hab wohl ein Gewehr, aber wenn jemand käme, würde er mir's einfach wegnehmen, denk ich. Ich bin das nicht gewöhnt, diese Wildnis, oh – sagen Sie, sind Sie vielleicht hergekommen, um die Goldmine zu besichtigen?«

»M–mine?« stammelte Milt.

»Natürlich nicht. Pinky hat gesagt, ich sollte sie zeigen, aber ich bin jetzt so wütend auf diesen gemeinen Hund, ich schwör, ich nehm mir nicht einmal mehr die Mühe, für ihn zu lügen. Es ist nicht mehr Gold in dem Fluß als in meinen Augen. Oder genau so wenig, wie Mehl oder Fleisch im Haus ist!«

Die Stimme der Frau wurde kreischend. Ihre Gebärden wütend. Claire und Milt standen nahe zusammen und ihre Hände glitten, wie Hilfe suchend, ineinander.

»Was würden Sie von einem Mann halten, der davongeht und eine Dame zurückläßt mit nicht einmal halb genug Proviant, um zu leben, während er herumscharwenzelte und versuchte, durch Spielen Geld zusammenzubringen, wenn man ihm hier doch eine ordentliche Arbeit geboten hatte? Er ist ein Spieler – hat mir erzählt, daß er ein reicher Minenbesitzer wäre – hat in seinem ganzen Leben noch keine Mine gesehen. Der verlogene Hund – schlimmste Schwätzer von zehn Ländern! Hat auch die Hände und das ganze Gehaben eines Spielers an sich – ich hätt es gleich sehen sollen! Oh, wenn ich den erwisch; na wart!« Claire dachte an die stille Hand – so still – die sie unter dem Rand des umgedrehten Wagens hervorstehen gesehen hatte. Sie wollte sprechen, aber die Frau wütete weiter, während der Zorn immer neuen Zorn in ihr entfachte:

»Gott sei Dank, daß ich nicht wirklich seine Frau bin! Mein Mann ist ein ordentlicher Mensch – Herr Kloh – Dlorus Kloh ist mein Name. Herr Kloh hat eine ordentliche Beschäftigung in einer Fabrik in North Yakima. Oh, ich war eine Närrin. Dieser Spieler, Pinky Parrott, kommt mit seinen eleganten Allüren daher, und nimmt den Mund recht voll mit allen möglichen Geschichten, die er mir erzählt und ich geh hin und verlaß den armen Kloh und das Kind, das schönste Kind – sagen Sie bitte, könnten Sie mich nicht mitnehmen, wohin immer Sie auch gehen? Vielleicht kann ich auch wieder Arbeit finden – war früher einmal eine gute Kellnerin und ich will hier nicht länger warten auf diesen verlogenen, betrügerischen, so gemein sprechenden – – –«

»Oh, Frau Kloh, bitte nicht! Er ist tot!« jammerte Claire.

»Tot? Pinky? Oh – mein – Gott! Und ich soll ihn nie wiedersehen, und er war so lustig und …«

Sie warf sich auf den Boden; sie strampfte mit den Füßen; sie raufte sich das lose gebundene, fahle, blonde Haar.

Claire kniete neben ihr nieder. »Sie dürfen nicht – Sie dürfen nicht – schaun Sie …«

»Gehn Sie zum Teufel mit Ihrem geschniegelten Herrn Gemahl da und Ihrem feinen Auto und allem, mischen sich da in die Angelegenheiten armer Leute!« kreischte Dlorus.

Claire erhob sich und führte die geballte rechte Hand an ihre zitternden Lippen, während ihre Linke nervös daran zerrte. Ihre Schultern hingen mutlos herab. Milt flehte: »Wir wollen uns davon machen. Ich hab nichts gegen anständigen, ehrlichen Schmutz, aber dieser Ort hier – schauen Sie hinein, auf den Tisch! Schmutziges Geschirr – Und Schnapsflaschen auf dem Boden!«

»Sie jetzt verlassen! Wenn sie mich so notwendig braucht?« Claire machte einen Schritt vorwärts, aber Milt hielt sie am Ärmel zurück; bewundernd sagte er:

»Sie haben recht! Sie haben stärkere Nerven als ich!«

»Nein. Ich würde mich nicht trauen, wenn … Ich bin froh, daß Sie hier bei mir sind!«

Claire beruhigte die Frau; steckte ihr das Haar auf; wusch ihr Gesicht – was sehr notwendig war; und saß dann auf der Türschwelle des Blockhauses, den Kopf der Frau Dlorus in ihrem Schoß, während Dlorus schluchzte:

»Pinky – tot! Er, der so lebendig war! Er war ein so süßer Liebhaber, oh, so süß. Er war ein prächtiger Bursche; herrjeh, er konnte einen weinen und lachen machen, wenn er redete; er war auch so gebildet und hat Vi'lin gespielt – er hat alles gekonnt – und stark war er – er hätte mich reich gemacht. Ach, lassen Sie mich. Ich will nur allein sein und an ihn denken. Mit Kloh war's so langweilig und keine hübschen Kleider und nichts, und – ich hab das Kind lieb gehabt, aber es hat so geschrien, immerfort, und da ist Pinky gekommen, und er war so lustig – Oh, lassen Sie mich, lassen Sie mich allein!«

Claire erschauerte leicht und die Kraft schien aus ihren starken Armen, die Dlorus' Kopf gestützt hatten, zu schwinden. Die Dämmerung war über sie herangeschlichen; die Lichtung war von wogendem Grau erfüllt und in das Weinen der Frau mischte sich das Knistern des Waldes. Jedesmal, wenn Dlorus sprach, klang es wie das Aufkreischen eines Tieres im Wald und ringsherum krochen düstere Widerhalle, daß Milt immerfort über die Schulter zurücksehen wollte.

»Ja,« seufzte Claire zuletzt, »vielleicht gehen wir jetzt doch.«

»Wenn Sie fortgehen, bring ich mich um! Führen Sie mich zu Herrn Kloh! Oh, er war – mein Gatte, Herr Kloh! Oh, so gut. Nur hat er nicht verstanden, daß eine Dame es auch zu Zeiten gut haben will, und Pink hat so gut getanzt – – –«

Dlorus sprang auf, stürzte ins Haus und stand im Zwielicht des Türeinganges mit einem großen Küchenmesser in der Hand und schrie: »Ich tus! Ich bring mich um, wenn Sie fortgehen! Führen Sie mich noch heute nachts zu Herrn Kloh, nach North-Yakima!«

Milt sprang auf sie zu.

»Nur nicht stürmisch, junger Mann! Ich mein es im Ernst! Und ich werde Sie umbringen …«

Ganz ungalant und gar nicht im Rahmen des Bildes von düsterem Grauen und Schmerz schrie Milt sie an: »Jetzt ist's aber genug damit! Hier! Geben Sie mir das Messer!«

Sie ließ schluchzend das Messer fallen. »Oh Gott, immer schreit jemand mit mir herum! Und ich wollte doch nichts anderes, als mich ein bißchen unterhalten!«

Claire führte sie ins Haus. »Wir werden Sie zu Ihrem Mann bringen – heute nachts. Kommen Sie, wir werden das Geschirr zusammen abwaschen und dann helf ich Ihnen, Ihre hübschesten Kleider anziehen.«

»Wirklich, wollen Sie das?« rief die Frau ganz vergnügt und allen Schmerz vergessend. »Ich hab ein feines Shantungseidenkleid und neue weiße Glacélederschuhe! Oh, mein Kloh wird mich kaum erkennen. Er wird mich schon zurücknehmen. Ich versteh ihn gut zu behandeln. Das wird fein sein, im Automobil zurückkommen. Und ich hab einen neuen Haarkamm mit echt peruvianischen Steinen. Sagen Sie, Sie wollen mich doch nicht zum Besten halten?«

Im Schein der Lampe, die Milt angezündet hatte, sah ihn Claire fragend an. Beide zuckten die Achseln. Claire versprach: »Ja. Heute Nacht. Wenn wir's machen können.«

»Und wollen Sie ein gutes Wort für mich bei Kloh einlegen? Herrjeh, ich hab eine Riesenangst vor ihm. Ich schwör, ich will immer ordentlich das Geschirr für ihn abwaschen und alles. Er ist ein guter Mann. Er – Hören Sie, er hat auch meinen neuen Sonnenschirm noch gar nicht gesehen!«


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