Fanny Lewald
Jenny
Fanny Lewald

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Der Abend war schwül und dunkel, als Walter aus den glänzend erleuchteten Zimmern der Geheimrätin in die nächtliche Dämmerung hinausschritt. Er hatte im Laufe des Tages die Antwort seines Onkels erhalten, der es ihm nicht verbarg, wie diese Verbindung mit Jenny entschieden gegen seine Ansichten und seine Wünsche sei. »Was ich aber nicht hindern kann«, schrieb er, »mag ich auch nicht tadeln. Du bist unwiderruflich entschlossen, und so wünsche ich von Herzen, daß Du in Deiner künftigen Gattin und in ihrer Liebe Ersatz finden mögest für die schweren, großen Opfer, die Du ihr bringen willst. Sobald Deine Verlobung erklärt ist und Du mit Deiner Braut in unsere Gegend kommst, denke ich Dich zu treffen, um das Mädchen kennenzulernen, das Dir würdig scheint, den Namen einer Gräfin Walter zu tragen, eine Ehre, um die manche hochgeborne Jungfrau sie beneiden möchte. Fräulein Meier wagt viel, indem sie sich auf diese Höhe stellt, und Du wirst Mut und Energie brauchen, um sie dort zu halten. Aber das gerade reizt Dich! Nun, so geschehe, was geschehen soll, und wir wollen sehen, wie man der Angelegenheit die beste Wendung gibt.«

Durch diesen Brief von dem Versprechen gegen Herrn Meier befreit, Jenny seine Liebe noch zu verschweigen, hatte er mit freudiger Bewegung den ganzen Tag eine Gelegenheit gesucht, sie allein zu sprechen. Steinheims Besuch, ihre darauffolgende Verstimmung hatten es ihm aber unmöglich gemacht, sich ihr zu nähern, und ihn genötigt, sie bei Frau von Meining um jene Unterredung zu bitten, die sie ihm verweigert hatte. Niemand konnte weniger persönliche Eitelkeit besitzen als Walter; indes war er sich der Vorzüge bewußt, welche ihm seine Geburt und seine Verhältnisse vor vielen Männern gaben. Von Jugend auf hatte man ihm wiederholt, wie er jedes Mädchen durch seine Bewerbung ehre, und überall waren die Frauen ihm in einer Weise entgegengekommen, die ihm eine Bestätigung für jene Behauptung geboten. Jetzt liebte er mit aller Hingebung seiner Seele. Jennys früheres Betragen hatte in ihm die Hoffnung geweckt, daß sie seine Gefühle teile; er war bereit, sie gegen die Vorurteile der vornehmen Gesellschaft zu schützen, deren Ansicht er gegen sich hatte, und sie verweigerte sich ihm, obgleich sie seine Liebe kannte.

Voll quälender Ungewißheit kehrte er endlich nach seiner Wohnung zurück; in Jennys Zimmer brannte Licht, und ein Schatten bewegte sich an den Vorhängen hin und her. Auch sie mußte noch wach sein. ›Das muß anders werden‹, sagte Walter zu sich selbst. ›Ich will, so teuer sie mir ist, weder um ihre Liebe betteln, wenn sie mich ihrer unwert hält, noch ihren Frieden stören. Morgen ist sie mir verlobt, oder ich sehe sie nie wieder!‹ Trotz des männlichen Entschlusses seufzte er, als er nochmals nach Jennys Fenstern blickte, und eine Träne verdunkelte seinen Blick. War es der Gedanke, Jenny zu verlieren, oder das Gefühl gekränkten Stolzes, das sie erpreßte? Walter zerdrückte sie schnell, als schämte er sich derselben, und ging in das Haus, um auf seinem Lager, das der Schlummer floh, der Geliebten und des kommenden Tages zu denken.

Auch Jenny konnte keine Ruhe finden. In der ersten Empörung ihrer Seele hatte sie, kaum heimgekehrt, sich ihrem Vater in die Arme werfen, ihm das Erlebte mitteilen und ihn beschwören wollen, am folgenden Tage Baden mit ihr zu verlassen. Aber der Gedanke, wie tief die Überzeugung ihren Vater schmerzen würde, daß immer wieder der Fluch der Vorurteile auf seinen Kindern ruhe, daß kein Alter und kein Verhältnis sie davor schütze, nötigte sie zum Schweigen und scheuchte sie in ihr Zimmer zurück, wo sie sich einsam ihrer Empörung und ihrem Schmerze überließ. Sie konnte sich es nicht verhehlen, sie liebte Walter, nicht mit der stürmischen Glut der Leidenschaft, die sie für Reinhard einst gefühlt, sondern mit jener ruhigen Zuversicht, die an der Brust des Geliebten zwar nicht den Himmel jugendlicher Hoffnung, aber eine sichere Zuflucht in allen Stürmen des Lebens erwartet. Sie wußte, wie teuer sie ihm sei, sie konnte sich in den lieblichsten Farben eine Zukunft an seiner Seite denken und hatte ihre Hoffnung, ohne es zu wissen, bereits an diese Zukunft geknüpft. Das fühlte sie an dem Schmerz, den der Gedanke, sich von Walter trennen zu müssen, in ihr hervorrief. Aber diese Trennung stand jetzt als Notwendigkeit vor ihr. Die Äußerungen Steinheims am Morgen und die Unterhaltung, deren Zuhörerin sie am Abend gewesen war, hatten ihr gezeigt, was sie ohnehin fühlte, daß sie Walter, indem sie seine Hand annehme, in den Kampf verwickle, den sie als Jüdin gegen die Meinung der Menge zu bestehen hatte.

›Ich war stark genug‹, sagte sie, ›noch ein halbes Kind, meiner Liebe zu entsagen, um Frieden mit mir selbst zu haben, und sollte nicht Kraft besitzen, für Walter ein Gleiches zu tun, für ihn, der mir ein so großes Opfer bringen will? Nein! Den Leidenskelch, der mir vom Schicksal bestimmt ist, will ich allein leeren. Ich will Walter wiedersehen, ich will ihm morgen sagen, daß ich nie die Seine werde, weil ich ihn liebe, und mir wenigstens den Trost erhalten, sein Leben nicht verbittert zu haben.‹

Man hatte verabredet, am nächsten Tage die Fahrt nach Gernsbach zu machen, um mit dem Vater der jungen Frau, deren Beschützerin Jenny geworden war, Rücksprache zu nehmen, und man wollte in zwei leichten Kaleschen fahren, da die Ungleichheit des Weges einem großen Wagen manche Schwierigkeiten bot. Noch am Abend hatte Jennys Vater Frau von Meining aufgefordert, einen Platz in seiner Kalesche anzunehmen, und Jenny wußte also, daß sie mit Walter fahren würde. Diese Gelegenheit wollte sie benutzen, sich gegen ihn zu rechtfertigen und ihm begreiflich zu machen, daß sie scheiden müßten. Auch Walter hatte seine Hoffnungen auf diese Fahrt gesetzt und war unangenehm überrascht, als am Morgen, nachdem die Wagen vorgefahren waren, der kleine Richard Jenny beschwor, ihn mit sich zu nehmen. Anfangs schlug Jenny es ihm ab, aber der kleine Schmeichler schlang seine Arme um ihren Hals und rief weinend: »Jenny! Du hast mir's ja gestern versprochen und hast Mama versprochen, daß du mich immer mitnimmst, und du sagst, man muß Wort halten. Ich bitte dich, Tante! Nimm mich mit, ich werde ganz artig, ganz artig sein.«

Wollte sie die Absicht, mit Walter allein zu sein, nicht verraten, so war es nicht möglich, dem Knaben die Bitte abzuschlagen, da sie ihm dieselbe wirklich am vorigen Tage zu erfüllen versprochen hatte. Ebensowenig konnte sie daran denken, ihn in den Wagen ihres Vaters zu weisen, dem die Unruhe des lebhaften Kindes bei solchen Fahrten lästig war. Sie mußte sich also, wenn auch nicht gern, dazu entschließen, Richard in Walters leichtem Wagen mit sich zu nehmen, der, mit des Grafen mutigen Pferden bespannt, schnell einen so bedeutenden Vorsprung gewann, daß sie den Wagen ihres Vaters bald nicht mehr erblickten.

Der Morgen war prächtig, die schnelle Fahrt durch die wunderschöne Gegend erheiterte Jennys Seele. Zu jener Unterredung, zu der sie sich die Nacht hindurch mit Kraft und Mut gewaffnet hatte, ließ die Anwesenheit des Knaben es nicht kommen, der bald deutsch, bald englisch sein Entzücken aussprach, nach dem Namen jenes Dorfes fragte, an dem man vorüberfuhr und im Wagen aufspringend mit seiner Schmetterlingsschere nach den Schmetterlingen haschte, welche fröhlich gaukelnd durch die Lüfte flogen. Sagte man ihm, sich ruhig zu halten, so fiel er Jenny um den Hals, fragte, ob er denn nicht artig sei, versprach, sich gleich besser zu betragen, und war einen Augenblick darauf zu der ausgelassensten Fröhlichkeit und Unruhe zurückgekehrt.

»Wie dies fröhliche Kind mit der heitern Natur zusammenpaßt, die uns umgibt«, sagte Walter, der mit Vergnügen den schönen kräftigen Knaben betrachtete. »Wir sind fraglos erschaffen, um so glücklich zu sein; und wird einst jenseits eine Rechenschaft von uns gefordert, so wird uns sicher jede Stunde, die wir durch unsere Schuld an Glück verloren, als eine Sünde ausgelegt werden.«

»Es kommt darauf an«, erwiderte Jenny, »was Sie unsere Schuld nennen, und ob...«

»Jenny, wie heißt der Fluß?« fragte der Knabe, sie unterbrechend, als man eben jetzt eine freie Stelle erreicht hatte und die Murg sichtbar ward, an deren hohem Felsenufer der Weg nach Gernsbach hinführt. Je näher man diesem Städtchen kommt, desto steiler werden die Abhänge des Weges. Die ganze Gegend hat einen ernstern Anstrich, man kommt in die Höhen des Schwarzwaldes, die tiefer ins Land hinein bei Vorbach, wo jene bekannten Holzschwellungen statthaben, einen fast schauerlichen Charakter gewinnen.

Jetzt fuhr man an dem linken Ufer der Murg dahin, und Jenny konnte sich eines leichten Schwindels nicht erwehren, wenn sie von der Höhe, auf der die Straße gebahnt ist, hinabsah in das dunkle Wasser des Bergstromes, das hart an dem Fuße der steilen Felswand hinfließt. Das ununterbrochene Steigen und Fallen des Weges brachte natürlich auch eine Abwechslung in der Schnelle des Fahrens hervor, da die Pferde bald langsam eine Höhe hinaufstiegen, bald sie in Eile hinunterliefen, woran Richard eine unsägliche Freude zu finden schien. Endlich hatte man den höchsten Punkt der Straße erreicht, von wo sie sich zu einer Tiefe senkt, welche die Anlegung von Hemmschuhen auch für das leichteste Fuhrwerk und selbst bei den stärksten Pferden nötig macht. Der Kutscher stieg ab, um diese Vorkehrung zu treffen, und Richard erbat sich die Erlaubnis, zwischen Jenny und Walter auf den Sitz zu steigen, um zuzusehen, wie jener die Ketten losmachte, die Räder in die Hemmschuhe hob und dann, zu den Pferden zurückkehrend, dem Diener die Zügel abnahm und vorwärts fuhr.

»Laß mich da stehenbleiben, Jenny«, sagte der Knabe, »und zusehen, wie faul die Räder nun sind! Ach!« rief er dann, indem er sich mit der Schmetterlingsschere in der Hand hinüberbog, als ob er sie antreiben wollte: »Ich werde euch laufen lehren!«

In dem Augenblick hörte man ein leises Klirren, und Richard rief fröhlich: »Hei, wie die Dinger nun fortfliegen!« Die Kette des einen Hemmschuhes war gerissen, das andere Rad war durch die plötzliche Bewegung des Wagens aus dem Gleise gesprungen, und mit fürchterlicher Schnelle flog die Biczka der Tiefe zu, ohne daß die Anstrengungen des Kutschers etwas gegen die Schnelligkeit vermochten, mit welcher der Wagen auf die Pferde eindrang, was sie natürlich zu verdoppeltem Laufe antrieb. Ein Sturz der Pferde, ein Fehltritt nur, und der Wagen, aus der Richtung gekommen, lag zerschmettert am Fuße der Felsen in den Wellen der Murg! Niemand, außer dem jubelnden Knaben, konnte sich es verbergen, wie drohend die Gefahr sei.

»Das Kind, das Kind!« schrie Jenny, als sie das Unheil bemerkte, und zog mit Walters Beistand den Knaben zu sich herunter, den sie in Todesangst an sich preßte.

Walter sah unverwandt auf die Pferde hin. Er hatte seinen Arm wie schützend um Jenny gelegt und sagte: »Keinen Laut! Keinen Schrei! ich beschwöre Sie!« Dann zum Kutscher gewandt: »Halte die Zügel kurz, sieh nicht zur Seite! Halte die Pferde fest, halte sie fest und wir sind gerettet!« Aber so ruhig er sich zu scheinen zwang, seine Stimme bebte, sein Gesicht war totenblaß, als endlich der Wagen in der Tiefe stillstand, als der erschöpfte Kutscher die Zügel hängen und die Pferde stehen und sich verschnaufen ließ.

Walters erster Gedanke, sein erster Blick galt Jenny. Sie war leblos, aus einer kleinen Stirnwunde blutend, zurückgesunken, und ihre Arme hatten den Knaben losgelassen, der sie jetzt weinend umfaßt hielt. Bei der Hast, mit der sie das Kind an sich gedrückt, hatte der eiserne Griff der Schmetterlingsschere Jennys Stirne mit so heftigem Schlage getroffen, daß er die Haut zerriß, ohne daß Jenny in der entsetzlichen Aufregung des Momentes die Verwundung oder das herabtröpfelnde Blut bemerkte. Nur des einen Gedankens, das Kind zu retten, das man ihr anvertraut hatte, war sie sich bewußt gewesen, und als mit dem Stillestehen der Pferde die furchtbare Angst von ihr gewichen, war sie, von einer in Seelenleiden durchwachten Nacht schon ohnehin angegriffen, ohnmächtig zusammengebrochen. An eine augenblickliche Hilfe war hier nicht zu denken; kein Haus in der Nähe, und wie weit der zurückgebliebene Wagen noch entfernt sei, ließ sich nicht berechnen. Mit zitternder Hand legte Walter ein Tuch um Jennys Stirne, nahm die ganz Bewußtlose in seine Arme und befahl dem Kutscher, so schnell als möglich vorwärts zu fahren, um Gernsbach zu erreichen, damit man das Nötige für Jenny herbeischaffen könnte.

Wie hatte er gewünscht, die Geliebte in seine Arme zu schließen, sie an seiner Brust zu halten! Jetzt war sein Sehnen erfüllt, und doch, wie anders als er es gehofft! Mit unaussprechlicher Liebe hingen seine Augen an Jennys bleichen Zügen, er versuchte durch Reiben ihre Hände zu erwärmen, und wer schildert sein Entzücken, als ein leiser Schimmer von Röte, ein schwacher Atemzug die Wiederkehr des Lebens anzeigten, als Jenny endlich langsam die großen dunklen Augen aufschlug, den Knaben mit sanftem Lächeln anblickte und dann still weinend wieder an des Grafen Brust sank. Seiner selbst nicht mächtig, drückte er sie an sein Herz und erwärmte mit seinen Küssen ihre kalten Lippen.

»Warum weinst du noch? Warum küßt dich Graf Walter?« fragte der Knabe, ungeduldig das ihm peinliche Schweigen brechend.

»Weil Jenny meine Braut ist, weil wir uns freuen, daß wir dem Tode entgangen sind«, antwortete ihm Walter, strahlend vor Liebe und Wonne, »weil nun ein schönes, glückliches Leben vor uns liegt! Komm, Richard, komm! Du mußt unsere Freude teilen, denn auch über dir, geliebtes Kind, hat die Hand des Todes geschwebt; küsse auch deine Jenny, küsse meine Braut!«

Und Jenny? Bei des Knaben erster Frage hatte sie sich von Walters Brust emporgerichtet, beschämt über das Geständnis, welches sie demselben in ihrer Schwäche gemacht, als sie Ruhe suchend sich an ihn wie an ihren anerkannten Beschützer lehnte. Jetzt stieg der Gedanke an die Trennung von dem Grafen wie ein düsterer Schatten vor ihrem Geiste auf, sie wendete sich ab von dem Geliebten und barg mit einem tiefen Seufzer das Gesicht in ihren Händen. Aber Walters Stimme, die Freude und Liebe, die aus seinen Worten klang, machten ihr innerstes Herz erbeben, und als er zärtlich sagte: »Du wendest dich fort von mir?« vermochte sie nicht zu widerstehen, reichte ihm beide Hände hin und sagte: »Ich habe es gewollt, ich wollte dich meiden, weil mir dein Glück teurer ist als meines! Gott will es anders – wir leben noch! So will ich denn auch für dich leben für und für!«

Jennys Hand in der seinen, Richard auf seinen Knien haltend, so langte Walter vor dem Gasthause in Gernsbach an, wo man ihn schon kannte, da er früher mehrmals auf seinen Streifereien hier eingesprochen war. Er und der Diener halfen Jenny aus dem Wagen, der Graf verlangte nach einem Arzt für sie, aber sie versicherte, daß sie weder eines Arztes noch irgendeines Beistandes bedürfe.»Nur der Kopf ist mir ein wenig schwer«, sagte sie, während sie die Binde von der Stirne nahm, »mir ist, als hätte ich zu tief und zu lange geschlafen – und wirklich weiß ich kaum, ob ich erwacht bin, oder ob ein schöner Traum mich noch umfängt.«

»Frau Gräfin sollten doch den Doktor kommen lassen!« sagte die geschäftige Wirtin und rief damit eine flüchtige Röte und ein freundliches Lächeln auf Jennys Wangen hervor, das Walter unendlich glücklich machte. Arm in Arm harrten sie der Ankunft ihres Vaters, der mit Überraschung sie in dieser Stellung sah, und, als er den Vorgang erfahren, als Walter ihn an sein Versprechen erinnert und dessen Erfüllung verlangt hatte, tief bewegt sein Kind segnete, das in so großer Gefahr ihm erhalten war und nun einer glücklichen Zukunft entgegenging.

Herr Meier und Frau von Meining allein genossen der Reize, welche Gernsbach und das schöne Schloß Eberstein schmücken. Walter und Jenny sahen nur sich, und während jene sich der köstlichen Aussicht erfreuten, die man aus den Fenstern jenes Schlosses über das ganze Tal genießt, saß das Brautpaar am Fuße des Berges in dem Schatten einer Laube, und Jenny erzählte dem Geliebten, wie sie noch gestern ihn habe beschwören wollen, sie zu verlassen, und wie schwer ihr der Entschluß geworden, weil sie ihn so lieb, so herzlich lieb habe. Alle ihre Besorgnisse sprach sie ihm offen und frei aus, selbst jenes Gespräch der Stiftsdame teilte sie ihm mit, das sie so tief verletzt hatte, und fragte: »Wird es dich nie schmerzen, wenn du ähnliches hören müßtest?«

»Niemals!« sagte Walter entschieden. »Glaube mir! Habe ich es je als ein Glück empfunden, auf den Höhen des Lebens geboren zu sein, so war es, weil von dieser Höhe aus mir jene Vorurteile, die den Sinn der Menge verwirren, stets so gar klein und töricht erschienen sind, weil dieser Standpunkt unser Tun und Handeln sichtbar und zur Richtschnur für viele andere macht. Ich bin stolz darauf, dich, du Geliebte, mit der Grafenkrone zu schmücken, zu zeigen, daß mir dein Besitz mehr gilt als alle Würden der Welt; und kein Tadel kann mich verletzen, da ich weiß, daß nie ein herrlicheres Weib unsern alten Namen getragen hat als du!«

»Und dein Onkel? Deine Angehörigen? Werden sie mich willkommen heißen, werden sie gleich dir denken?« wandte Jenny ein.

»Mein Onkel ist ein edler Mann und hat wie ich nicht mit dem Leben zu ringen gehabt; wir fanden unsern Platz bereitet. Darum würdigt er gleich mir die Stellung, die das Verdienst unserer Voreltern uns erworben; aber er ehrt auch die Würde desjenigen, der sich selbst erst seine Welt erschaffen muß. Je freier ein edler Mensch sich selbst empfindet, je weiter wird sein Herz, je lebhafter empört er sich gegen Fesseln, die man den andern anlegt, gegen Unterdrückung und Unrecht. Mein Onkel billigte meine Wahl nicht, ich gestehe dir das ein, weil sie die alte Sitte unsers Hauses gegen sich hatte; nun sie unwiderruflich ist und mein Glück begründet, wird er dich lieben, wenn er dich sieht, und gerade in ihm wirst du, wie ich ihn kenne, einen Freund und Beistand finden.«

In solchen Gesprächen und in fröhlichen Entwürfen für die Zukunft flogen die Stunden vorüber, und der Vater mußte Jenny endlich daran erinnern, welche Absicht sie hierher geführt.

Wie leicht mit Glücklichen zu unterhandeln sei, das hatte der Vater der kranken jungen Frau bald rühmend zu erkennen. Was er irgend verlangte, wurde ihm schnell und gern gewährt. Man kam überein, ihm eine Summe zur Erweiterung seines Gewerbes anzuvertrauen, während man für die Tochter und ihr Kind ein Kapital festsetzte, hinreichend, sie unabhängig von ihrem Vater zu unterhalten, der unter diesen Verhältnissen nicht anstand, der Tochter und dem Enkel sein Haus wieder zu öffnen, in das sie nach wenig Tagen einziehen sollten.

Erst spät am Tage fuhren die Glücklichen nach Baden zurück, wo eine neue Freude ihrer harrte in den Briefen, die aus der Heimat angekommen waren. Wie der Vater es vorausgesehen, hatte Eduard sich der Verbindung Jennys mit Walter gefreut, von deren Wahrscheinlichkeit jener ihn benachrichtigt hatte. Er sah darin unwiderleglich den Triumph der Vernunft über die Vorurteile, deren Bekämpfung sein Lebenszweck geworden, und während diese Heirat Jennys Glück begründete, gewann sie für Eduard einen Bundesgenossen, der aus Rücksicht auf sein eigenes Interesse und seine eigene Ehre künftig die Rechte der Juden vertreten mußte, wo sie irgend angefochten wurden. Eduard meldete noch, daß Ferdinand hergestellt und in den Kreis seiner Familie zurückgekehrt sei, was auch ein Brief von William und Clara wiederholte, die beide in den wärmsten Ausdrücken von dem Danke sprachen, zu dem sie Eduard verpflichtet wären. Sie nannten ihn den Gründer ihres Glückes, eines Glückes, dem jetzt nur noch die Anwesenheit ihrer Kinder fehle, um ein ganz vollkommenes zu sein, und Clara bat Jenny und den Vater, ihre Abreise von Baden womöglich zu beschleunigen, weil sie sich nach den Kindern sehnte.

Da nun ohnehin die Zeit, welche Frau von Meining gewöhnlich in Baden zuzubringen pflegte, sich bereits ihrem Ende nahte, so entschied man sich, Claras Bitte nachzukommen und Baden etwas früher zu verlassen, als man es beabsichtigt hatte.

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