Fanny Lewald
Jenny
Fanny Lewald

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Eine größere Gesellschaft hatte sich am Abend bei Frau von Meining versammelt. Es war das erste Mal, seit sie in Baden lebte, und sie hatte es Herrn Meier und Jenny zur Pflicht gemacht, von der Partie zu sein, da sie dieselben mit einigen Personen bekanntzumachen wünschte, die ihnen fremd waren. Die Gesellschaft war ziemlich belebt, man hatte geplaudert, musiziert, und die Geheimrätin forderte Jenny auf, nun auch etwas zu singen. Bereitwillig ging diese aus dem Salon in das Wohnzimmer, in der Hoffnung, unter den dort befindlichen Noten mehrstimmige Sachen zu finden, weil sie glaubte, daß dergleichen unterhaltender sein würde. Die Etagère, auf der die Noten lagen, stand hinter einer Türe, deren geöffnete Flügel Jenny verbargen, so daß sie von einigen Personen, die in der Tür standen, nicht gesehen werden konnte, obgleich kein Wort, das jene sprachen, für Jenny verlorenging.

»Was wird man jetzt singen?« fragte eine alte Dame, deren Brust ein Stiftskreuz zierte, einen jungen Attaché der österreichischen Gesandtschaft beim Bundestage.

»Ich glaube, das Fräulein Meier proponierte mehrstimmige Piecen«, antwortete der junge Mann.

»Sagen Sie mir, lieber Baron! Die Meiers scheinen ja Juden zu sein, wie kommt Frau von Meining und namentlich Graf Walter zu den Leuten? Man sagt, er soll der unablässige Begleiter dieser Familie sein, und man hält ihn für extravagant genug, die Vermutungen, von denen ich eben in dieser Rücksicht hörte, wahr zu machen«, sagte die Stiftsdame.

»Wie können Sie nur so etwas wiederholen, meine Gnädigste! Graf Walter gefällt sich allerdings darin, der Rotüre gegenüber den Liberalen zu spielen, indes von der Torheit, die Sie ihm zutrauen, eine Jüdin zu heiraten, ist er sicher fern. Die Meier ist hübsch und pikant. Die Galanterie eines Grafen wird ihrer Eitelkeit schmeicheln, und Sie wissen, die Freiheit des sogenannten Badelebens entschuldigt manches!« schloß lachend der Baron.

Atemlos und wie gelähmt stand Jenny da, den Kopf gegen eine Säule der Etagère gelehnt, als Frau von Meining zu ihr trat, der ihr langes Ausbleiben aufgefallen war. Erschreckt fuhr sie empor, faßte sich aber gleich und sagte anscheinend ruhig: »Ich finde die Noten nicht und möchte überhaupt nicht singen, wenn du mich davon freisprechen wolltest.« Aber davon wollte Frau von Meining nichts hören. Mit den freundlichsten Bitten nötigte sie Jenny, an dem Flügel Platz zu nehmen und wenigstens irgendein Lied zu singen, um damit der Gesellschaft ihr Tribut zu zahlen. Einen Augenblick schien Jenny nachzudenken, sie mochte um die Wahl eines Liedes verlegen sein, dann war es, als ob ihr ein Gedanke käme, sie griff mit sicherer Hand ein paar Akkorde und begann Byrons ›Mädchen von Juda‹ zu singen, das von Kücken so meisterhaft komponiert ist. Ihre starke, metallreiche Stimme schien von dem Zorn in ihrer Brust einen neuen Zauber zu gewinnen, die tiefste Trauer klang aus ihren Tönen, und als sie die zweite Strophe mit den Worten endete: ›O Vaterland süß, o Vaterland mein! Wann wird dir Jehovah ein Rachegott sein?‹ wagte niemand zu atmen, und alle standen wie festgebannt und beherrscht durch die Gewalt des Zornes, der in diesen Tönen zu Gott rief und von ihm Rache erflehte. Dann ging der Gesang wieder zu wehmütiger Klage über, Jennys Stimme wurde weicher, bis sie nochmals mächtig erklang in den Worten: ›In Knechtschaft des Feindes der Jude verlacht‹ und endlich matt in dem Wunsche erstarb: ›O Vaterland süß, o Vaterland mein! Könnt ich nur im Tode vereinet dir sein.‹

Die Röte der Begeisterung, die während des Singens Jennys Wangen gefärbt hatte, war gegen das Ende des Liedes gewichen. Ruhig, aber angegriffen, stand sie vom Instrumente auf. Kein lautes Zeichen des Beifalls war zu hören, in vieler Augen standen Tränen; andere sahen sich befremdet an. Sie schienen dunkel zu ahnen, daß ihnen hier, wo sie flüchtige Unterhaltung zu finden gehofft, eine Wahrheit entgegengetreten war, vor der sie erschraken wie vor einem Gespenste, das plötzlich am hellen Tage in die Reihen der Lebenden tritt. Selbst Walter und Frau von Meining waren überrascht. So hatte der Graf Jenny niemals singen hören; er, der ihre Seele kannte, hätte sie beschwören mögen, ihm die Ursache des Schmerzes zu vertrauen, der sie eben jetzt erschüttert hatte. Er wollte und mußte sie sprechen, aber sie vermied seine Annäherung und verließ bald, nachdem sie gesungen hatte, die Gesellschaft.

Walter begleitete sie aus dem Saale hinaus und benutzte einen Augenblick, in dem ihr Vater im Nebenzimmer von einem Bekannten angeredet wurde, zu der Bitte, Jenny möge ihm heute noch eine kurze Unterredung gestatten, an der sein Glück und seine Hoffnung hänge.

»Ihr Glück, Herr Graf«, antwortete Jenny, »liegt außerhalb meiner Sphäre, und Sie täuschen sich, wenn Sie es in meiner Nähe suchen! Glauben Sie mir das, und dringen Sie nicht in mich!« Sie reichte ihm bewegt die Hand zum Abschied und ging am Arme ihres Vaters davon.

Jennys Gesang und ihre ganze Erscheinung waren, während dies in einem der Nebenzimmer geschah, im Saale der Gegenstand der Unterhaltung geworden. Einige priesen ihre Schönheit und Anmut, andere fanden ihr Auftreten abstoßend und stolz, zu ernsthaft und selbstbewußt für ein Frauenzimmer, und ebenso große Meinungsverschiedenheit herrschte über ihren Gesang.

»Die Stimme ist vortrefflich«, bemerkte die Stiftsdame, »aber es zeugt immer von wenig Erziehung, sich und seine Gefühle so preiszugeben. Ich will gestehen, es mag unangenehm genug sein, dem jüdischen Volke anzugehören, indes ist es doch nicht unsere Schuld, daß Fräulein Meier eine Jüdin ist und sich dessen schämt, und ich begreife nicht, mit welchem Rechte sie sich in der Gesellschaft in einer Weise gehenläßt, die für meine Nerven zum Beispiel viel zu stark ist. Ich versichere Sie, sie hat mich völlig krank gemacht!«

Viele stimmten ihr bei, schwiegen aber, als Frau von Meining sich dem Kreise näherte, in welchem bald eine leichtere Unterhaltung den Eindruck verwischte, den Jennys Lied auf die Gesellschaft hervorgebracht. Nur Frau von Meining dachte mit ängstlicher Besorgnis an sie, und ihr entging es nicht, daß auch der Graf bald nach Jennys Entfernung das Haus verlassen hatte.

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