Fanny Lewald
Jenny
Fanny Lewald

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Jenny wußte sich keinen Rat in der Verwirrung ihres Sinnes. Von Natur offen und mitteilend, sah sie sich teils durch die Verhältnisse, teils durch ihre eigene Schuld in ein Gewebe von Heimlichkeiten und Täuschungen verstrickt, das sie in ihren eigenen Augen erniedrigte. Claras ruhige, ergebene Entsagung leuchtete ihr als Beispiel vor; sie wollte nicht kleiner sein als ihre Freundin, denn auch sie war sich bewußt, das Unvermeidliche würdig zu tragen und eher das Glück als die Achtung vor sich selbst entbehren zu können. Wie würde es sein, fragte sie sich also immer wieder, wenn ich vor Reinhard hinträte und ihm erklärte: ›Ich liebe dich mehr, als du es weißt, ich hatte meine ganze Zukunft an dich geknüpft; aber Christin nach deinem Sinne kann ich nie werden, darum muß ich auf das Glück verzichten, auf das ich mit dir hoffte. Therese liebt dich, sie glaubt wie du an Christus, möge sie dir ein Glück gewähren, das du aus den Händen einer Jüdin nicht annehmen darfst.‹ Aber schon bei dieser innerlich gehaltenen Rede zerfloß die Ärmste in Tränen, trotz der Großmut, welche sie gegen ihre Nebenbuhlerin auszuüben dachte. Sie stellte sich den Kummer vor, in dem sie die schönsten Jahre ihres Lebens fern von Reinhard vertrauern würde, sie sah ihn an Theresens Seite glücklich, sah sich von ihm vergessen, und noch heißer und bitterer flossen ihre Tränen. Was würden ihre Eltern sagen? Was würde man in den Kreisen ihrer Bekannten von ihr denken? Welch widersprechende, tadelnde und nachteilige Gerüchte könnten sich über sie verbreiten! Während sie ihr höchstes Glück einer religiösen Überzeugung mit blutendem Herzen opferte, würden Neid und böser Wille sich in die innersten Verhältnisse ihres Lebens drängen und Gründe zu dieser Handlung suchen, von denen keine Spur in ihrer Seele war. Könnte nicht selbst Therese bereit sein, Reinhard zu beweisen, daß Mangel an Liebe zu ihm oder die Furcht vor seinen beschränkten Verhältnissen und dem Leben in ländlicher Zurückgezogenheit sie zur Lösung dieses Bündnisses veranlasse und daß sie die Religion nur zum Deckmantel gebrauche? Jenny sah Reinhard vor sich, sie sah, wie er mit Verachtung auf sie blickte, wie er sie von sich stieß, er, der sie einst geliebt, an dem sie stets mit warmer Neigung gehangen, und trotz aller innern Kämpfe, trotz der warnenden Stimme ihres Gewissens ließ sie die Taufe für eine bestimmte Stunde ansetzen und beschloß, durch jenes erkünstelte Glaubensbekenntnis, das sie beschwören konnte, ohne gerade einen Meineid zu begehen, sich unauflöslich mit Reinhard zu verbinden, weil sie sich vor den Leiden fürchtete, die eine Trennung von ihrem Geliebten notwendig für sie zur Folge haben mußte.

Reinhard, seine Mutter und Clara sollten die Zeugen bei Jennys Taufe sein, und die Pfarrerin war zu diesem Zwecke nach Berghoff gekommen, wo sie ein paar Wochen zu bleiben versprochen hatte. Auch Reinhard machte sich frei von seinen Geschäften in der Stadt, um diese Zeit ganz mit seiner Braut zu verleben, da er, wie schon gesagt, gleich nach der Taufe mit seiner Mutter zu seinem alten Onkel fahren und dort verweilen wollte, bis die Entscheidung über seine Anstellung definitiv erfolgt sein würde. Obgleich nur ein paar Monate seit der Abreise der Pfarrerin verflossen waren, fand sie das Verhältnis ihres Sohnes zu Jenny wesentlich verändert und fast umgekehrt. Reinhards Eifersucht hatte sich gelegt, da Erlau dieselbe nicht mehr erregte; mit den äußern Verhältnissen seiner Zukunft, mit dem Reichtum seiner Braut hatte er sich ausgesöhnt, je mehr er sich überzeugte, daß die ganze Familie denselben zwar in seinem Werte begriff, aber doch nicht überschätzte oder damit absichtlich prunkte; und da nun auch Jennys religiöse Erkenntnisse sich seinen Ansichten angeschlossen hatten, war er vollkommen glücklich und zu einer innern Zufriedenheit gelangt, die ihn seit seiner Verlobung geflohen hatte. Diese innere Ruhe machte ihn heiter, nachgebender und mitteilender, als er es jemals gewesen war. Er hatte tausend Aufmerksamkeiten für Jennys Eltern, behandelte Eduard mit der zartesten Sorgfalt, da er ihn über einen Verlust trösten wollte, dessen Größe er mit ihm empfand, ohne daß jener irgend über seine Liebe oder seinen Gram mit ihm gesprochen hatte. Mit Jenny unabläßlich beschäftigt, war er es jetzt, der sich an jeder Kleinigkeit erfreuen und bei jedem Begebnis eine fröhliche, scherzhafte Seite hervorheben konnte. Selbst Theresens Neigung für ihn diente, so sehr er es auch verheimlichen wollte, nur dazu, sein Glück zu erhöhen, indem sie seiner Eitelkeit, deren er sich kaum bewußt war, schmeichelte und ihm in Jennys Eifersucht einen ihm wohltuenden Beweis ihrer Liebe gab. Er fühlte sich in gewisser Weise Theresen dafür verpflichtet, behandelte sie mit freundlicher Zuvorkommenheit, und in dem täglichen Beisammensein mit ihr stellte sich ein zutraulich bequemes Verhältnis zwischen ihnen her, das aber von Theresens Seite an Unbefangenheit verlor, je ruhiger Reinhard sich demselben überließ.

Mit Freuden hatte die Pfarrerin die Verwandlung bemerkt, welche die Stimmung ihres Sohnes erlitten hatte, aber um so rätselhafter erschien ihr Jenny. Ein düstrer Ernst, eine krankhafte Reizbarkeit hatten sich ihrer bemächtigt, und besonders hatte Therese von der letztern in einem Grade zu leiden, der der Pfarrerin mißfiel. Jennys Liebe zu ihrem Bräutigam schien äußerst lebhaft, sie konnte sich keinen Augenblick von ihm trennen; sie war unruhig, wenn sie ihn nicht sah, und doch vermißte das scharfe Auge der Pfarrerin in Jennys Liebe jene innige Hingebung, welche sie früher für Reinhard gezeigt hatte. Es lag ein Etwas in ihrem Betragen, in ihrer ganzen Art, das ihr unheimlich, ja fast dämonisch vorkam, und wovon sie sich doch keine bestimmte Rechenschaft geben konnte, um so weniger, als Jenny von einem unersättlichen Hang zu immer neuen Zerstreuungen erfüllt schien, der niemanden in ihrer Umgebung zur Ruhe kommen ließ.

Fahrten zu Wasser und zu Lande, Besuche in der Nachbarschaft und stundenlange Spazierritte wechselten schnell miteinander ab, ohne daß Jenny, die eifrig danach verlangte, Genuß darin zu finden schien. Reinhard liebte die Natur und jede Art von Bewegung im Freien, deshalb ließ er sich gern bereitwillig finden zu jedem Vorschlag der Art, welchen Jenny machte, bis auch ihm endlich ihre fieberhafte Unruhe auffiel, die nicht eher nachließ, bis sie körperlich ganz erschöpft zusammenbrach und dann stundenlang in vollkommener Abspannung und weichster Stimmung verharrte. Bat er sie, von dieser anstrengenden Lebensweise abzustehen, sich Ruhe und Erholung zu gönnen, so riß sie sich gewaltsam aus der Apathie empor, versicherte, weder krank noch ermüdet zu sein, und bestand darauf, diesen letzten Sommer in Berghoff mit Reinhard, wie sie es nannte, noch recht in Eile zu genießen.

Gegen dies wilde Treiben, das zuletzt Jennys Mutter ebenso beunruhigte als die Pfarrerin, erschien Theresens stille, häusliche Tätigkeit um so wohltuender. Sie hatte allmählich sich fast des ganzen häuslichen Regimentes bemächtigt und wußte für jeden mit Sicherheit das Bequeme und Angenehme zu verschaffen, ohne daß man es von ihr verlangt hatte. Dadurch machte sie sich namentlich den älteren Personen unentbehrlich, und auch Reinhard konnte nicht umhin, ihr lobend zu gestehen, daß sie ein seltenes Talent besitze, die Wünsche ihrer Umgebung zu erraten und zu befriedigen. Je mehr durch Gewöhnung auch für ihn die Bequemlichkeit des Lebens an Reiz gewann, um so angenehmer erschien ihm die Weise, mit der Therese vorzusorgen wußte. Jennys Äußerung, daß Therese sich Liebe erkoche und erwirtschafte, begegnete daher allgemeinem Tadel, wie überhaupt ihr Verhältnis zu ihrer Freundin der Pfarrerin immer mehr mißfiel und allen ein Rätsel dünkte, Reinhard ausgenommen, der diese ungewohnte Härte in Jennys Charakter nur zu leicht und gern entschuldigte.

Nach Jennys früher geäußertem Wunsche sollte auch Therese unter ihren Taufzeugen sein, doch schien sie diesen oft besprochenen Vorsatz jetzt ganz plötzlich aufgegeben zu haben. Sie erklärte, als die Pfarrerin sie deshalb zur Rede stellte und ihr bemerklich machte, wie diese Zurücksetzung für Therese empfindlich sein müsse: Es täte ihr leid, aber sie könne sich nicht entschließen, es wäre ihr unmöglich, sie dazu aufzufordern. Diese entschiedene Äußerung veranlaßte die Pfarrerin, weiter in Jenny zu dringen, sie konnte jedoch keine nähere Erklärung von ihr erlangen. Jenny behauptete, ohne Gründe anzugeben, sie habe sich in Therese geirrt, sie fühle eine wachsende Abneigung gegen sie und könne dieselbe nicht überwinden. Als zufällig eben während dieser Unterredung Therese mit einer Anfrage von Jennys Mutter hinzukam und mit einer heftigen, kurzen Antwort von Jenny abgefertigt wurde, die gleich darauf das Zimmer verließ, benutzte die Pfarrerin die Gelegenheit, mit Theresen einmal darüber zu sprechen, ob sie vielleicht den Grund zu Jennys gereizter, launenhafter Stimmung kenne?

Therese verneinte es. »Ich weiß nur das eine«, sagte sie, »daß ich ihr Betragen gegen mich nicht verdient habe, und ich würde es nicht ertragen, wenn mich das Andenken an unser früheres Verhältnis nicht nachsichtig gegen sie machte.«

»Und wissen Sie denn nicht, liebes Kind, seit wann diese Verstimmung sich Jennys bemächtigt hat? Man könnte vielleicht irgend etwas zu ihrer Beruhigung tun, wenn man die Veranlassung dazu kennte.«

»So wie Sie Jenny jetzt sehen, liebe Frau Pfarrerin, ist sie, seit wir in Berghoff sind«, antwortete Therese, »und allerdings habe ich eine Vermutung darüber, die ich Ihnen mitteilen möchte, wenn Sie mir heilig versprechen wollen, gegen jeden, besonders aber gegen Ihren Sohn darüber zu schweigen.«

Die Pfarrerin zauderte einen Augenblick, dann bat sie Therese, diese Mitteilung lieber zu unterlassen, wenn sie nicht wirklich nötig zu Jennys Glück, zu ihrer Herstellung sei.

»Ich bin in einer sonderbaren Lage«, antwortete Therese, »und weiß selbst nicht, ob es nicht meine Pflicht ist, ein Geheimnis zu verraten, zu dessen Kenntnis ich nur zufällig gelangte, denn noch dürfte es Zeit sein, ein Unheil zu vermeiden, das meinen teuersten Freunden droht.«

Die Pfarrerin wurde unruhig, und Therese fuhr fort: »Den Abend, ehe wir nach Berghoff zogen, zeichnete Jenny mit Erlau auf dem Balkon vor dem Treibhause eine Ansicht der Gegend, welche sie für ihren Bräutigam bestimmte. Sie war anfangs ganz heiter, Steinheim war auch mit ihnen, und Jenny rief mich ebenfalls herbei, um mir ihre Arbeit zu zeigen und mich an der Unterhaltung teilnehmen zu lassen. Diese nahm, wie gewöhnlich, wenn jene drei ohne Reinhard beisammen waren, eine ziemlich fade Wendung. Das Gespräch langweilte mich, so daß ich Jenny aufmerksam machte, wie wenig dieses Geplauder und Geschwätz ihrem Bräutigam behagen würde. Darüber wurde sie verdrießlich und heftig, und so ist es seit jenem Tage geblieben.«

»Aber mein Kind«, sagte die Pfarrerin im Tone des Vorwurfs, »Sie können doch kaum annehmen, daß ein so geringer Tadel Jennys ganzes Wesen, ihr ganzes Verhältnis zu Ihnen so vollkommen verändern könne, besonders da sie sonst Tadel von jedermann mit großer Freundlichkeit zu ertragen pflegte, was mir an ihr stets angenehm aufgefallen ist.«

»Oh, Gott bewahre! Das glaube ich auch nicht«, erwiderte Therese, »ich halte es nur für begreiflich, daß ihre üble Laune sich gerade gegen mich richtet, weil wir zufällig jenen kleinen Streit in einer Stunde hatten, die außerdem von entschieden traurigen Folgen für Jenny war.«

»Therese«, unterbrach die Pfarrerin sie sehr ernsthaft, »Ihre halben Reden scheinen mir ein Geheimnis mitteilen zu wollen, das Sie vielleicht verschweigen sollten. Sie sind aber bereits zu weit gegangen, und ich muß Sie bitten, mir nun die volle Wahrheit zu enthüllen, damit ich selbst entscheide, was wir für Jenny, die ich als meine Tochter liebe, tun können und müssen.«

Therese schien zu schwanken, dann aber sagte sie rasch und mit großer Bestimmtheit: »Nun denn, Frau Pfarrerin! Ich glaube, Erlaus Abreise ist die Veranlassung zu der vollkommenen Veränderung, welche mit Jenny vorgegangen ist.«

»Das wäre ein großes Unglück!« rief die alte Dame erschreckt. »Aber was bringt Sie auf diese Vermutung?«

»Eine bloße Vermutung hätte ich Ihnen nicht mitgeteilt«, antwortete Therese, »ich habe die feste Überzeugung, daß es so ist. Nachdem Steinheim den Balkon verlassen hatte, hörte ich, denn ich war im Treibhause beschäftigt, Erlau lebhaft mit Jenny sprechen, und obgleich ich weder alles verstehen konnte noch wollte, vernahm ich, daß Erlau ihr seine Liebe gestand und ihr zugleich Lebewohl sagte, weil er ohne Hoffnung in ihrer Nähe nicht leben könne. Den nächsten Tag war er abgereist, und als sein Abschiedsbrief uns gebracht wurde, behauptete Jenny, die man darum fragte, von seiner Reise ebensowenig gewußt zu haben als wir. Trotzdem hat sie ihm wahrscheinlich das für Reinhard bestimmte Bildchen zum Andenken geschenkt, denn ich habe es seit dem Abend nicht mehr gesehen, und es ist auch nie wieder die Rede davon gewesen. Am nächsten Tage zogen wir hierher und seitdem ist Jennys traurige Stimmung, wie Sie selbst wissen, im Zunehmen begriffen.«

Die Pfarrerin schwieg lange Zeit und schien mit sich selbst zu Rate zu gehen, dann sprach sie: »Gott behüte, daß Ihre Behauptung wahr sei! Ich kann nicht glauben, daß Jenny sich so vollkommen über ihre Gefühle getäuscht haben könne, und bin ebenso fest von ihrer Liebe zu Reinhard überzeugt, als von der seinen für sie. Indes ist leider unser Herz tausend befremdlichen Eindrücken zugänglich, und es ist nicht unmöglich, daß sich irgendein Widerstreit von Gefühlen in der Seele der armen Jenny erhoben hat, den sie mit ihrer leidenschaftlichen Weise gewaltsam bekämpfen will und hoffentlich bekämpfen wird. Es ist denkbar, daß ihre Unruhe dadurch entstanden ist, und ich danke Ihnen für das Geständnis, das Sie mir gemacht haben, wie für die Geduld, mit der Sie die Unfreundlichkeit des armen Mädchens ertragen. Nur eins muß ich Ihnen wie die heiligste Pflicht ans Herz legen: Lassen Sie weder Jenny noch meinen Sohn es ahnen, daß Sie irgendeine Vermutung der Art hegen.«

»Wie können Sie das nur glauben?« fragte Therese. »Rechnen Sie fest auf meine Verschwiegenheit, um so mehr, als auch Ihres Sohnes Glück davon abhängt, dem ich lebenslang für so Großes verpflichtet bin und für den kein Opfer mir zu schwer fallen sollte.«

Die Pfarrerin umarmte sie gerührt. Sie versicherte ihr, wie sie ihre Achtung in hohem Grade gewonnen habe und wie sehr sie ihr für die Schonung Dank wisse, mit der sie Jenny behandle. »Lassen Sie uns vereint«, sprach sie, »dahin wirken, Jenny mit sich selbst wieder auszusöhnen und ihr das Glück zu erhalten, das sie und mein Sohn von der Zukunft erwarten. Unsere innigste Anerkennung wird es Ihnen danken, und wenn Sie sich wirklich meinem Sohne verpflichtet fühlen, tragen Sie ihm Ihren Dank jetzt in einer Weise ab, welche ihn für immer zu Ihrem Schuldner macht.«

Therese versprach alles, und sie schieden mit den herzlichsten gegenseitigem Versicherungen.

Wieweit Therese bei dieser Unterredung sich selbst über die Beweggründe ihrer Handlungen getäuscht hatte, wieweit sie absichtlich dabei zu Werke gegangen, möchte schwer zu entscheiden sein. Ob sie wirklich an Jennys Liebe für Reinhard zweifelte, an eine Neigung für Erlau glaubte, ob nur der Wunsch, Reinhard und Jenny vor Reue zu bewahren, allein sie antrieb, der Pfarrerin jenen Bericht zu erstatten, das lassen wir dahingestellt sein. Jedenfalls aber war sie sich der eigensüchtigen Motive, die zweifelsohne in ihrer Seele sich regten, nicht deutlich bewußt, so daß sie die Lobsprüche der Pfarrerin mit ruhigem Gewissen annahm und sich Jenny gegenüber in einer stillen Größe erschien, welche es ihr leichter machte. sich fügsam und nachgebend gegen sie zu betragen.

Ihrem Vorsatz getreu, schwieg die Pfarrerin gänzlich über die Entdeckung, welche Therese ihr gemacht hatte. Jenny tat ihr leid, und doch zürnte sie ihr, weil sie nicht daran zweifelte, daß Erlau wirklich einen Eindruck auf Jennys bewegliche Phantasie gemacht und sie verleitet haben könnte, Reinhard untreu zu werden, wäre Erlau selbst ihr nicht zur rechten Zeit zu Hilfe gekommen. So lieb sie ihre künftige Schwiegertochter hatte, konnte sie sich doch nicht verbergen, was sie stets gedacht und früher auch gegen ihren Sohn geäußert hatte: daß eine Frau mit so unruhigem Geiste, mit solch beweglichen Leidenschaften viel weniger zu Hoffnungen auf ein ruhiges eheliches Glück berechtigte, als zum Beispiel ein Mädchen von Theresens soliden, wenn auch weniger glänzenden Eigenschaften. Sie zitterte bei dem Gedanken, ihr Sohn könne durch irgendeinen Zufall von der Neigung seiner Braut für Erlau unterrichtet werden, und fühlte sich sehr beruhigt, als endlich der für die Taufe bestimmte Tag gekommen war und sie die Aussicht hatte, nun mit ihrem Sohne Berghoff auf einige Monate zu verlassen. In dieser Zeit, so hoffte sie, würde Jenny zur Ruhe kommen, ohne daß Reinhard etwas von dem Kampfe in ihrem Herzen zu erfahren brauchte.

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