Fanny Lewald
Jenny
Fanny Lewald

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Die Kommerzienrätin war von der Sorge um ihren Sohn völlig hingenommen. Sie schrieb ihm, daß sie durch ihren Schwager und durch William von dem Grunde unterrichtet sei, der ihn abhalte, nach Deutschland zurückzukehren. Sie beschwor ihn, sich loszureißen, kein Opfer an Geld zu achten, um sich von einer Frau zu befreien, deren wahre Absicht ihm nicht verborgen sein könne, und war unvorsichtig genug, ihm zu diesem Zweck eine immerhin beträchtliche Summe aus ihrem Privatvermögen anzuweisen, damit sein Vater gar nichts von diesem Verhältnis zu erfahren brauche. Was die aufrichtige Besorgnis einer Mutter, die Furcht vor üblem Aufsehen einer so stolzen Frau nur einzugeben vermochten, das stellte sie ihm in den beredtesten Worten vor und harrte angstvoll und ungeduldig seiner Antwort. Doch der erste Termin, der sie bringen konnte, verging, und kein Brief von Ferdinand erschien. In dieser peinlichen Ungewißheit traten alle übrigen Angelegenheiten in ihren Augen zurück, und selbst von Claras Verlobung war die Rede nicht. Die Kommerzienrätin nahm dies Verhältnis als längst entschieden an; sie sah William und Clara oft und freundlich beisammen, das genügte ihr und jetzt an irgendeine gesellschaftliche Rücksicht wie die Bekanntmachung dieser Verbindung zu denken, war sie nicht gestimmt.

Für William und Clara war das eine Erleichterung. Er hätte Clara dem Freunde abzutreten vermocht, wenn sie dadurch glücklich geworden wäre. Da dies nicht möglich war, dachte er nun daran, sie für sich zu gewinnen, denn er war sicher, daß ihr Herz endlich seiner warmen Liebe und seinem festen Willen, sie zu beglücken, nicht widerstehen werde. Er wollte sie durch keinen raschen Schritt drängen; er sprach ihr nicht von seiner Liebe, aber sein schonendes Betragen, seine zarten Rücksichten taten das um so deutlicher. Unbefangen brauchte er das Recht, welches sein doppeltes Verhältnis zu ihr ihm gab, fast unausgesetzt in ihrer Nähe zu sein. Er las mit ihr, er begleitete sie auf ihren Spaziergängen, und sie konnte es sich nicht verhehlen, daß Williams Unterhaltung in ihrer jetzigen Verfassung eine Zerstreuung für sie sei und sie abhalte, gänzlich in den Gram über Eduards Verlust zu versinken. Eduard hatte sie fast täglich, aber nur flüchtig in dem Zimmer ihrer Mutter gesehen, deren Zustand seine Behandlung nötig machte. Außerdem hatte er es vermieden, sie zu besuchen. Er brachte die Abende, wenn er konnte, auf dem Landsitz seiner Eltern zu; das Unwohlsein der Kommerzienrätin hielt Clara viel zu Hause und beschränkte sie auf die kleinen Ausfahrten und Spaziergänge in Begleitung ihres Vetters.

So waren einige Wochen vergangen, als William, der Clara in ziemlich heiterer Stimmung sah, sich endlich das Herz faßte, mit ihr von seiner Unterredung mit Eduard zu sprechen. »Ich bin dir noch Aufklärung über mein Verhältnis zu dir und zu Eduard schuldig«, sagte er. »Daß man sich nicht ohne Kampf entschließt, ein Glück wie deine Liebe hinzugeben oder auf deinen Besitz zu verzichten, das glaubst du mir, denn jetzt am wenigsten würde ich dir schmeicheln dürfen. Doch hätte ich zu entsagen vermocht, um dich glücklich mit Eduard zu wissen, den du liebst, und ich habe das Eduard gesagt.«

Clara reichte ihm bewegt die Hand und klagte: »Du kannst mir doch nicht helfen, so edel du auch bist.«

»Aber lindern kann ich, trösten«, fiel er ihr ins Wort, »und das vergönne mir. Eduard fühlt wie ich, daß deine Mutter nicht dareinwilligen würde, dich unvermählt zu lassen, auch wenn ich ganz auf deine Hand verzichtet hätte. Und glaube mir, kein Mann, den man für dich wählen könnte, wird dich mehr lieben als ich, niemand mit größerm Vertrauen die Zeit abwarten, bis dein gerechter Schmerz sich gemildert haben und du imstande sein wirst, wieder an ein Glück zu glauben, das dir jetzt unmöglich scheint.«

Clara schüttelte schweigend den Kopf, er tat, als ob er es nicht bemerke, und fuhr nur noch freundlicher fort: »Ich komme dir vielleicht kalt vor, und du fürchtest dich vor dieser Ruhe; aber sie kommt aus der Zuversicht, daß du dich in die unabwendbare Trennung von Eduard fügen und daß es meiner treuen Liebe gelingen müsse, dich wieder zu erheitern, dich froh zu sehen in dem Bewußtsein, einem redlichen Manne das höchste Gut zu sein.« Er schilderte ihr, wie sehnsüchtig seine Mutter in ihr die Tochter erwarte, die der Himmel ihr selbst verweigert habe; wie man sie lieben und mit offenen Armen im Hause seiner Eltern empfangen werde, und seine tiefe Rührung zu verbergen, schloß er mit der scherzenden Bemerkung: »Du kannst doch vielleicht nicht verlangen, Clärchen, daß ich jetzt, nachdem ich den Eltern die Versicherung gegeben habe, in dir den größten Schatz des Kontinents mit nach Hause zu bringen, allein zu ihnen wiederkehren und ihnen sagen soll: Ich war ein eitler Tor, als ich von ihrer Liebe sprach, sie hat mich nicht gemocht.«

Unwillkürlich lächelte Clara; da konnte William sich nicht länger halten und, mit aller Fröhlichkeit eines Liebenden aufspringend, nahm er sie in seine Arme, küßte sie und rief: »Mag nun daraus entstehen, was da will, das ertrage ein anderer, wenn man sich monatelang für den glücklichsten Bräutigam gehalten hat, mit einemmal wieder zum Cousin werden. Einen Kuß habe ich glücklich gestohlen, gleichviel, ob als Verlobter oder Cousin; nun will ich wieder geduldig warten und ruhig deinen Zorn ertragen.«

Und zornig war Clara wirklich über einen Ausbruch, der in so grellem Widerspruch zu seinen Worten stand, daß sie ihn schnell und offenbar gekränkt verließ. Indessen, diese Unterredung blieb doch nicht ohne Wirkung. Gewohnt an verständige Überlegung, konnte Clara es sich nicht verbergen, daß William recht hatte, als er behauptete, ihre Mutter werde auf einer anderen Heirat bestehen, wenn es ihr selbst gelänge, sich jetzt von der Verbindung mit ihrem Cousin zu befreien, dessen Betragen ihren aufrichtigen Dank verdiente. Sie sah ein, daß sie und Eduard keine Hoffnung hätten; aber daß Eduard ihrem Vetter das zugestanden hatte, verletzte sie, ohne daß sie ihn anzuklagen vermochte. Sie konnte an Eduards Liebe, an seinem Schmerz über ihre Trennung nicht zweifeln; sie nannte es recht, daß er sie jetzt vermeide, und doch war sie unzufrieden mit ihm, mit William und mit sich, obgleich sie fühlte, daß keiner von allen anders handeln konnte, als er's tat. Der Gedanke, von Eduard getrennt zu sein, faßte auf die Weise in ihr Wurzel, ohne daß dadurch William ihr näherrückte, der sich in seiner herzlichen Bewerbung immer gleichblieb und sein Ziel keinen Augenblick aus dem Gesichte verlor, die Neigung der Geliebten zu gewinnen. Er hatte daneben die schwere Pflicht, seine Tante über sein eigentümliches Verhältnis zu Clara zu täuschen, was um so nötiger war, als die Kommerzienrätin noch immer vergebens auf Antwort von Ferdinand harrte und deshalb gereizt und leicht verletzlich war.

Sie hatte ihrem Sohne zu wiederholten Malen geschrieben, sich endlich an ihren Schwager gewendet und von ihm erfahren, wie Ferdinand gleich nach Empfang ihres Briefes mit seiner Geliebten verreist sei, ohne irgendeine Nachricht zu hinterlassen, wohin er gehe oder wohin man ihm die Briefe von Hause nachsenden solle. »Es scheint«, bemerkte ihr Schwager schließlich, »als ob er aufs neue in den Besitz einer größern Summe gekommen sei, welche ihm diese Reise möglich macht.« Es blieb jetzt der Kommerzienrätin keine Wahl, sie mußte sich entschließen, ihrem Manne das Geheimnis zu enthüllen, und die unangenehme Szene, welche die Heftigkeit beider Teile hervorrief, warf die Mutter aufs neue nieder. Da langte endlich ein Brief von Ferdinand an, aber er war nicht an die Eltern, sondern an William gerichtet und lautete wie folgt:

»Du hast Dich der Mühe unterzogen, ohne daß ich darum bat, meiner Mutter eine Mitteilung zu machen, die ich noch geheimzuhalten wünschte. Es scheint, daß dergleichen Vermittlungen Dir Vergnügen machen, und Du wirst es deshalb in der Ordnung finden, wenn ich Dich jetzt ersuche, meine Eltern gefälligst davon zu unterrichten, daß ich mich in der vorigen Woche verheiratet habe und mit meiner Frau nach Paris gegangen bin. Ich werde dort bleiben, solange die Summe, welche meine Mutter mir geschickt hat, ausreicht, in Paris in der Weise zu leben, an welche meine Frau gewöhnt ist. Danke meiner Mutter, daß sie, wie immer meine Wünsche erratend, auch jetzt meiner Bitte zuvorkam und mir die Mittel gab, schneller zur Ausführung eines Entschlusses zu schreiten, der unwiderruflich war, weil er mein Glück sichert und zugleich die Erfüllung einer Pflicht ist gegen eine Frau, die aus Liebe für mich eine glänzende Zukunft aufgegeben hat. Jeder Versuch, diese Verbindung zu lösen, würde vergebens sein, da sie durchaus nach allen Gesetzen gültig vollzogen ist, und würde nur die Folge haben, daß ich mit meiner Frau früher nach Hause käme, um die nötigen Schritte dagegen zu tun, obgleich, wie meine Mutter zu schreiben beliebt, die Anwesenheit meiner Frau, welche doch ein Lord D. zu seiner Gemahlin erkoren hatte, ein Schimpf für unsere Familie sein würde. Darüber will ich nicht streiten, da Vorurteile nicht auf mich wirken, ich ersuche Dich also nur, meinen Auftrag auszurichten. Meinen nähern Freunden habe ich meine Heirat selbst gemeldet. Meine Frau und ich wünschen Dir und Clara bald ein Glück, wie wir es genießen.«

William war erschrocken, obgleich der törichte Entschluß ihm nicht unerwartet kam. Er wußte, welchen Eindruck diese Neuigkeit auf seine Tante hervorbringen mußte, aber es war nicht möglich, sie ihr zu verheimlichen, da Ferdinand zugleich an seine Freunde geschrieben und damit dies Verhältnis zum Stadtgespräch gemacht hatte.

Die Familie war in der höchsten Aufregung. Der Kommerzienrat eiferte und zürnte gegen seine Frau, deren unglückliche Verblendung den Sohn verzogen und, wie diese jetzt selbst gestand, ihm die Mittel zur Ausführung dieser törichten Heirat gegeben hatte. Clara weinte über das Los, das ihr Bruder sich bereitet, und mußte doch ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Mutter wenden, die dieser Brief vollkommen vernichtet hatte. Die Kommerzienrätin versicherte, diesen Schimpf nicht überleben zu können; sie gab sich einer so fassungslosen Entmutigung hin, daß Eduard selbst unruhig über ihren Zustand wurde. Er bat deshalb William und Clara, die Mutter auf irgendeine Weise zu besänftigen, da bei einer Frau ihres Alters und ihrer Konstitution die Nervenzufälle, welche sich seit einiger Zeit immer wiederholten und jetzt bedeutend zugenommen hatten, leicht einen traurigen Ausgang nehmen könnten. Anfänglich war jede Vorstellung, jeder Einwand verloren, und erst nach einigen Tagen gelang es William, der leidenschaftlichen Frau einen Trost zu geben mit der Hindeutung, wie Claras Liebe und Sorgfalt, die sich jetzt im schönsten Lichte zeige, wohl ein Glück sei, das die Mutter nicht verkennen dürfe. Dadurch bekamen die Ideen der Kommerzienrätin plötzlich eine andere Wendung.

»Ja, du hast recht, mein Sohn«, sagte sie, »an Clara habe ich mich schwer versündigt, sie habe ich lange nicht genug geliebt. Aber jetzt werde ich vergelten; sie soll jetzt mein Stolz, mein Alles sein, und jetzt gleich soll eure Verlobung gefeiert werden, damit die Leute nicht glauben, die Schande, die mein Sohn über mich bringt, habe mich ganz niedergebeugt. Sie sollen sehen, daß mir in Clara und in dir noch große Freude geblieben ist und daß ich weder so schwach noch so alt bin, mich von einem Unglück niederwerfen zu lassen. Hole mir Clara herbei, wir wollen die nötigen Schritte noch heute tun.«

Das hatte William nicht beabsichtigt und es setzte ihn in Verlegenheit, um so mehr, als Clara es leicht für ein planmäßiges Werk von seiner Seite halten konnte. Er versuchte also der Tante zu beweisen, wie ein zu gleichgültiges Verhalten bei der Nachricht von Ferdinands unerwarteter Vermählung mißdeutet werden könne, und beredete sie, nicht jetzt, während sie noch leidend und Clara so betrübt über ihren Bruder sei, ein Fest zu feiern, das mit voller Freudigkeit begangen werden müsse. Dadurch erlangte er einen kurzen Aufschub. Offenbar hatte aber die Aussicht, welche ihr William in Claras Glück eröffnete, eine günstige Wirkung auf seine Tante gehabt. Sie erklärte, sich wohler zu fühlen, erstand von ihrem Lager und söhnte sich mit ihrem Manne aus, um sich mit ihm über Claras Mitgift zu verständigen, die sie jetzt ebensosehr zu erhöhen wünschte, als sie früher auf Beschränkung derselben zu Ferdinands Gunsten gedrungen hatte. Dies alles entging Clara nicht. In ängstlicher Erwartung sah sie der Stunde entgegen, in welcher dieser Gegenstand endlich zwischen ihr und ihrer Mutter zur Sprache kommen mußte, und diese Stunde ließ nicht auf sich warten.


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