Fanny Lewald
Jenny
Fanny Lewald

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Der nächste Morgen, ein Sonntag, brachte nach trüben Tagen mit Wind und Schneegestöber, wie der Dezember sie bietet, einen klaren, frischen Frost. Die Straßen waren trocken und sahen in der Sonntagsstille, die in großen, geräuschvollen Handelsstädten um so friedlicher erscheint, gar reinlich und festlich aus.

Mit der eitlen Sorgsamkeit einer Hausfrau musterte Madame Meier die Zimmer, ließ nochmals jedes Stäubchen fortkehren und wollte es doch nicht wahrhaben, daß sie heute noch mehr darauf halte als sonst, weil sie Clara zum Frühstück erwartete. Eduard hatte die erste Morgenstunde dazu benutzt, mit dem Gärtner das Treibhaus zu durchwandern. Er selbst hatte die seltensten Exemplare in das rechte Licht gestellt, den Frühstückstisch unter die Orangen setzen lassen, deren Blüten am üppigsten dufteten, und dem Gärtner aufgetragen, ein Bouquet zu arrangieren, das für die Jahreszeit als ein wahres Wunder erscheinen mußte. Dann hatte er in fast knabenhafter Fröhlichkeit mit Jenny gescherzt, mit ihr herumgewalzt, als eine Truppe Musikanten auf der Straße spielte, und sie zuletzt gebeten, doch zuzusehen, daß es Clara in seinem elterlichen Hause recht gefallen möge.

Joseph sah teilnahmslos dem fröhlichen Treiben der Geschwister zu. Er wurde wehmütig gestimmt, als Jenny nach Eduards Entfernung zu ihm kam, ihm die Hand reichte und mit ungewohnter Feierlichkeit zu ihm sagte: »Joseph! Ich habe dich bis jetzt verkannt, dich nicht genug geliebt. Was mir die Zukunft auch bringen wird, du sollst mein geliebter Bruder, mein zweiter Eduard sein. Willst du das? Und du kannst mir vertrauen wie einem Manne, wie ich dir!« – Er antwortete ihr nicht gleich, sie hatte sein Urteil ausgesprochen, über sich und ihn entschieden. »So sei es«, war alles, was er ihr endlich zu erwidern vermochte, weil er alle Art von Aufregungen ebenso ängstlich mied, als Jenny sie suchte; und sie besaß nicht Beobachtung genug, in Josephs stillem, ruhigem Gesicht den wahren Schmerz zu lesen, den ihre Entscheidung ihm verursachte. Sie war unzufrieden mit ihm, als sie ihn verließ.

Eduard kehrte schon gegen Mittag von seiner Praxis zurück und versuchte umsonst, die Ungeduld zu verbergen, mit der er nach dem Zeiger der Uhr und auf die Straße hinaussah, von welcher die Ersehnte in Begleitung ihres Vetters kommen sollte. Da rollte endlich ein leichtes Fuhrwerk über das Pflaster, hielt vor dem Meierschen Hause still, die Torflügel öffneten sich, der Portier zog die Glocke, und Eduard flog die Treppe hinunter, um die Geliebte selbst zu seiner Familie zu geleiten.

Jenny ging ihr bis in das Vorzimmer entgegen, die Mädchen umarmten sich auf Mädchenart mit zärtlichen Küssen, das alte, trauliche »Du« der längst verflossenen Schulzeit wurde hervorgesucht, und es vergingen mehrere Minuten, ehe Clara in das Wohnzimmer zu Madame Meier kam. Sie sah schön aus an dem Tage. Das enganliegende Kleid von heller Seide zeigte ihre stattliche Gestalt; ein kleiner schwarzer Samthut hob die frische Farbe des Gesichtes schön hervor, das die langen blonden Locken reich umgaben. Die Freude, welche ihr dieser Besuch einflößte, der Wunsch, den Eltern des Geliebten zu gefallen, verursachten ihr eine lebhafte Bewegung, die sehr anmutig an ihr erschien. Jenny konnte nicht aufhören, sie zu betrachten, und Eduards Mutter empfing sie mit der Freude, mit welcher eine zärtliche Mutter die Auserwählte ihres Sohnes begrüßt. Sie fand Clara noch schöner und liebenswürdiger, als sie sich dieselbe gedacht hatte. Der Ton von Demut in ihrer Stimme, das Weiche, Milde in ihrer Erscheinung, welches sich Eduard gegenüber zu verdoppeln schien, nahmen augenblicklich für sie ein. Die ungeheuchelte Freude, mit der sie die Schätze des Treibhauses bewunderte, das an den Tanzsaal grenzte, die Kindlichkeit, mit der sie Eduard und Jenny glücklich pries, in diesem Hause zu wohnen, machte die andern mit ihr froh, und selbst Josephs Stimmung wurde freundlicher vor so viel Liebenswürdigkeit.

Clara fühlte sich ganz heimisch in dem Kreise, als der Vater hinzukam und man sich zu dem reich versehenen Frühstück niedersetzte, währenddessen die Unterhaltung in zwei Teile zerfiel. Hughes hatte Briefe aus London erhalten, teilte manches Neue daraus mit, und es ergab sich infolgedessen unter den Herren eine Unterhaltung, die zwischen geschäftlichen und politischen Interessen sich hin und her bewegte und an der auch Eduard Anteil zu nehmen gezwungen war, obgleich er neben Clara saß und mehr auf ihr Gespräch mit den Damen achtete, als er zugestehen wollte. Sie mußte erzählen, wie sich der Unfall zugetragen, der sie so lange an ihr Zimmer gefesselt hatte; sie konnte nicht genug ausdrücken, wie dankbar sie dem Doktor für seine große Sorgfalt sei, wie seine Freundlichkeit, sein Trost ihr die Stunden des Schmerzes verkürzt hätten. Die Mutter und Jenny waren hocherfreut über diese Äußerungen. Aber den Vater machte die Wärme nachdenklich, mit welcher Clara von seinem Sohne sprach.

Plötzlich klopfte es an die Türe. Man rief »Herein«, mußte aber den Ruf zum zweiten und dritten Male wiederholen, ehe Steinheim mit Mephistos Worten: ›So recht! Du mußt es dreimal sagen‹, seine Mutter am Arme, in das Zimmer trat. Man stand auf, die alte Frau Steinheim zu bewillkommnen. Sie wollte aber durchaus nicht leiden, daß man sich ihretwegen derangiere und bat mit schnarrender Stimme und jüdischem Jargon, gar keine Notiz von ihr zu nehmen, da sie nur auf wenig Augenblicke gekommen sei.

»Ich war bei der Bentheim, deren Mann krank ist und die außerdem Ärger mit den Dienstboten hat«, sagte sie zur Hausfrau. »Denken Sie sich, die Hanne, die Person, welche früher bei der Rosenstiel diente, hat der Bentheim aus der Chiffonière zwei Ringe gestohlen. Da hat sie mich gebeten, bei der Rosenstiel nachzuhören, ob dort ähnliches passiert sei, und ich will mit meinem Sohne gleich von hier dorthin fahren. Man hat meinen Sohn so gern bei der Rosenstiel; er amüsiert sich so mit den Mädchen, daß ich ihn leicht dazu bekam, mich zu begleiten. Haben Sie gehört, Jenny«, sagte sie zu dieser, »wie die älteste Rosenstiel das ›Una voce‹ singt? Göttlich, sage ich Ihnen!« Und ehe noch jemand Zeit gewann, ihr Fräulein Horn vorzustellen oder ein Wort zu sprechen; ehe Jenny ihre letzte Frage beantworten konnte, fuhr sie gegen Clara gewendet fort: »Sie kennen doch die Rosenstiels?«

»Ich habe das Vergnügen nicht«, antwortete Clara ganz verwundert über das sonderbare Betragen der alten Frau.

»Was? Sie kennen die Rosenstiels nicht? – Denke dir, mein Sohn, Fräulein Horn kennt die Rosenstiels nicht! Haben Sie denn nie von der Malerei der zweiten Tochter gehört? Ein enormes Talent, sage ich Ihnen; ebensoviel Genie fürs Malen wie die Älteste für den Gesang. Rein merkwürdig! Die Mutter ist eine geborne Strahl, von den Strahls aus Frankfurt; abgerechnet, daß die Frau sich zu jugendlich kleidet, eine ganz charmante Frau. Wissen Sie noch, liebste Meier, wie der Doktor Herzheim ihr die Cour machte? Das kann sie noch nicht vergessen. Mein Sohn würde sagen: ›Ewig jung bleibt nur die Phantasie‹; aber wissen Sie, der junge Herzheim wird die älteste Tochter nehmen, sagt man. Ich glaube es nicht, die kann andere Partien machen, sage ich Ihnen!«

Es war gut, daß der kleinen starken Frau der Atem zu versagen anfing, denn Clara hatte mit kaum verhehltem Erstaunen die Neuhinzugekommene betrachtet, deren Kleidung, aus allem zusammengesetzt, was es Neues und Kostbares gab, auf ihrem runden, festgeschnürten Körper und zu dem sehr scharf geschnittenen, alternden Gesichte ebenso sonderbar erschien als ihre Sprechlust und ihr unaufhörliches Gestikulieren. Um einem neuen Redestrome Schranken zu setzen, fragte Jenny Herrn Steinheim, ob er in den letzten Tagen Erlau nicht gesehen habe, auf den sie vergebens gewartet, um mit ihm das Nähere wegen der Proben zu den lebenden Bildern zu verabreden.

»Erlau, der nie Anlage zu einem Fixsterne hatte«, antwortete der Gefragte, »ist jetzt vollkommen zum Planeten der Giovanolla geworden; er, der ein Stern erster Größe am Kunsthimmel sein könnte. Ich kenne ihn nicht mehr, ich begreife ihn nicht.«

»Was ist da zu begreifen?« sagte der Vater. »Er ist ein liebenswürdiger Wildfang, wie er es immer war, und wir wissen, wie ihm Schönheit den Kopf verdreht; junger Wein will gären!«

»›Ich bin so sehr nicht aus der Art geschlagen, daß ich der Liebe Herrschaft sollte schmähen‹«, rezitierte Steinheim, »aber dies gänzliche Sichverlieren in solch eine Passion von acht Tagen ist zu komisch. Man sieht ihn gar nicht. Zudem ist er hinausgezogen an den Leuchtturm, wo ein ewiger Orkan wütet und wo man ihn nicht besuchen kann, ohne sich vor Erkältung den Tod zu holen!«

»Haben Sie ihn in seinem neuen Atelier noch nicht aufgesucht?« fragte Eduard. »Das wird ihn gekränkt haben!«

»Hat er mich gefragt, wie er hinausgezogen ist, ob ich hinauskommen werde? Morgen wird's ihm einfallen, auf den Domturm zu ziehen, und er wird es übel nehmen, wenn ich nicht hinaufklettere, um ihn da oben zu besuchen! Dabei fällt mir ein, liebe Mutter, daß wir jetzt unsern Besuch bei Madame Rosenstiel nicht länger verschieben dürfen, und ich möchte – obgleich dem Glücklichen keine Stunde schlägt – dich daran erinnern, uns auf den Weg zu machen, weil es bereits ein Uhr ist.«

Dieser Vorschlag brachte die alte Dame in die größte Rührigkeit. Sie stand auf, suchte eifrig nach Boa, Mantille und Handschuhen, die sie im Eifer des Gespräches allmählich abgelegt hatte, und empfahl sich mit vielen Komplimenten den Anwesenden, nachdem Jenny noch mit Steinheim verabredet hatte, daß für den nächsten Abend die Probe zu den Bildern vor sich gehen sollte.

Der ganze kleine Kreis fühlte sich offenbar erleichtert, als die beiden fortgegangen waren. Jenny schämte sich des unschönen Betragens, das Gäste ihres Hauses vor Clara an den Tag gelegt hatten. Steinheims Zitate, seine gesuchten Witze kamen ihr unerträglich vor, und nur ihr angeborner Takt hielt sie zurück, Entschuldigungen deshalb zu machen. Wirklich schien es, als ob etwas Störendes in die vorhin so unbefangene Unterhaltung gekommen sei; man scherzte und plauderte noch ein Weilchen fort, dann aber brach auch Hughes auf und mahnte auch Clara an die Rückkehr. Beim Abschiede händigte Jenny ihrem Gaste das schöne Bouquet ein, indem sie bat, es als einen Willkomm mitzunehmen. Clara dankte herzlich, und als nun die Mutter sie aufforderte, sie und ihr Treibhaus bald wieder zu besuchen, nahm Clara ein paar Immortellenzweige aus dem Bouquet und reichte sie Jenny und Eduard mit der Bemerkung: »Die lasse ich zum Pfand hier, daß ich bald wiederkomme, wenn Ihre Mutter es erlaubt.« Freundlich reichte sie dem alten Meier die Hand und ging mit Hughes und Eduard davon, um den Rückweg zu Fuß anzutreten und dadurch das köstliche Winterwetter ein wenig länger zu genießen.


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