Fanny Lewald
Jenny
Fanny Lewald

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»Also adieu princesse? Adieu plaisir?« sagte Steinheim zu Jenny, die auf dem Balkon unter Erlaus Anleitung spielend die Gegend aufnahm, welche vor ihren Augen lag. Sie wollte das Bildchen Reinhard schenken, ehe sie morgen auf das Gut hinausfuhren.

»Adieu gewiß, für ein paar Tage«, antwortete sie, »doch hoffe ich, an Vergnügen soll es uns nicht fehlen; es sei denn, daß Ihnen die Stunde Wegs nach Berghoff zu weit und zu anstrengend wäre.«

»Sagen Sie dem Hypochondristen das noch einmal, Fräulein«, meinte Erlau, »so glaubt er es und bleibt zu Hause; natürlich unter jämmerlichen Klagen über seine schwache Gesundheit und über den Undank seiner Freunde, die sich Landgüter kaufen, ohne auf die Entfernung von seinem Hause und auf seine Rheumatismen Rücksicht zu nehmen.«

»›Der Wunden lacht, wer Narben nie gefühlt‹«, rief Steinheim. »Wenn solch ein Springinsfeld wie Erlau, der mit jedem Hasen um die Wette laufen könnte, doch nicht über die Empfindungen vernünftiger Leute spotten wollte, welche, ohne deshalb schwerfällig und alt zu sein, sich dennoch bei warmem Wetter ihres Körpers als einer Zugabe bewußt werden, die sie am Laufen und Fliegen verhindert.«

Jenny und Erlau lachten, und man rief Therese herbei, um sie an der Unterhaltung teilnehmen zu lassen. Sie trat hinter Jennys Stuhl und bewunderte die raschen Fortschritte, welche deren Arbeit seit einer Stunde gemacht hatte. »Du solltest dir«, sagte sie, »solange du noch zu Hause bist, allmählich alle deine Lieblingspunkte zeichnen, um sie dir zum Andenken mitzunehmen, wenn ihr einst fortgehen werdet.«

»Der Gedanke ist des Monarchen wert, Fräulein Therese!« fiel Steinheim ein.

»Und schöne Gegenden werden Ihrem Auge erquickend sein«, sprach Erlau, »wenn Reinhard darauf besteht, Sie in jene Einöde zu führen, in der die Herde weidet, die er hüten soll. Ich sehe Sie schon, Fräulein, mit einem Schäfer- oder Krummstabe – ich weiß nicht, was Pfarrerinnen in Arkadien führen – durch die sandigen Fluren wallen. Ich höre Sie Reinhard zuliebe über jedes Heidekraut, das der Boden hervorbringt, in Ach! und Oh! zerfließen und Gott danken dafür, daß er diesen Sand aus seiner großen Barmherzigkeit erschaffen, damit er uns in die Augen fließe, wenn ein warmer Lufthauch sich je einmal in solch eine Gegend verirrt.«

»Lassen Sie das Reinhard ja nicht hören«, warnte Jenny, »er würde es übel deuten!«

»Du solltest es auch nicht leiden, liebe Jenny«, meinte Therese, »da du weißt, wie unangenehm diese Scherze deinem Bräutigam sind, der mit so viel Liebe an seinen künftigen Aufenthaltsort denkt.«

»Ich wollte, sie ginge nach dem entzückenden Orte und ließe uns Jenny hier«, sagte Erlau leise zu Steinheim, und: »Wer weiß, wie gern sie das täte«, antwortete dieser ebenfalls leise, während Therese versicherte, für sie würde ein ganz eigener Reiz darin liegen, einem Manne sein einziges Glück zu sein. Je schlechter die Gegend, je weniger lockend die äußern Verhältnisse, um so teurer müßten ihm ja Frau und Heimat werden.

»Gott bewahre mich vor solchem Glück!« rief Jenny und legte den Pinsel fort; »das ist ja, um mich beizeiten an biblische Wendungen zu gewöhnen, der Weib gewordene Egoismus. Mein Mann sollte entbehren, damit ich geliebt würde? Wie kann man so etwas denken? Weißt du, was ich mir wünschen würde? Reinhard müßte Herr sein über die ganze Welt und alle ihre Schätze. Alle Menschen müßten ihn anbeten, weil er eine neue schöne Zeit heraufgeführt, und dann müßte er den schönsten Lohn für seine Taten darin finden, wenn ich diejenige wäre, die ihn am meisten bewunderte und liebte. Die Hand, mit der ich abends die Falten auf seiner Stirn glättete, müßte ihm noch lieber sein als die Kronen, die er auf sein Haupt drückt – denn nebenher müßte er ein Herrscher aus eigener Machtvollkommenheit sein und nicht von Gottes Gnaden. Da das aber nicht sein kann«, schloß sie und nahm den Pinsel wieder vor, »ist nächst solchem Herrscher mein Reinhard mir der Liebste.«

»Das sieht dir ähnlich«, sagte Therese, »du suchst nun einmal das Glück immer und überall in äußern Dingen und weichst darin von Reinhard ab, der nichts begehrt als ein bescheidenes Los und einen segensreichen Wirkungskreis.«

Jenny stand verdrießlich von der Arbeit auf und ging mit Erlau nach der andern Seite des Balkons, während Steinheim Therese mit ihren soliden Ansprüchen neckte und zuletzt die Worte hinwarf: »Übrigens glaube ich auch, daß Fräulein Jenny mit einer Hütte und einem Herzen nicht ganz so zufrieden wäre als manche andere.«

Diese Worte, die halb scherzend, halb absichtlich gesprochen waren, erreichten Jennys Ohr. Sie wendete sich um, sah Therese plötzlich rot werden und sich unter einem gleichgültigen Vorwande entfernen. Auch sie erglühte einen Augenblick, warf einen langen forschenden Blick auf Therese und fuhr mit der Hand über die Stirne, als wenn sie einen Gedanken verbannen wollte, der ihr unvermutet aufgestiegen war.

Steinheim gesellte sich gleich nach Theresens Entfernung zu den beiden andern und machte die Bemerkung, Therese gewöhne sich schon seit einiger Zeit einen gewissen pedantischen Ton an, der sonst nur Gouvernanten eigen zu sein pflege. »Sie will immer alles besser wissen«, sagte er, »immer belehren, ›man merkt die Absicht und man wird verstimmt‹.«

»Es ist so böse nicht gemeint«, entschuldigte Jenny, »sie glaubt nur, mich erziehen zu müssen, weil meine Eltern und Reinhard selbst sie mir früher als Beispiel aufgestellt haben. Zudem hält sie sich meinem Bräutigam für den Unterricht verpflichtet, den er uns gegeben hat, und möchte aus Dankbarkeit gegen ihn mich zu einer recht vollkommenen Frau nach seinem Sinne machen, und dazu fehlt noch viel.«

»Sie muß also aus Liebe quälen«, sagte Steinheim und nahm bald darauf Abschied von Jenny, die wieder zu malen angefangen hatte.

Nun war sie mit Erlau ganz allein. Eine Weile arbeitete sie eifrig fort, vielleicht, um ungestört über etwas nachzudenken, bis der Maler sie fragte, ob sie Neigung hätte, Theresens Rat zu befolgen und die schönsten Ansichten der Gegend zu skizzieren?

»Nein«, antwortete sie, »ich bedarf dieser sinnlichen Anhaltspunkte nicht, um mich deutlich und mit Vergnügen an Orte zu versetzen, die mir durch irgend etwas teuer sind. Es ist mir im Gegenteil oft lästig, wenn solch ein Bildchen mir eine Landschaft, die mir im schönsten Lichte fröhlicher Erinnerung vorschwebt, so dürftig und verkleinert zeigt, daß sie mir fremd und schattenhaft erscheint.«

»Da werden Sie mich vielleicht für einen Menschen halten, der ganz und gar der Sinnenwelt gehört, wenn ich Ihnen sage, daß ich erst vor einiger Zeit das Bild einer Dame beendete, um es mir als Andenken an sie zu bewahren.«

»Geht die Giovanolla denn schon fort von hier? Ich hatte gehört, es sei gelungen, sie für die hiesige Bühne zu gewinnen«, sagte Jenny mit Beziehung auf die Huldigung, welche der junge Maler seit Monaten der schönen Sängerin unverhohlen dargebracht.

»Die Giovanolla würde ich mir ebensowenig zum Andenken malen als die mediceische Venus. Sie ist mir Studie, und vielleicht die schönste, die man findet. Solche Köpfe bewahrt unser Album, und sie gehören der Nachwelt, der wir sie überliefern. Anders ist es mit den Gestalten, die dauernd in unserer Seele leben und deren Abbild, nur von uns gesehen, auf unserm Herzen ruht«, erwiderte Erlau und zog eine kleine Kapsel hervor, die er mit einem Federdruck öffnete und in welcher Jenny ihr eigenes Bild im Kostüme der Rebecca sprechend ähnlich vor sich sah.

»Erlau!« rief Jenny erschreckt, »um Gottes willen, was soll das heißen?«

»Das heißt, daß ich nicht das Irrlicht, der Leichtfertige, der Unbeständige bin, für den Sie mich halten; es beweist, daß auch ich das geistig Schöne erkenne und leidenschaftlich –« er hielt inne und sagte dann mit leiserem Tone: »verehren kann.«

Verwirrt und überrascht schwieg Jenny still und sah scheu zur Erde nieder. Dies Schweigen benutzte Erlau. »Fürchten Sie nichts, Jenny!« sagte er, »ich gehöre nicht zu den Toren, die jeden schönen Stern, der in ihre Seele leuchtet, hinabziehen möchten in den Staub, um ihn sich anzueignen. Ich freue mich, daß er ist, daß er seine leuchtenden Strahlen auch in mein Auge fallen läßt, denn er ist es, der meinen Farben ihren Glanz, meinen Gebilden ihren tiefen Sinn verleiht; und ich verlange nichts, als daß er sich nicht verdunkeln lasse durch irdische Verhältnisse, daß er nicht untergehe in der Prosa eines gewöhnlichen Lebens. Versprechen Sie mir das?« rief er mit Wärme und reichte ihr seine Hand entgegen.

»Mit vollster Zuversicht!« antwortete Jenny und schlug in die dargebotene Rechte. »Ich verspreche Ihnen, immer das Bild des Schönen in der Seele und das Streben danach in mir rege zu erhalten. Ihrem Schaffen und Wirken, Ihnen selbst wird mein Geist willig folgen; und in der Liebe zur Kunst bleiben wir vereint, wenn wir einst uns trennen.«

»Und das geschieht noch heute«, sagte Erlau. »Dieser ganze Winter hat schwer auf mir gelegen, mein Herz hat unter seinem eisigen Zepter viel gelitten. Es hat mir weh getan, mein Herz – recht weh! Und Haß und Neid und wie diese Dämonen sonst noch heißen mögen, die alle sind in meine sonst so fröhliche Seele verzogen. Seit ich dies teure Bild gemalt, hat kein anderes mehr gelingen wollen; es wird immer nur das eine, und darum, Jenny, muß ich gehen! Wenn erst Italiens heiterer Himmel und seine schönen Menschen mich wieder umgeben, dann wird es besser werden. Und wenn ich zurückkehre, soll niemand ahnen, wie ich geweint, als ich zum letzten Male vor dir stand, niemand als nur du!«

Mit diesen Worten schied er plötzlich und ließ Jenny betäubt und erschüttert zurück.


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