Fanny Lewald
Jenny
Fanny Lewald

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Die Eltern beide, Eduard, Joseph, die Pfarrerin, Therese und Clara waren in ernster Haltung in einem Zimmer beisammen, in das freundlich die Strahlen der untergehenden Sonne hineinfielen. Ein runder, mit schwerem Teppich behangener Tisch, auf dem ein silbernes Becken in silberner Schale stand, nahm die Mitte desselben ein. Neben diesem einfach hergerichteten Hausaltar stand Jennys Lehrer, der würdige Pastor, und erwartete, gleich den übrigen, den Eintritt seiner Schülerin. Sie hatte gewünscht, die letzten Stunden vor ihrer Taufe ganz allein zu bleiben, und ihren Bräutigam ersucht, sie erst rufen zu kommen, wenn alles zu der feierlichen Handlung bereit sein würde.

Nun trat sie an Reinhards Arm in das Zimmer, und allen fiel die Blässe ihrer schönen Züge auf, als sie sich in die Nähe des Pastors stellte und Reinhard zurücktrat. Nach einer kurzen Anrede des Geistlichen sprach Jenny ihr Glaubensbekenntnis und empfing die Taufe. Sie schien sehr ergriffen zu sein, als das Taufwasser ihre bleiche Stirn berührte. Aber keine Träne war in ihr Auge gekommen, keine Muskel ihres Gesichtes hatte gezuckt, und nur der bebende Ton der Stimme hatte, während sie das Glaubensbekenntnis ablegte, der Herrschaft ihres festen Willens Trotz geboten.

Jetzt war die kurze Zeremonie vorüber, Jenny war Christin geworden. Mit wahrer Innigkeit zog Reinhard die Geliebte an sein Herz, und Tränen der reinsten Freude glänzten in seinen Augen. Doch nur einen kurzen Moment ruhte sie, wie um sich zu erholen und Kraft zu gewinnen, an seiner Brust; dann flog sie, von einem innern Impuls getrieben, zu ihrer Mutter und sank, bitterlich weinend, ihr in die Arme.

Es wäre vielleicht für einen ruhigen Beobachter anziehend gewesen, hätte er während der Taufe in den Seelen der anwesenden Personen die verschiedenen Gefühle zu lesen vermocht, von denen sie bewegt wurden. Jennys Mutter weinte, weil es ihr vorkam, als trete durch die Taufe ein fremdes Element zwischen sie und ihre Tochter. Eduard und Clara, welche einander gegenüberstanden, waren in schmerzliche Gedanken vertieft, und wenn ihre Blicke sich zufällig trafen, wandten sie dieselben schnell voneinander ab, als fürchteten sie, die ernste Feier durch die beredte Sprache ihrer Augen zu entweihen. Die Pfarrerin dankte Gott, daß es endlich soweit gediehen sei, und betete inbrünstig, der Herr möge nun auch ferner dies Paar beschützen und alles Störende, das ihnen noch in der nächsten Zukunft drohen könne, gnädig an ihnen vorüberführen. Dieses innere Gebet verhinderte sie, Theresens Unruhe zu bemerken, die keinen Blick von Reinhard und seiner Braut abwendete und, fast ebenso bleich als diese, mit Gewalt in Jennys Seele lesen zu wollen schien. Joseph aber entging dies ängstliche Spähen Theresens nicht, das ihn ebensowenig als Jennys qualvolle Aufregung befremdete. Er sah finster auf die Szene vor seinen Augen als auf etwas, das er lange erwartet hatte; nur als Reinhard nach der Taufe die Braut in seine Arme schloß, fuhr er mit der Hand nach dem Herzen, als ob er dort einen flüchtigen Schmerz empfinde.

Der Vater allein war vollkommen ruhig und heiter geblieben. Er hatte Wohlgefallen an Reinhard und dessen stolzer, voller Freude; er ließ all den erregten Empfindungen Raum, sich zu beruhigen, dann war er es, der die Türen des Zimmers öffnete, in den Garten hinaustrat und die übrigen aufforderte, ihn zu begleiten.

Es war drückend warm im Zimmer geworden, denn die Sonne brannte auf die Scheiben der geschlossenen Fenster. Um so erquickender erschien jedem die frische Abendluft, welche, von dem Duft der prächtigen Orangenblüten balsamisch durchzogen, ihm entgegenströmte. Reinhard war einer der ersten, die der Aufforderung des Vaters folgten. Er verlangte sehnlichst, mit seiner Braut allein zu sein, und wandte sich mit ihr, sobald es tunlich war, einem entlegenern Teile des Parkes zu. Dort angekommen, setzten sie sich nieder unter den Schatten einer mächtigen, von Efeu grün umrankten Kastanie, und schweigend sah Reinhard lange mit der innigsten Liebe auf Jenny, die, noch sehr bleich und ermattet, sich mit geschlossenen Augen an ihn lehnte und dringend Ruhe zu bedürfen schien. Die Spannung der letzten Zeit hatte, nun die Tat vollbracht war, nachgelassen und einer weichen Müdigkeit Platz gemacht. Als Reinhard das zarte Mädchen so in seinen Armen hielt, das mit den geschlossenen Augen, den ruhigen, regungslosen Zügen und der weißen Kleidung wirklich einer schönen Leiche glich, fuhr ihm schmerzlich der Gedanke durch die Seele, sie könne sterben, während er sich von ihr trenne, und er werde sie niemals wiedersehen. Er schrak zusammen. ›Wäre es eine Ahnung?‹ fragte er sich, und eine fast kindische Furcht ließ ihn die Möglichkeit erwähnen, die Geliebte könne gerade jetzt in seinen Armen gestorben sein. Behutsam küßte er plötzlich Jennys lange Wimpern, indem er sie mit den zärtlichsten Worten bat, nur einen Laut zu sprechen, ihm nur zu sagen, daß sie lebe, daß sie sein Glück mit ihm fühle.

»Ja, ich lebe, Geliebter!« antwortete sie auf seine Frage und schlug lächelnd die Augen zu ihm empor. »Ich lebe! Und ob ich dich liebe? Oh! Gott weiß es, wie ich davon in dieser Stunde Zeugnis gegeben habe. Ich liebe dich wie mein Leben, wie meine Seele – nein, mehr als meine Seele. Ist es so recht?« fragte sie und lehnte sich wieder an ihn, nachdem sie sich während des Sprechens aufgerichtet und die Hände fest ineinander gefaltet hatte. »Aber warum fragst du mich erst, ob ich dich liebe?« fuhr sie nach einer kleinen Pause fort.

»Weil ich den Ton deiner Stimme hören wollte, mein süßes Leben. Du sahst so bleich und so verklärt aus, daß ich fürchtete, du könntest die Erde verlassen und aus meinen Armen in den Himmel zurückkehren, von dem dein Antlitz ein so treues Bild war.«

»Ach! Hätte ich so hinüberschlummern können«, seufzte Jenny, »so im vollen Besitz deiner Liebe.«

»Als ob diese Liebe dir jemals fehlen könnte«, rief Reinhard fast entrüstet aus. »Siehe, Jenny, einst gab es eine Zeit, in der ich an dir, an deiner Liebe zweifelte, dich fliehen und vergessen wollte. Das ist alles nicht mehr möglich, und seit du durch deine Liebe mich zum Herrn über dein Geschick gemacht, bin ich dir zueigen geworden, mehr als irgendeinem Menschen. Du weißt es«, sagte er, immer wärmer werdend, »ich würde vor keinem Könige knien, kein Weib hat mich jemals zu seinen Füßen gesehen, ich glaubte nur vor Gott mich beugen zu können – und nun knie ich vor dir und bekenne dir, daß ich dich fußfällig bitten könnte, mich zu lieben, mir treu zu bleiben, wenn ich daran zweifeln könnte, weil in dir allein das ganze Glück meines Lebens beruht.«

Er war wirklich vor ihr niedergesunken und hielt sie mit seinen Armen umfaßt, während seine Augen an den ihren hingen. Schöner, hingebender hatte sie ihn nie gesehen, glücklicher hatte sie sich nie gefühlt, und doch stieg eben in diesem Augenblicke der Zweifel in ihr auf, ob Reinhard sie mit dieser Innigkeit lieben, ob seine Neigung nicht wanken würde, wenn er einst erfahren sollte, wie sie ihn getäuscht, um sich seine Liebe zu bewahren, um die Seine zu werden.

Sie drückte ihn voll Leidenschaft an ihre Brust, und ihm zärtlich und fest ins Auge blickend, sagte sie: »Versprich mir, dieser Stunde immer zu gedenken, wie ich ihrer nie vergessen werde, und wenn einst ein Tag käme, an dem du irre an mir würdest, an dem ich dir deiner Liebe weniger würdig schiene – dann, aus Barmherzigkeit, dann denke an diese Stunde, dann laß mich dich daran erinnern und eine Stütze in dieser Erinnerung bei dir finden!«

»Was bedeutet das?« fragte Reinhard verwundert, »wie kannst du glauben, jemals eines andern Fürsprechers bei mir zu bedürfen als meiner Liebe zu dir?«

»Das gebe Gott!« rief Jenny. »Aber wenn du mich einst schwach und tadelnswert finden, wenn du mich deshalb weniger lieben, mich von dir weisen solltest, dann möge deine Neigung mein treuer Schutz sein; ich möge dir deutlich machen, daß ich aus Liebe kein Opfer scheute, daß ich alles erdulden wollte, alles! Nur dir entsagen – das konnte ich nicht, das werde ich niemals können, dazu fehlt mir die Kraft.«

»Ich verstehe dich nicht«, sagte Reinhard, vergebens einen Sinn in diesen Reden suchend, der in irgendeinem Zusammenhang mit ihren Verhältnissen stehen konnte, »aber das schwöre ich dir, ich werde nie an der Lauterkeit deiner Seele, an der Reinheit deines Herzens zweifeln, du sollst in mir alle Liebe finden, die dir gebührt, und auch Nachsicht, wenn es möglich wäre, daß du sie jemals brauchtest, denn wie sollte ich dir nicht alles verzeihen, solange deine Liebe mir bleibt!«

»Schwöre mir das, Geliebter«, flehte sie mit einer Angst, als ob sie fürchtete, er könne seine Meinung ändern.

»Ich schwöre es dir!« antwortete Reinhard und reichte ihr seine Hand, welche sie lange festhielt, dann leidenschaftlich an ihre Lippen drückte und mit den Worten: »Nun bin ich ruhig, nun ist es gut!« endlich wieder losließ.

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