Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Achtes Kapitel.

Welchen Weg Gil Blas nahm, und auf wen er unterwegs traf.

Ich ging sehr schnell, und blickte von Zeit zu Zeit um, ob mir nicht der fürchterliche Biskayer auf den Fersen säße. Jeden Baum, 208 jeden Strauch sah' ich fast für ihn an, so vollgefüllt war meine Einbildungskraft von diesem Menschen. Mein Herz pochte vor Furcht von Augenblick zu Augenblick stärker. Nachdem ich endlich eine gute Meile gemacht hatte, schöpft' ich wieder einigen Muth, und setzte meinen Weg, der gerade nach Madrid gerichtet war, langsamer fort.

Valladolid verließ ich ohn alle Bekümmerniß, nur das jammerte mich gar sehr. daß ich mich von meinem trauten Pylades, von meinem Fabrizio, scheiden mußte, daß ich sogar nicht einmahl Abschied hatte von ihm nehmen können. Daß ich der Arzeneykunst Valet gegeben, darüber betrübt' ich mich gar nicht; ich bath vielmehr Gott um Verzeihung, daß ich sie getrieben hatte. Gleichwohl zählt' ich mit Vergnügen das Geld, das sich in meiner Tasche befand, ob es gleich der Lohn meiner Mordthaten war. Ich glich hierin denen Mädchen, die ihre lustige, lockere Lebensart fahren lassen, das Geld aber, das sie durch dieselbe verdient haben, ohn' alles Bedenken behalten. Meine ganze Barschaft bestand aus beynahe fünf Ducaten an Realen. Damit glaubt' ich bis nach Madrid hinreichen zu können, woselbst ich gut unterzukommen hoffte. Uederdieß sehnt' ich mich auf's heißeste nach einer Stadt, die man mir als einen kurzen Inbegriff aller Wunderwerke der Welt vorgerühmt hatte. 209

Indem ich mich an alles das erinnerte, was ich je davon erzählen hörte, indem ich zum Voraus alle die dort befindlichen Vergnügungen genoß, hört' ich die Stimme eines Menschen, der mir auf dem Fuß folgte, und aus voller Kehle sang. Auf dem Rücken hatte er einen ledernen Sack, am Halse eine Guittare hängen, und an der Seite einen ziemlich langen Degen. Er ging so stark zu, daß er mich in Kurzem einhohlte.

Es war einer von den beyden Barbiergesellen, die der Ringgeschichte halber sammt mir im Gefängnisse gesessen hatten. Wir erkannten einander gleich, obschon wir beyderseits andre Kleider trugen, und wunderten uns höchlich, so unvermuthet auf der Landstraße zusammen zu treffen. Ich bezeigte ihm meine Freude, ihn zum Reisegefährten zu erhalten, und er, seiner Seits, schien über meine Wiedererblickung nicht minder vergnügt. Dann erzählt' ich ihm, weßhalb ich Valladolid verlassen hatte, und er, um eben so offen zu seyn, sagte mir: er habe mit seinem Herrn Verdrießlichkeiten gehabt, und sie hätten beyderseits einander auf ewig Valet gesagt. Hätt' ich noch länger zu Valladolid bleiben wollen, fuhr er fort, so würd' ich dort zehn Stuben für Eine gefunden haben; denn, ohne Prahlerey gesprochen: es gibt keinen Barbier in ganz Spanien, der besser nach und gegen den Strich zu rasiren 210 verstünde, der den Knebelbart besser aufwickeln könnte, wie ich. Allein mein Heimweh ist zu groß. Das trieb mich weg. 'S sind nun bereits zehn volle Jahre, daß ich meiner Mutter Kohlentopf verlassen habe. Nun will ich wieder ein wenig vaterländische Luft schöpfen, und sehn, wie's meinen Anverwandten geht. Uebermorgen denk' ich bey ihnen zu seyn; denn ihr Wohnort ist das große Dorf Olmedo, jenseits Segovien.

Ich beschloß, den Barbiergesellen nach Hause zu begleiten, von da nach Segovien zu gehen, und daselbst eine Gelegenheit nach Madrid zu suchen. Wir fingen nunmehr an, uns von tausenderley gleichgültigen Dingen zu unterhalten. Der junge Mensch hatte viel gefälligen Witz und viel gute Laune. Wie wir eine Stunde verschäkert hatten, fragte er mich, ob ich Appetit hätte. Das sollt' er im ersten Wirthshause sehen, antwortet' ich ihm. Eh wir dahin kommen, dächt' ich, machten wir 'ne Pause, sagte er. Ich habe in meinem Sack was zu frühstücken. Für Mundvorrath sorg' ich immer, wenn ich reise. Mit Kleider, Wäsch' und dergleichen unnöthigen Siebensachen belad' ich mich nicht. Ich liebe nichts Ueberflüssiges; stecke weiter nichts in meinen Sack, als ein gutes Magenpflaster, meine Scheermesser, und 'ne Seifkugel. Weiter brauch' ich nichts. 211

Ich lobte seine Vorsicht, und willigte in die vorgeschlagene Pause von ganzem Herzen. Hungrig war ich, und ich machte mich gefaßt, ein gutes Mahl einzunehmen. Nach seinen Reden konnte man das erwarten. Wir schlugen uns ein wenig von der Heerstraße ab, um uns in's Grüne zu setzen. Hier kramte mein Barbierbursche seine Victualien aus, die aus fünf oder sechs Zwiebeln»Die Spanischen Zwiebeln, weit größer und süßer als die unsrigen, sind eine gewöhnliche Speise des gemeinen Mannes in Spanien.« – D. Uebers. und einigen Stücken Brot und Käse bestanden. Das Pfaffenbißchen aber, was er aus seinem Sacke hervorlangte, war ein kleiner Schlauch, worin sich, wie er versicherte, gar köstlicher Wein befände. So wenig schmackhaft auch diese Gerichte waren, so wenig schlecht ließ sie uns doch unser Heishunger finden. Auch leerten wir unsern Schlauch, worin sich ungefähr zwey Maß Wein befanden; ein Wein, der gar ruhmsbedürftig war.

Nachher standen wir auf, und wanderten mit frohem Muth unsers Weges. Der Barbier, dem Fabrizio gesagt, ich hätte ganz sonderbare Abenteuer erlebt, bath mich sie zu erzählen. Einem Manne, der mich so gut bewirthet hatte, glaubt' ich, nichts abschlagen zu 212 können; ich erfüllte also sein Verlangen. Hernach sagt' ich zu ihm, ich bäthe mir zur Gegengefälligkeit seine Lebensgeschichte von ihm aus. Daran ist eben nicht viel Besonders, rief er. Lauter alltägliches Zeugs, das nicht des Anhörens werth ist. Indeß, da wir vor der Hand nichts bessers vornehmen können, will ich sie Ihnen erzählen, so gut, wie sie ist. Zu gleicher Zeit hob er seine Erzählung an, die ungefähr so lautete, wie der Leser im folgenden Buche finden wird.

 


 


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