Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Zweytes Buch.

Erstes Kapitel.

Lehrt: wie wenig auf Glück zu bauen ist.

Unser erstes Nachtlager war zu Duennas; den andern Tag um vier Uhr Nachmittags kamen wir in Valladolid an. Wir stiegen in einem Wirthshause ab, das mir eins der besten in dieser Stadt schien. Meine Maulesel überließ ich der Pflege meines Knechts und stieg nach einem Zimmer herauf, wohin mir ein Aufwärter mein Felleisen schaffen mußte.

Weil ich mich ein wenig abgemattet fühlte, warf ich mich mit meinen Stiefeletten auf's Bett, und schlief unvermerkt ein. Wie ich erwachte, war es fast Nacht. Ich rief Ambrosio'n. Kein Ambrosio im ganzen Wirthshause zu finden! Doch stellte er sich bald ein. Ich fragte ihn: Wo gewesen? In einem Tempel des Herrn, antwortete er mit einer frommen Miene. Da hab' ich dem 120 Höchsten gedankt, daß er uns für allen Schaden und für alles Unglück Leibes und der Seelen so gnädiglich behütet und bewahret hat. Amen! sagt' ich, und befahl sodann, ein Hühnchen an den Spieß stecken zu lassen.

Eben wie ich diesen Befehl ertheilte, brachte mein Wirth eine Dame in's Zimmer hineingeleuchtet, die mir mehr schön als jung dünkte. Sie lehnte sich auf einen Escudero und ein kleiner Schwarzer trug ihr die Schleppe. Nachdem sie mir eine tiefe Verbeugung gemacht hatte, fragte sie mich zu meinem größten Erstaunen: ob ich etwa der Sennor Gil Blas von Santillana wäre? Kaum hatte ich ihr mit Ja geantwortet, so ließ sie den Arm ihres Escudero fahren, und stürzte mir mit der emporwallendsten Freude um den Hals, wodurch sich mein Erstaunen noch verdoppelte.

Dank sey dem Himmel, daß ich Sie finde! rief sie aus. Sie, Sie, Sennor Cavallero, sind es, den ich suche. Bey dieser Anrede fiel mir mein Schmarutzer aus Pennaflor ein, und ich hielt die Dame bereits für eine abgefeimte Abenteuerinn, allein der Verfolg ihrer Rede brachte mir eine günstigere Meinung von ihr bey.

Ich bin, fuhr sie fort, Geschwisterkind mit der Donna Mencia von Mosquera, Ihrer so großen Schuldnerinn. Heute 121 Morgen erhielt ich einen Brief von ihr, worin sie mir schrieb: Sie habe vernommen, Sennor Gil Blas würde nach Madrid gehen, sollt' er hier durch kommen, so ersuchte sie mich, ihn auf's beste zu empfangen. Seit zwey Stunden durchstreich' ich schon die Stadt, gehe von Wirthshaus zu Wirthshaus, und erkundige mich nach den darin befindlichen Fremden. Aus dem Porträt, das mir der Wirth von Ihnen gemacht, schloß ich, Sie könnten der Erretter meiner Kusine seyn. Ah! da ich Sie nun angetroffen, so sollen Sie sehen, wie ich Dienste zu schätzen weiß, die man meiner Familie, besonders meiner so theuern Kusine geleistet hat. Haben Sie die Güte, sogleich mit mir in meine Wohnung zu kommen. Sie werden dort mehr Gemächlichkeit finden, wie hier.

Ich suchte es abzulehnen, stellte ihr vor, daß ihr das Ungelegenheit verursachen würde, allein sie drang so in mich, daß ich ihren Bitten nicht widerstehen konnte. Der Wagen wartete bereits auf uns. Sie sorgte selbst dafür, daß mein Felleisen in selbigen hineingelegt wurde. Es gäbe gar zu viel Spitzbuben in Valladolid, sagte sie. Und dieß hatte leider! nur zu sehr seine Richtigkeit. So stieg ich denn mit ihr und dem alten Escudero in den Wagen und auf die Art wurd' ich dem Wirthe zu seinem größten Leidwesen entrückt, der in seiner Rechnung weidlich geprellt wurde. 122 Er hatte geglaubt, die Dame, ihre Leute und ich würden keinen kleinen Aufwand bey ihm machen.

Nachdem unser Wagen eine Weile die Straßen durchrollt hatte, hielt er still. Wir stiegen in einem sehr großen Hause ab, und begaben uns in ein wohlausgeschmücktes Gemach, worin zwanzig bis dreyßig Wachslichter brannten. Es waren viele Bediente da, bey welchen die Dame sich sogleich erkundigte: ob Don Raphael noch nicht gekommen wäre. Sie beantworteten es mit Nein. Hierauf wandte sie sich zu mir. Sennor Gil Blas, sagte sie, ich erwarte heute Abend meinen Bruder von einem unserer Schlösser, das zwey Meilen von hier liegt. Welche angenehme Ueberraschung für ihn, in seinem Hause einen Mann zu finden, dem unsere Familie so viele Verbindlichkeiten hat.

Kaum war das letzte Wort aus ihrem Munde, als wir einiges Getöse hörten, das, wie wir erfuhren, durch die Ankunft des Don Raphael's entstand. Gleich darauf erschien dieser Cavalier; ein gar stattlicher und wohlaussehender junger Mann. Ich bin erfreut über Deine Zurückkunft, lieber Bruder, sagte die Dame zu ihm. Du wirst mir den Sennor Gil Blas von Santillana gebührend bewirthen helfen. Wir können für den Dienst, den er unsrer Anverwandtinn, der Donna 123 Mencia, geleistet hat, nicht erkenntlich genug seyn. Da lies, was sie mir hierüber schreibt. Mit den Worten überreichte sie ihm ein Billet. Don Raphael öffnete es, und las mit lauter Stimme Folgendes ab:

Theure Camille,

Sennor Gil Blas von Santillana, der Retter meiner Ehre und meines Lebens, reiset an den Hof. Wahrscheinlich kommt er durch Valladolid. Bey den Banden des Bluts, ja was noch mehr, bey den Banden der Freundschaft, die uns verknüpfen, beschwör' ich Dich, ihn eine Zeitlang zu bewirthen und bey Dir zu behalten. Ich schmeichle mir, daß Du mir diese Gefälligkeit erweisen, und daß Ihr Beyde, Du sowohl als Kusin Raphael, ihn auf alle mögliche Art gut aufnehmen werdet. Ewig die Eurige.

Burgos

Donna Mencia.

Wie, rief Don Raphael, nachdem er den Brief gelesen hatte, ist das der Cavalier, dem meine Kusine Ehr' und Leben zu verdanken hat? Ich preise den Himmel, daß er uns diesen Mann zugeführt! Mit diesen Worten näherte er sich mir, und drückte mich fest an seine Brust. Welche Freude für mich, den 124 Sennor Gil Blas von Santillana hier zu sehen. Die Bitte unserer Kusine, der Marquese, Sie wohl zu empfangen, wäre nicht nöthig gewesen. Sie durft' uns lediglich melden, daß Sie durch Valladolid gingen. Der Wink war hinlänglich! Meine Schwester Camilla und ich wissen, wie wir uns gegen einen Mann zu verhalten haben, welcher der von uns zärtlich geliebtesten Person aus unsrer Familie den wichtigsten Dienst geleistet hat.

Ich beantwortete diese Complimente, so gut ich immer konnte. Viele ähnliche Reden, mit tausend Liebkosungen vermischt, folgten darauf. Als er merkte, daß ich meine Stiefeletten noch anhatte, ließ er sie mir durch seine Bedienten ausziehen.

Wir gingen hierauf in ein Zimmer, worin wir eine gedeckte Tafel fanden. Der Cavalier, die Dam' und ich setzten uns zu Tische. Während der Tafel entfiel mir kein Einfall, der nicht als höchst glücklich von ihnen aufgehoben ward. Man hätte nur sehen sollen, mit welcher Achtsamkeit mir Beyde von jedem Gerichte vorlegten. Don Raphael trank öfter auf das Wohlseyn der Donna Mencia. Ich folgte seinem Beyspiel, und mir schien es, als wenn die mit uns zechende Camilla Blicke voller Bedeutung auf mich warf. Ich glaubte sogar wahrzunehmen, daß sie die Zeit hierzu abpaßte, gleichsam aus 125 Besorgniß, ihr Bruder möcht' es bemerken. Mehr war nicht nöthig, mich zu überführen, daß die Dame ein Auge auf mich habe, und ich schmeichelte mir, diese Entdeckung zu nutzen, wenn ich mich nur einige Zeit noch in Valladolid aufhielte. Diese Hoffnung war Ursache, daß ich ihrer Bitte, einige Tage bey ihnen zuzubringen, ohn' alle Schwierigkeit nachgab. Sie dankten mir für meine Gefälligkeit, und die Freude, die Camilla hierüber blicken ließ, bestärkte mich in dem Wahne, daß ich ihr gar sehr behagte.

Als mich Don Raphael entschlossen sahe, eine Zeitlang bey ihm zu verweilen, schlug er mir vor, mich mit auf sein Schloß zu nehmen, wovon er mir eine gar herrliche Beschreibung machte; er sprach hierauf von nichts, als von den Vergnügungen, die er mir daselbst zuzubereiten gesonnen sey. Bald, sagt' er, wollen wir uns mit der Jagd, bald mit dem Fischfang belustigen, und sind Sie ein Liebhaber von Promenaden, so finden Sie daselbst die angenehmsten Waldungen, die prächtigsten Gärten. Ueberdieß soll's uns an guter Gesellschaft nicht fehlen, und die Zeit, hoff' ich, wird Ihnen dort nicht lang werden. Ich nahm den Vorschlag an, und wir trafen Abrede, morgen nach dem schönen Schlosse zu fahren. Voll von einem so schönen Plan standen wir von der Tafel auf. 126

Don Raphael schien hierüber voll freudigsten Entzückens. Ich lasse Sie bey meiner Schwester, sagte er, indem er mich umarmte. Ich will sofort die nöthigen Verfügungen zu unserer Abreise treffen, und alle diejenigen einladen lassen, die mit von der Partie seyn sollen. Mit diesen Worten verließ er das Zimmer, und ich unterhielt mich noch ferner mit der Dame, deren Reden ihren vorigen Liebäugeleyen nicht widersprachen. Sie nahm mich bey der Hand und sagte, indem sie auf meinen Ring sahe: Sie haben da einen ganz art'gen Diamanten; aber er ist herzlich klein. Sind Sie ein Kenner von Edelsteinen?

Ich. Nein, Sennora.

Die Dame. Das bedaur' ich; sonst hätten Sie mir diesen hier schätzen sollen. ( Sie zeigte mir einen großen Rubin, den sie am Finger hatte, und fuhr in der Zeit, daß ich ihn betrachtete, folgendermaßen ford.)Einer meiner Onkel, ehmahliger Gouverneur der Spanischen Besitzungen auf den Philippinischen Inseln, hat mir diesen Rubin geschenkt. Die hiesigen Juweliere schätzen ihn auf dreyhundert Pistolen.

Ich. Das glaub ich. Er ist ungemein schön.

Dame. Gefällt er Ihnen, nun so wollen wir tauschen.

Sogleich nahm sie meinen Ring, und steckte mir dafür den ihrigen an. Nach diesem 127 Tausche, der mir ein auf gute Art gemachtes Geschenk schien, drückte mir Camilla die Hand, und blickte mich mit einer zärtlichen Miene an, hernach brach sie plötzlich das Gespräch ab, wünschte mir gute Nacht, und begab sich äusserst betroffen fort, gleichsam aus Scham, mir ihr Herz so in seiner Blöße gezeigt zu haben.

So sehr Neuling ich auch in der Galanterie war, so merkt' ich doch, daß ein so schleuniger Aufbruch glückweissagend für mich sey, und schloß, daß ich meine Zeit auf dem Lande recht wohl hinbringen würde. Voll von dieser schmeichelhaften Vorstellung, und der so vortheilhaften Lage meiner Umstände, schloß ich mich in mein Schlafzimmer ein, nachdem ich meinem Kerl gesagt hatte, er sollte mich früh aufwecken. Anstatt aber an Ruhe zu denken, überließ ich mich den angenehmen Betrachtungen, die mir mein auf dem Tisch stehendes Felleisen und mein Rubin einflößten.

So sind denn, Dank sey es dem Himmel, sagt' ich, alle meine Unglücksfälle geendigt. Tausend Ducaten auf der Einen Seite, ein Ring von dreyhundert Pistolen auf der andern, da bin ich lang bey Casse. Majuelo, merk' ich wohl, hat mir nicht geschmeichelt. Ich werde in Madrid tausend Weiber in Flammen setzen, da ich Camille'n so mit Leichtigkeit erobert habe. Die Gütigkeiten dieser 128 großmüthigen Dame stellten sich mir in ihrem ganzen Reitze dar, und ich genoß schon zum voraus alle die Ergetzlichkeiten, die mir Don Raphael in seinem Schlosse zubereitete. Doch mitten unter diesen Wonnebildern streute der Schlaf seine Mohnkörner über mich aus. Sobald ich deren Kraft merkte, entkleidet' ich mich, und legte mich nieder.

Als ich aufwachte, merkt' ich, daß es schon ziemlich spät war. Ich erstaunte nicht wenig, daß mein Bedienter, ungeachtet meines Befehls, gar nicht zum Vorschein kam. Entweder, sagt' ich, steckt Ambrosio, mein treuer Ambrosio, in der Kirche, oder er ist heute bärenfaul. Ich verlor aber bald diese günstige Meinung von ihm, und faßte eine weit schlimmere. Denn wie ich aufgestanden war, und mein Felleisen nicht mehr sahe, hatt' ich ihn in Verdacht, es mir gestohlen zu haben. Um hierin Licht zu bekommen, öffnet' ich die Stubenthür, und rief zu verschiednen Mahlen nach meinem Häuchler.

Auf mein Rufen kam ein Alter, der mich fragte: Was verlangen Ihro Gnaden? Dero Leute haben schon insgesammt vor Tagesanbruch mein Haus verlassen. »Wie, Ihr Haus? Befind' ich mich nicht hier beym Don Raphael?« »In 'nem Hause, worin möblirte Zimmer vermiethet werden, Sennor, un ich bin der Wirth. Den Cavalier, nach dem 129 Sie fragen duhn, kenn' ich gar nicht. Gestern Abend, 'ne Stunde vor Ihrer Ankunft, kam die Dame, die zu Abend hier mit Ihnen speiste, un miethete diese Zimmer für 'nen vornehmen Herrn, der, wie sie sagte, incognito reiste, un bezahlte mich sogar zum voraus.

Nun merkt' ich, wie die Karten gemischt waren, wußte, was ich von Camille'n und dem Don Raphael zu halten hatte, und sah' ein, daß mein Bedienter, der von allem, was mich betraf, genau unterrichtet war, mich an diese Spitzbuben verrathen und verkauft hatte. Statt mir diesen traurigen Zufall selbst beyzumessen, zu bedenken, daß ich ihn mir durch meine unnöthige und höchst unvorsichtige Herzensausschüttung gegen den Majuelo zugezogen hatte, schob ich alles auf die unschuldige Fortuna, und verfluchte tausendmahl mein Geschick. Der Zimmerverleiher, dem ich mein Abenteuer erzählte, das er vielleicht so gut wußte, wie ich, schien an meiner Betrübniß vielen Antheil zu nehmen, bedauerte mich, und versicherte: es thäte ihm in der Seele weh, daß sich die Geschichte bey ihm zugetragen habe. Doch, Trotz diesen Betheurungen glaub' ich, daß er bey dieser Betrügerey nicht weniger mitgewirkt hatte, als mein Wirth zu Burgos, dem ich die Ehre der Erfindung stets gelassen habe. 130

 


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