Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Siebentes Kapitel.

Was Gil Blas nunmehr für Saiten aufzieht.

Die ersten Tag' über glaubt' ich meinen herznagenden Kummer nicht tragen zu können, meine Kräfte welkten dem Grabe immer mehr zu, endlich raunte mir mein guter Genius in's Ohr: Verstelle Dich! Ich ließ wenig Traurigkeit mehr blicken, hob an zu lachen und zu singen, so wenig beydes mir auch von Herzen ging; mit Einem Worte, ich spielte meine Rolle so gut, daß Leonarde und Domingo dadurch hintergangen wurden. Sie bildeten sich ein, der Vogel gewöhne sich an den Käfich. Eben das dachten auch die Räuber. Ich schenkt' ihnen mit einer lustigen Miene zu trinken ein, und konnt' ich irgendwo einen schnurrigen Einfall anbringen, so mischt' ich mich in ihre Gespräche. Eine Dreistigkeit, die ihnen gar nicht zuwider war, woran sie vielmehr Behagen fanden.

Eines Abends, als ich den lustigen Rath machte, sagte der Hauptmann zu mir: Bravo! bravo. Gil Blas! Recht gut gemacht, daß Du all' den Grillenfang zum Henker geschicket hast! Deine Laune und Dein Witz gefällt mir ungemein. Ich hätte Dich nicht für einen so guten und witzigen Kopf gehalten. 52 Aber unter einem schlechten Mantel steckt oft ein guter Saufbruder.

Die anderen von der edlen Compagnie ertheilten mir gleichfalls tausenderley Lobsprüche, und ermahnten mich immer so brav zu denken. Da sie allesammt so zufrieden mit mir schienen, glaubt' ich eine so gute Stimmung nutzen zu müssen: Meine Herren, sagt' ich, erlauben Sie mir frey vom Herzen wegzureden. Seit ich bey Ihnen bin, fühl' ich mich ganz anders als zuvor, befreyt von den leidigen Vorurtheilen meiner Erziehung. Ihr Geist ist unvermerkt in mich gefahren. Ich find' an Ihrem Metie den größten Geschmack; sterbe fast vor Verlangen nach der Ehre, Ihr College zu heißen, und die Gefahren Ihrer Feldzüge mit Ihnen zu theilen.

Diese Rede erhielt den Beyfall Aller. Man lobte durch die Bank meinen guten Willen, beschloß nachher einmüthig, mich noch eine Zeitlang dienen zu lassen, um meinen Beruf zu prüfen, hernach wolle man mich einige Züge mitmachen lassen, und mir sodann den verlangten Platz zugestehen, den man einem jungen Menschen von so gutem Willen unmöglich versagen könnte.

So mußt' ich dann meine Zwangsrolle fortspielen, und noch immer das Schenkenamt versehen. Mir that dieß sehr weh, denn ich wünschte bloß darum Räuber zu werden, um wie die 53 Andern die Höhle verlassen zu können; und hoffte bey irgend einer Streiferey ein Mittel zu finden, ihnen zu entwischen. Lediglich diese Hoffnung fristete mein Leben. Nichtsdestoweniger ward mir das Warten zu lange, und ich versucht' es mehr als einmahl, Domingo's Wachsamkeit zu täuschen; umsonst! Er stand zu sehr auf seiner Huth. Hundert Orpheussen hätt' ich es nicht zugetraut, diesen Cerberus einzuschläfern. Zwar ist auch wahr, daß ich nicht alle Wege, ihn zu hintergehen, einschlug, um mich nicht verdächtig zu machen. Ich mußte sehr vorsichtig zu Werke gehen, damit mein ewiger Beobachter mich nicht errieth. Sonach sah' ich mich genöthiget, mein Vorhaben bis in die von den Räubern anberaumte Zeit hinauszuschieben. Ich hatte darnach solche Sehnsucht, als wenn ich in die Ostindische Compagnie hätte treten sollen.

Ein halbes Jahr nachher kam, dem Himmel sey Dank, dieser Zeitpunct. Meine Herren, sagte eines Abends Sennor Rolando zu seinen Kriegsgefährten, wir müssen dem Gil Blas Wort halten. Mir scheint's ein recht braver Junge, gemacht um in unsere Fußstapfen zu treten. Wir wollen noch was Rechts aus ihm ziehen, hoff' ich. Morgen, dächt' ich, nehmen wir ihn mit hinaus auf die Landstraße, damit er dort Lorbern einsammelt. Wir 54 wollen die Müh' über uns nehmen, ihm den Pfad zum Ruhme zu bahnen.

Die Räuber pflichteten ihrem Hauptmanne bey, und um mir zu zeigen, daß sie mich bereits als ihren Gefährten ansähen, überhoben sie mich von diesem Augenblick an der Aufwartung. Jungfer Leonarde ward wieder in das Amt eingesetzet, das man ihr abgenommen hatte, um es mir zu geben. Ich mußte auf Befehl meiner jetzigen Kameraden die bisherige Kleidung, einen abgetragenen kurzen LeibrockVon der Art, wie ihn die jungen Theologen der Römisch-katholischen Kirche zu tragen pflegen, und den die Franzosen soutanelle nennen. – A. d. Uebers. ablegen, und mich mit dem Anzuge eines Edelmanns ausschmücken, den sie vor Kurzem rein ausgeplündert hatten. Hierauf schickt' ich mich zu meinem ersten Feldzuge an.

 


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