Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Fünftes Kapitel.

Gil Blas nimmt beym Doctor Sangrado Dienste, und wird ein berühmter Arzt.

Ich entschloß mich, zum Sennor Arias von Londonna zu gehen, und mir in seinem Verzeichnisse eine neue Stelle auszusuchen; allein eben wie ich im Begriffe war, in den KehrwiederumKehrwiederum. So glaub' ich das Niedersächsische Keerwedder, das eine Sackgasse bezeichnet, um es zu verhochdeutschen, abändern zu müssen. – A. d. Uebers. zu treten, worin er wohnte, stieß ich auf den Doctor Sangrado, den ich seit meines Herrn Tode nicht gesehen hatte. Ich nahm mir die Freyheit, ihn zu grüßen. Er kannte mich gleich unter meinem jetzigen Kleide, ließ einige Freude blicken, mich zu sehen, und sagte zu mir: Sieh da, mein Sohn! eben dacht' ich an Dich. Ich brauche ein tüchtiges Subject zum Domestiken, und da fielst Du mir ein. Du scheinst ein guter Schlag von Menschen, und könntest Du lesen und schreiben, so würdest Du, glaub' ich, sehr mein Casus seyn. »Kömmt's bloß auf Lesen und Schreiben an, Herr Doctor, so bin ich Ihr Mann, denn ich kann beydes. « 168

Wenn sich das so verhält, erwiederte der Arzt, so bist Du gerade der Mensch, dessen ich bedarf. Komm mit mir, Du sollst es recht gut bey mir haben, mit Distinction von mir begegnet werden. Lohn wirst Du zwar nicht bekommen, indeß soll Dir nichts abgehen; weder victu noch amictu und ich werde Dich die große Kunst lehren, alle Krankheiten zu heilen. Mit einem Worte: Du sollst mehr mein Eleve als mein Diener seyn.

Ich nahm des Doctor's Vorschlag an, in der Hoffnung, unter der Anweisung eines so großen Gelehrten mich in der Arzneykunst berühmt zu machen. Er führte mich sogleich in sein Haus, und setzte mich in das mir bestimmte Amt ein, das in nichts anderm, als im Ausschreiben der Nahmen und Wohnungen derjenigen Kranken bestand, die nach ihm schickten, wenn er aus war. Zu dem Ende hielt er ein Register, worin eine alte Magd, die sein ganzes Hausgesinde ausmachte, Nahmen und Wohnungen bisher hatte eintragen müssen; allein außerdem, daß sie nichts von Orthographie verstand, kratzte sie so hühnermäßig, daß man gemeiniglich ihre Schreiberey nicht zu entziffern vermochte. Dieß Buch, das man mit Recht das Todtenregister nennen konnte, weil fast alle diejenigen starben, die darin eingetragen wurden, mußte ich nunmehr führen. Ich schrieb also, so zu sagen, diejenigen ein, die 169 eine Reise nach der andern Welt machen wollten, so wie ein Postsekretair die Nahmen derer, die sich auf der Landkutsche oder Post Plätze bestellen. Weil damahls zu Valladolid kein Arzt so im Rufe stand, als Sennor Sangrado, mußt' ich gar oft die Feder zur Hand nehmen. Diesen Ruhm hatt' er durch allerhand hochtönenden und buntdurchgespickten Schnickschnack sich erworben, der durch eine dreiste Miene, und einige glückliche Curen unterstützet wurde, die ihm mehr Ehre brachten, als er verdiente.

An Praxis fehlt' es ihm nicht, folglich auch nicht an Vermögen. Dessenungeachtet machte er im Essen keinen größeren Aufwand, vielmehr lebte man bey ihm höchst kärglich. Wir aßen gemeiniglich nichts als Erbsen, Bohnen, gekochte Aepfel oder Käse. Alle diese Speisen, sagt' er, sind dem Magen am zuträglichsten, indem sie zur Trituration oder Zermalmung am tauglichsten sind. Für so leicht verdaulich er sie aber auch hielt, so wollt' er dennoch nicht, daß man sich darin zu satt essen sollte; worin er zuverläßig viel Klugheit bewies. Verboth er aber mir und der Magd viel zu essen, so erlaubte er uns dagegen Wasser zu trinken, so viel uns nur immer beliebte. Anstatt uns hierin Schranken zu setzen, sagt' er uns vielmehr öfter: Trinkt, meine Kinder. Die Gesundheit bestehet in der Geschmeidigkeit, 170 und humectation der Bestandtheile des Körpers. Trinket nur häufig Wasser. Dieß ist ein allgemeines Dissolvens. Es schmilzt alle Salze, befördert die Circulation des Bluts, wofern es zu langsam fließt, und hält dessen impetum zurück, wenn es zu praecipitirend ist.

Unser Doctor glaubte hieran selbst so treuherziglich, daß er nie etwas anders trank, als Wasser, ob er gleich tief in die Jahre war. Er definirte das Alter als eine natürliche Schwindsucht, die uns austrocknet und verzehret; und dieser Definition zufolge, beweinte er die Unwissenheit derjenigen, die den Wein die Milch der Alten nennen. Der Wein, behauptete er, riebe sie auf, zerstörte ganz ihr Urwesen. Dieß internecive Getränk, setzte er mit vieler Beredsamkeit hinzu, ist sowohl für sie, als auch für die ganze Welt ein verrätherischer Freund, eine Schlange unter Rosen.

Trotz dieser hochgelehrten Beweise bekam ich, wie ich acht Tage in diesem Hause gewesen, einen Durchfall, auch meldeten sich heftige Magenschmerzen; welches beydes ich dem allgemeinen Dissolvens, und der schlechten Kost zuzuschreiben verwegen genug war. Ich beklagte mich hierüber gegen meinen Herrn, in der Meinung, er würde mich weniger strenge Diät halten lassen, und mir bey den Mahlzeiten etwas Wein erlauben; allein, er war 171 zu sehr Feind dieses Getränks, um mir dieß zu bewilligen. Wenn Du nur erst habitum im Wassertrinken hast, sagte er, so wirst Du einsehen, was für eine treffliche Sache es darum ist. Wofern Du übrigens das bloße Wasser abhorrirest, so gibt es mancherley unschuldige Hülfsmittel, wodurch man den Magen gegen das Erschlaffende dieser aquosen Getränke fortificiren kann. Salbey exempli gratia, und Ehrenpreis geben ihm einen sehr angenehmen Geschmack; willst Du ihn noch angenehmer haben, so darfst Du nur Nägelein, Roßmarin und Klapperrosen darein werfen.

Ob er mir nun gleich das Wasser so vorrühmte, obgleich er mir das Arcanum lehrte, die köstlichsten Getränke aus demselben zu verfertigen, so trank ich dennoch mit vieler Mäßigung. Als er dieß wahrnahm, sagte er zu mir: Wahrlich nun wundr' ich mich gar nicht mehr, Gil Blas, daß Du keiner vollkommenen Gesundheit geniessest. Du trinkest nicht genug, mein Freund. Wasser in geringer Quantität zu sich genommen, dienet zu weiter nichts, als die Gallenparticulchen zu entwickeln und sie in mehrere Activität zu setzen, statt daß sie durch häufig gebrauchte Verdünnungsmittel ersäufet werden müssen. Besorge nicht, mein Kind, daß die Abundanz des Wassers Deinen Magen debilitiren oder refrigeriren möge. Verbanne dieses panische Schrecken, das 172 Dich vielleicht vom Wassertrinken detiniret. Ich stehe Dir für den besten Success, und hast Du an der Bürgschaft nicht genug, so soll Celsus selbst Dir Währmann seyn. Dieß latein'sche Orakel leget dem Wasser gar vortreffliche Encomia bey. Hierauf sagt' er ausdrücklich: alle diejenigen, die ihr Weintrinken mit ihrem schwachen Magen entschuldigen, laediren palamdieses viscus, und suchen nur ihre Sensualität zu bemänteln.

Da es sich gar übel würde geschickt haben, mich bey meinem Eintritt in die medicinische Laufbahn ungelehrig zu bezeigen, so stellt' ich mich völlig seiner Meinung zugethan. Die Wahrheit zu sagen, war ich es auch. Ich fuhr also fort, auf Celsus Gewährleistung Wasser zu trinken, oder vielmehr, ich begann durch häufigen Genuß dieses Getränks die Galle zu ersäufen, und ob ich gleich von Tage zu Tage mehrere körperliche Beschwerden fühlte, so behielt doch das Vorurtheil über die Erfahrung die Oberhand. Ich hatte, wie hieraus zu ersehen ist, die glücklichste Anlage zum Arzte. Indeß konnt' ich die zu stark überhand nehmenden Schmerzen nicht länger ertragen, weßhalb ich endlich den Entschluß faßte, den Doctor Sangrado zu verlassen. Er trug mir aber ein neues Amt aus, was mich denn anders Sinnes machte. 173

Höre, sagte er eines Tages zu mir, ich bin nicht von jenen harten und undankbaren Herren, die ihre Domestiken in der Knechtschaft grau werden lassen, bevor sie selbige largiren. Ich bin mit Dir zufrieden, liebe Dich, und bin resolviret, ohne Deine fernerweitigen Dienste zu erwarten, Dir von heut' an Dein Glück zu machen. Ich will Dir sogleich das ganze Geheimniß der heilsamen Kunst entdecken, die ich seit so vielen Jahren treibe. Die andern Aerzte lassen deren Kenntniß in tausend mühsamen Scienzen consistiren, ich aber bin gesonnen, Dir einen so langen Weg zu abbreviiren, und Dich von der Mühe zu dispensiren, Physicam, Pharmaciam, Botanicam und Anatomiam zu studieren. Wisse mein Freund, daß weiter nichts nöthig ist, als aderlassen und warmes Wasser trinken. Hierin bestehet das mysterium, alle Krankheiten in der Welt zu heilen. Ja, dieß simple Arcanum, das ich Dir detegire, und das die für meine Mitbrüder undurchdringbare Natur meinen Beobachtungen nicht hat detrahiren können, ist in diesen beyden Stücken eingeschlossen, in Aderlassen und häufigem Trinken. Weiter hab' ich Dich nichts zu lehren; nunmehr verstehest Du die Medicin aus dem Grunde, und wenn Du die Früchte meiner langen Erfahrungen benutzest, wirst Du mit einem Mahle so habil werden, wie ich. 174

Nunmehr kannst Du mir subserviren, fuhr er fort, des Morgens das Register halten, und des Nachmittags die Eine Hälfte meiner Patienten besuchen. Indeß, daß ich den Adel und die Geistlichkeit providire, kannst Du statt meiner zu denen vom Mittelstande gehen, die mich zu sich vociren lassen, und wenn Du eine Zeitlang wirst medicinam exerciret haben, so sollst Du mea auctoritate in unser Collegium recipiiret werden. Du bist gelehrt, Gil Blas, ehe Du Doctor bist, anstatt daß Andre lange Zeit, ja gemeiniglich ihr ganzes Leben hindurch Doctores sind, ohne daß sie gelehrt werden.

Ich dankte dem Doctor, daß er mich in so Kurzem für fähig gehalten hätte, mich zu seinem Substituten zu machen, und um mich für seine gegen mich geäusserte Gütigkeit erkenntlich zu bezeigen, versichert' ich ihm seinen Meinungen lebenslang anzuhängen, sollten sie auch den Meinungen des Hippokrates schnurstracks entgegen laufen. Eine Versicherung, die mir nicht von Herzen ging. Denn in Rücksicht auf das Wassertrinken pflichtete ich ihm gar nicht bey, nahm mir sogar vor, alle Zeit, wenn ich zu den Patienten ging, Wein zu trinken.

Ich hing mein gesticktes Kleid zum zweytenmahl an den Nagel, und zog einen Rock 175 von meinem Herrn an, um mir ein medicinisches Ansehen zu verschaffen. Hierauf schickt' ich mich an, auf Kosten aller derer los zu kuriren, die zu uns schicken würden. Den Anfang macht' ich mit einem Alguazil, der Seitenweh hatte. Ich befahl, ihm ohn' alle Barmherzigkeit aderzulassen, und das warme Wasser nicht zu sparen. Nachher ging ich zu einem Pastetenbäcker, der wegen des Zipperleins gar erbärmlich schrie. Ich schonte sein Blut so wenig, als das Blut des Alguazils, und verordnete ihm von einem Moment zum andern Wasser zu trinken zu geben. Ich erhielt für meine Verordnung zwölf Realen, wodurch ich nicht wenig Lust und Liebe zum Dinge bekam, und von Stund' an nichts wünschte, als mehr solche Fische in solchen Teichen zu fangen.

Wie ich vom Pastetenbäcker herauskam, stieß ich auf Fabrizio'n, den ich seit des Licentiaten Tode nicht gesehen hatte. Er betrachtete mich lange mit Erstaunen, hernach begann er aus Leibeskräften zu lachen. Ohne Grund lacht' er nicht. Ich hatte einen Mantel an, der hinter mir herschleppte, und ein Wams und Beinkleider, die viermahl länger und weiter waren, als nöthig; ich machte wirklich eine originelle und groteske Figur. Ich ließ ihn sich satt lachen, zwar nicht ohne gleiche Anwandlung zu fühlen, allein um das Decorum auf der Straße zu beobachten, und die 176 Rolle eines Arztes, der zuverläßig kein lachbares Thier ist, besser vorzustellen, hielt' ich an mich. Hatte Fabrizio über meine lächerliche Gestalt gelacht, so mußt' er es über meine Gravität noch mehr. Nachdem er sich recht weidlich ausgeschüttet hatte, sagte er zu mir: Wahrhaftig und Gott! Gil Blas! Du bist schnurrig ausstaffirt! Wer Teufel hat Dich denn so verpopanzt? Nur sachte mein Freund, sagte ich, nur sachte! habe Respect vor einem neuen Hippokrates. Wisse, daß ich der Substitut des Doctor Sangrado bin, des bühmtesten Arztes zu Valladolid. Ich befinde mich seit drey Wochen bey ihm, er hat mich auf's gründlichste in der Medizin unterrichtet; und da er alle seine Patienten nicht bestreiten kann, so geh' ich ihm an die Hand, und besuche die Eine Hälfte. Er geht in die großen Häuser, und ich in die geringeren.

Gut gemacht! antwortete Fabrizio, das will sagen, er überläßt Dir das Blut des Pöbels, und behält das Blut der Vornehmen für sich. Ich wünsche Dir Glück, daß Dir jenes ist zu Theil geworden. Es ist besser, mit Hans Hageln zu thun zu haben, als mit den großen Hänsen. Gott ehr' mir einen Vorstadtsmedicus! Seine Fehler fallen nicht so in die Augen, und seine Meuchelmorde machen nicht so viel Aufsehen. In der That, mein Kind, Dein Loos scheint mir beneidenswerth, 177 und mit Alexander'n zu reden, wär' ich nicht Fabrizio, so möcht' ich Gil Blas seyn!

Um den Sohn des Barbierers Nunnez zu überführen, daß er meinen Stand mit Recht glücklich gepriesen habe, zeigt' ich ihm die Realen des Alguazils und des Pastetenbäckers. Hierauf begaben wir uns in ein Weinhaus, um einen Theil davon zu vertrinken. Man brachte uns ziemlich guten Wein, den mir aber meine Zechlust besser finden ließ, als er wirklich war. Ich that tüchtige Züge, und je mehr ich davon in den Magen goß, je lebhafter empfand ich – das Lateinische Orakel mag es mir nicht übel nehmen – daß mir dieß Viscus mit der Läsion, die ich ihm zufügte, nichts weniger als unzufrieden war. Wir hielten uns lang' in diesem Weinhause auf, und machten uns nach Bedientenweise auf Kosten unserer Herren gar weidlich lustig. Als wir endlich die Nacht anbrechen sahen, schieden wir von einander, mit dem Versprechen, morgen um eben die Zeit, an eben dem Orte wieder zusammenzukommen. 178

 


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