Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Wie es in der Höhle aussah.

Nun wußt ich, bey was für einem Schlage von Leuten ich war, und man kann sich leicht vorstellen, daß diese Entdeckung meine vorige 27 Furcht zwar zerstreute, daß sich aber ein größeres, gegründeteres Entsetzen aller meiner Sinne bemächtigte. Ich glaubte mein Leben sammt meinen Ducaten einzubüßen. Indem ich mich also als ein zum Altare geschlepptes Schlachtopfer betrachtete, schwankt' ich mehr tot als lebendig zwischen meinen Führern. Sie fühlten, wie sehr ich zitterte, und ermahnten mich, nicht bange zu seyn; aber umsonst. Wir waren ungefähr zweyhundert Schritte einen beständigen Wendelgang heruntergestiegen, als wir in einen Stall traten, der durch zwey große, eiserne Gewölbelampen erleuchtet wurde. Stroh war daselbst in Menge, und viele Tonnen Gerste; zwanzig Pferde konnten in diesem Raume gemächlich stehen, ob sich gleich jetzt nur die beyden angekommenen darin befanden. Ein zwar alter, dem Anscheine nach aber noch ziemlich rüstiger Neger, band sie an die Raufe.

Wir gingen aus dem Stalle, und gelangten beym düstern Scheine einiger andern Lampen, die nur diese Orte zu erleuchten schienen, um deren Gräßlichkeit zu offenbaren, in die Küche, wo ein altes Mütterchen Fleisch röstete, und das Abendessen zubereitete. Die Küche war mit den nöthigen Geschirren, und die daranstoßende Speisekammer mit allerhand Mundvorrath versehen. Die Köchinn – ich muß 28 ihr Porträt entwerfen – war eine Matrone, die wohl einige sechzig Jahre auf dem Rücken trug. In ihrer Jugend mußte sie recht hochblondes Haar gehabt haben, denn die Zeit hatte nicht einmahl so viel Silber darauf gestreut, daß nicht noch einige Schattirung seiner ersten Farbe hervorgeschimmert hätte. Ausser einem Olivengesichte hatte sie einen spitzen, hervorragenden Kinn mit tiefeingesunkenen Lippen; eine mächtige Habichtsnase stieg über ihren Mund herab, und ihre Augen waren mit einem sehr schönen, purpurrothen Saume eingefaßt.

Hier, Jungfer Leonarda, sagte einer von meinen Begleitern, indem er mich diesem schönen Engel der Finsterniß vorstellte, hier haben wir Ihr einen jungen Burschen mitgebracht. Hierauf wandt' er sich zu mir, und da er mein Armsündergesicht wahrnahm, sagt' er: Laß deine Furcht fahren, guter Freund! Dir soll kein Leides geschehen. Wir brauchten einen Menschen, der unsrer Köchinn an die Hand gehet; fanden Dich, und das wird Dein Glück seyn. Du sollst die Stelle von dem jungen Burschen vertreten, der uns vor vierzehn Tagen starb. 'S war eine elende, pipige Krabbe. Du scheinst eher einen Puff aushalten zu können, wirst so bald nicht sterben. Die Sonne wirst'u freylich nicht mehr zu sehen kriegen, dafür aber in einem recht vollen und warmen 29 Neste zu sitzen kommen; Dein täglicher Umgang wird Leonarda seyn, ein recht gutes, gefälliges Ding. Abgehen soll Dir ganz und gar nichts. Und damit Du siehst, daß Du nicht unter Bettler gerathen bist, so komm! Er nahm bey diesen Worten ein Licht, und wir gingen.

Zuerst führt' er mich in einen Keller, worin wohlzugepfropfte gläserne Flaschen und irdene Krüge in Menge standen, in welchen, wie er sagte, trefflicher Wein war. Von da gingen wir durch viele Stuben; in einigen lagen Stücke Leinwand, in andern wollene und seidene Zeuge, in noch andern Gold und Silber, ohne das Eß- und Trinkgeschirr von eben dem Metalle zu rechnen, das sich in verschiedenen Schränken befand. Nunmehr kamen wir in einen großen Saal, von drey kupfernen Kronleuchtern erhellet, der nach andern Zimmern hinführte. Hier examinirte mich mein Führer von neuem, erkundigte sich nach meinem Nahmen, nach der Ursache, derentwegen ich Oviedo verlassen, und als ich seine Neugier völlig befriediget hatte, sagt' er zu mir: Nu, Gil Blas, Du verliessest dein Vaterland, um wo unterzukommen, fürwahr, Du mußt ein recht Glückskind seyn, daß Du in unsre Hände gerathen bist. Wie gesagt, Du wirst hier die Hüll' und die Fülle haben, und in Gold und Silber sitzen, bis über die Ohren. Und sicher bist'u hier, wie die Maus in 30 ihrem Loche. Die heilige Hermandad»Die heilige Hermandad, la santa Hermandad oder die heilige Brüderschaft, ein Corps berittener Polizeybedienten, deren Geschäft es ist, das ganze Königreich zu durchstreifen, Land und Straßen von Räubern und dergleichen Gesindel rein zu halten, und anderm Unfuge zu wehren.« – D. Uebers. mag hundertmahl hier im Walde herumstöbern, so wittert sie diese Gruft doch nicht aus. Bloß meine Kameraden und ich kennen den Eingang. Vielleicht möchtest'u gern wissen, wie diese unterirdische Höhle gemacht worden ist, ohne daß die Leute in der Nähe das Geringste davon gemerkt haben; so laß Dir dann sagen, daß es nicht unser Werk ist, sondern das Werk längst verflossener Jahre.

Nachdem sich die Mauren Granada's, Arragonien's, ja fast des ganzen Spanien's bemächtigt hatten, flohen die Christen, die das Joch der Ungläubigen nicht tragen wollten, und verbargen sich hier zu Lande, in Biscaya und Asturien, wohin sich der tapfere Don Pelagio gesichert hatte. Diese truppweis zerstreuten Flüchtlinge lebten in Gebirgen oder Wäldern; etliche in Höhlen oberhalb der Erde, etliche in selbstgemachten Höhlen unterhalb derselben, zu welchen letztern 31 diese auch gehört. Nachdem sie hierauf so glücklich waren, ihre Feinde aus Spanien zu treiben, kehrten sie wieder in die Städte zurück. Seit der Zeit sind ihre Zufluchtsörter Schlupfwinkel für unsere Professionsverwandte geworden. Zwar hat die heilige Hermandad deren entdeckt und zerstört; es sind ihrer aber noch immer vorhanden, und ich habe, Dank sey dem Himmel, nun schon funfzehn Jahre in dieser ruhig gelebt. Ich heisse Hauptmann Rolando, bin das Haupt der Gesellschaft, und den Du bey mir sahst, ist einer von meinen Rittern.

 


 << zurück weiter >>