Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 1
Heinrich Laube

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Franzensbrunn.

Ueber eine belebte Fläche ging's nach dem eine kleine Stunde entfernten Franzensbrunn. Das ist ein kleiner saubrer Ort mit lauter massiven, hübschen Gebäuden. Es sieht so ausgekehrt und zierlich ausgeräumt aus, als käme man in eine alte Jungfern-Stube. Jenen Bildern von französischen Lustschlössern gleicht es; Klein- und Groß-Trianon und dergleichen fielen mir ein. Französisch munter ist der Ort ohne Humor und Wärme und ohne Schatten.

Unsre Aufgabe war aber nicht gering, das Mädchen aufzufinden, da wir nicht den kleinsten Anhaltspunkt wußten. Aber der Starost war fest entschlossen, sie zu finden. Wir fingen also unsre Untersuchung beim ersten Hause an, und unsre löbliche Absicht erstreckte sich auf ganz Franzensbrunn. Es ist ein Novellenstoff, welchen ich hiermit sehr empfehle, zwanzig bis dreißig verschiedene Wohnungen 443 hintereinander zu betreten: hier wird geschlafen, dort geweint, hier geliebt und dort geprügelt, und die Novelle geht wie ein verbindender Gedanke hindurch.

Wir traten in ein halbdunkles Vorzimmer; nach dem Lichte zu waren zwei große Glasthüren mit dünnem Flor verhangen, welcher die Durchsicht wenig hemmte. Vor dem hohen Spiegel sahen wir ein Mädchen stehn; sie war nur mit einem blendend weißen Unterröckchen bekleidet, und flocht sich mit vollen, frischen Armen die schwarzen Flechten des Haars. Ihr Kopf nach vornhin niedergebeugt, ein voller Nacken und feiste Schultern sahen uns lachend und keck in die Augen. Lautlos standen wir, mit halber Stimme sang sie vor sich hin:

So viel Vöglein, als da fliegen,
Als da hin und wieder fliegen,
So viel Grüße send' ich dir!

Jetzt wendete sie sich nach einem Seitentisch, um etwas an sich zu nehmen, wir sahen das Profil – es war unser bairisches Mädchen. Der Starost drückte mir krampfhaft die Hand. Das hieß so viel, als bleibe zurück. Ich ließ mich still auf einen Stuhl nieder. Er schlich leise hin, öffnete die Thür, und trat ein – sie erblickt ihn im Spiegel, ruft seinen Namen, und schreit laut auf. Der Starost hält einen Augenblick inne, und das verwunderte 444 mich – sie spricht französisch, das verwunderte mich noch mehr. Jetzt eilt er zu ihr, ergreift ihre Hand, und küßt sie lebhaft, ich seh' noch einmal ihr volles Gesicht, aber es ist ein andres, es ist nicht das des bairischen Mädchens, inniges Bitten liegt darauf, ich höre deutlich die Worte, daß sie jeden Augenblick ihren Gemahl erwarte. Wirklich kommen hastige Schritte die Treppe herauf, der Thür des Vorzimmers zu – hastig rufe ich: »Er kommt«, setze meinen Stuhl dicht vor die Thür, und mich auf meinen Stuhl. – Stürmisch rennt der Eintretende an mich und meine Verschanzung, ich springe auf, um ihm die Aussicht zu benehmen, er fragt entrüstet, wer ich sei. Pantomimisch suche ich ihm begreiflich zu machen, daß ich stumm wäre, und hier auf Jemand warte. Er stößt mich bei Seite und eilt nach dem Zimmer, in welchem Niemand mehr zu sehen war. Diesen Moment aber benutze ich zum Entschlüpfen. Als ich auf die Straße komme, tritt eben aus dem Nachbarhause der Starost. Ohne zu wissen wohin, gehen wir eine Strecke fort, und er erzählt mir, daß die Dame eine alte Bekanntschaft aus Teplitz sei, und er in großer Eil durch Seitenzimmer, welche sich bis in das anstoßende Haus erstreckten, entkommen wäre.

Ich mahnte ihn daran, daß ich es durchaus nicht für gerathen hielt, dem Herrn Gemahl noch einmal zu begegnen, da meine stumme Rolle einige 445 Unannehmlichkeiten mit sich bringen könne, daß ich es also für besser erachtete, die Bairin aufzugeben, und nach Eger zurückzufahren. Aber er war durchaus nicht dahin zu bewegen, und zog mich in den Cursaal, wo eben gespeis't wurde. Wir setzten uns an die Tafel – neben uns saß das bairische Mädchen mit ihrer dicken, harthörigen Mutter.

Der Starost erneuerte mit Feuer die Bekanntschaft, und überschüttete das gesunde, natürliche Kind mit Liebeserklärungen. Sie kam nicht aus dem Rothwerden heraus, und beide Theile versäumten das schlechte Mittagessen. Nach aufgehobener Tafel ging man im Saale auf und nieder; ich nahm mich der harthörigen, bairischen Mutter an, und ließ mich angelegentlichst in alle Mysterien ihrer gestörten Verdauung einweihen, um welcher willen sie Ferdinandsbrunnen trinke. Sie liebte wie all' solche Figuren das Leben über Alles, und ich konnte nichts Besseres thun, als ihr mit rationellen, physikalischen und kabbalistischen Gründen zu beweisen, daß sie sehr, sehr alt werden müsse. Der Starost war mit der Tochter in ein Seitenzimmer getreten, ich stellte mich vor die halb offne Thür, und verhinderte durch lebhafte Unterhaltung die Mutter am Eintreten, und damit sie nicht hineinsehen könne, deutete ich auf einen erkältenden Zug, der aus dem Zimmer dränge. Sie trippelte auf die Seite, und ich ersuchte sie nun 446 um eine vollständige Geschichte ihrer Krankheit, damit ich ungestört nach der Scene in der Stube horchen könne.

Das Gespräch in jener Stube aber ward immer weicher, und stockte zuweilen; als ich mich einmal schnell umwendete, sah ich, daß der Starost seinen Arm um die Taille des Mädchens geschlungen hatte, daß die Tochter der dicken Mutter nur nachgiebig wehrte. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, denn sie kehrte mir den Rücken zu. Kaum zu meiner Magenstörung zurückgekehrt, sah ich jenen Herrn Gemahl mit seiner Frau in den Saal treten, und, Plätze suchend, langsam auf uns zu kommen. Ich stand auf Kohlen, denn meine stumme Rolle konnte arge Unannehmlichkeiten bringen. In diesem Augenblicke schrie das Mädchen im Nebenzimmer laut auf, und stürzte heraus in die Arme ihrer Mutter. Ich hörte nur noch ihre leise klagenden Worte: »Ach Gott, Mutter, er ist ein Jude!«

Der Herr Gemahl kam direkt auf mich los, ich zog mich eiligst in's Nebenzimmer zurück, Hut und Ueberrock im Stich lassend. »Fort, fort«, rief ich dem Starost zu, »der Gemahl kommt.« Wir eilten in's nächste Zimmer, in's dritte, die Schritte kamen hinter uns; die Zimmer waren zu Ende, der Ausgang verschlossen. Im Hui sprangen wir durch die offenen Fenster; der Saal und die Zimmer waren 447 auf ebner Erde. Entblößten Hauptes kamen wir beide zu unserm auf der Straße haltenden Postillon, und sprangen in den Wagen. Ich nahm dem Hansel die Zügel ab, mit einigen Zwanzigkreuzern bewehrt, wurde er abgeschickt, um das im Stich gelassene Material durch einen Kellner zu gewinnen. Ich fuhr uns eiligst aus der Schußweite bis vor das Städtchen.

Hansel ging lachend, und nach einer Viertelstunde kam er lachend wieder, und brachte Rock, Mantel und Mütze. Nur mein Hut fehlte; ich hatte den Kopf verloren, und barhäuptig kam ich nach Eger zurück.

Dort ging eben eine Post ab, ich requirirte eiligst eine Mütze, und fort ging's nach Baiern.

Ich dankte es meinem Vater innig, daß ich kein Jude sei.

 


 


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