Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 1
Heinrich Laube

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Rumohr.

Der Frühling ging, der Sommer kam; es war kühl und behaglich im Hotel, und objektiv ruhig in meinem Herzen. Es kamen Macaronis auf den Tisch, und ich beschloß nach Italien zu reisen, und theilte das meinem Nachbar mit, den ich nicht kannte. Ich hatte mir schon lange vorgenommen, wenn es einmal friedlich, menschenfreundlich in mir aussähe, und ich nichts als Luft und Sonne, und Gegend und schöne Augen brauchte, nach Oberitalien zu reisen. Die Reisebeschreibungen hatten mich immer abgeschreckt, aber schon in Tertia hatten mich stets die Hohenstauffen darnach lüstern gemacht. Sie hatten Alles dafür hingegeben, um sich die eiserne Krone aufzusetzen, es schien mir eine Art Verzauberung darin zu liegen, daß sie immer wieder hinzogen in das Land, wo sie schon so viel rothes teutsches Blut vergossen hatten, wo schon so viel schöne blasse, 281 teutsche Leichen lagen. Wenn ich von den Hohenstauffen hörte, so dachte ich an die zauberhaft schönen, goldnen Lombardischen Ebenen. Auch Goethe hatte mich sonst davon abgeschreckt, aber er hatte zwei Verse geschrieben, die mein Mund oft in warmen Nächten unwillkührlich sprach, wenn ein inniges Wohlsein durch mein Herz ging, eine Sehnsucht nach Schönheit, eine Liebe zu fernen unbekannten Menschengesichtern meine Seele schwellte, diese zwei Verse überfielen mich in jedem weichen Sommer zur Nachtszeit, wie liebenswürdige Diebe, heut sogar am Tage, als ein seidner Wind durch den Saal des Hotels strich. Es sind aber die Worte jenes wunderschönen Liedes, aus welchem tausend schöne Augen Italiens sehen:

»Ein leichter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrthe still, und hoch der Lorbeer steht.«

Mein Nachbar hatte bloß mit dem Kopfe genickt, er war in ein Frikassée vertieft und hatte keine Zeit. Ich wollt' es ihm eben noch einmal sagen, als mir der Wirth vom Hause, mein ritterlicher Freund, mit Hand und Auge winkte. Ich kannte jenen Wink, er sagte: Dein Nachbar ist ein berühmter Mann, und nun betrachtete ich ihn. Es war ein großer dicker Mann mit schmutziger Leibwäsche, der sehr angelegentlich zu Mittag aß. In seinem Gesicht fehlte alle Klarheit, der Frack war mit rothem Schnupftabak inficirt, und wenn er sich etwas vom Essen erholte, so stopfte er 282 solchen garstigen, unanständigen Tabak in eine weiche kraftlose Nase. Die ganze Person kam mir ungewaschen vor, denn ich mag nie begreifen, wie ein reinlicher Mensch, oder ein Liebhaber, oder Dichter, oder wer noch ein Stück Spiegel im Hause hat, Tabak schnupfen, ein Kothreservoir in seinem Gesicht anlegen kann. Das starke, in saftlosem Fleische baumelnde Gesicht hatte von edlem Ausdruck nur eine kultivirte Schlauheit, und eine fein fidele Gourmanderie.

Als die Tafel zu Ende war, holte er Athem, nahm eine Prise, sah mich an, und sprach: »das machen Sie recht, nach Italien zu reisen, das muß jeder Mann von Bildung, man muß seine Saison da zubringen, statt in den Bädern.«

Die kleinen Augen lächelten dazu, als zerdrückte die Zunge süße Konfitüren.

»Sind Sie nicht ein Herr von Uckermann,« fragte er.

Nein, mein Herr, ich bin kein Herr von Uckermann.

»Ach, Sie lächeln, Sie sind ganz gewiß ein Herr von Uckermann.«

Nein, mein Herr, ich bin ganz gewiß kein Herr von Uckermann.

Pause. Man flüstert mir in's Ohr, daß es Herr v. Rumohr sei.

283 Richtig, tief in den halbkahlen Kopf schlich die Stirn hinein, und da waren alle die feinen, glatten Gedanken zu sehen, die sich in Rumohrs Schriften finden. Das kleine Volk spielt Ecarté unter sich.

Nun entwickelte sich das Gespräch. Seine Manieren sind die eines sicheren Weltmannes, der Manieren hat, und gern herzlich thut, seine Sprache ist geräuschlos und ohne Prätension, wie sie ein objektiver Mann haben muß, und die Unterhaltung mit ihm ward sehr amüsant, wie sich das erwarten ließ.

Ich liebe es sehr, wenn man die einzelnen Dinge, ja oft die größeren Interessen, leicht, nebenher abmacht, nur berührt, und sich im eigentlichen Leben nicht stören läßt. Ich halte das Leben, das Dahingehn für die Hauptsache, und hasse die Geschäfte. Nichts ist mir widerwärtiger, als wenn unsre großen Interessen als Geschäfte betrieben werden, wenn man feierlich wird, sich erst räuspert, das Taschentuch herauszieht, eine Stelle citirt, oder den lieben Gott um Beistand bittet, den überhaupt die Leute sehr inkommodiren.

Man darf nach meinen Sympathien höchstens etwas davon thun, wenn man unter lauter Gegnern lebt, wo man fortwährend um Leben und Tod seiner Ansichten besorgt sein muß. –

Wenn man die groß und kleine Erfahrungs- und Wissenswelt durchrennt, so kommt man allmählig 284 zu der Einsicht, daß jedes Jahrhundert für irgend ein neu gewonnenes Terrain leidenschaftlich Partei nahm, daß dieses Terrain in Kurzem wie eine bekannte Gegend durch die vielen Reisenden abgenutzt war, daß eine neue Jugend der Weltgeschichte kam, daß das Neueste alt wurde. Darüber soll man nicht die Empfänglichkeit verlieren, man soll in jedem Frühlinge poetisch sein, und mit den Vögeln singen, aber man soll – human werden.

Humanität ist das Ziel aller Civilisation in allen einzelnen Radien, und Humanität ist mehr als strenges Rechthaben.

Ich weiß, daß die Forderungen, welchen wir Leute der brausenden Jugend uns anschließen, gerecht, tugendhaft sind, ich weiß es, daß ich dafür sterben werde, wenn es Noth thut, denn sie sind meine Religion; aber ich weiß auch, daß sie mein spekulatives Interesse bereits nicht mehr befriedigen, daß sie für mich bereits Geschichte sind, obwohl die Wirklichkeit noch lange nachhinken wird, ich weiß, daß sie darum an sich meine Leidenschaft nicht mehr erregen, denn nur das Werden und Entstehen verbündet sich mit der Leidenschaft, und daß jenes nur der Fall ist, wenn ich sie von arroganter Dummheit oder egoistischer Böswilligkeit angegriffen sehe.

Es ist mir indeß nicht unbekannt, daß man nicht in seidnen Strümpfen mit seidnen Handschuhen und 285 einem Paradedegen durch einen Wald geht, in welchen man erst einen Weg bahnen will, darum lieb' ich meine rauheren Kampfesbrüder, welche die hart ledernen Stiefel und den rauhen Filz tragen und schonungslos die große Holzaxt schwingen, um das Gestrüpp aus dem Wege zu räumen.

Während einer Entwickelungsperiode gilt das Martialgesetz in der Weltgeschichte, und es bedarf der schonungslosen Richter, aber es giebt kein Gesetz, das nicht zu streng wäre; ich würde auch an Septembertagen das leichte Leben eines Herrn v. Rumohr in Schutz nehmen.

Auch die demokratische Gesellschaft soll nicht tyrannisiren; es muß auch Jedem frei stehn, sich kein Verdienst um die Gesellschaft zu erwerben.

Die Leichtigkeit Rumohr's, über Alles Wichtige hinzugleiten, war mir angenehm. Er treibt's bis zur Koquetterie. Meinethalben. Er lies't keine Zeitung, sondern sein Jokey thut es für ihn, und referirt ihm nur, wenn etwas geschieht, also oft sehr lange nicht. Und es muß etwas Reelles geschehen, eh dieser Referent dran glaubt. Seit dem Falle Warschau's – an den Polen nehmen alle modernen Edelleute lebhaftes Interesse – hatte er bis zum Juni 1833 fast gar nichts geschehen lassen.

Uebrigens gab Rumohr der alten Zeit nur ungefähr noch drei Jahre zum Leben, »in zwei Jahr, 286 elf Monaten ist's mit ihr vorbei«, sagte er. Ich schreibe dies im December, also nur 29 Mal vier Wochen Geduld, das kann eine Welt schon aushalten, die bereits so viele hundert Jahre gewartet hat. Freilich sind die letzten Minuten im Kerker schlimmer und länger, als die ersten Jahre.

Er spricht mit liebenswürdiger Wegwerfung und erlaubter Selbstschätzung von seiner Schriftstellerei. Jetzt wird er Novellen schreiben und lauter Novellen, ich hab' ihm mit Eifer zugeredet. Wir saßen nebeneinander auf dem Fensterbrett, es lachte ein kultuvirter Fuchs dabei aus seinen Augen, und er wies auf eine schlanke Dame, die eben vorüberging, und sagte: »Die hat mir auch so zugeredet, und ist schuld, daß ich jetzt lauter Novellen schreiben werde«.

Ich sagte es ihm voraus, daß er unsern teutsch-lyrischen Kritikern mit seiner Formeneinfachheit nicht zusagen würde. Er zuckte die Achseln, und lächelte. Der Kellner George ward gerufen, wußte aber auch nicht, wo die teutsche unbefangene Kritik zu finden sey.

Wir haben beide Recht gehabt, sie tasten mit Nebelhänden seine steinernen Gestalten an. Uebrigens bin ich mit keinem seiner Bücher zufrieden, er weiß sie bloß anzufangen. Aber dieser Anfang eines plastischen Geschmacks ist schon der Rede werth.

287 Rumohr ist ein bequemer Mann, nicht geschaffen, um die Welt zu fördern in großen Schritten, aber doch, sie auf kleinen Promenaden zu begleiten, wo sie ihre Gesundheit stärkt zu spätern Reisen. Ich glaube, er ist ohne aristokratischen Beikram, bin aber nicht ganz sicher und äußerst mißtrauisch, da ich in neuerer Zeit so viel derartige Pferdefüße aus der unscheinbaren Verhüllung habe hervorkucken sehen. Dahin gehört die ganze südteutsche Schule der Aretin, Wangenheim, ein Mann mit schönem Geist und schlechtem Stil, der widerwärtige, breitmäulige, vorlaute, altkluge Gagern, eine publicistische Köchin Kotzebue's, die »Knochenzulage zum Fleisch«, die über Politik wie über Pfarrhausküchenangelegenheiten spricht, dahin gehört der berühmte Herr v. Stein.

Rumohr sagte, ich sollte mich jetzt nicht von ihnen stören lassen, wenn ich nach Südteutschland käme, würde ich ihnen doch nicht aus dem Wege gehn können.

Wir blieben noch eine Weile auf dem Fensterbrett sitzen, und kamen auf Heine zu sprechen. Von dem hatte er nichts als einen Aufsatz über eine Gemäldeausstellung gelesen. Daran war nun der Jokey schuld; meine 29 Mal vier Wochen wurden aber sehr dadurch erschüttert. Wie kann Einer die Zeit berechnen, der nicht einmal ihre bedeutendsten 288 Beweger kennt, wie kann eine Uhr richtig die Zeit weisen, wenn man bei'm Aufziehn nicht genau weiß, wie spät es ist.

Was er über Heine sprach, war vornehm artistisches tohu wahohu, ich gab ihm keine Antwort darauf, sondern rief den Jokey, und trug ihm auf, Herrn Henry Heine zu kaufen. Ich glaube aber nicht, daß Rumohrs einfach plastische, konservative Richtung des Schreibens Heine's revolutionaire Form je verstehen wird.

Und doch haben Beide einen Vereinigungspunkt in Göthe, aber von da aus gehen sie nach entgegengesetzten Seiten.

Es ist in Rumohr das Göthesche behagliche Wesen, und sobald das nichts Pretiöses zur Schau trägt, mag ich es gern leiden; es ist ein angenehmer, vornehmer Materialismus, der Wohlbehagen erzeugt. Göthe hat auch nur seinem Wohlbehagen all die Philosopheme angepaßt, die an ihm vorüber gegangen sind. Er war im Grunde der subjektivste Mann, aber er war ein Weltmann, der sein Gelüst zu verbergen wußte, und seiner Ton ist immer Objektivität.

So ist der Faust, der Spiegel von Göthes Innerlichkeit, eine verkörperte Entwickelung der philosophischen Ideen, wie sie eben im Schwunge waren. Das wird im zweiten Theile bis zur Fratze klar. – Wenn die Isabella in der Braut von Messina nur 289 einen Sohn gehabt hätte, so wäre das ganze Unglück nicht geschehen.

Mein ganzer Traum von der Schönheit des unvollendeten Faust ist vernichtet, meine Freude über die Poesie der Nichtvollendung dahin – o Göthe, warum hast du mir das gethan, und dir so viel Mühe gegeben, einen Schluß des Faust zu schreiben, und so gute Verse dafür zu machen!

Rumohr glitt herunter vom Fensterbret, und sagte schüchtern: »Sie sind doch wohl ein Herr v. Uckermann?«

Nein, mein Herr, sagte ich, ich bin kein Herr v. Uckermann, aber ich bin des Teufels.

»Das thut nichts«, erwiderte er, »darf ich fragen, warum?«

Nein, mein Herr, das dürfen Sie nicht; denn Sie würden meinen Teufel nicht erkennen, Sie sind ein Artist, und was die teutschen Lyriker zu Viel haben an nebelhafter Poesie, das haben Sie zu Wenig. Der Faust ist zu tief für Ihre Statuen, Sie gehen darin unter. Ach, der arme Faust, das objektivirte Ich Göthe's, wird ein Geheimerrath, und bekommt Orden, und wird alt mit dem Geheimenrathe und den Orden, und die zauberhafte Form der revolutionairen Tragödie ist zertrümmert, und er appellirt an die Gnade, oder mit andern Worten an die Laune der Gottheit, denn Gnade ist ja doch nur gute 290 Laune. Was? – Nein, nicht was? ich will keine Antwort.

»Reisen Sie vielleicht mit nach Berlin?«

Nein, ich reise nach Italien; wenn ich nach Berlin ginge, könnte ich's vor'm Börne nicht entschuldigen, daß ich mich jetzt mit Humanität beschäftigte.

»Berlin ist ein hübscher Ort.«

Berlin ist mehr als ein hübscher Ort, es ist ein liebenswürdiger Ort, es ist der Faust unter den Städten, aber man hat ihn fortgesetzt, und ich liebe die Gnade nicht.

»Wissen Sie, was Le Telletier über die Jesuiten sagt?«

Ja. Die Jesuiten waren gewiß ehrliche Leute, aber es hat seit dreihundert Jahren keine Schurkerei gegeben, wo sie nicht dabei gewesen wären.

»Was halten Sie von den Jesuiten?«

Ich liebe sie, weil sie die einzigen Menschen ihrer Zeiten waren, in denen Geist steckte; und es ist eben mein Unglück, daß sie nicht nur geistreich, sondern auch Schurken waren.

»Leben Sie wohl.«

Gott stärke Ihre Schönheit. 291

 


 


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