Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 1
Heinrich Laube

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Altenburg.

Als Mann von Bildung schickte ich auf die Post und ließ mir auf dem nächsten Wagen nach Italien einen Platz bestellen, das Scepter, womit ich die unruhige teutsche Literatur regieren helfe, legte ich nach einer salbungsvollen Rede in eines Freundes Hände, steckte mir für den Nothfall einige Bücher in die Tasche, kaufte mir eine Mütze, und ging nach der Post, fest entschlossen, mich glücklich zu reisen.

Als gutes Omen, daß ich wenigstens viel Schönes hören würde, begegnete mir auf dem Thomasgäßchen der Komponist Marschner, der aus Hannover gekommen war, um seinen Hans Heiling aufzuführen. Wir sagten uns in aller Eile, daß wir sehr berühmte, vortreffliche Menschen seien, wir näherten uns einander mit beispielloser Schnelligkeit, denn es fing an zu regnen, und wir hatten beide nur einen Regenschirm. Auf diese Weise schied ich noch mit 292 einer historischen Arbeit von Leipzig, und sah Marschner, dem Vampyr, dem Templer, tief in's Gesicht. Man hatte mir gesagt, er wisse sehr, was er wisse, er wisse sich zu schätzen. Das hab' ich auf dem Thomasgäßchen unter dem Regenschirm gar nicht so arg gefunden. Er wußte es, daß er beliebte Opern geschrieben, er wußte es, daß wir keinen Ueberfluß an Komponisten haben, er wußte es, daß es eine Hauptsache sei, dramatisch zu komponiren, er wußte es endlich, daß er mit Eifer, Fleiß und großem Interesse bei seiner Kunst verweile. Ich würd' es ihm übel nehmen, wenn er das nicht wüßte – warum soll einer barhäuptig gehn, der sich einen Hut kaufen kann?

»Nur die Lumpe sind bescheiden.« Ich hatte mir Marschner größer und ernsthafter gedacht, er ist ein kleiner, feister, fixer Mann mit einem behaglichen, schlauen Gesicht, spricht wie ein Buch, und trägt weiße Halstücher, weil er beinahe blond ist.

Wenn ich ihn in großer Toilette des Abends auf dem musikalischen Gerüst bei Lampenschimmer gesehen hätte, so wäre er mir wahrscheinlich äußerlich wie der teutsche Rossini vorgekommen. Auf dem Thomasgäßchen ist aber die Illusion sehr schwierig. Er hat wie jener etwas vornehm, wohl Genährtes im Gesicht, ein gewiß behagliches Adagio. Seine Opern sind aber teutsch bis auf den letzten Strich.

293 Die klugen Leute sagen, er sei ein Nachahmer von Weber. Die Aehnlichkeiten in allen Kunstproduktionen sind in Teutschland das Studium der mittelmäßigen Richter. Sie jagen vielmehr nach Aehnlichkeiten, als nach Genuß, und »Reminiscenzen« ist das Zauberwort, womit sie sich und Andere täuschen. Diese Art wird noch lang nicht aussterben, weil es das bequemste Mittel ist, sich selbst mit all' seiner enormen historischen Kenntniß zu bespiegeln.

Ich sehe diese Helden, mit der Opernguckerbatterie bewaffnet, das Haupt hin- und herwiegen, und bei jeder neuen Nummer der schönen Nachbarin so gewiß »o mein Gott« zuflüstern, »Euryanthe – Freischütz – Oberon«.

Es singt eine Nachtigall wie die andre, und sie ahmen einander nicht nach.

Der gelbe Schwager blies, ich fragte eiligst Marschner, wie, bei welcher Gelegenheit, in welcher Situation, um welche Zeit er seine Opern komponire, ob vor oder nach Tisch, im Negligée oder im Frack, im Bett oder im Freien, sitzend, stehend oder gehend. Das ist mir sehr interessant, seit ich weiß, daß der berühmte Philolog Reisig zum Beispiel seine besten und tiefsten Studien, an der platten Erde auf dem Bauche liegend, machte. Mein Stubenkamerad auf der Universität, mit dem zugleich ich jene wichtige Notiz hörte, fing von da an, auch Philologie zu 294 studiren, und sich auf den Bauch zu legen; ich erwarte alle Tage, daß er berühmt werden wird. Beethoven komponirte im Schlafrocke, und zwar in einem sehr schlechten Schlafrocke, den er mit einem Stricke zusammenband; Marschner gestand mir, daß er seine besten Gedanken auf dem Spaziergange in einer Pappel-Allee habe. Der Schwager blies zum zweiten Male. Für die Pappeln kann ich nicht stehn, es kann auch eine Lindenallee sein, mein Gemüth ward bewegt durch die Fanfare des Schwagers und durch das Scheiden, aber für die Allee bürg' ich. Der Schwager blies zum dritten Male, ich mußte den Regenschirm und Marschner verlassen. Die Freunde gaben mir ihren Segen, denn ich zog hin in's Land Gosen, und wenn ich eine schöne Aegyptierin fand, die mich lieben wollte, so kam ich nicht bald wieder. Das wußten sie. Der Sorglichste von ihnen fragte, ob das auch die Post nach Italien sei.

»Ne«, sagte man ihm, »die geht nach Borne.«

Er rief erschreckt, der Wagen flog fort. Es regnete fleißig und unverdrossen, wie sittsame Mädchen des Nachmittags unaufhaltsam spinnen: die Räder schnurren, der Regen klatscht an die Fenster, es ist aschgrau teutsches Wetter. In solchem grauen Reitermantel lag das Leipziger Schlachtfeld da, so verließ ich Teutschland, machte die Augen zu, und rekapitulirte mein ganzes Leben, wie ich beim Antritt 295 jeder großen Reise zu thun pflege, und, erschöpft von meinem Leben und von Teutschland, schlief ich ein.

Als ich erwachte, sah ich die kleinen Landvierecke an beiden Seiten des Wagens, von kleinen Gräben eingeschlossen, mit kleinen muntern Bäumen bepflanzt. Hie und da nickten harmlos die einzelnen Wäldchen, die nicht breiter und nicht länger sind, als ein bescheiden Bauerhäuschen. Ich erkannte das Land an seinem Kleide, es war Altenburg. Bald kamen auch die uniformirten Landleute hie und da zum Vorschein. Die Frauenzimmer müssen einmal im Altenburgischen großes Unglück angerichtet haben: seit der Zeit hat man ihnen eine Zwangstracht angelegt, die sie garstig macht. Vor der Brust tragen sie ein Brett, damit Herz und Busen verkümmere, die Röcke reichen nur bis an's Knie, um plumpe Gebirgswaden zu zeigen. Das Erzgebirge streckt einen seiner letzten Zweige in das Ländchen, und es ist merkwürdig, wie sich dieser kleine Distrikt absondert von seinen Nachbarn. Es ist Charakter im Altenburger, sollt' er auch nur in der kurzen Jacke liegen, deren Taille unter den Armen steckt. Die Hauptfarbe ist noch schwärzer, als die bei den Braunschweigern, aber sie ist trauriger, geschmackloser, nicht so muthig, als bei jenen, sie sieht mehr leidend, gottesfürchtig aus. Auf dem Kopfe trägt der Altenburger ein kleines unreifes Filznäpfchen, um die Beine 296 weite schwarze Lederhosen, die aber nur bis an's Knie reichen; es muß viel lederne Hanthierung in Altenburg geben: auch das Berühmteste in der Stadt sind schöne, solide und wohlfeile Handschuhe. Die Tracht der Landleute, von welchen hier nur die Rede ist, sieht steif, gemacht und geschraubt aus, es ist keine Leichtigkeit und Bequemlichkeit darin, die Leute sehen auch trübselig ernsthaft daraus hervor, obwohl es ihnen gut geht, und sie meist wohlhabend sind. Es ist kein Feuer, keine Genialität in ihnen. Aber treuherzig sind sie und gut, und lieben ihre niedrigen Berge und ihre Kröpfe.

In die Stadt selbst, Altenburg, rollt man bergab schnell hinein, und kommt langsam wieder hinaus. Das ist ein gutes Zeichen, es ist nicht übel Wohnen da; man findet viel Liberalismus, viel Essen und Trinken, viel Gesundheit und viel schlechtes Wetter. Wenigstens regnete es immer, wenn ich nach Altenburg kam, darum liegt die Stadt naß in meinem Gedächtnisse.

Aber immer guckten hübsche Mädchenköpfe aus den Fenstern, und heute war das Glück und Unglück gar zu groß. In einer engen Straße, durch welche der Postwagen donnerte, kam ein dunkelgelocktes Mädchenhaupt aus einem Fenster, und zwar so nahe an meinem Kutschenschlage, daß ich muthwillig hinausfahren und ihr wenigstens eine Locke küssen wollte. 297 Sie fuhr zurück, aber das frische Gazellenauge lachte, ich streckte die Hand aus, das schalkhafte Kind that's auch – wie ein Blitz schlug die Hand in mein Gedächtniß. Ich kannte diese volle, weiße Hand, ich kannte jene Gazellenaugen und jene fliegenden Locken, ich kannte sie aus Anhalt und Magdeburg.

Vorüber flog der Wagen, der Eilwagen ist das moderne Fatum, nichts hemmt seine Speichen. Vergeblich sprang ich auf und nieder, bergauf, bergab ging's weiter durch das romantische Altenburg. Die Stadt ist wirklich in sich romantisch, Höhe und Tiefe, Begeisterung und Koth wechseln schnell wie ein Windstoß. Prächtig verlassen steht jenseits eines kleinen Wassers das Herrenschloß. Ein Professor neben mir, der bereits die Homöopathie, das öffentliche Gerichtsverfahren, die Dampfwagen, die neuesten geographischen Entdeckungen und die preußische und sächsische Politik erschöpft hatte, detaillirte der Gesellschaft mit jener todesverachtenden Redseligkeit teutscher Professoren den Prinzenraub, welcher da drüben im Schlosse vollendet worden war. Er kannte jedes Fenster und jeden Absatz, dessen sich Kunz von Kaufungen bedient hatte, und er beschrieb so lebendig und so genau, daß wir zehnmal fragen mußten, und als der Wagen rechts einbog und das Schloß verschwand, nicht klüger waren als vorher.

Ich theilte ihm die Notiz mit, daß Kunz von 298 Kaufungen zur damaligen Zeit stark an Hämorrhoidalbeschwerden gelitten habe, und daß es nur deshalb mit seiner Flucht so mangelhaft gegangen und er später erwischt worden sei.

Der Professor war sehr dankbar für diese Notiz, und fragte hastig nach der Quelle. Ich citirte ihm den Codex Clermontanus, den er zu Leipzig auf der Schweizer Bibliothek zu jeder Stunde einsehen könne. Er war noch einmal sehr dankbar.

Nach funfzig Jahren werden es die Leute, welche keine Historiker sind, gar nicht glauben können, daß einst der Raub von zwei kleinen Buben ganz Teutschland in Allarm gesetzt und Krieg und Noth und Jahrhunderte lange Verwirrniß habe erzeugen können; sie werden das Wort »Prinzenraub« nicht mehr verstehn. So geht die Kultur verloren. –

Ich fragte den Professor, ob er in Freiberg den blauen Stein gesehn, auf welchem der Kaufungen hingerichtet worden, und der eben von Kunzens hämorrhoidalischem Blute blau geworden sei – der Professor war außer sich vor Neugierde, der Wagen hielt, »10 Minuten meine Herrn,« schrie der Konducteur, ich mußte wissen, ob es Jerta gewesen, ich fühlte die warme, weiße Hand an meinem Munde, ich rannte davon. Der Professor schrie, ich rief im Laufen, daß ich wiederkäme, er schrie jammernd, daß er nicht weiter mit uns fahre – ich hörte nichts mehr.

299 Schicksal, Schicksal, ich verirrte mich, und konnte die Straße nicht finden, sieben Minuten waren um, ich wußte auch nicht mehr, wo die Post war. Kunz von Kaufungen, doch warst du glücklicher, ich fand nicht einmal meine Prinzessin. Ich mußte mir für einen altenburgischen Sechser einen Buben gewinnen, der mich im Trabe zur Post zurück brachte. Es war der Moment des Abfahrens. Wie ein Paquet ward ich hineingeworfen, händeringend stand der Professor am Schlage, eine antiquarische Thräne stand auf seinem wissenschaftlichen Auge, »der blaue Stein,« wimmerte er. Ich konnte ihm nicht helfen, die Pferde zogen an, ich schrie, als ob ein Menschenleben auf dem Spiel stünde. »Reisen Sie nach Freiberg,« ob er's aber gehört hatte, wußte ich nicht.

O, Jerta, deine Gesichtszüge sind mein Malheur! Als ich noch jung, sehr jung war, und den ersten gründlichen Unterricht im Christenthume erhielt zu Sprottau in der kleinen gewölbten Sakristei, wo es immer schmählig kalt war, da saß mir gegenüber ein schlankes Mädchen im grauwollenen Ueberrocke die war größer als ich, und ich liebte sie schon damals mehr als das Christenthum. Aus ihren großen blauen Augen, die so tief waren wie der See Genezareth, las ich alle die Antworten christlicher Liebe, welche ich dem Herrn Pastor Primarius zu 300 seiner größten Zufriedenheit gab, und um ihre Lippen hatte sie einen schalkhaften, liebenswürdigen Zug, der mein Herz zerschnitt mit der Seligkeit des Himmels. Ach, ich hätte immer weinen und sterben können, wenn sie mich ansah mit diesen lieben, lieben Augen und jenem Zuge und Ausdruck, der mich so namenlos glücklich machte. In jenem Zuge mußte wohl das ganze Geheimniß aller irdischen Freude liegen, die mir zu Theil werden könnte, ich wüßte sonst nicht, woher diese überwältigende Himmelsseligkeit über mich gekommen. O, es ist ein groß Mysterium, die erste Liebe, und alle späteren Leidenschaften borgen ihren Reiz von ihr.

Wie wußt' ich nichts von Kälte, obwohl mir die Hände erstarrten, wenn Sie da war, und wie langweilig war das Christenthum, wenn es ihr einmal zu kalt war, und sie nicht kam. Sie trat immer erst später mit dem Herrn Primarius in die Sakristei, und ich glaubte lange den Herrn Primarius allein zu lieben, und irrte mich doch so sehr. Ach, mit welcher Angst bemerkte ich's, wie wir immer mehr lernten, und die dümmsten Bauerjungen schon wußten, daß der Apostel Paulus früher Saulus geheißen und daß er das Heurathen vertheidigt habe, wenn's einmal sein müßte, denn je höher unsre Gelehrsamkeit stieg, desto näher kam das Ende meines Glücks, das Ende des Unterrichts.

301 Und das Ende kam wirklich, es war gar zu traurig, und ich sah sie nur noch von Weitem hinter dem Fenster, und begegnete ihr manchmal, wenn sie in die Stunde ging zum Herrn Primarius, als ich schon ein kleiner Christ, und sie noch eine liebe, halbe Heidin war. Daher mag's wohl kommen, daß mir mein ganzes Lebelang das Heidenthum so viel schöner erschienen ist. Ich lebte acht Tage und acht Nächte von einem einzigen Blicke, und wenn es Abend ward, da schlich ich um ihr Haus, und wartete so lang bis in dem untern Geschoß Licht ward, dann aß die Familie zu Abend und Sie auch. Das Fenster war hoch und mit Eisengittern versehen, aber ich kam hinauf, und hing so lang an den Eisengittern, als es meine kleinen Kräfte erlaubten und sah ihr zu, wie sie zu Abend aß, und sah ihr in das himmlische Gesicht, und die Thränen liefen mir über die Backen. – So kam denn auch der letzte Abend, den andern Tag sollte ich weit fortgebracht werden auf eine größere Schule, damit ich auch Griechisch und Hebräisch erlerne, was in Sprottau Niemand konnte. Oh, ich war so böse auf das Griechische und Hebräische, und habe in Beiden aus Haß niemals was Ordentliches gelernt. Ich sollte den letzten Abend feinartig zu Hause bleiben, die Mutter wollte noch viel mit mir sprechen, und ich sollte packen helfen, aber ich stahl mich immer 302 einmal fort, und sah ob bei ihr im Erdgeschoß kein Licht sei. Umsonst, der erste Stock war erleuchtet und unten blieb es finster. Ich war so traurig, als sollt' ich sterben. Da kam ein kleines Licht; – husch hinauf an's Fenster, wahrhaftig sie war's, war allein und suchte etwas im Zimmer. In der finstersten Nacht am besten, und auch am hellsten Tage weiß ich noch, wie das Licht ihr mildes Antlitz beschien, alle Herrlichkeit der Erde lag auf diesem kleinen lieben, süßen Angesichte. Ich hätte nicht gewagt, ein Zeichen meines Daseins zu geben, meine Liebe war eine schweigsame Religion, Sie hat nie eine Sylbe davon erfahren, und es fiel meinen kühnsten Träumen nicht ein, daß sie in das untere Zimmer gekommen sein könne, um meinen Augen einen Abschied zu gönnen. Ich wollte nichts von ihr, sie hatte nichts zu thun für mich, als zu existiren.

Den andern Tag reiste ich in einem verhangenen Korbwagen an ihrem Hause vorbei auf die ferne Schule, es regnete wie heute, und ich habe sie nie wieder gesehn. Aber ihr süßes Angesicht ist für immer die Romantik meiner Liebe geworden, und jener Zug um den lieben Mund, der mein Herz mit Seligkeit durchschaut, ist noch heut der Typus jenes Zaubers, den man Liebeszauber nennt, und er hat mich oft unglücklich glücklich gemacht.

Sein gedacht ich jetzt im Postwagen, denn jenes 303 Mädchen in Altenburg glich ebenfalls jener lieben, kleinen Heidin aus Sprottau, und glich doch auch der Jerta, und warf mein Herz Fangball und quälte mich auf das Süßeste.

Es war glücklicherweise finster geworden, da geht das Liebesträumen so vortrefflich; ich drückte mich in die Ecke, und schwelgte wie ein türkischer Opiumesser, und selbst die Erinnerung störte mich nicht, wie man mir einst erzählt, die kleine Heidin sei sehr groß geworden, und habe einen dicken Justizrath geheurathet. – 304

 


 


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