Heinrich Laube
Reisenovellen - Band 1
Heinrich Laube

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Halle.

Ein dunkler, tiefer Schlaf legte sich über den Postwagen. Auch ich vergaß Jerta, Klopstock und Konstantinopel. Wer mit der Schnellpost gefahren ist, erinnert sich gewiß mit Interesse des höchst charakteristischen Anblicks, wenn die ersten Tagesstrahlen in den qualmenden Kutschenkasten fallen. Die Hand Jehova's liegt zornig über Aegypten, alle Häupter der Passagiere hangen welk vorn herunter auf die Brust oder auf die Seite. Selten schläft einer des Morgens im Postwagen mit Energie, er müßte denn ein sehr routinirter Musterreiter sein. Alles baumelt am Körper, der Mund ist halb geöffnet, damit kein Atom der noch rückständigen, geringen Lebenslust dem Schläfer entgehe, die Gesichtsfarbe ist offenbarungsbleich in's trockne Gelb spielend, die Haare sind garstig verwirrt, die Lippen unnatürlich geschwellt, alle kurzgeschürzten Sorgen, die den Passagier in den 135 letzten Tagen beschäftigt haben, laufen hastig durch die Stirnfalten, und arbeiten an dem Kummerstriche zwischen Mundwinkel und Nasenflügel. Halbtrunkne Träume stolpern an dem wankenden Körper auf und nieder. Niemand schläft mehr recht eigentlich, aber Niemand hat ausgeschlafen, Niemand hat den Muth zu erwachen. Der und Jener riegelt das Augenlied ein Wenig auf, um zu sehen, ob der Tag schon unanständig hereinscheint. Es ist das Bild eines teutschen Philisters, der die Freiheit sieht, aber den Fuß unentschlossen heben muß, um zu ihr zu kommen; es gefällt ihm nicht absonderlich in dem alten Schlendrianszustande, aber – aber er soll sich entschließen, er soll etwas Bestimmtes thun, er weiß auch nicht einmal genau, ob das Bein nicht gar eingeschlafen ist, er träumert weiter und die Zeit verstreicht. – Der Klempner machte einen flinken Versuch, die Augen zu öffnen, machte sie aber schnell wieder zu, und drückte das Gesicht in die Ecke.

Die Energie eines Einzelnen pflegt wie überall das Reich zu allarmiren. Einer macht entschlossen Tag, und die übrigen unterwerfen sich. Ich hatte keine Lust dazu, die schlaffen Gesichter amüsirten mich.

Sah ich recht? Wahrlich, hinter dem Schleier lebten Jertas Augen, und richteten sich starr auf mich. Es war etwas Gespensterhaftes darin, mit diesen Augen, von denen ich noch keinen Buchstaben 136 kannte, allein im Wagen zu sein. Sie zog den Handschuh aus, und fuhr sich mit der Hand über Augen und Gesicht, wie eine Mohamedanerin, die sich pantomimisch wäscht. Ich schwieg, und sah ihr entschlossen zu. Und siehe da, sie schlug den Schleier zurück: es war ein junges, frisches Mädchen, das den Postgesetzen nicht verfiel: sie sah frisch wie Morgenthau über gerötheten Wangen aus klaren Augen. Offenbar war sie seit Radegast jünger geworden. Die Züge waren heut viel weicher, oder es kam daher, daß ich mich in das Buch ihres Gesichts schon ein Wenig hineingelesen hatte und bekannter geworden war. Ein plötzliches Leuchten ging durch den Stern ihres Auges, sie streckte mir die warme Hand hin, und sah mich groß an. Ich führte sie langsam an meinen Mund, und berührte sie kaum mit den Lippen, darüberhin aber drückte ich centnerschwer meinen Blick in den ihren, und schüttelte den Kopf. Nichts veränderte sich in ihrem Gesicht. Ihr Begleiter regte sich; die Hand floh, der Schleier fiel. Mit Erstaunen sah ich, daß der naturwissenschaftliche Klempnermeister aus wässrig lachenden Augen zusah. So wie er sich überrascht merkte, kniff er sie wieder ein, gab sich die überflüssige Mühe, ein einfältig Gesicht zu machen, und ließ den kleinen Körper wie einen Eierkuchen zusammenfallen. Ich gab ihm einen Rippenstoß, daß er in die Höhe fuhr, und drohte ihm mit 137 unzweifelhafter Geberde. Er deprecirte durch verneinendes Schütteln aller Glieder, nahm meine Hand, und drückte sie hannoverisch.

Es ging den Berg nach Bernburg hinunter. Die Saale und ein Paar Berge von Gerüll versuchen's hier, sich über anhaltinische Ausdruckslosigkeit zu erheben, die Frau Wirthin hilft den Herren, der Herr Wirth den Damen aus dem Wagen – Anhalt wird ausschweifend. Wir tranken Kaffee, schüttelten den Schlaf aus den Haaren, ich ging an Jerta vorüber, und drückte ihren heißen Arm, daß sie zuckte, und fragte den Wirth, ob Anhalt noch nicht preußisch sei. Er verneinte kleinlaut, und ein blonder anhaltinischer Blick schweifte matthissonwehmüthig über die Wand hin, an welcher die großen Gesichter der regierenden, wie man zu sagen pflegt, Häupter hingen.

Sind Sie ein Preuße? fragte mich der teutsche Kaufmann aus London.

Zuweilen, sagte ich, denn in poetischen Stunden bin ich für den Zollverband, weil ich glaube, daß der Kyffhäuser mit dem rothbärtigen Barbarossa im Zollverbande liegt. Und eigentlich bin ich aus Schlesien, was früher österreichisch war, ferner glaubte ich früher, das Wort Preußen heiße so viel als Jugend und Spekulation, und ich bin kaufmännisch gesinnt, und liebe die Spekulation.

138 »Lieben Sie treu?«

Nein, aber oft.

»Sie haben wohl kein Amt?«

Doch; ich reise.

»Für welches Haus?«

Für Otto Wigand in Leipzig.

»Was für Artikel?«

Papier, Druckerschwärze, Humanität, Länder- und Menschenkunde, Wissenschaft en gros und en détail, Langeweile und kurze Waaren.

Er schüttelte den Kopf, und erkundigte sich nach dem Chef des Hauses.

Ich bat um Entschuldigung, wir seien Lessingsche Republikaner, und ließen uns nichts befehlen. Wir legten nie Rechnung ab, und hierin seien wir Royalisten: unser Louis d'or von Frankreich sterbe nie. Im Allgemeinen sei ich überhaupt für Gütergemeinschaft, und obwohl ich das Stehlen noch nicht sanktioniren könne, so sei ich doch überzeugt, daß, wer entschlossen Geld brauche, immer welches finden könne.

Und er entsatzte sich, und schwieg. In der Nähe von Giebichenstein liegt Halle, denn Giebichenstein ist einer der schönsten Punkte in Teutschland, und Halle einer der schlechtesten. Himmel und Hölle liegen hier nahe bei einander, und der Weg zwischen beiden ist die sogenannte grüne Wiese, wo die Leute hin 139 kommen, die nicht recht gut und nicht recht schlecht sind, deren Poesie aus Dresden stammt, welche sich zum sächsischen Protestantismus bekennen, die auf den Börne schimpfen, und theologische Bücher lesen. Auf diesem Wege wohnt der alte Schriftsteller Eberhard: es ist ein schmaler Mann, von dem ich nichts Merkwürdiges zu sagen weiß, als daß er alle Tage nach Tisch einmal zum Fenster heraussieht, ob es regnen wird, und wenn's schon regnet, ob es aufhören könnte. Ferner wohnte hier der an Familienromanen verstorbene Lafontaine, der eine Lorbeerkrone für die Bescheidenheit verdient, mit welcher er sich in den letzten Jahren zurückgezogen hielt. Ein guter Rückzug ist ein untergeordnetes Verdienst, aber ein Verdienst, sind doch Xenophon und Krug durch Rückwärtsgehn berühmt geworden. Die Anabasis wird noch zu wenig von den teutschen Schriftstellern gelesen. Damen von Welt und Schriftsteller müssen in einem gewissen Alter der Schönheit und des Verstandes Spiegel und Freunde am eifrigsten befragen, ob es gerathen sei, auf den Ball zu gehn.

Es konnten sich nur wenige rühmen, in Lafontaines Gartenhaus gedrungen zu sein; ich bin oft daran vorüber gegangen, als ich noch jünger war, und vor jedem schriftstellerischen Namen das Knie bog, oft des Abends, wenn es so recht familienfleißig regnete. Ich hoffte immer, einmal Etwas von Lafontaine zu 140 hören, oder zu sehn, aber ich habe nichts gehört, als eine eintönige Klingel. Lafontaine hat still seinen Hut genommen, als der Lärm für seine Familiengeschichten zu groß wurde, und ist still hinausgegangen, hat dem Portier ein kleines Trinkgeld gegeben, er möge der Gesellschaft seine Abwesenheit nicht verrathen, man werde sie nicht bemerken, und ist nach der grünen Wiese bei Halle gewandert. Dort hat er seine Thür zugeschlossen, und rührt sich nicht mehr; und wenn er ein Glas Wasser oder eine Tasse Thee haben will, klingelt er seiner alten Köchin, die früher jünger war, und in der Familie Halden figurirt.

Ich finde das so rührend bescheiden an Lafontaine, daß ich ihm kein böses Wort sagen möchte. Zur Zeit, als man ihn gern las, hatte er die Verpflichtung zu schreiben, und er hat sie redlich erfüllt – jeder Roman hatte drei Bände. Als er die Abnahme seiner Kräfte und der Liebeskräfte des Publikums merkte, da setzte er sich in sein Ausbedinghäuslein, und schwieg, und schwieg sich zu Tode. Lafontaine ist Teutschlands Ritter Toggenburg, die Liebe zu ihm war eine thränenreiche; noch heut schluchzen die alten Frauen, wenn man seinen Namen nennt.

Giebichenstein aber überraschte mich durch seine Schönheit; die kleinen Felsen, die Saale, die weichen Aussichtsstriche in's Land – Alles paßt so gut zu einander, daß es ein charmantes kleines Gedicht 141 giebt. Viele teutsche Gegenden, welche einen viel größeren Aufwand machen, erfreuen weniger, weil man bei den größeren Ansprüchen auf Schönheit viel eher das vermißt, was allen fehlt, die Färbung. Zwischen dem eigentlichen Norden und dem eigentlichen Süden ist Teutschland die farblose Mitte; es hat nicht die dunkeln, romantischen Farben des Süden, es hat nicht die lyrischen hellen Striche, nicht die duftigen phantastischen Konturen des Nordens.

Hier ist das Fenster, von welchem Ludwig der Springer in die Saale hinabgesprungen sein soll – den Sprung bezweifelt man nicht; denn Todesgefahr ist Kleinigkeit gegen Gefangenschaft, aber das Gelingen bezweifelt man. Die jetzige Welt ist sehr unromantisch, und man bewundert der Herren Schlegel und des Herrn Hengstenberg Kourage, die Romantik und den Glauben in den Ländern wieder einführen zu wollen, wo die Bibelübersetzung, der Rationalismus und die Hundesteuer erfunden worden ist, man bewundert sie, wenn man die Spaziergänger über Ludwig den Springer reden hört.

Von Natur ist leider Gottes in Nordteutschland kein Mensch romantisch. Auch die Saale, ein schwarzer, merkantilischer Fluß, ist so prosaisch, und hat sich so weit vom Fuße des Giebichenstein entfernt, daß Ludwig sie nicht erreichen könnte, wenn er selbst beim alten Jahn turnen gelernt hätte.

142 Solche platte Zweifel haben vielleicht denselben Jahn auf die Erfindung des Turnens gebracht. Denn schief gegenüber vom Ludwigsfenster ist eine kleine Höhle in den sogenannten Trojanischen Felsen, welche die Saale bespült, und in dieser Höhle soll jener teutsche Renommist eine Zeitlang gelebt haben. Er hat mir selbst davon erzählt, und da es ihm gelungen ist, eine historisch physikalische Merkwürdigkeit zu werden, so will ich ein neues Kapitel mit ihm anfangen. Hat doch Cervantes ein ganzes Buch über den spanischen Don Quichote geschrieben, Jahn ist aber der demokratische Don Quichote der Teutschen.

Ich werde noch oft des Don Quichote gedenken müssen, so lange ich in Teutschland reise, denn er manifestirt sich nirgends so mannigfach, als bei uns. Ein Volk, das nicht muthig und inhuman genug ist zum Todtschlagen, ein Volk, das nicht rasch in seinen Bewegungen ist, behält immer eine große Menge Nachzügler verlassener Epochen.

Daher kommt es auch, daß kein Volk eine so verwickelte Geschichte hat, als das teutsche. Hölderlin sagt einmal: »Es ist ein hartes Wort, und dennoch sag' ich's, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk mir denken, daß zerrissener wäre, als die Teutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine 143 Menschen, Herren und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen«. –

Alle diese Handwerker verlangen aber ihren Platz in der Geschichte, und die Handwerker haben ihren Zunftstolz. So reicht es nicht aus, einfache Menschen zu beschreiben, auch Jahn, der Cherusker, will beschrieben sein. 144

 


 

In leinene Staubhemden gehüllt, mit leuchtenden Augen und schreienden rothen Mützen zogen wir Brüder Studios von Halle nach Jena. Wir hatten wenig Geld, aber viel Worte, viel guten Muth und wenig Bedürfnisse. – Ein Glas Bier, ein Stück Brot genügte uns Söhnen der teutschen Wüste. Wir sprangen wie die Böcklein, jubelten wie die Lerchen, balgten uns mit einander auf der Straße herum, um unserm Uebermuthe einen Ausweg zu schaffen, und sangen vollen Ernstes: »Wir sind die Könige der Welt«.

Noch heut denk' ich mit Entzücken daran, wie viel Selbstbewußtsein und Kraft in jedem Einzelnen ausgebildet wurde, weil er auf dem unerschütterlichen Grunde akademischer Freiheit zu ruhen glaubte. Wir bildeten uns ein, die Krieger und Braminenkaste der Hindus in uns zu vereinen, und Brama dürfte die 145 Wäsche nicht wechseln, wenn wir nicht wollten. Wir waren komplette Narren, aber unsere Narrheit ruhte auf Stahlfedern. Wenn von einem feindlichen Staate die Rede war, so bedurfte es nur unsrer übereinstimmenden Meinung, er sei ein Feind, und dann gab's keinen Zweifel an dem Siege mehr. Für wen die Studenten sich erklärten, der war geborgen, wir waren uns ein Ritterbund, wo jeder Mann ein Held ist, wir waren die große Armee Teutschlands, wir hatten den Napoleon überwunden, uns widerstand nichts. Ein großes Stück Poesie geht mit den Studenten verloren.

Es war ein melancholischer, wollüstiger Wolkentag, und als wir nach Lauchstädt kamen, und sahen die rosenrothen Mädchen mit den weißen Schultern und Armen wandeln unter den flüsternden, schwatzhaften Bäumen, da beschlossen wir, uns niederzulassen, denn unsre Herzen lachten beim Anblick der rosenrothen Mädchen. Es wagte es aber keiner, laut zu sagen, daß die süßen Kinder unsern Augen so fürtrefflich schmeckten, denn wir waren Burschenschafter, und diese haben den einzigen dummen Streich Josephs in Aegypten in ein System gebracht. Auf der Dresdner Gallerie ist dieser Streich konterfeit, und mein burschenschaftliches Herz seufzte immer schwer, wenn ich das schöne Weib mit dem schwelgerisch bittenden Auge und den umrankenden vollen Armen sah.

146 Ein alter Bursch fing an, von der teutschen Kaiserwahl zu sprechen, und war durchaus für den König von Würtemberg, ich kämpfte aber mit unbeschreiblicher Leidenschaft für den König von Preußen, denn ich fühlte eine peinliche Opposition in mir: Ein rosenrothes Mädchen hatte sich mit anderen neben mich gesetzt, ihr langer Handschuh, den sie vom schönen Arme gestreift, mit dem sie gespielt hatte, flog zu mir. Ich stürzte auf sie zu, und überreichte ihr die Trophäe, und sagte in der Eil, daß ich sehr glücklich sei. Dabei berührte ich aber ihre warmen Finger – beim Teut, ich war unschuldig daran, und es schlug eine warme, weiche Flamme durch mich, den Burschenschafter.

Das Mädchen war roth geworden, und hatte gar nichts gesagt, der alte Bursch aber sah mich sehr bedenklich an, und citirte den sechsten Paragraphen unsers Komments, denn wir lebten nach den zehn Geboten, und sprach vom Weitergehn. Die Mehrheit war aber dagegen, denn es waren viel rosenrothe Mädchen da, und des Abends sollte Ball sein. Und wir blieben.

Bei den Marqueurs borgten wir uns Fracks und Vatermörder, und gingen auf den Ball. Auf dem Wege zum Saale stritten wir uns über die Grenzen des teutschen Kaiserthums, wir waren aber alle sehr nachgiebig, und es kam uns auf ein Stück Land nicht an.

147 Sie sagte, tanzen würde sie nicht viel, aber auf einen Galopp solle es ihr nicht ankommen. Aus Merseburg sei sie gebürtig, und die Studenten möchte sie gern, weil sie so lustig wären. Sie trug ein morgenröthliches Kleid von Aether und eine Rose im wallenden Haar. Ich sagte ihr, die Geliebte des Properz habe solch ein Kleid getragen, und sei das schönste Mädchen in Rom gewesen, und daher komme der Name Rosa, denn Rosa sei lateinisch.

»Ich heiße aber Minna«, sagte sie. Um uns abzukühlen, gingen wir unter den Bäumen spaziren. Es war dunkel, und eine Lampe nach der andern verlosch. Ich durfte sie am Arm führen, sie war warm wie ein neapolitanischer Abend vom Tanz, und aus einer kleinen Stadt, denn Merseburg hat mehr Häuser als Menschen. Darum war sie menschenfreundlicher als die verwöhnten Mädchen aus den großen Städten, und wenn sie mir eifrig demonstrirte, daß sie noch keinen Geliebten habe, da lehnte sie sich so unbefangen menschenfreundlich an mich, daß mir unbeschreiblich süß zu Muthe wurde, und ich das ganze deutsche Kaiserthum vergaß.

Wir standen eben still, es war eine Pause im Gespräch eingetreten, sie hatte das Köpfchen gesenkt, spielte mit den Locken, und lauschte unter den Wimpern herauf, ob ich wirklich den Properz gelesen.

148 »Liebste Minna,« sagte ich, und legte meinen Arm um ihre Taille. – –

Da trat ein Mann unter den Bäumen hervor, und sagte: »der sechste Paragraph aber spricht« – –

Minna floh, ich stand wie ein Schulbube vor dem alten Burschen, und wußte nichts zu sagen, als daß ich noch immer entschieden gegen den König von Würtemberg sei.

Ich mußte ihm die Uebrigen suchen helfen; das war eine schwere Arbeit, und als wir am Morgen gen Freiburg zogen, fehlte uns doch noch einer.

Warum die Regierungen nicht bedachten, daß strebende Jünglinge einen großen Hintergrund brauchen, an welchen sie ihr loses Treiben anlehnen, daß sie aber Jünglinge bleiben, wenn man sie gewähren läßt, die am Ende nichts brauchen als Küsse und Sonnenschein. Als man uns zu wichtigen Personen machte, da machten wir uns auch wichtig, und affectirten eine Ernsthaftigkeit, über welche wir jetzt lachen. – Wenn die deutschen Philister Abends zusammenkommen, um ihren Whist, Schaafkopf oder Solo zu spielen, so geberden sie sich manchmal auch sehr gefährlich über die Politik, und schwören und verschwören sich, und es ist ihnen doch um nichts, als um einen Stich mehr zu thun, und läßt man sie gehn, so geht das Jahr aus Jahr ein so. 149 Verbietet man's ihnen aber, so hören sie plötzlich auf, Schaafkopf zu spielen.

Es war um die neunte Stunde, als Jahn zu uns in's Zimmer trat. Das Städtchen Freiburg war sein Exil, und er gab sich die redlichste Mühe, allda seine klassische Rolle zu spielen. Vom Grafen Brühl in Berlin hatte er sich das Kostüm dazu erbeten. Man mußte den ganzen Tacitus mit Aufmerksamkeit gelesen haben, um zu wissen, wer da zur Thür herein trat. Es war ein Mann von mäßiger Größe, aber von unmäßiger Breite, eine vortreffliche Kanonierfigur, eine ganze Kanone sammt Lafette und Pulverkasten hatte auf seinen Schultern und Hüften Raum. Und das war sein Stolz; ich weiß, daß er wohlgefällig lacht, wenn er das lies't; eigentliche Kultur war gar nicht in ihm, er interessirte sich nur für die Masse, die Materie, das Gewicht, er bestrebte sich, ein Urbewohner, ein Autochthone zu sein, und die Vortheile der Kultur vergessen zu machen.

Ich bin immer für das Turnen gewesen, es ist eine nothwendige, ja eine blühende Grammatik des Körpers, aber die Turner waren zumeist künstliche Pferdeknechte, raffinirte Barbaren, die sich alle ersinnliche Mühe gaben, jede Kulturregung zu vergessen.

Ludwig Jahn trug eine doppelte Stirn, deren zweiter Theil sich leer und dumm rückwärts 150 hinaufstreckte bis in den Teutoburger Wald. Er sah überhaupt nur rückwärts, obwohl er klare Turneraugen hatte. Jene Stirn und ein schöner herabwallender Bart, der aschgrau auf sein blaues Hemd fiel, bildeten eigentlich sein Gesicht, was dazwischen lag, war unbedeutend. Unter dem schlotternden blauen Oberhemd sah man eine behaarte Brust, und ahnte ein Paar kurze unbedeutende Beine, um welche teutsche weite Leinwand-Hosen flatterten. Auch hatte er, wie das männiglich weiß, ein großes Maul und große Füße, und so ausgerüstet, und mehr merkwürdig als interessant aussehend, ließ er sich auf einem harten Gestell nieder, was wir in seiner Gegenwart nicht Sofa zu nennen wagten. Denn die alten Teutschen lagen auf Bärenhäuten und nicht auf Sofas. Auf Tischen, an der Erde, auf den Sofalehnen saßen wir um ihn herum, und er fing an vorzutragen, und trug vor zwölf volle Stunden bis Abends um neun.

Hätte ich nicht ein böses Gewissen gehabt wegen der rosenrothen Minna aus Merseburg, mir wäre die Zeit sehr lang geworden. Daß er zu Jedem von uns Du sagte, verstand sich von selbst, und das hat mir bei der ganzen teutschen Wirthschaft immer am besten gefallen.

Er erzählte aber von den Cheruskern, vom Minister Stein, von seinen Feldzügen auf der Universität und mit den Alliirten – er selbst hielt sich für den 151 vierten Alliirten, und Rußland, Preußen, Oesterreich und Jahn hatten die große Armee geschlagen. Er erzählte von Napoleon, der eigentlich keine Kourage gehabt habe, von Ludwig Jahn und dessen unsterblichem Muthe, von einer eisernen Stange, womit er seiner Zeit die Studenten geprügelt habe, von den erzgebirgischen Klößen und den pommerschen Gänsebrüsten, welche die Einheit Teutschlands aufhielten, auch viele kleine Geschichten, wo er natürlich immer die Hauptrolle spielte. Da war er eines Tags während des Krieges nach Frankfurt gekommen, und hatte die Stadt ganz bestürzt gefunden. Es sei ein französischer Spion da und Niemand könne ihn ausfindig machen. Er beruhigt die Frankfurter und geht aus. Auf der ersten Straße begegnet er ihm, geht auf ihn zu, und tritt ihm auf den Fuß. Und das ist nicht unbedeutend, wenn Jahns Fuß sich entschieden irgendwo niederläßt. »Pardon« ruft der höfliche Mann – »Pardon«, also Franzos; Jahn allarmirt Frankfurt, der Mann hat in der Ueberraschung französisch gesprochen, es ist der Spion, er wird arretirt. Frankfurt staunt, Jahn, der unaufhaltsame geht weiter. – In einer andern Stadt sucht man ebenfalls einen Spion; man weiß, daß er als Frauenzimmer verkleidet ist. Er beruhigt die Einwohner und geht aus. In's erste Haus tritt er ein, findet eine Damengesellschaft, beginnt ein 152 Gesellschaftsspiel »Thaler du mußt wandern,« wirft den Thaler, jede will ihn fangen. Wenn Damen etwas mit dem Schooß fangen wollen, so breiten sie die Beine aus, eine von der Gesellschaft thut's nicht. Jahn arretirt sie, denn Männer, die mit dem Schooß fangen wollen, drängen die Beine zusammen. Die Dame muß ein verkleideter Mann, also der Spion sein. Er übergiebt sie den Behörden, und unter dem Hurrah der Stadt reis't Jahn der unaufhaltsame weiter.

Er sprach vom Supernaturalismus, und gab uns ein Recept mit, was ihn ausrotte, denn er haßt Alles was nicht reell ist, er sprach von den Juden, die er haßt, weil sie nicht aus Teutschland stammen, er sprach von einem Marsche von Berlin nach Breslau, den er einst mit einer Depesche Steins, die das ganze Wohl und Wehe Europas enthalten, zu Fuß in 48 Stunden gemacht. Postreisende und Zeitungsleser bei Stehely in Berlin und Herrn Schrinner in Breslau wissen, daß es 43¾ Meilen sind. Seine Erzählungen drehten sich überhaupt meist um's Laufen und um Prügel. Nur wenn man von der deutschen Kaiserwahl sprach, war er etwas ruhiger, zuckte zum König von Würtemberg und zum König von Preußen die Achseln, bedauerte daß Schill gestorben sei und Theodor Körner, und daß noch so wenig Aechte aus jener Zeit übrig wären, welche auf die 153 Frankfurter Krone Anspruch machen könnten; er habe Frankfurt große Dienste geleistet.

Fürwahr, es klänge biderb, wenn es hieße: »Es lebe Jahn der Erste,« fing der alte Bursche an. Beifallsgemurmel, Jahn schwieg, und rückte den Kopf auf und nieder.

Es schlug neun Uhr; ich stahl mich hinaus, und lief was ich konnte nach Merseburg zu, das teutsche Reich lag mir auf der Schulter, ich hatte einen angestrengten Marsch, verirrte mich und schlief auf dem Felde ein.

Hier könnte ich nun einen schönen Traum anbringen von der teutschen Herrlichkeit, wenn Niemand Vatermörder, Jedermann aber lange Haare trüge und das Bärenfleisch wieder Mode würde, und der Kaiser die Uebelthäter selbst abprügelte, und Kaffee und Zucker abgeschafft würden.

Aber ich schlief wiederum fest, und erwachte erst, als mich fror. Die gestrige Geschichte kam mir bei nüchternem Magen wie eine alberne Gespenstergeschichte vor, Jahn der Erste aber wie der Knecht Ruprecht, mit dem man die kleinen Kinder erschreckt.

Er ist die äußerste Linke aus jener unheilvollen Zeit, die uns durch ihre Spielerei um so Vieles betrogen hat. Er schreibt jetzt Briefe, die einen klassischen Werth haben. Herrmann der Cherusker würde ungefähr so an seinen Schwiegervater Segestes 154 geschrieben haben, und damit wir jungen Uebelthäter sie lesen, schickt er sie uns in's Haus. Mein Name ist immer grün darauf geschrieben, dazu nimmt er Grünspan, um mich gleich durch den Anblick zu vergiften. Dieser Jahn ist auf Teutschlands großem Maskenballe erschienen, vor dem Glanz der Lichter ist er erblindet, als man den Saal gefegt, hat man auch ihn hinausgeworfen. – Die Zeit ist vorwärts gegangen, die Maskeradenkleider sind alle verschwunden, der Mann ist alt geworden, er geht noch in seiner phantastischen Tracht einher, er spricht noch die kauderwelsche Sprache, seine Uhr steht seit 17 Jahren still, und zeigt unverrückt 1817. Ein Wort hab' ich mir aus seinen Briefen behalten: statt ennuyirt sagt er »vermißquemt.«

Es ward allmählig Morgen und ich kam in die Vorstädte Merseburgs, die eigentlich Merseburg sind. Mit Entsetzen gewahrte ich, daß ich keinen Pfennig Geld besäße, meine Gefährten hatten die Kasse gehabt, und ich hungerte nachdrücklich.

Minna, das war hart. Ein romantischer Liebhaber darf nie an einem so reellen Hunger leiden. Erschöpft setzte ich mich auf einen Stein vor dem Landhause, an welchem ich eben vorüberkam. Eine Magd öffnete bald darauf die Thür, und sah sich nach dem Tage um. Sie schien eben aufgestanden zu sein, drängte eine Fülle von braunen Haaren 155 unter ein grobes rothes Tuch, rieb sich die Augen, und zog sich eine Jacke an. Ich verhielt mich ruhig, um ihren Charakter zu studiren, und wurde nicht sogleich von ihr gesehn. Große Sorglosigkeit lag mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Gesicht. Sie sah wie alle teutschen Mägde aus, das heißt: der Charakter der Arbeit und Mühe lag sechs Tage in der Woche mit bleiernem Gewicht auf ihr, und ich sah es ihr an, daß sie Sonntags Nachmittags zur Erholung an ihren Hemden nähe, und Abends zwei Stunden in die Schenke gehe, wo sie alle drei Wochen einmal einen Tänzer findet, der ihr einen Trunk Bier schenkt.

Bei dieser Klasse rührt nur Krankheit und der Herr Christus. In seinem Namen bat ich sie um ein Stück Brot und einen Trunk warme Milch, weil ich am Heißhunger litte, und nicht weiter von der Stelle könne. Sie hätte ja fromme blaue Augen, die gottesfürchtig aussähen wie Kirchenlieder, und ich wollte ihr auch aus dem Gesicht wahrsagen, was sie für einen Mann kriegen werde.

Sie brachte Brot, machte Feuer und kochte Milch. Als ich gesättigt war, zupfte sie an der Schürze, und fragte verschämt, ob ich was von ihrem zukünftigen Manne wüßte, und ob sie wirklich einen bekäme.

Ich rückte ihr das Kinn in die Höhe, streichelte 156 ihr die Backen, und sprach: Im Thale Josaphat bauen sie eine reinliche Herberge, und es wird eingehen allda ein gottgefälliger Mann, mit Cognac, Breihan, Butter, Brot und Käse, der wird herkommen in des Morgens Frühe nach Merseburg, und wird sich auf den Stein setzen, wo ich eben sitze, und wird sprechen »Schnur, meine liebe Schnur, erscheine.« Darauf werde Sie aus dem Schatten des Hauses hervortreten, und ihm folgen nach dem Thale Josaphat als züchtige Hausfrau.

Sie sah mich möglichst einfältig an. »Weißt du nicht, wo Fräulein Minna wohnt?«

Sie wußte es, ich ging. Dem Hause gegenüber, das sie mir bezeichnet hatte, setzte ich mich auf eine Bank. Mein Vis à Vis hatte drei Fenster, die Rouleaus waren noch alle niedergelassen.

Nach einer Weile kam ein kleiner Mops hinter einem hervorgekrochen, und sah sich verdrießlich um. Es öffneten sich die Hausthüren, die Merseburgerinnen gingen im Negligee nach Milch und Kaffee und Semmel aus. Man sah mich verwundert an. Das Rouleau hinter dem Mops ging in die Höhe, Minna öffnete das Fenster, und streckte eine blasse weiße Hand heraus, um die Luft zu untersuchen. Ach, das war nicht meine Minna, denn sie fuhr sogleich in das Zimmer zurück, als sie mich erblickte, und hatte unter der weißen Schlafhaube blaßgelbe 157 Wickeln aufgesteckt, und ein mattes, resignirtes altteutsches Mariengesicht und träge bläuliche Augen wie der teutsche Himmel.

Seufzend ging ich fürbaß, und verzweifelte zum ersten Mal daran, meine Minna eher wieder zu sehn, als bis ich wieder Hunger hätte. Ich fragte hier, und fragte dort, ob Niemand die Minna kenne, welche vorgestern in Lauchstädt gewesen und außerordentlich schön sei. Die Leute gaben mir keine Antwort, und sagten ich sei verrückt.

So kam's, daß ich Mittag wieder in Halle war, ich hatte lauter sehnsüchtige Lieder unterwegs gesungen, und es schmeckte mir das Mittagsessen vortrefflich.

Das war jetzt viele Jahre her, damals lebten die trojanischen Helden noch, und die Straße, die nach Leipzig führte, hieß noch mit Recht die Galgstraße, denn es wohnten lauter arme Sünder und Galgenstricke da, und jede Straße in Halle sieht aus wie der Weg zum Galgen. Damals, ach damals war Alles schöner, weil's damals war. Die Zeit ist der beste Künstler, sie heilt nicht nur am besten, sie malt auch am schönsten. Der ist ein Maler, der's mit den zauberhaften Farben der Vergangenheit aufnehmen könnte!

Alles, was war, ist schön. Jetzt dacht' ich mit Neid an jene Tage zurück, und doch hatte ich damals nichts, wenn ich meine Schulden nicht rechnete, 158 und jetzt hatte ich die Taschen voll Geld. Damals konnte ich aber auch noch so lange und innig von Giebichenstein in die Gegend hinaussehen, bis mir vor Rührung, Sehnsucht und Andacht, ich wußte selbst nicht, warum, das Wasser in die Augen trat; ich hatte ein jüngeres Herz, ich liebte noch Hölty, der da drüben an den Felsen eine Bank hat, die Jedermann Höltys Bank nennt. Ach, ich hatte noch keinen Menschen recensirt, ich liebte noch so hübsch en détail und unbewußt im Großen, jetzt that ich mir viel darauf zu Gute, das ich so universell zu lieben verstünde.

Nebenher gesagt, es ist nichts so undankbar, so unersprießlich, als Massen zu lieben, und für Massen zu arbeiten: wer sich ihnen opfert, wird ausgelacht, wer nicht, wird geschmäht, gesteinigt, und ich hebe selbst so manchen Stein auf. Herr von Raumer, ich bitte Sie um Entschuldigung; es ist Krieg.

Warum fand ich die beschränkte kleine hannöversche Schwermuth Hölty's nicht noch so liebenswürdig, wie sonst! Was war ich oft so bös', daß der sanfte Hölty ein so grobes, großes Gesicht gehabt, das an all' seiner Schwermuth schuld war, und aus welchem all' seine Lieder wuchsen, wie kleine Waldblumen aus unebnem, unkultivirtem Erdboden.

Hatte ich nicht auch ein Liebesunglück mit Jerta, und brachte mir's wohl noch ein einziges vernünftiges 159 Lied. Mit allen honetten Gefühlen wird heutiges Tages dummes Zeug gemacht. Es geht Alles in's Große, und dabei geht alle kleine, putzige Freude verloren.

Der Leser weiß noch gar nicht warum ich so in die Kreuz und Quer springe, und welch' Malheur ich mit Jerta gehabt. Als wir in Halle vor der Post ankamen, erwachte Jerta's Begleiter, und stieg aus. Ich fragte den Kondukteur, ob er mir nicht aus dem Personenzettel Bescheid sagen könne über die beiden zweifelhaften Größen. Es fanden sich zwei ungenießbare Plumppuding-Namen. Nun faßte ich mir ein Herz, und fragte den Begleiter in bescheidenem Englisch, ob er ein Engländer sei.

Er sah mich lange, sehr lange an, und sagte endlich: Yes. Das war das einzige Wort, das ich von ihm gehört. Nun ging er in's Postzimmer; ich nahm Jerta bei der Hand, und führte sie in den Flur hinein, wo wir allein sein konnten, besann mich peinlichst auf einige nothwendige, großbritannische Worte, und fragte sie, ob sie nicht die Jerta aus Radegast sei. Endlich, endlich schüttelte sie das Haupt, nahm mich beim Kopf, gab mir einen heißen, heftigen Kuß und sagte, sie heiße Jenny und sei from Bristol, und ich wäre ein guter Bursch. Mir fielen alle fremden Worte aus dem Gedächtniß durch die Finger, ich fing immer an you are - you are, 160 und da ich nicht sprechen konnte, so steckte ich all' meine englischen Gedanken in die Augen und sah sie an als wollte ich ihr ganzes schönes Gesicht zerstören. Und jetzt kam auch Bewegung in die schönen Züge – aber es kam auch der Begleiter aus dem Postzimmer, und als ob nichts vorgefallen sei, ließ sie mich stehen, und ging zu ihm. Bald darauf fuhr eine Postchaise vor, sie setzten sich hinein, ich eilte verzweiflungsvoll an den Schlag, nahm meine Mütze ab, und besann mich, wie ich in's Teufelsnamen fragen wollte – da hieb der Postillon in die Pferde, und blies rücksichtslos:

»Und wenn die letzte Kugel komm'
In's preuß'sche Herz hinein.«

Und sie rollten dahin auf der alten Galgstraße, ich aber stand abgebrannt mitten in Halle, und es war mir, als sähe ich ringsum ebenfalls nichts als abgebrannte Feuerstellen. Halle war von jeher eigentlich immer nur ein Brandplatz mit einigen Köhlerhütten.

In der Stadt selbst giebt es nur Studenten, Torf, schmutziges Volk, Professoren und Dreck. Und doch hing mir über dem hallischen Schmutz ein romantischer Nebel. Ich hatte den Traum meiner jugendlichen Ritterlichkeit hier verlebt, war hier Student geworden, hatte für die Einheit Teutschlands, für Schwarz Roth Gold für die Tugend, für eine sündhafte Keuschheit, für eine kindische Freiheit, schöne 161 Bärte und eine aromatische Pfeife Tabak geschwärmt. Ich hatte anderthalb Jahr da studirt, darunter 15 Monate keinen Groschen Geld gehabt, kaum hundert Thaler Schulden gemacht und halb Teutschland durchreist – das schien mir Alles wie fabelhaft, wie aus der Zeit vor dem Sündenfalle, wo man noch kein Geld brauchte, wo Gütergemeinschaft herrschte.

Auswendig war Alles noch, wie ich's gelassen, nur stiller, todter, und ich fürchtete, wenn ich die Sachen angriffe, so fielen sie in Staub zusammen. Die Cholera war dagewesen, und hatte mit einer Art von Sorgfalt gewüthet; sie haßte bekanntlich den Schmutz, und schon seit 1694 war die Universität in Halle. Ich sah auch nicht mehr so viel wie damals, wo ich nur Studenten sah, aber der Dreck und die schmutzigen Gesichter waren geblieben. Ich stellte mich auf den Markt, unser geliebtes Forum, wo all' unsre Helden täglich erschienen, ich wartete auf die alten Fabier und Scipionen – da kam der alte Stallmeister der seine türkischen Pferde höher hielt, als mancher Theologe sein Christenthum, er war noch gerade und steif wie früher, aber im Gesicht lag ein ganzer russischer Feldzug mit Eis, Schnee, Hunger und krepirtem Pferdefleisch. Die dünnen Beine stapften noch mehr als früher, es war ein Kavalleriegespenst von der Schlacht bei Mosaisk. Neben mir stellte sich der alte Ausrufer hin, mit dem wir rhetorische 162 Experimente machten; er machte den Mund so weit auf wie früher, und drückte die Augen zu wie früher, aber hinter diesen Anstrengungen kroch eine zerbrochene Stimme hervor, die tonlos war wie ein zerbrochner Topf. Ein Bettler stellte sich anständig, und darum mit gezogenem Degen gegen mich, und als ich ihm in das verwitterte, mit Rasen überwachsene Gesicht sah, da fand ich unter den zerbröckelten Zügen das Antlitz des humansten Pumpphilisters unsrer damaligen Zeit, der die Studenten mit offnen Händen wie Rothschild die Könige behandelte. Die Könige waren Landgeistliche, Legationsräthe, Kreisphysici, Justizkomissarien, Bettelleute und gentlemans independent geworden, und alle hatten ihren Rothschild vergessen, und das that ihm so weh, daß er jetzt bettelte. Er sah aus wie eine akademische Tragödie.

Der Undank ist ein so garstiges Laster; und doch hat die Weltgeschichte selten Zeit, alten Dank abzustatten, und sie hält sich damit auf.

Unter der alten Wage war es so leer, so todt, ich suchte umsonst die rothen, gelben und grünen Mützen, und die unternehmenden Gesichter, in denen tausend Cooksche Erdumsegelungen lagen. Ein Paar dünne, dürftige Studenten, denen der Freitisch aus den leeren Backen sah, flüsterten sich etwas über ein Memorandum von Herrn Makeldey zu, den jeder Jurist kennt, wenn er sich vor dem Examen fürchtet. Ich trat 163 zwischen sie, und sagte: Meine Herrn, es schadet nichts wenn die Universitäten aufgehoben werden, aber das alte Teutschland hat dann ganz ein Ende, und leider ist das junge noch nicht geboren. Sie wünschten mir gesegnete Mahlzeit, zogen die Mützen und gingen nach verschiedenen Seiten ab.

Ich hatte die Mütze nie abgenommen, so lang ich Student war, wir waren die teutschen Granden, die auch in den Audienzen, d. h. den Auditorien, bedeckten Haupts erschienen, manche meiner Kommilitonen schliefen sogar damit, auf daß ihnen nicht über Nacht die Grandezza abhanden komme – ich sah's, daß Teutschland gestorben sei. Nun stieg ich hinaus in das große Auditorium, wo Wegscheider und Gesenius, die rationellen Dioskuren, die Jungfrau Maria zu entkleiden pflegten, wie leer, wie hölzern kam mir Alles vor, wie nackt und prosaisch. Wie vernünftig gespensterhaft erschien mir der kleine Wegscheider mit seinem langen grünen Rocke und den blanken Steifstiefeln. Er saß noch wie damals da mit dem kleinen reinlichen Kopfe nach vorn gebogen, die Haare waren noch eben so kurz und aus dem Gesicht gestrichen. Er hat einen kleinen vornehmen Mund, und poetische Augen, nur wenn er dem Christenthum bis auf den Magen sehen will, setzt er eine große Brille auf, und verdeckt seine Poesie. Er sprach noch jene prosaisch vernünftigen Dinge, und lachte noch immer 164 nicht. Lessing hat ihn gewiß auch mit auf dem Gewissen, da oben in Helmbstädt ist er so vernünftig geworden.

Aber, wie gesagt, das Lachen überließ er noch immer seinem Kollegen Gesenius, der einen glatten Kopf hat wie ein verschmitzter, oberflächlicher Kaufmann, welcher aus dem Lande Judäa kommt und kleine schnurrige Geschichten erzählt, die er am Wege aufgelesen. Darunter sind die unanständigsten Klatschereien aus Nazareth, und er verschont nicht den guten Ruf der schönen Maria und die Gutmüthigkeit des Tischlermeister Joseph. Nicht einmal dem Propheten Daniel läßt er sein Bischen Renomée, und wenn er von seinem Logis in der Löwengrube spricht, so erzählt er, daß sich auch Löwen vor einem langen Judenbarte fürchteten und eine Aversion vor Leuten hätten, die nach Knoblauch stinken. Von Gesenius selbst sagen die Studenten, daß er zuerst im theologischen Examen durchgefallen sei wegen mangelhafter Kenntniß im Hebräischen. Da habe er sich in enormer Malice hingesetzt, und so lange hebräisch studirt, bis er ein ganz neues Lexikon und sieben Auflagen einer neuen Grammatik herausstudirt habe, und daraus sei seine malitiöse Theologie entstanden.

– Ach, Halle that mir so weh, das schöne englische Gesicht Jennys war unbewegt von dannen gefahren, eine einzige Thräne von ihr wäre mir trostreicher gewesen, als die ganze Theologie, die um mich 165 her ihr Wesen trieb. Ach, und ich und Halle, wir waren Beide so alt geworden? Man muß alte Plätze und alte Liebe nicht wiedersehn, wenn man rückwärts sieht, muß man nicht genau hinsehn, dafür haben die Gebrüder Schlegel die Romantik erfunden.

Ich stieg wieder hinunter auf den Markt, und da sah ich ihn noch einmal vorüberarbeiten, der den Herrn Christus am meisten inkommodirt, den modernen Propheten Obadja; – Tholuck, der Gespensterhafte, steuerte mit all seinen Gliedmaaßen durch die Wüste des hallischen Marktes und mit ihm seine schlotternden, zerbrochenen Beine und seine großen Füße. Es wackelte noch wie sonst jedes einzelne Glied unheimlich an seinem Körper, es war noch die ganze Gespensterwirthschaft im ganzen Aeußeren des Mannes, und das magere Knochengesicht nickte noch immer schauerlich auf und nieder; ich glaube, er wird im Sarge noch nicken, und sein Auge wird im Sarge nicht verstorbener aussehen als jetzt. Früher hatte ich gelacht, und ich dachte, mit der Zeit wird er sich wohl aussöhnen mit Gottes schöner Natur und den hallischen Eierkuchen, und wird sich ein Weib nehmen, und die Freude nicht mehr für eine Sünde halten. Jetzt schauerte ich beim Anblick dieser apokalyptischen Figur, dieses christlichen ewigen Juden.

Es war ein nebliger, garstiger Tag in der guten Stadt Breslau, als des Goldschmieds Tholuck 166 eheliche Frau statt eines gesunden Jungen ein vergelbtes Blatt der Offenbarung Johannis aus dem Mutterleibe gebar, worauf Himmel- und Höllenfratzen beschrieben stehn.

Wenn das Wissen und der Verstand und die Phantasie dieses Blatts in einem gesunden Menschen wohnten, dacht' ich bei mir, er müßte ein scharmanter Bursch, ein ungestümer Poet sein.

Und ich ging wieder traurig hinaus nach Giebichenstein, um mich von Halle zu erholen. 167

 


 

Ich weiß nichts auf der Welt, was die Wissenschaft so verleidet als die ächten Professoren, namentlich die Theologen und recht systematisch berühmte Philosophen. Wenn die kleinen Kinder spielen, und darüber uneins werden, ob's im Himmel rosenroth oder himmelblau aussieht, so ist das spaßhaft, wenn aber die alten großen Kinder mit grauen Haaren bei heutiger aufgeklärter Zeit einander tödtlich befehden, weil der Eine sagt, der Himmel sei rosenroth, der Andre, er sei himmelblau, so ist das langweilig und schmerzlich. Die Menge braucht Beschäftigung; wir müssen für uns etwas zusammenkonstruiren, was hinter dem Blute und über der Luft ist, der gescheidteste Mensch braucht seine Poesie, wie der stärkste Mann der süßen Ruhe bedarf. Aber diese Armuth an Phantasie, sich Jahrhunderte lang mit denselben Bildern herumzuschlagen, diese Armuth an Kultur, sich um des 168 Kaisers Bart, den Keiner gesehen – tödtlich anzufeinden, ist doch maaßlos betrübend. Herr Tholuck und Herr Wegscheider wiesen sich heut noch, wie vor sieben Jahren die Zähne, weil der letztere den Teufel nicht leiden, der erstere ihn durchaus nicht fahren lassen wollte. Und nun werden die armen Teufel am Ende drehend vom immerwährenden Kreislaufe, ein Paar hundert Leute sperren die Mäuler dazu auf, oder schreiben gar darüber, und jene gerathen immer tiefer in ihre Teufeleien, und halten sie für unumgänglich nöthig für's Bestehen der Welt, und so entsteht die Theologie.

Es konnte einst ein Hofnarr durchaus nicht sterben, weil er der Meinung war, das heilige römische Reich ginge zu Grunde, wenn er nicht mehr drüber spräche. Man wußte ihn nicht eher zu beruhigen, als bis man ihm einen neuen Hofnarren zum Einsegnen gebracht hatte, aus den er seine Narrheit übertragen konnte. Er band aber diesem seinen scheckigen Mantel um, und setzte ihm die Schellenkappe auf, und nun war das Werk vollbracht, und er entschlief getröstet.

Es kommt nur auf die Mode an: hier ist ein buntes Kleid, dort ist ein schwarzes an der Tagesordnung.

Früher wollte ich immer einmal nach Ispahan oder Ellore oder nach Palmyra reisen, um einmal 169 auf den Trümmern einer wunderlichen Vorzeit einzuschlafen, es war mir nur zu weit bis Asien. Jetzt habe ich Halle wiedergesehn, und ich verlange nicht mehr nach Trümmern, sie sind hier so groß wie zu Palmyra, Ellore oder Ispahan, man kann sie bei einem langen Tage auf einem schnellen arabischen Pferde nicht umreiten. Sie sind nur nicht so schön, denn die Schönheit ist in Halle polizeiwidrig, aber was thut das! Eine fressende, bleiche Armuth schleicht durch alle Häuser, die meisten Partien der Stadt sehen lehmern zusammengekrümmt aus, wie vom Schlage getroffen, der braune Torfstaub liegt auf den Straßen, auf den Gesichtern, den Busenkrausen, auf den Kathedern. Jehovahs Fluch ist über die Stadt gegangen. Schon vor sieben Jahren war nicht ein hübsches Mädchen da, und in langen sieben Jahren hat in der verpesteten hallischen Atmosphäre nicht eins gedeihen können.

Nicht mit Kaiser Max, Franz v. Sickingen und Götz von Berlichingen schied das Mittelalter, mit den Studenten scheidet es, und ich habe es mit Thränen romantischer Erinnerung gesehen: die Studenten schnüren ihre Bündel. Auf dem Fechtboden war es still wie auf einem Schlachtfelde, worüber Gras gewachsen ist. Gleich einem alten Todtengräber ging der alte Urban im leeren Raume auf und nieder, und sah mit schmerzlichem Auge die leer gewordenen Wände 170 an, wo nur sparsam hie und da noch ein Rappier hing. Wir begrüßten uns wie ein Paar alte Spartaner nach der Schlacht von Chäronea, er sprach nicht mehr vom Spaniol, dem genialsten Hiebe, welchen Miltiades erfunden habe, er sprach von Auflösung der Verbindungen, und das hieß ihm so viel, als Auflösung der Universitäten. Urban war sentimental, das bedeutete ein welthistorisches Unglück.

Es giebt keinen peinlicheren Zustand, als wenn man nicht weiß, ob man sich freuen oder sich betrüben soll. So geht mir's mit den Studenten. Ich möchte eine Reform mit ihnen vorgenommen, ich möchte sie nach moderner Freiheit trachten, nicht in der rohen mittelalterlichen sich herumwälzen sehen. Und doch schmerzt es mich, diese jugendliche Poesie den steifen Schulmeisterhänden zum Zerzupfen hinzugeben. Nach dreißig Jahren wird man von fabelhaften Wesen, Studenten geheißen, erzählen, welche Kourage hatten wie die Löwen, und um das Leben und die Freude spielten wie um Spielpfennige. Unsre Studiosen werden die letzten Ritter gewesen sein.

Alle Reform, welche die Furcht gebeut, ist eine zitternde, und mit wankender Hand zerschlägt sie die besten Geräthschaften. Auch moderne Ritter könnte es geben.

Ja, man baut ein neues Universitätsgebäude in Halle; ich bin darin hinaufgestiegen bis zu den 171 Karzern, deren Anlage allerdings von Humanität zeugt, denn man hat eine bessere Aussicht darin, als in den Auditorien. Früher hatte man in beiden keine, und die Karzer waren raffinirt grausam. Als ich zwanzig Jahr alt war, interessirte es die Universität Halle lebhaftest, von mir zu erfahren, ob ich es wohl für wünschenswerth hielte, daß Teutschland ein Kaiserthum sei, und man holte mich von der Schlittschuhbahn auf der Saale, wo ich ganz anderen Dingen als der teutschen Krone nachjagte, und setzte mich ein halbes Vierteljahr auf's Karzer, und verhörte mich Tag und Nacht wegen der Konstruktion des teutschen Kaiserthums. Da ich aber so wenig davon wußte, wie von dem privaten Lebenswandel der eilftausend Jungfrauen, so folterte man mich mit einer Genialität der Erfindung, wie sie dem besten Novellenschreiber Ehre gemacht hätte. Ich war nämlich von aller Welt abgesperrt durch doppelte Thüren, alle Bedürfnisse mußten innerhalb der vier Wände ihre Endschaft erreichen, sogar vom Fenster und vom Sonnenlichte schied mich ein Gitter, wie man es vor die Kasten wilder Thiere zu machen pflegt. Ich studirte den ganzen Tag des alten Eichhorn Einleitung in's alte Testament, Ségurs russischen Feldzug und Tomes Jones von Fielding, und wenn es dunkel ward, spielte ich wie ein rechtschaffner Romantiker auf der Guitarre, und sehnte mich inbrünstig nach Menschen; 172 ach, die Sehnsucht nach Menschen ist stärker als die Liebe, wer nie gefangen war, ahnt und kennt ihre Stärke nicht. Den schauderhaften Karzerfritz habe ich oft in Ermangelung eines menschlichen Wesens umarmt, und ihn beschworen, mir seinen spanischen Feldzug noch einmal zu erzählen, den er mir schon funfzehnmal erzählt hatte. Und ich warf alle Bücher fort, wenn er von den Todten sprach, die bei Salamanka hoch wie die Häuser gelegen hätten, und vom unmenschlich langen Herzog v. Wellington, der des Nachts auf diesen Häusern spaziren gegangen sei und eine spanische Cigarre geraucht, und gar nicht englisch, sondern teuflisch ausgesehen habe. Der Kerl log ärger als Don Quichote, und was noch mehr sagen will, er log unerhört dumm, aber er log mit einer menschlichen Stimme.

 

Doch das war nicht die hallische Folter. Wenn ich Guitarre spielte, da eröffnete sich diese bodenlose Raffinerie. Schwermüthig sang ich »Ein Mädchen oder Weibchen, wünscht Papageno sich« und die Riegel klirrten und es huschte eine Gestalt herein, die im Dunkeln Aehnlichkeit mit einer weiblichen hatte. Es war aber die muthmaßliche Tochter des Pedells Seebach, ein von allen Göttern verwahrlos'tes Geschöpf, die Ahnfrau der hallischen Karzer, welche die Geständnisse auspreßte – ach, ich denke nicht gern daran zurück. 173 Es war eine Dummheit, daß ich so schwach war, sie nicht wenigstens im Dunkeln zu lieben!

Aber diese Barbarei hat aufgehört, in dieses heitre Licht der neuen Karzer wagt sich kein Fräulein Seebach, das neue Gebäude steht da, wo jene liebenswürdige Kirche stand, welche man zum Schauspielhaus gemacht hatte. Ich hoffe, dieser einzige Gedanke wird Halle unsterblich machen.

Es giebt in Halle viel Pietisten. Das find' ich sehr natürlich; den braunen Torfgesichtern, dem Hunger und dem Fräulein Seebach gegenüber verzweifelt man leicht, und läßt den Kopf hängen. Die Hypochondrie und der Pietismus kommen von Stockungen im Unterleibe, der letztere hat es nur mehr unmittelbar, jene mehr mittelbar mit dem Magen zu thun. »Hunger lehrt beten« ist ein altes Sprichwort, und in Preußen, wo der Pietismus eine Zeitlang mehr in der Mode war als die Ueberschuhe von Gummi, die sich nach dem Fuße richten, giebt es viele Arten Hunger. Die Erfinder dieser neuen freien Kunst, des Pietismus, sind nur schlechte Historiker: sie hätten sich eine gelegnere Zeit aussuchen sollen. Es soll ein gottesfürchtiger Jubel ausgebrochen sein, als man die religionslästerliche Theaterkirche niedergerissen, und Tholuck soll allnächtlich mit seiner Schaar eine Stunde am Einsturze gearbeitet haben. Anfänglich hat er es mit stürmischen Reden versucht, und die Mauern wie 174 die von Jericho durch Posaunenschall einzustürzen getrachtet. Aber die Steine sind ohne biblische Bildung gewesen, durch frivole Komödienworte verhärtete Herzen, die Arbeit ist trotz aller Teufelsbeschwörungen immer langsamer und schwerer gegangen. Seit jener Zeit ist der Pietismus etwas in Mißkredit gekommen. die Klassensteuer ist nicht ermäßigt worden, man nimmt wieder freundschaftlicheres Interesse am Teufel. – – Wenn ich nur schon Studenten in diesem Hause sähe. Ein Aufseher des Baus, der einen genialen grünen Flauschrock mit einem Aermel trug, weil der Träger nur einen Arm besaß, wußte Rath. Er sprach im plurali majestatis: »Wenn wir etwas nicht anders zu gebrauchen wissen, so machen wir eine Kaserne draus.«

Ach, die Kasernen!

Auch eine Promenade wird angelegt. Ich fürchte, Halle soll ernstlich verschönert werden. Das könnte ein ernstliches Unglück geben. Es ließ sich einst eine alte, schmutzige Frau, die viel historische Freunde hatte, jung machen, und nun kannte sie Niemand mehr, und es liebte sie Niemand, weil sie nicht hübsch genug war. Viele Dinge haben nichts zu verlieren als ihre Geschichte.

Die Professoren haben die Geschichte ihrer Unfehlbarkeit verloren, und haben nur ihre Besoldungen noch, und wenn auch die aufhören, dann wehe den 175 Liberalen: die ganze Scholastik stürzt sich mit ihrem unersprießlichen Gequäk unter sie, und wo diese Lohnbedienten der Wissenschaft auftreten, da bleibt wenig Freude übrig.

Sollten die Universitäten aufgehoben werden – woran ich für meine Person in einer gewissen Ausdehnung nicht zweifle, – so ist das so wichtig, als die Abdankung des letzten römisch-teutschen Kaisers, Franziskus des Zweiten.

Und eine neue Klasse von Armagnacs entsteht in den eigentlichen Universitätsphilistern, teutsche Guerillas voll gefährlicher Intrigue, denen man das Schlachtfeld genommen hat, und welche sich vom studentischen Umgange Kourage und Unternehmungslust angewöhnr haben.

Wäre es noch möglich, daß der Liberalismus der Welt entwendet werden könnte, diese akademischen Armagnacs würden an ihn erinnern wie graue Sturmvögel auf dem Meere an die Nähe des Landes. O, in diesem unersprießlich breiten Halle liegt ganz Teutschland mit seinen kreisenden Wehen: mir graut vor seinem Schmutz auf Straßen, auf Gesichtern und auf Kathedern, mir bangt vor dem Reinwaschen.

Was wird für eine trockne Nüchternheit zum Vorschein kommen, wenn der langsame Sieg endlich ein vollständiger wird. Nur der Kampf ist interessant, der Sieg ist noch langweiliger als die Unterdrückung. Wenn man um mich herum flucht, so segne ich die jetzige Reaktion, welche einem guten Verstande, wenn auch nicht dem besten, Ehre macht. Unsere Truppen sind auch gar zu undisciplinirt, und ein frühzeitiger Triumph hätte vielleicht breite Prosa und jakobinische Unflätherei zum Vorschein gebracht. Das Todtenlied der unsterblichen Gironde hat auch mir oft um die Ohren geheult.

Und doch wächs't uns mit der Verzögerung eine lange Waffe entgegen – die Gleichgültigkeit. Wer interessirt sich Jahrelang mit Feuereifer für die häusliche Einrichtung. Und doch muß man Gestrüpp nicht scheuen, um zur Aussicht zu kommen, und doch ist es wie die ewige Roma eine markerschütternde Poesie, der himmelstürmende Gedanke der Freiheit, der uns immer wieder emporhebt, sobald man ihn ausspricht, und doch ist es ein ganzes Leben werth, für etwas zu leben. Ich will sie nicht fragen, die eisgrauen Hallenser Gesichter, welch' einen Mittelpunkt ihr Dasein gehabt, ich will nicht für sie erröthen, will diese aufgeputzte Armuth nicht sehen.

Aber ich drücke auch die Augen zu über Halle: nichts soll mir die Freude verkümmern, daß es Dinge giebt, für die wir unser Herzblut vergießen, daß es Lieder giebt, für die wir sterben, daß es viele tausend 177 Teutsche giebt, welche die Freiheit anbeten, ohne für sie zu sündigen.

Und die süßen Girondistennamen, der Feuer redende Vergniaud, der königlich schöne Buzot, der Jugend blühende Barbaroux, ich habe sie in Halle nicht vergessen.

Wer bist du langer, unbeweglicher Mann mit dem grauen Barte und dem leblosen Gesichte, der du wie der steinerne Gast halbe Tage lang am Fenster stehst, und herübersiehst auf den Embryo der hallischen Promenade und das Haus von rothen Ziegeln, was sie die neue Universität nennen? Ich sehe keine Girondistenhumanität in deinem Gesicht, der harte, unverbesserliche Emigrantenzug starrt um deine Lippen, der alte Egoismus des Adels sitzt auf deinen grauen Augenwimpern, und läßt sich auf- und niederheben.

Steht mir bei, ihr langweiligen, nordischen Götter – es ist Friedrich, Ritter de la Motte Fouqué! –

An der Beresina soll Napoleon ein Gespenst erblickt haben, ich weiß, wie es ausgesehn hat. Die Gespenster sind keine Geister, und Geister sind keine Gespenster. Friedrich, Ritter de la Motte Fouqué, du hast den »Zauberring« gefunden, und er läßt dich nicht wieder los. Du bist unschuldig an deiner Thorheit. Wo sich unter den Föhren des 178 Oderufers in Schlesien das Kloster Leubus erhebt, da ziehe hin, dort weilt Undine, dort seufzt die Quadratur des Staates, welche du statt des Schießpulvers erfunden hast; ich hege keinen Groll gegen dich, ich kämpfe nur mit Lebendigen.

Vier berühmte Restaurateurs lesen nichts von dem, was über sie geschrieben wird: Carl v. Bourbon, sonst genannt der zehnte, Wilibald Alexis, ein junger Anfänger, bei dem man auch nach der Charte speisen kann, Henrik Steffens, der philosophische Dichter aus Norwegen, der auf schönsten und gewaltigsten Pferden ohne Zügel reitet, und darum nimmer reiten lernt, und Herr v. Fouqué aus dem Stamme der Nibelungen.

Eine hohe fürstliche Person war kurz vorher durch Halle gereis't, und hatte sich sehr angelegentlich mit dem Rittmeister, Herrn v. Fouqué unterhalten.

Sollte der Rittmeister v. Fouqué je sterben, was ich mir zu bezweifeln erlaube, so stirbt er gewiß an keiner ordinären bürgerlichen Krankheit, an welcher jeder Lump sterben kann; er stirbt am Adel, wie Abälard an der Liebe. Beide glaubten an die Auferstehung ihrer Krankheit. Der Don Quichote hat mich nie amüsirt, und ich hab' es immer meinen Freunden nicht geglaubt, wenn sie sagten, er mache 179 ihnen Spaß. Zum kindlichen Spaße war mir die Sache zu ernsthaft, und zum Ernste zu kindisch. Aber ich habe dem Don Quichote auch nie gezürnt, und der Ritter Friedrich de la Motte Fouqué ist der Don Quichote der nordischen Ritter und Edelleute, Peter von Kobbe aber aus dem Lande Hannover ist sein Sancho Pansa. 180

 


 


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